Kinderarmut in Deutschland
Ganztagsbetreuung als Weg aus der Kinderarmut. Möglichkeiten und Grenzen eines politischen Reformansatzes
Zusammenfassung
Diese Aussage verdeutlicht, dass Armut ein Tabuthema in unsere Gesellschaft ist und dass man versucht, es so lange wie möglich, für sich zu behalten. Aufgrund dieser Tatsache muss über Armut gesprochen werden, um Veränderungen herbeizuführen.
Nach wie vor leugnet bzw. verdrängt die Gesellschaft das Problem der Kinderarmut (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2005, S. 10).
Mehr als 2,5 Millionen Mädchen und Jungen, also etwa jedes sechste Kind, leben in Deutschland von Sozialhilfe und damit in Armut. Das geht aus einem Bericht des “Kinderreports 2007“ des Kinderhilfswerks hervor. (vgl. SPIEGEL-ONLINE 2010).
In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig die Frage, was gegen die zunehmende Verarmung von Kindern und deren Familien getan werden kann.
Gerade Kinder bedürfen der Zuwendung und Hilfe, denn sie sind es, die ohne ihr Zutun in Armut geraten und leiden stärker als Erwachsene unter deren Folgen (vgl. Butterwegge 2000, S. 271).
Ein Lösungsansatz ist in der zunehmenden Einführung sowie dem Ausbau öffentlicher Ganztagsbetreuung in Deutschland zu finden. Daher befasst sich die vorliegende Arbeit mit der folgenden Frage: „Ist die öffentliche Ganztagsbetreuung von Kindern ein adäquates Mittel, um die Kinderarmut in Deutschland einzudämmen?“
Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die Benachteiligungen in den unterschiedlichen Lebenslagen der von Armut betroffenen Kinder zu beleuchten und zu hinterfragen, inwieweit die öffentliche Ganztagsbetreuung in der Lage ist, diese Benachteiligungen
auszugleichen bzw. abzumildern. Die vorliegende Arbeit nähert sich diesem Thema, indem sie zunächst Definitionen anführt, die Ursachen und Folgen der Kinderarmut sowie die Aufgaben der Kindertagesstätte und der Ganztagsschule benennt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definition von Armut
2.1 Absolute und relative Armut
2.2 Lebenslagenansatz
3 Ursachen von Kinderarmut
3.1 Auflösung der klassischen Familie
3.2 Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses
4 Folgen der Armut für Kinder
4.1 Gesundheitliche Auswirkungen der Armut auf die
4.2 Benachteiligung der Kinder im Bildungsverlauf
5 Öffentliche Ganztagsbetreuung
5.1 Aufgaben der Kindertagesstätte
5.2 Aufgaben der Ganztagsschule
6 Ganztagsbetreuung als Weg aus der Kinderarmut
7 Resümee
8 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Eine Schülerin der 8. Klasse aus dem Bundesland Brandenburg wurde gefragt, wie sie sich Verhalten würde, wenn sie von Armut betroffen wäre. Sie sagte, dass sie es lange nicht glauben würde und darüber sehr traurig wäre. Sie würde es zunächst für sich behalten, bevor sie es ihrer besten Freundin anvertrauen würde. Armut macht betroffen und stumm. (Vgl. Butterwegge 2000, S. 270) Diese Aussage verdeutlicht, dass Armut ein Tabuthema in unsere Gesellschaft ist und dass man versucht, es so lange wie möglich, für sich zu behalten. Aufgrund dieser Tatsache muss über Armut gesprochen werden, um Veränderungen herbeizuführen. Nach wie vor leugnet bzw. verdrängt die Gesellschaft das Problem der Kinderarmut (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2005, S. 10).
Mehr als 2,5 Millionen Mädchen und Jungen, also etwa jedes sechste Kind, leben in Deutschland von Sozialhilfe und damit in Armut. Das geht aus einem Bericht des “Kinderreports 2007“ des Kinderhilfswerks hervor. (vgl. SPIEGEL-ONLINE 2010).
In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig die Frage, was gegen die zunehmende Verarmung von Kindern und deren Familien getan werden kann.
Gerade Kinder bedürfen der Zuwendung und Hilfe, denn sie sind es, die ohne ihr Zutun in Armut geraten und leiden stärker als Erwachsene unter deren Folgen (vgl. Butterwegge 2000, S. 271).
Ein Lösungsansatz ist in der zunehmenden Einführung sowie dem Ausbau öffentlicher Ganztagsbetreuung in Deutschland zu finden. Daher befasst sich die vorliegende Arbeit mit der folgenden Frage: „Ist die öffentliche Ganztagsbetreuung von Kindern ein adäquates Mittel, um die Kinderarmut in Deutschland einzudämmen?“
Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die Benachteiligungen in den unterschiedlichen Lebenslagen der von Armut betroffenen Kinder zu beleuchten und zu hinterfragen, inwieweit die öffentliche Ganztagsbetreuung in der Lage ist, diese Benachteiligungen auszugleichen bzw. abzumildern. Die vorliegende Arbeit nähert sich diesem Thema, indem sie zunächst Definitionen anführt, die Ursachen und Folgen der Kinderarmut sowie die Aufgaben der Kindertagesstätte und der Ganztagsschule benennt.
Es sei darauf hingewiesen, dass in dieser Arbeit vorwiegend die männliche Schriftform verwendet wird, da die deutsche Sprache nicht über geschlechtsneutrale Begriffe verfügt. Es sei aber betont, dass damit keine Wertung verbunden ist und sich die weibliche Leserin mit meinend angesprochen fühlen darf.
2 Definition von Armut
Armut ist nicht immer eindeutig definierbar, da es nicht objektiv betrachtet werden kann. In der Fachliteratur finden sich zahlreiche Möglichkeiten, Armut zu definieren. Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Begriff der Armut einmal mit Hilfe von Statistiken und Erhebungen, der relativen und absoluten Armut und zum anderen mit Hilfe der subjektiven Armutsempfindung, dem sogenannten Lebenslagenansatz. Im vorliegenden Kapitel wird Armut differenziert beschrieben und das Lebenslagenkonzept dargestellt.
2.1 Absolute und relative Armut
Von absoluter Armut wird gesprochen, wenn es Menschen an lebensnotwendigen Grundlagen wie z.B. Nahrung, Kleidung und Wohnung mangelt. In den Wohlfahrstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland wird davon ausgegangen, dass es nur einen sehr geringen Anteil von Menschen gibt, die von absoluter Armut betroffen sind (vgl. Klocke 2001, S. 4). An dieser Stelle stellt sei angemerkt, dass in Deutschland zur Erfassung der Armut andere Maßstäbe angesetzt werden müssen als z. B. in der dritten Welt, in der viele Menschen unter ständigem Hunger leiden und damit von der absoluten Armut betroffenen sind. Wenn in Deutschland von Armut gesprochen wird, ist zumeist die relative Armut gemeint (vgl. ebd.).
Die relative Armut betrachtet die Unterversorgung von Menschen bzw. Haushalten bestimmter sozialer Schichten im Verhältnis zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft. Grundlage hierfür ist das durchschnittliche Einkommen derjeweiligen Bevölkerung, das sogenannte Äquivalenzeinkommen. Nach der EU-Definition befindet sich jemand in relativer Armut, dessen Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens beträgt (vgl. Gerull 2006).
Die 60 Prozentige- Armutsrisikoschwelle für Alleinerziehende mit einem Kind unter 15 Jahren lag 2006 bei ca. 1144 Euro (davon 880 Euro Eltemanteil und 264 Euro Kinderanteil) (vgl. Hübenthal 2009, S. 10). Diese Summe von 1144 Euro wird benötigt, um nicht unterhalb der Armutsrisikoschwelle zu fallen und damit von relativer Armut betroffen zu sein. Im Jahre 2000 waren 15,7 Prozent der Kinder unter 15 Jahren vom Armutsrisiko betroffen, während es 2006 schon 26.3 Prozent waren. Das Armutsrisiko für Kinder ist in diesem benannten Zeitraum um zwei Drittel gestiegen. (vgl. Hübenthal 2009, S.10)
2.2 Lebenslagenansatz
Das Einkommen allein zur Erfassung der Armut reicht nicht aus, vielmehr ist es in Relation zu weiteren Lebensbereichen wie Arbeit, Bildung, Wohnen, Wohlbefinden, Gesundheit und soziale Netzwerken zu sehen, um die genaue Unterversorgungslage der Betroffenen erfassen zu können (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2005, S. 102). Der Lebenslagenansatz geht also über die Einkommenssituation hinaus und versucht durch eine mehrdimensionale Herangehensweise, dem Begriff Armut gerecht zu werden.
Es geht insbesondere darum, welche materiellen und immateriellen Ressourcen zur Verfügung stehen, damit eine Einzelperson, eine Familie oder ein Haushalt das Leben individuell und menschenwürdig gestalten kann. Demnach bezeichnet man einen Menschen als arm, der über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel („Spielräume“) verfügt, dass er von der Lebensweise ausgeschlossen ist, die in der Gesellschaft in der er lebt, als Minimum anzusehen ist. Dieses Ausgeschlossensein zeigt sich in einer Vielzahl von Unterversorgungslagen und dem be- oder verhinderten Zugang zu verschiedenen Bereichen des Lebens. (vgl. Mühlhaupt 2003)
- Immer schwieriger werdender Zugang zu Bildung und damit zu einer dauerhaften Arbeit,
- Auswirkungen auf die Familie und das soziale Umfeld,
- Unterversorgung im Bereich des Wohnens und der Gesundheit sowie
- eingeschränkte oder verhinderte Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. (ebd.).
Im Hinblick auf die Kindermut in Deutschland entspricht bzw. spiegelt dieser Ansatz wahrscheinlich eher die Alltagswirklichkeit von Kindern wieder. In der vorliegenden Arbeit wird deswegen auch auf die unterschiedlichen Lebenslagen der von Armut betroffenen Kinder geschaut.
3 Ursachen von Kinderarmut
Im Folgenden soll untersucht werden, wo die Gründe der Kinderarmut liegen könnten. Dabei wird der Blick auf die Auflösung der klassischen Familie und auf die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses gerichtet. Darüber hinaus kann z. B. der Tod eines Familienernährers oder auch generell das individuelle Verhalten der Eltern oder des Alleinerziehenden zur Kinderarmut beitragen, der Knappheit halber wird auf diese Punkte hier nicht näher eingegangen (vgl. Hübenthal 2009, S. 10).
3.1 Auflösung der klassischen Familie
Im Zuge der Neoliberalismus Globalisierung, verliert die Normalfamilie an gesellschaftlicher Bedeutung. Stattdessen treten andere Lebensformen wie Ein- ElternteilFamilie, Patchwork-Familie, nicht eheliche und gleichgeschlechtliche Partnerschaften in den Vordergrund, welche oftmals auf weniger materielle Sicherheit zurückgreifenkönnen. (vgl. Butteregge 2005, S. 62).
Die Auflösung der Normalfamilie führt die einschlägige Literatur vorwiegend auf die Individualisierungsschübe zurück, die dadurch eine „Pluralisierung der Lebensstile“ auslösen (vgl. Butterwegge, Klundt, Zeng 2005, S. 64). Unter Pluralisierung der Lebensstile wird die „Zunahme von gruppen-, milieu- und situationsspezifischen Ordnungsmustern zur Organisation von Lebenslage, Ressourcen und Lebensplanung“ verstanden (ebd.).
Im Folgenden wird kurz auf die Ein- Elternteil- Familie eingegangen. Laut OECD (Organisation for Economic Co- Operation and Development) sind größtenteils Alleinerziehende von Armmut betroffen. So bezieht sich Spiegel-Online zum Thema Kinderarmut auf eine OECD-Studie: „Vor allem Kinder, die nur mit einem Elternteil leben, sind der Studie zufolge von Armut betroffen. So liegt die Armutsrate unter Alleinerziehenden in Deutschland bei 40 Prozent...“(vgl. SPIEGEL- ONLINE 2009, S. 1). Die OECD hat die Untersuchung nach folgenden Kriterien durchgeführt: ,, Die Organisation hatte die Lebensbedingungen von Kindern bis zum Alter von 15 Jahren in den 30 OECD-Mitgliedsländern im Hinblick auf Wohlbefinden und Chancengleichheit untersucht. Begutachtet wurde unter anderem (!) die finanzielle Ausstattung der Haushalte...“ (vgl. SPIEGEL-ONLINE 2009, S. 1).
Die zunehmende Auflösung der klassischen Familie kann zur Folge haben, dass oftmals nur noch ein Elternteil wie im Beispiel aufgeführt, für das Wohlbefinden des Kindes aufkommen muss, was mit finanzieller Mehrbelastung einhergeht und dadurch zur Kinderarmut beitragen kann.
3.2 Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses
„Die Zahl der Erwerbstätigen in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen sei in den vergangenen zehn Jahren um 1,5 Millionen gesunken. Neue oder atypische Beschäftigungsformen stiegen in diesem Zeitraum um 2,6 Millionen an“ (Grigat 2008). Zu den Formen atypischer Beschäftigung zählen Teilzeitbeschäftigung mit 20 und weniger Wochenstunden, geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung und die sogenannte Zeitarbeit, auch Leiharbeit genannt (vgl. ebd.).
Die zunehmende Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses trägt nach einer Expertise von Hübenthal (2009, S. 26) zu einem geringeren Einkommen bei:
Die fortschreitende Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, also der im Idealfall lebenslange Vollzeitbeschäftigung, spiegelt sich in einer steigenden Anzahl von Erwerbslosen sowie von prekären und befristeten Leih- und Teilzeitarbeitsverhältnissen wider, die den Beschäftigten und deren Familienangehörigen kein ausreichendes Einkommen sichern („working poor“)
„Working poor“ bedeutet, dass man trotz Arbeit in Armut lebt. Die Einführung von Mindestlöhnen wäre eine sinnvolle Maßnahme, um diesem Problem entgegenzuwirken (vgl. Butterwegge 2009, S. 283).