Die (De-)Konstruktion weiblichen Alltags als Hausfrauenalltag in der TV-Serie „Desperate Housewives“
Zusammenfassung
Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Vorgehensweise
3. Wissensbasierter Alltagsbegriff
4. Weiblicher Alltag als Hausfrauenalltag in den US-amerikanischen Vorstädten
5. Geschlechtliche Raum- und Kleidungssemantisierung
6. Inhalt der TV-Serie Desperate Housewives
7. Alltägliches weibliches Geschlechterwissen in Desperate Housewives
7.1 Gabrielle Solis: die abhängige, materialistische Ehefrau
7.2 Bree van de Kamp: die ‚perfekte‘ Hausfrau
7.3 Lynette Scavo: die ‚perfekte‘ Mutter
7.4 Susan Mayer: die Hilfsbedürftige
7.5 Rénee Perry: die ‚Andere‘
8. Performativität des weiblichen Alltags in Desperate Housewives
9. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Serielle TV-Formate, in denen der Alltag inhaltlich im Zentrum der Narration steht, haben in deutschen sowohl als auch im US-amerikanischen Fernsehprogrammen in den letzten Jahren Hochkonjunktur. Insbesondere das Hybridformat Doku-Soap zeigt in Deutschland häufig ausschließlich alltägliche Situationen von alltäglichen Menschen , die zu zu „Helden des All- tags“1 werden. Aber auch die fiktionalen Fernsehserien, die ebenfalls die mediale Vermitt- lung von Alltag und Alltäglichem zum Gegenstand haben, erfreuen sich bereits seit Jahrzehn- ten großer Beliebtheit. Die Fokussierung auf Alltäglichkeit spielt in den Serien eine ebenso wichtige Rolle, wie die Darstellung von Momenten, in denen den Protagonisten die Kontrolle über die alltäglichen Routinen entgleitet.2 Neben diesen Höhen und Tiefen des Alltags(,) wird in den Sendungen eine Form des Alltags konstruiert, die Orientierung und Verlässlich- keit verspricht. Vor einigen Jahren war anstelle des Alltags eher das Außeralltägliche inhaltli- cher Gegenstand der TV-Serien - es wurden statt Welten des Alltäglichen eher „Gegenwel- ten zum Alltäglichen“3 geschaffen. Serielle Formate wie Lost, 24 und CSI lebten vom Beson- deren, Gehobenen und Elitären im Gegensatz zum heute dominierenden Banalem, Gewöhnli- chem und Unauffälligem. Die früheren „Gegenwelten des Alltäglichen“ waren in der Konse- quenz jedoch nicht anschlussfähig an die eigene Lebenswelt der Rezipienten. Dies ist jedoch bei den heute dargestellten Welten des Alltäglichen der Fall und entscheidende Vorausset- zung für bestimmte Aushandlungsprozesse, wie auch die Sicht auf Geschlechterrollen im Alltag der Rezipienten.4 Frühe, fiktive Fernsehserien wie die „Familie Schöllermann“ in den fünfziger und sechziger Jahren, über die „Familie Hesselbach“ in den Sechziger und Siebziger Jahren sowie die „Lindenstraße“ in den Achtzigern und zahlreiche folgende TV-Serien haben bis heute die „Dramaturgie des Normalen“5, die Inszenierung des Alltags zum Gegenstand. Durch diese Darstellung von Alltagen anderer, ‚gewöhnlicher‘ Menschen rückt das bisher Un- auffällige und teilweise Selbstverständliche immer weiter in den Fokus und verändert seine Sichtbarkeit: der Alltag wird auffällig.
Das Fernsehen ist neben dem Rundfunk Leitmedium unserer Zeit.6 So kommt dem Fernse- hen als „Spiegel unserer Gesellschaft“ eine Schlüsselrolle bei der Konstruktion von Ge- schlechterrollen zu, denn es ist „Element der Repräsentationsordnung der Gesellschaft“.7 Weiterhin hat es auch eine Filterfunktion in Bezug auf die Art und Weise der Darstellung von Geschlechterrollen und damit auch von weiblichem Alltag. Aus der kommunikationswissen- schaftlichen Geschlechterforschung ist bekannt, dass Medien, Geschlecht und Alltag auf der Ebene der Rezeption und der Repräsentation interagieren. Geschlechterrollen und - verhältnisse sind nach Röser/Thomas/Peil durch Aushandlungsprozesse größtenteils medial vermittelt.8 Desperate Housewives ist als global gehandeltes Fernsehformat besonders er- folgreich: In den USA sahen 22,3 Millionen Zuschauer die erste Folge und die Serie löste eine regelrechte „Wisteria Histeria“ aus.9 Aufgrund dieser enormen Reichweite der Serie fragt die vorliegende Hausarbeit nach der Konstruktion von ‚weiblichem‘ Alltag in der Fernsehserie Desperate Housewives. Diese Serie ist aus zwei Gründen besonders aufschlussreichin dieser Hinsicht: zum einen leben Fernsehserien im allgemeinen von der Konstruiertheit von Ge- schlechterrollen und damit auch von ‚typisch männlichen‘ und ‚typisch weiblichen‘ Alltagen. Zum anderen können Serien aber auch gerade die Brüche in diesen Alltagen darstellen, wie dies beispielsweise bei dem globalen Fernsehformat Desperate Housewives der Fall ist. Desperate Housewives lebt gerade durch die Brüche im Routinierten, Alltäglichen. Die Ei- nordnung der Serie in das Genre der „Dramedy“, also einem Hybridformat aus Drama, Come- dy und Mystery, welches Elemente der Tragödie mit einem temporeichen Humor verbindet,10 sind bereits im Vorhinein Parodien und Brüche der Zuweisung des im Titel der Serie ange- deuteten Hausfrauenalltags an den weiblichen Alltag zu vermuten. Daher ist die Serie be- sonders interessant aus feministisch-dekonstruktiver Perspektive, da diese Brüche einen Anknüpfungspunkt an einen, wie Barbara Hipfl vorschlägt, „performativen Alltagsbegriff“11 in Anlehnung an Judith Butlers „performativen Geschlechterbegriff“12 ergibt. Da die Handlung der Serie vornehmlich vom Alltag weiblicher Protagonistinnen handelt, kann in der Serie also in Kombination von Hipfl und Butler nach einem performativen weiblichen Alltagsbegriff gesucht werden. Die vorliegende Hausarbeit sucht also in den dargestellten Brüchen der Alltage der Hausfrauen nach immanenten, latenten subversiven Momenten, wodurch sich in Anlehnung an Butler die Performativität des weiblichen Alltags ergibt.13 Dadurch werden die Hausfrauenalltage veränderbar und so auch zu Orten oder Momenten des Widerstandes.
2. Vorgehensweise
Um die Inszenierung eines ‚typisch weiblichen Alltags‘ im Sinne von weiblichen Geschlech- ternormen im Alltag und dessen Brüche herauszuarbeiten wird zunächst untersucht, was allgemein unter Alltag in dieser Hausarbeit verstanden wird. Sodann werden die historischen Wurzeln der Konstruktion des ‚weiblichen‘ Alltags als einen spezifischen Hausfrauenalltag (wie der Titel der Serie bereits impliziert) aufgezeigt, der sich auf das tradierte, US- amerikanische Rollenverständnis in den Vororten der Fünfziger und Sechziger Jahre bezieht (vgl. Kapitel 4) und die Protagonistinnen auf diese Zuweisungen hin untersucht (vgl. Kapitel 7). In einem letzten Schritt werden dann Brüche und subversive Momente dieses Hausfrauenalltags als weiblichen Alltag beispielhaft aufgezeigt und die Performativität des weiblichen Alltags als Hausfrauenalltag in Desperate Housewives diskutiert und dargelegt, dass weiblicher Alltag kein starres Konstrukt des tradierten Hausfrauenalltags ist, sondern mit Hipfl und Haug als „‚politischer Kampfplatz‘“14 gelesen werden kann.
3. Wissensbasierter Alltagsbegriff
Um die Dimensionen weiblichen Alltags in der Serie herauszuarbeiten, muss zunächst kurz skizziert werden, was unter dem Begriff des Alltags verstanden werden soll - denn der Alltagsbegriff ist ein schillernder Begriff und deutet auf ein Bündel an vielfältigen Phänomenen hin, die jeweils auf unterschiedlichen Theorietraditionen basieren.15
Da sich die vorliegende Hausarbeit mit der Frage nach der Darstellung des weiblichen Alltags beschäftigt, also danach fragt, welches Alltagswissen den Rezipienten der Serie angeboten wird, ist es sinnvoll, von einem wissensbasierten Alltagsbegriff auszugehen. Danach ist All- tagswissen eine Sammlung an Wissensbeständen, die in spezifischen sozio-kulturellen Kon- texten von einzelnen Gruppen oder ganzen Gesellschaften als allgemeingültig anerkannt und auch bei den anderen Gruppen- oder Gesellschaftsmitgliedern vorausgesetzt wird.16 In diesen alltäglichen Wissensbeständen wird aber nicht nur das Selbstverständliche themati- siert, sondern gleichzeitig auch davon abweichende Definitions- und Deutungsmuster.17
Da die gesellschaftlichen, alltäglichen Wissensbestände in die Handlungen der Protagonis- ten eingeschrieben sind, muss deren alltägliches Handeln untersucht werden. Für das Her- ausarbeiten des alltäglichen Handelns der Protagonisten kann in Analogie zu dem Voß’schen Handlungsmodus in Bezug auf die Protagonisten folgendes als Alltagshandeln erkannt wer- den: Alltagshandeln ist durch widerkehrende Rhythmen, Tätigkeiten und Aufgaben gekenn- zeichnet, also: „werktägliches, normales oder gewöhnliches Tun, im Kontrast zu fest-, feier- oder sonntäglichem Handeln und damit auch in Absetzung zu außergewöhnlichen und über- höhtem Handlungen.“18 Das alltägliche Handeln der Protagonisten wird wie oben erwähnt, mithilfe der Traditionslinien der Genderstudies und des (Post-)Feminismus kritisch hinter- fragt. Dazu werden geschlechtliche Raum- und Kleidungssemantisierungen aufgezeigt (vgl. Kapitel 5), kritisch hinterfragt und mit den von Betty Friedan dargestellten tradiertem, all- täglichen Rollenhandeln verglichen (Kapitel 4), um eventuelle Brüche in diesen festzustellen und damit eine Veränderung oder Dekonstruktion des ‚typisch weiblichen‘ Alltags in den US- amerikanischen Vororten zu untersuchen (vgl. Kapitel 8). Diese Hausarbeit folgt also einer dekonstruktivistischen Lesart. Alltag wird in dieser Hausarbeit nicht als starres und unverän- derliches Konstrukt verstanden, sondern kritisch hinterfragt, um schließlich den Aspekt der Veränderlichkeit zu betonen (siehe Kapitel 1 „performativer weiblicher Alltagsbegriff“).19
4. Weiblicher Alltag als Hausfrauenalltag in den US-amerikanischen Vorstädten
Die Wahl des Vororts als zentraler Handlungsort der Serie ist nicht zufällig und dessen Be- deutung für die Rollen der Protagonistinnen kann nur im historischen Kontext verstanden werden. Nach der großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg herrschte in den USA Wohnungsknappheit, die durch den „Housing Act“ von 1949 durch die finanzielle Subventio- nierung von Vorortsiedlungen gelöst wurde, die zudem noch dem damaligen Vorstellungen des „American Way of Life“ repräsentierten: Der Vorort stand für sozialen Aufstieg, Wohl- stand, Freiheit, privates Eigentum und harmonisches Zusammenleben, wurde auch durch die Idee des Kapitalismus getragen: Das Wohnen in den Vororten war teuer und ein Auto wurde gebraucht, da der öffentliche Nahverkehr in den Vororten (absichtlich) nicht ausgebaut wur- de. Zum einen musste also Geld für die Finanzierung des Eigenheims erarbeitet werden und zum anderen wurde der Konsum von Autos (eins pro Familienmitglied) angekurbelt.20 Gesell- schaftsmitglieder mit niedrigem Einkommen wurden damit vom Wohnen in den Vororten ausgeschlossen, wozu damals vor allem Schwarze gehörten, denen zusätzlich keine Kredite gewährt wurden. In den Vororten lebte somit eine homogene Gruppe aus jungen, weißen, wohlhabenden und heterosexuellen Familien , die damit das damalige Ideal des Vorstadtbe- wohners verkörperten: den „American Way of Life“21 bzw. den „American ‚Dream of home‘ living“.22 Die demographische Zusammensetzung der Vorstadtbewohner hat sich bis heute vor allem in Bezug auf die strikte Ethnientrennung, die in den Fünfziger Jahren noch vor- herrschte, verändert. Nun leben auch Menschen mit anderen ethnischen Wurzeln in den Vor- städten. Nicht verändert hat sich jedoch, dass die Vorstadt nach wie vor von der weißen Mit- telschicht dominiert wird. Bezüglich des weiblichen Alltags im Sinne von Voß als wiederkeh- rende Rhythmen, Tätigkeiten oder Aufgaben dieser Zeit ist aus den Werken der US- Feministin Betty Friedan bekannt, dass Frauen zu dieser Zeit in den Vororten das Idealbild der Hausfrau und Mutter zugewiesen wurde, dass sie wie folgt konkretisiert:23
„Millionen Frauen (…) [richten] ihr Leben nach dem hübschen Vorbild der amerikanischen Vorort-Hausfrau ein, die vor dem großen Wohnzimmerfenster mit einem Kuß von ihrem Mann Abschied nimmt, ihre Wagenla- dung voll Kinder in der Schule abliefert und strahlend lächelnd mit der neuen elektrischen Bohnermaschine den makellosen Küchenboden wachst. Sie buken ihr Brot selbst, schneiderten ihre eigenen und ihrer Kinder Kleider und hatten die neue Waschmaschine und Schleuder den ganzen Tag in Betrieb. Sie wechselten die Bettwäsche zweimal wöchentlich statt einmal, lernten in Abendkursen Teppichknüpfen und bedauerten ih- re armen frustrierten Mütter, die von einem Beruf geträumt hatten. Ihr einziger Traum war, vollkommene Ehefrauen und Mütter zu sein (…).“24
Im Vorort verortet sich also traditionell das Idealbild des US-amerikanischen „Way of Living“ mit dem Idealbild der weißen, heterosexuellen und wohlhabenden Frau als Hausfrau und Mutter.
5. Geschlechtliche Raum- und Kleidungssemantisierung
Ein Indiz für die Zuweisung der Hausfrauenrolle an die Frau kann in der Kleidung als auch in den Räumen gesehen werden, in denen Frauen und Männer aktiv und passiv sind. Denn sowohl Räume als auch Kleidung sind „gender-marker“25, durch die Körper in männlich und weiblich kategorisiert werden. Kleidung bzw. der Mode ist ein Code, durch den hervorgeht, ob die Protagonistinnen als männlich oder weiblich konstruiert werden:
[...]
1 De Certeau (1988), S. 9.
2 Beispielhaft sei hier die Doku-Soap „Super Nanny“ genannt. Vgl. Röser/Thomas/Peil (2010), S. 2.
3 Ang (1986), S. 20.
4 Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf das korrekte Gendering der Begrifflichkeiten verzichtet. Gemeint sind jedoch immer alle Geschlechter.
5 Wrage (2007).
6 vgl. Eimerer/Ridden (2011), S. 348.
7 vgl. Mikos (2008), S. 107; Winter (2002).
8 vgl. Röser/Thomas/Peil (2010), S. 11.
9 vgl. McCabe/Akass (2006), S. 2.
10 vgl. Lukas/Westphal(2005), S. 24.
11 Hipfl (2010), S. 100.
12 Der performative Geschlechtsbegriff nach Butler besagt, dass geschlechtliche und sexuelle Identität dyna- misch, unabgeschlossen und veränderbar ist: Butler (1995), S. 23.
13 vgl. so auch Pinseler (2010), S. 85.
14 Haug (1994), S. 159, zitiert nach Hipfl (2010), S. 102.
15 vgl. so auch Voß (2000), S. 33.
16 vgl. Krotz/Thomas (2007), S. 37; Röser/Peil/Thomas (2010), S. 105
17 vgl. Maier, S. 105.
18 Voß (2000), S. 33.
19 vgl. Röser/Peil/Thomas (2010), S. 4.
20 vgl. Hayden (2003), S. 4, zitiert nach Hipfl (2010), S. 93.
21 vgl. Spigel (2001), S. 33, 42, zitiert nach Hipfl (2010), S. 93; McMurray (2008), S. 317.
22 vgl. Cassidy (2005), zitiert nach McMurray (2008), S. 318.
23 vgl. Hipfl (2010), S. 93 - 94; so auch Gillis/Waters (2010), S. 198, 200.
24 Friedan (1966), S. 15 - 16, zitiert nach Hipfl (2010), S. 90.
25 vgl. Lorber (2002), S. 62; Devor (1989).