Identitätstheorie bei Erikson und Freud
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sigmund Freuds Strukturmodell der Psyche und sein Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung
3. Erik Eriksons Begriff der Identität und das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung
3.1 Erikson: Bedeutung der Adolenszensphase für die Bildung einer Identität
4. Sigmund Freud und Erik Erikson: Ein Vergleich
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wirft man heute einen Blick in die Regale verschiedener Buchläden, so lassen sich eine Fülle an Werken mit Titeln wie „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ oder auch „Lebe dein Leben- Impulse zur Selbstfindung und Motivation“ finden, die dem Leser einen Leitfaden zur Findung des Eigenen ICHs an die Hand geben möchten. „In unserer heutigen Zeit eines wachsenden Traditionsverlustes und eines ungeheuer beschleunigten (...) gesellschaftlichen Wandels“ ist der Prozess der Identitätsfindung bzw. die Frage nach dem „Wer bin ich?“ in unserer Gesellschaft von stetig wachsender Bedeutung.
Sigmund Freud und Erik Erikson sind hierbei zwei der bedeutendsten Theoretiker des vergangenen Jahrhunderts, die sich mit dem Prozess der Identitätsbildung bzw. der Frage nach dem Ich beschäftigt haben [1]. Freud gilt als der Begründer der Psychoanalyse, einer der zwei großen Forschungsrichtungen neben dem amerikanischen Pragmatismus, die sich als erste mit diesem wissenschaftlichen Feld der Identitätsforschung auseinander gesetzt haben. [2] Auch wenn Freud selber sich nur indirekt damit beschäftigt und den Begriff der „Identität“ nur ein einziges Mal verwendete, so ist sein Konzept des „Es, Ich und Über-Ich“ eine „große Errungenschaft auf dem Gebiet der Identitätsforschung“ und bildet als Theorie der Struktur der Psyche mit seinem Werk über die psychosexuelle Entwicklung des Menschen gleichermaßen eine wissenschaftliche Vorarbeit für andere Identitätsforscher wie zum Beispiel sein Schüler Erik Erikson. [3] Denn Erik Erikson, der als „freudianischer Ich-Psychologe“ und einer der bedeutendsten Psychoanalytiker des vergangenen Jahrhunderts gilt, [4] befasste sich ebenfalls Zeit seines Lebens intensiv mit der psychosozialen Entwicklung des Menschen. Sein Interesse galt im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Vorstellungen der damaligen Zeit und denen seines Vorbildes Freud nicht nur den Entwicklungsprozessen im Kindes- und Jugendalter, sondern er befasste sich detailliert mit dem gesamten Leben des Menschen.
Seine Arbeiten decken sich hierbei ganz nicht mit dem klassischen Lehrgebäude der Psychoanalyse, da Erikson die Psychoanalyse auch in Beziehung zu anderen Wissenschaften setzt- etwa der Soziologie oder der Kulturantrhopologie.
Sein Modell der psychosozialen Entwicklung gilt demnach als einer der wichtigsten sozialwissenschaftlich ausgerichteten Ansätze der Psychoanalyse und gleichzeitig als Grundstein für viele darauf folgende Identitätstheorien der vergangenen Jahrzehnte, [5] [6] denn „Erikson hat als erster den Terminus ‘Identität1 als systematische Grundlage verwendet, um das Leben einzelner Menschen innerhalb bestimmter Gefühlslagen zu betrachten“. [7]
Beide Theoretiker verbindet eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit miteinander, die durch eine starke Beeinflussung und Bewunderung gekennzeichnet ist.
Es lassen sich in beiden Konzepten demnach Perspektiven mit großer Übereinstimmung finden. Von größerem Interesse sind hierbei jedoch die Unterschiede und teilweise unterschiedlichen Betrachtungsweisen, welche die Theorien der beiden Denker deutlich voneinander abgrenzen.
In der folgenden Hausarbeit möchte ich zunächst den Prozess der psychosexuellen Entwicklung Freuds und der psychosozialen Entwicklung Eriksons beleuchten und ihr Begriffsverständnis von Identität erläutern. Bei der Betrachtung von Eriksons Theorie soll hierbei ein zusätzlicher Schwerpunkt auf die Stufe der Adoleszenz gelegt werden, da diese für ihn von signifikanter Bedeutung für die Bildung der Identität war. Daran anknüpfend möchte ich die beiden theoretischen Ansätze gegenüberstellen und wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Konzepte darstellen, um herauszuarbeiten, wie groß der Einfluss Freuds auf das Identitätsverständnis Eriksons und dessen wissenschaftliche Theorien war.
2. Sigmund Freuds Strukturmodell der Psyche und sein Phasenmodell der psvchosexuellen Entwicklung
Sigmund Freud, der bedeutendste Psychoanalytiker der Geschichte, hat sich Zeit seines Lebens mit der menschlichen Psyche auseinandergesetzt. Wie viele der frühen Ich-Psychologen verwendete aber auch Freud den Begriff der „Identität“ zunächst in keiner systematischen oder wissenschaftlichen Weise. [8] Allerdings sind seine Betrachtungen zum Aufbau der Psyche oder auch das Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung entscheidende Grundlagen für das Verständnis der von Freud begründeten Psychoanalyse und Grundlage für viele folgende Identitätstheorien.
Sein Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung, auf welchem Erikson seine wissenschaftlichen Überlegungen zur psychosozialen Entwicklung des Menschen aufbaut, ist allerdings nicht ohne Freuds Überlegungen zu den verschiedenen psychischen Instanzen zu verstehen. Mit Hilfe vieler seiner klinischen Studien entwickelte Freud das Modell der Struktur der menschlichen Psyche. Mittels dieses Modells erläutert Freud im Wesentlichen das Seelenleben eines Menschen, wobei er hier drei Bereiche oder auch Instanzen unterscheidet: Das Es, das Ich und das Über- Ich. Ein kompliziertes Wechselspiel dieser drei Systeme ist demnach bestimmend für das menschliche Verhalten. [9]
Das Es ist bereits seit der Geburt im Menschen vorhanden, er ,,kann als Motor menschlichen Handels, Denkens und Fühlens bezeichnet werden“ [10] Er ist der Sitz der menschlichen Triebenergie, der Libido, welche bestimmend bzw. antreibend für das menschliche Verhalten ist. In diesem Zusammenhang postuliert Freud auch zwei urmenschliche Triebe: den Ethos, die positive Lebensenergie der Libido, die vorwiegend das Ziel der Lustbefriedigung hat, und den Thanatos, ein schwächer entwickelter Todestrieb. [11] Das Es, diese urmenschliche Instanz, folgt dem Ziel der irrationalen Lustbefriedigung. Dies ist jedoch nicht nur im sexuellen Sinne zu betrachten, denn hierzu zählt zum Beispiel auch der Nahrungstrieb. Die Handlungen dieser Instanz sind für das Individuum unbewusst. [12]
Dieser Zustand des Unbewussten war insofern für Freud von besonderem Interesse in seinem Untersuchungen und Studien, als das er die Ursache für viele psychische Erkrankungen oder Verhaltens- und Anpassungsstörungen auf Spannungen im unterbewussten Bereich zurückzuführen sind. [13]
Die zweite psychische Instanz, das Ich, entwickelt sich laut Freud im zweiten Lebensjahr aus dem Es heraus, wesentliche Instrumente, durch welches sich das Ich hierbei ausdrücken kann sind sämtliche Sinnenwahrnehmungen, Motorik und alle bewussten Denk und Willensvollzüge. [14]
Da das Ich seine Energie, also die Libido, aus dem Es erfasst, kann es von ihm nicht unabhängig agieren, gleichzeitig ist es die Aufgabe des Ichs, zwischen den Ansprüchen sowie den Bedürfnissen des Es und den Gegebenheiten der Realität zu vermitteln. [15] Einem Realitätsprinzip folgend ist es die Aufgabe, die unkontrollierten Triebe des Es zu leiten und mittels Planungen und Entscheidungen an ein Ziel mit möglichst großer und realer Bedürfnisbefriedigung zu führen.
Die letzte Instanz bildet das Über-Ich, welches man auch unter dem gängigen Begriff des Gewissens fassen könnte. Das Über-Ich ist eine Art Verinnerlichung aller vorherrschenden Normen, moralischer Vorstellungen und gesellschaftlicher Werte. [16] Diese werden durch die Umwelt vermittelt, wobei Freud in der Vermittlung dieser Werte jedoch besonders den Eltern eine entscheidende Rolle zuschreibt. Bei dem Über-Ich handelt es sich also um die kontrollierende, mahnende und erinnernde der drei psychischen Instanzen, welche ebenfalls oft unbewusst handelt. [17] Erst durch die Bildung eines Über-Ichs, welches ungefähr zeitgleich mit der Bildung des Ichs stattfindet, entwickelt der Mensch die Fähigkeit sozial, entsprechend vorherrschender gesellschaftlicher Normen, zu handeln und die Triebgefühle des Es vollständig zu kontrollieren. [18]
Auch wenn Freud den Begriff der Identität in diesem Zusammenhang nicht verwendet, so ist dieses Schema der Instanzen des psychischen Apparates eine entscheidende Grundlage für das Verständnis von Freuds Theorien und eine Grundvoraussetzung für das Verständnis des Phasenmodells der psychosexuellen.
[...]
[1] Müller, Bernadette, Empirische Identitätsforschung. Personale, soziale und kulturelle Dimensionen der Selbstverortung, Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2011, S.22.
[2] Ebd. S. 22.
[3] Ebd. S. 29.
[4] Conzen, Peter, Erik H. Erikson, Kohlhammer-Verlag: Stuttgart 1996, S. 11.
[5] Abels, Heinz/ König, Alexandra, Sozialisation. Soziologische Antworten auf die Frage, wie wir werden, was wir sind, wie gesellschaftliche Ordnung möglich ist und wie Theorien der Gesellschaft und der Identität ineinander spielen, Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2010, S.137.
[6] Keller, Birgit, Identität. Grundlage eines menschlichen Lebensgefühls, Grin-Verlag: Ravensburg 2006, S. 20.
[7] Diepold, Barbara: Ich-Identität bei Kindern und Jugendlichen <http://www.diepold.de/barbara/ich_identitaet.pdf>, (12.10.2011, 13:45 Uhr).
[8] Müller, Empirische Identitätsforschung, S. 28.
[9] Abels, Heinz, Einführung in die Soziologie. Band 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft, Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden 2009, S.63.
[10] Schröder, Bernhard, Identität im historischen Wandel aus machttheoretischer Perspektive, Diplomica-Verlag: Hamburg 2010, S. 46.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Schröder,Identität im historischen Wandel aus machttheoretischer Perspektive, S. 46.
[14] Köhler, Thomas, Freuds Psychoanalyse. Eine Einführung, Kohlhammer-Verlag: Stuttgart 2007, 54
[15] Ebd.
[16] Ebd. S. 56.
[17] Schröder,Identität im historischen Wandel aus machttheoretischer Perspektive, S. 47.
[18] Abels, Einführung in die Soziologie. S.63.