Die Betriebliche Suchtkrankenhilfe unter Public Health relevanten Gesichtspunkten
Zusammenfassung
Enderle und Seidel (2004, S. 171) haben den Eindruck, dass „die betriebliche Suchtkrankenhilfe einen besonderen Stellenwert und besondere Möglichkeiten“ anbieten, da aus ihrer Perspektive Suchtkranke in der Regel „erst in einer späten Phase der Erkrankung Leidensdruck“ empfinden.
Die Belegschaft und das Unternehmen lassen sich als eine Art symbiotischer Beziehung beschreiben. Auf der einen Seite beschäftigen Betriebe Mitarbeiter beispielsweise um Produkte herzustellen oder Dienstleistungen anzubieten. Auf der anderen Seite ist der Beschäftigte interessiert, durch seine Arbeitskraft und den dadurch erworbenen Lohn, seine Existenz zu sichern.
Deutschland ist eine Hochleistungsgesellschaft, dies verdankt sie nicht zuletzt ihrer Stellung als Industrienation. Aus dieser Annahme resultieren starke Beanspruchungen für Arbeiter nahezu aller Branchen. Daher ist es mehr als essentiell die Ressourcen der Beschäftigten zu fördern bzw. die Mitarbeiter zu befähigen mehr Verantwortung, insbesondere über ihre Gesundheit, zu übernehmen.
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit Suchterkrankungen in Betrieben und es stellt sich die Frage, welche Determinanten maßgeblich das Auftreten von Suchterkrankungen in Betrieben bestimmen. Welche Anzeichen, Faktoren sind in ätiologischer Fragestellung zu berücksichtigen? Welche Interventionsmöglichkeiten sind gegeben? Dabei wird das Augenmerk auf stoffgebundene Süchte begrenzt.
Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung Sucht
2.1 Ursachen und Hintergründe von Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeiten im Betrieb
2.2 Verhaltensweisen Suchtmittelabhängiger im Betrieb
2.3 Folgen für den Betrieb
2.4 Innerbetriebliche Strategien: Maßnahmen und Interventionen gegen Suchterkrankungen
3. Fazit
Literaturverzeichnis
Internetquellen
1. Einleitung
Badura et al. (2010, S. 11) sehen „Gemeinsinn, Solidarität und moralisches Bewusstsein“ als „Kern sozialen Zusammenhalts“. Denn dies lässt nach ihrer Überzeugung weder „staatlich anordnen noch am Markt erwerben“(Badura et al., S. 11). Zusätzlich warnen sie (Badura et al., S. 11) vor der in dem aktuellem Zeitgeist steckenden Profitgier und deren Konsequenzen wie Vernichtung von Sozialkapital und die Infragestellung von den eigenen Handlungsgrundlagen. In diesem Kontext eingebettet, erscheint es nicht besonders überraschend, dass der Beschäftigte heutzutage mehr potentiellen gesundheitlichen Risikofaktoren ausgesetzt ist.
Enderle und Seidel (2004, S. 171) haben den Eindruck, dass „die betriebliche Suchtkrankenhilfe einen besonderen Stellenwert und besondere Möglichkeiten“ anbieten, da aus ihrer Perspektive Suchtkranke in der Regel „erst in einer späten Phase der Erkrankung Leidensdruck“ empfinden.
Die Belegschaft und das Unternehmen lassen sich als eine Art symbiotischer Beziehung beschreiben. Auf der einen Seite beschäftigen Betriebe Mitarbeiter beispielsweise um Produkte herzustellen oder Dienstleistungen anzubieten. Auf der anderen Seite ist der Beschäftigte interessiert, durch seine Arbeitskraft und den dadurch erworbenen Lohn, seine Existenz zu sichern.
Deutschland ist eine Hochleistungsgesellschaft, dies verdankt sie nicht zuletzt ihrer Stellung als Industrienation. Aus dieser Annahme resultieren starke Beanspruchungen für Arbeiter nahezu aller Branchen. Daher ist es mehr als essentiell die Ressourcen der Beschäftigten zu fördern bzw. die Mitarbeiter zu befähigen mehr Verantwortung, insbesondere über ihre Gesundheit, zu übernehmen.
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit Suchterkrankungen in Betrieben und es stellt sich die Frage, welche Determinanten maßgeblich das Auftreten von Suchterkrankungen in Betrieben bestimmen. Welche Anzeichen, Faktoren sind in ätiologischer Fragestellung zu berücksichtigen? Welche Interventionsmöglichkeiten sind gegeben? Dabei wird das Augenmerk auf stoffgebundene Süchte begrenzt.
Zunächst werde ich mit einer Definition zum Begriff „Sucht“ beginnen, daraufhin die Ursachen und Hintergründe von Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeiten in Betrieben untersuchen. Darauf aufbauend beschäftige ich mich mit den Verhaltensweisen Suchtmittelabhängiger in ihrem Arbeitsalltag und werde betrieblichen Konsequenzen sich daraus ergeben können. Danach werde ich die daraus resultierenden Konsequenzen für den Betrieb analysieren. Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich mit innerbetrieblichen Maßnahmen und Vorgehensweisen gegen Suchterkrankungen. Schlussendlich werden die Schlussfolgerungen der Hausarbeit im Fazit zusammengefasst.
Von ökonomischer Seite wird das Suchtproblem am Arbeitsplatz folgend thematisiert: Gostomzyk (2006, S. 27) sieht die anfänglichen Ursachen der Alkohol- und Suchtprävention in Betrieben seit den 1970er Jahren in „expandierende(n) Produktionskosten“ und „betrieblichen Rentabilitätsüberlegungen“.
Diese eher wirtschaftlich motivierte Aufmerksamkeit wird dann aber verstärkt als soziales Phänomen in den Blick genommen. So betont Blum (2002, S. 337), dass „Sucht im Betrieb nicht als isoliertes Problem von einzelnen Mitarbeitern zu betrachten ist. Vielmehr zeichnet sich die Sucht als „Wechselspiel zwischen Person, Droge und Umwelt“ ab (Blum, 2002, S. 337; Heinze, 2006, S. 168). So nimmt der Betrieb, als ein „wichtiger Teil der Umwelt der MitarbeiterInnen“ und „als Spiegelbild der Gesellschaft“ eine entscheidende Rolle für die „Entstehung als auch für die Aufrechterhaltung von Sucht“ ein (Blum, 2002, S. 337; Köhler, 2006, S. 8).
Diese Sonderrolle, die der Betrieb im Suchtkontext darstellt, erkennt auch Gensel (2005, S. 24): Während Freunde gemieden werden können, Familie und Partner verlassen werden können und sogar der Arzt gewechselt werden kann, um möglichen Drogenkonsum zu vertuschen und der sozialen Wahrnehmung zu entgehen, kann bei nicht zufrieden stellender Arbeit im Betrieb dem Betroffenen der direkte „soziale und berufliche Abstieg“ drohen.
Aufgrund der allgemeinen Fürsorgepflicht des Unternehmens seinen Arbeitnehmern gegenüber sowie der Verpflichtung „zur Minimierung von Sicherheitsrisiken“ liegt es in der Verantwortung des Arbeitgebers Präventionsinterventionen durchzusetzen (Gostomzyk, 2006, S. 28).
Ferner unterstreicht Gensel (2005, S. 25), dass bei Führungskräften aus mehreren Gründen ein Eingreifen bei Suchtbetroffenen erforderlich ist. Gensel (2005, S. 25) führt Aspekte auf wie die „Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern“, Verantwortung gegenüber Personal, Organisation, Aufsichtsrat und dem Unternehmen selbst. Zusätzlich kann sich der Vorgesetzte durch „nachweisbares Handeln“ juristisch absichern.
2. Begriffsbestimmung Sucht
Wie zu anderen Begrifflichkeiten auch, gibt es bei der Definition von Sucht verschiedene inhaltliche Auffassungen. Hildebrandt (2007, S. 12) zeigt auf, dass das Definieren sogar „ein weites Spektrum an kontroversen und divergierenden Antwortmöglichkeiten“ zulässt. Er (2007, S. 12) greift das Beispiel eines Alkoholikers auf, welcher seiner Ansicht nach seinen Alkoholkonsum über den des Hausarztes stellen müsste um als solcher zu gelten. Zudem vertritt Hildebrandt (2007, S. 12) den Gesichtspunkt, dass der Begriff „Sucht“, mit sehr vielen unterschiedlichen Bedeutungen“ untermauert ist.
Da diese Hausarbeit unter Public Health relevanten Gesichtspunkten erfasst werden soll, wird zuerst die WHO-Definition aufgeführt.
Der Begriff Sucht wurde 1952 von der Weltgesundheitsorganisation als „ein Stadium chronischer oder periodischer Intoxikation durch die wiederholte Einnahme einer natürlichen oder synthetischen Droge“ definiert (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2009).
Diese Definition umfasst:
- das hochgradige Verlangen oder das Bedürfnis, die Droge immer wieder zu konsumiren und sich die Droge unter allen Umständen zu beschaffen (Krystal & Raskin, 1983, S. 13f.).
- die psychische und/oder eine physische Abhängigkeit von den Wirkungen der Droge (Krytsal & Raskin, 1983, S. 13f.; Kazin & Wittmann, 2006, S. 63).
- eine Veränderung des Verhaltens mit einer potentiellen Persönlichkeitsveränderung des Süchtigen als Konsequenz und eine obliterierende Auswirkung auf die Person und die Gesellschaft (Kazin & Wittmann, 2006, S. 63; Nedopil, 2007, S. 113).
- kumulative Drogentoleranz (drug habituation): Immer höhere Dosen der Droge sind zur Erzielung der beabsichtigten Wirkung obligat (Krystal & Raskin, 1983, S. 13f.; Algeier-Föll & Schmidt, 2003, S. 1).
- Entzugssymptome wie „Schweißausbrüche, Erbrechen und Muskelzittern bzw. -schmerzen“ bei Abstinenz oder Nichtverfügbarkeit der Droge (Täschner, 1983, S. 23; Gann et. al., 2004, S. 390; Heinze, 2006, S. 168).
Im Jahre 1964 nahm die WHO eine neue Begriffsbestimmung vor und substituierte den Begriff Sucht durch Abhängigkeit. Von der Abhängigkeit wurde nochmals zweigliedrig in psychische und physische Abhängigkeit unterschieden (Schlaflitzel, 1999, S. 1). Durch die Einnahme von Substanzen, die psychotrop im zentralen Nervensystem wirken, versucht der Abhängige eine euphorische Wirkung hervorzurufen (Bönisch et. al., 2006, S. 344).
Kellermann et al. (2008, S. 12), Heinze (2006, S. 168) und Hassler (2008, S. 4) bezeichnen die Sucht für denjenigen Zustand der Drogenabhängigkeit, die „das ununterdrückbare Verlangen nach der Droge“ vom Konsumenten einfordert. Hassler (2008, S. 4) vermutet, dass so „entweder ein Gefühl des Wohlbefindens erreicht oder Missempfindungen ausgeschaltet werden“ soll.
Schließlich leitet Hildebrandt (2007, S. 12) her, dass der Suchtbegriff „seit je her enger oder weiter gefasst worden ist und zwischen körperlicher Krankheit und abweichendem Verhalten oszilliert“.
2.1 Ursachen und Hintergründe von Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeiten im Betrieb
Die hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) leitet verschiedene Gründe und Faktoren für die Sucht in Betrieben ab. Zunächst behauptet die HLS (2006), dass „jahrelanger Suchtmittelmissbrauch (…) in der Regel zu Abhängigkeit führt“. Dabei pointiert die HLS (2006), dass eine generelle „Vorhersage,wer abhängig wird, (…) nicht möglich“ ist. Heinze (2006, S. 168) berichtet, dass „mit einer Zunahme der gesellschaftlichen Probleme (…) auch ein gesteigerter Suchtkonsum zu beobachten“ ist.
Vorab ist die Verfügbarkeit des Suchtmittels ein wesentlicher Parameter zur Ausprägung einer Sucht. Verschiedentlich (Thiel, 1999, S. 218; Renn, 2000, S. 180; HLS, 2006) wird vor der suchtfördernden Griffnähe von Suchtmitteln, insbesondere im Betrieb, gewarnt Durch den täglichen beruflichen Kontakt zu den Mitarbeitern entstehen mehrere Suchtgefährdungspotentiale, da durch „Sachverhalte der bestimmten Gruppendynamik“ sich ein Trinkzwang entwickeln kann (Renn, 2000, S. 173). Im Speziellen trifft dies auf Branchen mit beruflichen Trinktraditionen wie z.B. in Bauberufen zu (Renn, 200, S. 174).
Die HLS (2006) gibt bekannt, dass die euphorisierenden Wirkungen von Suchtmitteln „Sorgen vergessen (lassen), beseitigen Hemmungen und Ängste, stärken die Arbeitsfähigkeit und Leistung in der Anfangsphase und fördern scheinbar die allgemeine Lebensqualität und den sozialen Kontakt, bis eine Umkehrwirkung einsetzt.“ Es könnte möglicherweise dazu kommen, dass nicht nur Suchtmittel in der Belegschaft veräußert werden könnten, sondern auch der Konsum selbst auf der Arbeitsstelle vollzogen wird (vgl. Thiel, 1999, S. 218; vgl. HLS, 2006). Blum (2002, S. 337) weist daraufhin, dass Alkohol sogar in betrieblichen Verkaufsstellen erwerbbar ist.
Thiel (1999, S. 218) ist davon überzeugt, dass Arbeitstätigkeitsmerkmale das Konsumrisiko erhöhen kann. Es ist ihrer Meinung (Thiel, 1999, S. 218) nach zu erwarten, dass „schlechte ergonomische Arbeitsbedingungen“ phsikalischer Art wie Staub, ungünstige Temperaturen, ungenügende Helligkeit oder Lärm sich suchtmittelkonsumverstärkend auswirken. Bei physisch belastenden Arbeitsformen wie z.B. „Akkordarbeit“, „hoher Arbeitsanfall“ und allen „monoton-repetitiv bewerteten Arbeitstätigkeiten mit hohem Zeitdruck“ steigt das Risiko von erhöhtem Betäubungsmittelkonsum (Thiel, 1999, S. 218; Renn, 2000, S. 174). Thiel (1999, S. 218) bekräftigt, dass „qualitative Unterforderungen mit der Folge von Unzufriedenheit und Spannung“ sowie „mangelnde soziale Anerkennung“ angesichts fehlender oder ungenügender „Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen am Arbeitsplatz“ als ein Risikofaktor für Rauschmittelkonsum kategorisiert werden kann.
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