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Name, Wesen und Konstellation der Figuren in Goethes Roman "Die Wahlverwandtschaften"

©2007 Hausarbeit (Hauptseminar) 23 Seiten

Zusammenfassung

‚Die Wahlverwandtschaften’ von Johann W. Goethe ist einer der am vielschichtigsten konstruierten Romane der deutschen Literatur. Die Deutung des Romans ist bis heute nicht abgeschlossen und immer wieder entdeckt die literaturwissenschaftliche Forschung neue Facetten dieses Werkes. Eine dieser Mosaiksteine, den man als Leser, Kritiker und Forscher beachten muss, wenn man den Roman verstehen möchte, ist die Bedeutung der Namen.
In den Fokus der Literaturwissenschaft sind Namen durch die Erkenntnis geraten, dass sie ein bewusstes gestalterisches Mittel in einem modernen Roman sein können. Des Weiteren erfüllen Namen bzw. die Benennung von Figuren oder der Verzicht darauf, in einem Roman immer ganz bestimmte Zwecke. Der Bedeutung von Namen in literarischen Texten widmet sich eine ganze Forschungsdisziplin, die so genannte ‚Onomastik’. Auf diese werde ich im ersten Kapitel dieser Arbeit eingehen.
Das Besondere der Namen in den Wahlverwandtschaften ist der immens wichtige Stellenwert, den Goethe ihnen durch Gestaltung und Bedeutung gibt. Denn jede Figur, die einen Eigennamen besitzt, wird durch diesen auch in ihrem Wesen determiniert und charakterisiert. In den Wahlverwandtschaften geht die Namensbedeutung über das normale Maß, wie man es in den meisten anderen Romanen vorfindet, hinaus. Die Namen dienen nicht nur der Identifizierung der auftretenden Figuren, sondern auch zu einigen anderen Zwecken. Diese Multifunktion der Namen im Roman aufzuzeigen und zu interpretieren, ist Inhalt und Ziel dieser Arbeit.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Bedeutung von Namen in literarischen Werken

2. Die Hauptfiguren der Wahlverwandtschaften

3. Die chemische Gleichnisrede
3.1 Entwicklung der chemischen Gleichnisrede
3.2 Namen und Zeichen in der Gleichnisrede

4. Die Nebenfiguren der Wahlverwandtschaften
4.1 Luciane
4.2 Mittler
4.3 Nanny

Zusammenfassung

Literatur

Einleitung

‚Die Wahlverwandtschaften’ von Johann W. Goethe ist einer der am vielschichtigsten konstruierten Romane der deutschen Literatur. Die Deutung des Romans ist bis heute nicht abgeschlossen und immer wieder entdeckt die literaturwissenschaftliche Forschung neue Facetten dieses Werkes. Eine dieser Mosaiksteine, den man als Leser, Kritiker und Forscher beachten muss, wenn man den Roman verstehen möchte, ist die Bedeutung der Namen.

In den Fokus der Literaturwissenschaft sind Namen durch die Erkenntnis geraten, dass sie ein bewusstes gestalterisches Mittel in einem modernen Roman sein können. Des Weiteren erfüllen Namen bzw. die Benennung von Figuren oder der Verzicht darauf, in einem Roman immer ganz bestimmte Zwecke. Der Bedeutung von Namen in literarischen Texten widmet sich eine ganze Forschungsdisziplin, die so genannte ‚Onomastik’. Auf diese werde ich im ersten Kapitel dieser Arbeit eingehen.

Das Besondere der Namen in den Wahlverwandtschaften ist der immens wichtige Stellenwert, den Goethe ihnen durch Gestaltung und Bedeutung gibt. Denn jede Figur, die einen Eigennamen besitzt, wird durch diesen auch in ihrem Wesen determiniert und charakterisiert. In den Wahlverwandtschaften geht die Namensbedeutung über das normale Maß, wie man es in den meisten anderen Romanen vorfindet, hinaus. Die Namen dienen nicht nur der Identifizierung der auftretenden Figuren, sondern auch zu einigen anderen Zwecken. Diese Multifunktion der Namen im Roman aufzuzeigen und zu interpretieren, ist Inhalt und Ziel dieser Arbeit.

1. Die Bedeutung von Namen in literarischen Werken

Namen in literarischen Werken haben einen besonderen Stellenwert. Im Gegensatz zu Eltern, die ihr Kind benennen, dessen Charakter und Wesen sie noch nicht kennen, benennt ein Autor seine Figuren bewusst. Er hat bei der Benennung in der Regel eine recht genau Vorstellung von der Figur und konstruiert sie entsprechend.[1] Der Name einer Figur ist somit ein Teil dieser Konstruktion. Daher kommt ihm häufig eine besondere Bedeutung zu, die bei der Analyse eines Textes beachtet werden sollte.[2]

Die Literaturwissenschaft beschäftigt sich erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiver mit der Bedeutung von Namen in literarischen Werken. Seit dem hat sich aus dieser Forschungsrichtung eine eigene Disziplin entwickelt, die literarische Onomastik.[3]

Nach Dieter Lamping lassen sich sieben Funktionen von Namen in literarischen Werken festhalten. Diese Funktionen lauten: Identifizierung, Illusionierung, Charakterisierung, Akzentuierung und Konstellierung, Perspektivierung, Ästhetisierung und Mythisierung.[4] Friedhelm Debus hat hierzu Ergänzungen und Erweiterungen eingebracht. Nach ihm sollen die Funktionen Perspektivierung und Ästhetisierung nicht als eigenständige Funktionen angesehen werden, sondern als Unterpunkte der Akzentuierungs- und Konstellierungsfunktion von Namen in literarischen Werken gelten.[5] Die vordergründigste und allgemeinste Funktion eines Eigennamens in einem literarischen Werk ist die Identifizierung. Die Benennung einer Figur sorgt dafür, dass der Leser sie von den übrigen Figuren unterscheiden kann und sie an den Textstellen ihrer Auftritte wiedererkennt. Um die Möglichkeit der Wiedererkennung zu gewährleisten, muss die Namengebung konstant bleiben, d.h. eine Figur sollte idealerweise die gesamte Erzählung hindurch mit dem gleichen Namen benannt werden, damit sie vom Leser stets eindeutig identifiziert werden kann.[6]

Neben der Funktion der Identifizierung wirken Namen in literarischen Texten auch illusionierend (nach Debus auch fiktionalisierend[7] ). Lamping versteht hierunter, dass der Name einer literarischen Figur dafür sorgt, dass der Leser eine reale Person in seiner Vorstellung evoziert. Unabhängig davon, wie detailliert ein Autor seine Figur beschreibt, aktiviert allein ihre Benennung das Vorstellungsvermögen des Lesers:[8] „Die Funktion des Namens ist dabei die eines Signals; er bedeutet dem Leser, daß der benannte Gegenstand als ein Mensch aufzufassen sei, und wirkt als Anreiz zur Konstituierung einer Personenvorstellung.“[9]

Als dritte Funktion literarischer Namen nennt Lamping die Charakterisierung. Dies ist eine spezielle Funktion, die nur bestimmte Namen erfüllen können.[10] Damit ein Name eine literarische Figur charakterisiert, muss er kennzeichnend für das Wesen und Aussehen dieser Figur sein.[11] Lamping nennt drei Arten von charakterisierenden Namen: sprechende, klingende und präfigurierte. Unter sprechenden Namen versteht er dabei Namen, die durch ihre Wortbedeutung die Figur konstituieren: „Der Begriff des sprechenden Namens […] schließt all die Namen ein, deren lexikalische Wortbedeutung sich mittelbar oder unmittelbar mit dem Charakter der Figur in eine Beziehung bringen läßt.“[12]. Analog dazu erzeugen klingende Namen durch ihren bloßen Klang, also durch Lautmalerei und Lautsymbolik, Bedeutung. Darunter fallen Namen, die Klänge nachahmen oder durch Akustik auf Charaktereigenschaften der Figur schließen lassen.[13] Als letzten Typus charakterisierender Namen nennt Lamping die präfigurierenden. Dies sind Namen, die es bereits in der Realität oder Literatur gibt bzw. gegeben hat und die zu bekannten Figuren oder Persönlichkeiten gehören. „Sie charakterisieren eine Figur […] durch die Erinnerung an eine Person oder Figur gleichen Namens.“[14] Diese Art der Charakterisierung kann allerdings nur dann funktionieren, wenn die Leser den entsprechenden Namen erkennen und wissen, auf welche Person bzw. Figur er sich bezieht. Diese drei Typen charakterisierender Namen (sprechende, klingende und vorbelastete) kommen in der Literatur oft als Mischformen vor.[15]

Eine weitere, besonders für die Analyse der Wahlverwandtschaften interessante Funktion von Namen in literarischen Texten, ist die der Akzentuierung und Konstellierung. Eine literarische Figur kann durch ihren Namen hervorgehoben werden, so dass der Leser ihr besondere Aufmerksamkeit schenkt. Um das zu erreichen, muss sich ihr Name von den anderen im Werk unterscheiden oder sie erhält gar keinen Namen und wird dadurch anonymisiert. Die Figur wird in diesem Fall durch die Auffälligkeit ihres Namens oder durch den Verzicht auf eine Benennung im Text besonders akzentuiert.[16] Des Weiteren kann ein Autor durch Namensgebung auch Verbindungen und Beziehungen zwischen verschieden Figuren herstellen. Dazu können sich die Namen der Figuren in bestimmten Merkmalen ähneln, was sie gegenüber andern Figuren abgrenzt.[17] Im Idealfall könnte der Leser durch diese Technik allein durch die Benennung die Konstellation der Figuren erkennen. Namen in literarischen Werken können auch eine Perspektivierungsfunktion besitzen. Perspektivierend wirken Namen vor allem, wenn die Benennung „sozial, ideologisch und psychologisch motiviert“[18] ist. Eine literarische Figur kann ebenfalls hervorgehoben bzw. besonders akzentuiert werden, indem ihr Name eine ästhetisierende Funktion aufweist.[19] Debus fasst Lampings Erläuterungen treffend zusammen, wenn er Ästhetisierung als „die durch bestimmte Mittel wie Klangsymbolik, Etymologie, Komik, Namenspiel beabsichtigte oder erreichte Wirkung des Namens als sprachliches Zeichen“[20] versteht.

Als letzte Funktion von Namen in literarischen Werken nennt Lamping die Mythosfunktion.[21] Im mythischen Denken ist der Name einer Person untrennbar mit ihrem Wesen verbunden.[22] In der Literatur steht eine Figur gleichfalls mit ihrem Namen in einem untrennbaren Verhältnis. So wird der Name einer Figur im literarischen Werk häufig im mythischen Sinne gebraucht. Er kann dadurch auch prägend für die Figur sein, wenn ihr Wesen aus dem Wesen ihres Namens zu erkennen ist.[23]

2. Die Hauptfiguren der Wahlverwandtschaften

Die Figuren in den Wahlverwandtschaften lassen sich in Haupt- und Nebenfiguren einteilen, wobei sich die Nebenfiguren weiter unterteilen lassen. Es gibt Nebenfiguren mit Eigennamen und ohne. Die Figuren ohne Eigennamen werden nach ihrem Stand oder Beruf benannt.

Zu den Hauptfiguren zählen Eduard, Hauptmann, Charlotte und Ottilie. Wobei Eduard und der Hauptmann mehrfach benannt sind. Beide heißen eigentlich Otto.[24] Der Hauptmann wird auch Major genannt. Er hat folglich drei Bezeichnungen: seinen Eigennamen Otto, die Benennung nach seinem Beruf (Hauptmann) und im zweiten Teil wird er dann als Major aufgeführt und fortan so bezeichnet.[25] Die Namensgebung hat hier auch die Funktion der Identifizierung, durch die Mehrfachbenennung wird aber deutlich, dass mit dieser allgemeinen Funktion von Namen gespielt wird. Allerdings nur in geringer Form, da die Identifizierung der einzelnen Figuren stets möglich ist. Es gibt im Roman keine Nach- bzw. Familiennamen, ebenfalls fehlen Ortsnamen. Dem Leser bleiben in Bezug auf die Namen zur Illusionierung von realen Personen nur die Eigennamen der Handelnden. Diese können dem deutsprachigen Raum zugeordnet werden.[26] Für die Namenwahl spielen auch ästhetische Gründe eine Rolle. Sehr deutlich wird das an dem Namen Eduard. Dieser hat sich selbst so benannt, um Verwechslungen mit seinem Freund dem Hauptmann zu vermeiden, aber auch weil er den Namen Eduard als wohlklingender empfindet.[27]

Werden die Namen der Hauptfiguren auf ihre etymologische Bedeutung hin untersucht, lässt sich feststellen, dass die zentrale Bedeutung aller Namen mit Besitz zu tun hat. Der Name Otto besteht aus dem ahd. ôt, das ‚Besitz’ oder ‚Reichtum’ bedeutet.[28] Eduards Name, den sich der Baron Otto selbst gegeben hat, ist an die französische Form Edouard und den englischen Namen Edward angelehnt. Dieser besteht aus dem angelsächsischen Wörtern ead (vergleichbar mit ahd. ôd, ôt), das ‚Erbgut’ oder ‚Besitz’ bedeutet, und weard (ahd. wart), was soviel wie ‚Hüter’ oder ‚Schützer’ heißt.[29]

Diese Bedeutungselemente finden sich in ähnlicher Form auch bei den weiblichen Vornamen. Besonders zwischen den Namen Eduard und Charlotte lässt sich eine besondere Verbindung herstellen. Die etymologisch bedeutsamen Teile ihres Namens sind das Präfix Charl- und das Suffix -otte. Charl- kommt vom französischen Namen Charles, der im deutschen zu Karl wird.[30] Karl bedeutet im Althochdeutschen: ‚Mann’ oder ‚Ehemann’ und findet sich seit etwa dem 13. Jahrhundert im bis heute gebräuchlichen Wort ‚Kerl’ wieder, mit der zusätzlichen Bedeutung ‚Geliebter’.[31] Im zweiten Teil ihres Namens steht das Suffix -otte wieder (s.o.) für ‚Besitz’. So ist ihr Mann Eduard (Otto) der ‚Hüter des Besitzes’ und sie der ‚Besitz des Geliebten’.[32]

[...]


[1] Vgl. Friedhelm Debus (2002): Namen in literarischen Werken. (Er-)Findung – Form – Funktion. Stuttgart: Franz Steiner Verlag. S. 19 (fortan zitiert als Debus 2002)

[2] Ebd., S. 10f.

[3] Ebd., S. 12

[4] Dieter Lamping (1983): Der Name in der Erzählung. Zur Poetik des Personennamens. Bonn: Bouvier Verlag. S. 7f. (fortan zitiert als Lamping 1983)

[5] Vgl. Debus 2002: S. 84ff.

[6] Vgl. Lamping 1983: S. 21ff.

[7] Vgl. Debus 2002: S. 76f.

[8] Vgl. Lamping 1983: S. 29f.

[9] Ebd., S. 30

[10] Ebd., S.41

[11] Vgl. Debus 2002: S. 77

[12] Lamping 1983: S. 42

[13] Ebd., S. 44f.

[14] Ebd., S. 46f.

[15] Ebd., S. 47

[16] Ebd., S. 57f.

[17] Ebd., S. 62f.

[18] Debus 2002: S. 84

[19] Vgl. Lamping 1983: S. 83

[20] Debus 2002: S. 84

[21] Vgl. Lamping 1983: S. 105

[22] Vgl. Debus 2002: S. 81f.

[23] Vgl. Lamping 1983: S. 105ff.

[24] Heinz Schlaffer (1981): Namen und Buchstaben in Goethes „Wahlverwandtschaften“. In: Bolz, Norbert (Hrsg.) : Goethes Wahlverwandtschaften. Kritische Modelle und Diskursanalysen zum Mythos Literatur. Hildesheim. S. 212 (fortan zitiert als: Schlaffer 1981).

[25] Johann W. Goethe (1809): Die Wahlverwandtschaften. In: Goethe: Werther, Wahlverwandtschaften. Text und Kommentar. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 2006. S. 483, 2. Teil, Kapitel 12 (fortan zitiert als Wvw.)

[26] Vgl. Martina Schwanke (1992): Namen und Namengebung bei Goethe. Computergestützte Studien zu epischen Werken. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag. S. 235 (Fortan zitiert als: Schwanke 1992)

[27] Wvw. S. 288, 1. Teil, Kapitel 3.

[28] Friedhelm Debus, (Hrsg. 1987): Reclams Namenbuch. Stuttgart: Reclam 2001. S. 46 (fortan zitiert als: Debus 1987).

[29] Friedrich W. Weitershaus (1988): Das Mosaik Vornamenbuch. München: Mosaik Verlag. S. 83 (fortan zitiert als: Weitershaus 1988).

[30] Ebd., S. 72

[31] Friedrich Kluge (1999): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin: W. de Gruyter. S. 438 (fortan zitiert als: Kluge 1999).

[32] Vgl. Schwanke 1992: S. 244f.

Details

Seiten
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783656209416
ISBN (Paperback)
9783656211747
DOI
10.3239/9783656209416
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – Neuere Deutsche Literaturwissenschaft
Erscheinungsdatum
2012 (Juni)
Note
1,3
Schlagworte
Johann Wolfgang von Goethe Goethe Die Wahlverwandtschaften Roman 1809 Namen Figuren Weimarer Klassik Alterswerk Germanistik Neuere Deutsche Literaturwissenschaft Onomastik
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