Jeanne d'Arc. Eine Frau ihrer Zeit?
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Geschichtliche Einordnung
3 Jeanne d'Arc
3.1 Ein Bauernmädchen aus Domrémy
3.2 Aufstieg und Gefangennahme
3.3 Der Inquisitionsprozess vonRouen
4 Das Frauenbild im 14. und 15. Jahrhundert
5 Das Frauenbild des 14. und 15. Jahrhunderts im Vergleich mitJeanne d'Arc
6 Auswertung
7 Bibliographie
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit im Fach Geschichte beschäftigt sich im Rahmen des Hauptseminars „Weibliche Lebensformen im Mittelalter" mit der historischen Persönlichkeit „Jeanne d'Arc". Um nicht vorzugreifen, soll an dieser Stelle nicht näher auf ihre Person eingegangen werden, da ich ihrem Leben ein ganzes Kapitel gewidmet habe. So viel sei jedoch gesagt, dass sie insbesondere für das französische Volk ein für die historische Entwicklung bedeutsames Element war und auch heute noch ist. Sie war außergewöhnlich. Gerade unter diesem Aspekt entwickelt sich die Fragestellung dieser Hausarbeit: Entsprach Jeanne d'Arc dem Frauenbild ihrer Zeit? Ihr Denken entsprach ihrer Zeit. Aber ihr Handeln erfordert eine genauere Untersuchung, da es den Anschein hat, dass dieses Handeln in einigen Fällen den Normen der mittelalterlichen Gesellschaft widersprach. In der Forschung gibt es zwar gute Überlieferungen über die Normen der mittelalterlichen Gesellschaft und auch Aufzeichnungen über den mittelalterlichen Lebensalltag, aber die Frage nach dem Bild der Frau im Mittelalter wird allgemein als sehr schwierig zu beantworten betrachtet. Es gibt nur wenige eindeutige Quellen zur Lebensgeschichte der Frauen im Mittelalter und diese sind in der Majorität klerikalen Ursprungs. Allerdings befinden wir uns zur Zeit Jeanne d'Arcs im späten Mittelalter, in dem die Schriftlichkeit deutlich fortgeschrittener ist. Das heißt dennoch nicht, dass daraus mehr Anhaltspunkte für die Geschichte der Frau resultieren. In mittelalterlicher Zeit konnten viele Frauen ihre Umwelt nicht in demselben Umfang mitgestalten, wie Männer dies taten. Daraus lässt sich ein weiterer Grund ableiten, weshalb Frauen in geringerem Maße in historischen Quellen dieser Zeit hervortreten. Sie beeinflussen und verändern das Weltgeschehen mit, dennoch ist es Männern vorbehalten, die Geschichte in weitaus größeren Dimensionen zu gestalten. Auch der Aspekt, dass Frauen in der Regel keine militärischen Ämter bekleiden durften beziehungsweise dies wegen ihrer physischen Beschaffenheit nicht konnten, beeinflusst, aufgrund des kriegerisch geprägten Zeitraumes, die Quellenlage. Die Mediävisten hatten ihren Fokus lange Zeit nur auf die großen Männer des Mittelalters gelegt. Erst seit ein paar Jahrzehnten interessiert man sich auch für die Frauen dieser Zeit. Dadurch wird zwar die Quellenlage nicht besser, die Lücken der Geschichte des Mittelalters in Bezug auf die Geschichte der Frauen wurden dadurch aber geringer.
Um einen umfassenden Überblick über das Zeitgeschehen zu erhalten, ist die Literaturliste relativ großzügig ausgefallen. Sie umfasst ungefähr 40 Bücher. Ein großer Teil beschäftigt sich ausschließlich mit Jeanne d'Arc, ein weiterer mit dem Hundertjährigen Krieg und nur eine geringe Anzahl an Büchern mit dem Frauenbild im Mittelalter. Wenn man Literatur über das Thema "Jeanne d'Arc" sucht, wird man von einer Flut an Büchern erschlagen. Allerdings ist der Inhalt der Fragestellungen nicht allzu variationsreich; was das Erarbeiten spezifischerer Themen erschwert. In den meisten Fällen werden ihre Lebenszeit und der Inquisitionsprozess untersucht. Viele andere interessante Forschungsfragen werden nicht betrachtet. Aufgrund des Inquisitionsprozesses und des Revisionsprozesses ist die Quellenlage im Fall Jeanne d'Arc für mittelalterliche Verhältnisse gut. Man kann dadurch nahe am Geschehen forschen und sich ein eigenes Bild darüber verschaffen. Wolfgang Müller hat dies in seinem Werk "Der Prozess Jeanne d'Arc" in aller Ausführlichkeit durchgeführt und gibt damit einen guten Einblick in das Geschehen. Auch Sabine Tanz hat den Prozess äußerst intensiv ausgewertet und erstellt ein weites Bild der Geschichte Jeanne d'Arcs. Die Zahl der Literatur, die für die Fragestellung relevant ist, ist dagegen sehr spärlich. Gisela Bock, Hans-Werner Goetz, Bernd-Ulrich Hergemöller, Ursula Liebertz-Grün und Christiane Klapisch-Zuber haben auch einige für das Thema wertvolle Werke verfasst, dennoch genügen auch diese nur bedingt der Fragestellung. Weitestgehend hilfreich war im Rahmen dieser Arbeit das Werk "Frauen im Mittelalter" von Edith Ennen. Einige Internetrecherchen und das Werk "Die Frau im Mittelalter" von Shulamith Shahar haben das Erstellen eines etwaigen Frauenbildes im Mittelalter unterstützt. Es bedarf auf diesem Themengebiet mithin noch einiger Forschung.
Die Hausarbeit ist so aufgebaut, dass sie sowohl einen umfassenden Überblick über das Geschehen vermittelt als auch herausarbeitet, unter welchen Bedingungen Jeanne d'Arcs eigenes Frauenbild entstanden ist. Dazu beginnt die Arbeit mit einer Einführung in den Hundertjährigen Krieg und leitet unmittelbar auf Jeanne d'Arcs Lebensgeschichte über. Anschließend wird das Frauenbild des Mittelalters knapp charakterisiert. Daran schließt sich der Hauptteil der Arbeit an, der der Frage nachgeht, inwiefern Jeanne d'Arc dem Frauenbild dieser Zeit entsprach. Dazu wird Literatur aus der Bibliographie verwendet. Hauptsächlich sind allerdings die Werke von Wolfgang Müller, Gerd Krumeich, Christiane Klapisch-Zuber, Sabine Tanz und Edith Ennen für das Thema einzubinden. Von dieser methodischen Vorgehensweise erhoffe ich mir, dass sich der Leser, durch die Hinführung zum Hauptthema, in die Zeit des Hundertjährigen Krieges hineinversetzen kann und unter diesem und nicht unter heutigem Blickwinkel die Zeit, in der Jeanne d'Arc lebte, betrachten wird. Des Weiteren erhoffe ich mir davon, dass eine bessere, klarere und vor allem verständnisvolle Auslegung Jeanne d'Arcs Denkens und Handelns ermöglichtwird. Darüber hinaus soll ein objektiver, aber dennoch standortgebundener Rahmen zur Ermittlung Jeanne d'Arcs Frauenbilds erstellt werden.
Bei dem Vergleich von Jeanne d'Arc mit dem Frauenbild ihrer Zeit ist über die eigentliche Ausgangsfrage hinaus von Interesse, ob dem mittelalterlichen Menschen das Gesellschafts- und Frauenbild bewusst war. Konnte also ein mittelalterlicher Mensch von seinem Standpunkt aus beurteilen, ob jemand diesem Bild entsprach? Auch heute gibt es gewisse Verhaltensnormen, an denen wir uns mehr oder weniger bewusst orientieren. Es ist uns weitgehend bewusst, welches Verhalten von der Umwelt erwartet wird, - und insbesondere - welche zum Teil
geschlechtesspezifischen Normen für Männer und Frauen gelten. Auch die Sanktionen für das jeweilige abweichende Verhalten sind bekannt. Unter diesem Blickwinkel ist auch das Bewusstsein des mittelalterlichen Menschen für Normen zu betrachten. Dem mittelalterlichen Menschen war bewusst, wie er oder sie sich zu verhalten hatte. Genauso bewusst werden für diese Menschen auch die Sanktionen für ein davon abweichendes Verhalten gewesen sein. Damit stellen sich weitere Fragen: War Jeanne d'Arc das mittelalterliche Frauenbild bewusst? Hat sie sich bewusst oder unbewusst nicht entsprechend verhalten? Wenn bewusst, warum tat sie das?
2. Geschichtliche Einordnung
Das Europa des 14. Jahrhunderts war insbesondere von Auseinandersetzungen sowohl um kirchliche als auch um weltliche Herrschaftsansprüche geprägt. Auch die Königreiche England und Frankreich befanden sich in dieser krisenhaften Zeit in Auseinandersetzung. Im Jahre 1328 erlosch die Dynastie der Kapetinger. Alle Söhne Philipps IV., "der Schöne", starben nach nur kurzer Regierungszeit ohne männliche Erben. Daher stellte sich die Frage, wer ihr Erbe antreten sollte. Zwei Möglichkeiten standen zur Auswahl. Entweder konnte auf den letzten Kapetinger der direkten Linie die Nebenlinie der Valois mit Philipp VI. folgen oder aber der englische König Eduard III., dessen Mutter eine Tochter Philipps des Schönen von Frankreich war. Man einigte sich zunächst auf die Nachfolge des Valois-Königs Philipp VI. in Frankreich. Damit hätten die Herrschaftsansprüche geregelt sein können; doch es war nur die Ruhe vor dem Sturm. Denn der englische König Eduard III. hatte zum einen Interesse an Gebieten im Südwesten Frankreichs (Guyenne), auf die er Ansprüche erhob und zum anderen an den Absatzmärkten der englischen Wolle in Flandern. Daraufhin leiteten sowohl England als auch Frankreich kriegerische Maßnahmen ein. Am 24. Mai 1337 eröffnete König Philipp VI. den Kampf mit dem Befehl zur Konfiskation des im englischen Besitz befindlichen Herzogtums Guyenne". Auch England rüstete sich zum Gegenschlag und entgegnete Frankreich im Jahre 1339 mit einer wirtschaftlichen Waffe, indem es die Wollausfuhr nach Flandern sperrte und damit die Weber der flandrischen Städte auf seine Seite zog. Weiter errichtete Eduard III. in den 40er Jahren einen Brückenkopf auf dem französischen Festland und nahm nach und nach Teile Frankreichs ein.
England und Frankreich unterzeichneten zwar einige Waffenstillstandsabkommen, die aber de facto nicht eingehalten wurden. Nachdem die Pest in Frankreich ausgebrochen war, die schwere Schäden anrichtete, wurde ein befristetes Waffenstillstandsabkommen vereinbart, das auch eingehalten wurde. Im Jahre 1350 verstarb Philipp VI. im Alter von 57 Jahren und hinterließ damit seinem Nachfolger ein in einem kritschen Zustand befindliches Frankreich mit einem befristeten Waffenstillstand mit England. Die Nachfolge Philipps VI. trat sein Sohn Johann II., "der Gute", an. Als 1355 das Waffenstillstandsabkommen endete, brach erneut Krieg aus. Der Sohn Eduards III., der "Schwarze Prinz" Eduard, besiegte den neuen französischen König Johann II. und nahm ihn gefangen. 1356 brachte er diesen nach England. Daraufhin brach in Frankreich ein furchtbarer Bauernaufstand aus, der nur schwer unterdrückt werden konnte. Daher musste Frankreich schließlich 1360 in den "Frieden von Brétigny-Calais" einwilligen. Eduard III. verzichtete hierbei auf die französische Krone und verlangte dafür die Souveränität über Südwest-Frankreich. Damit verlor Frankreich ein Viertel seines Staatsgebiets an den englischen König. Als Johann II. 1364 in englischer Gefangenschaft starb, trat sein ältester Sohn Karl V., der "Weise", seine Nachfolge an. Dieser zermürbte die Engländer nach und nach durch kleine Gefechte und Eroberungen. Er warf sie bis auf einen kleinen Streifen Land bei Bordeaux und auf Calais zurück. Zur gleichen Zeit nahm sich Philipp II. von Burgund, der "Kühne", vierter Sohn Johanns II., Flandern an. Diese Phase des Krieges beendete 1375 der "Waffenstillstand von Brügge".
Erst Heinrich V., zu diesem Zeitpunkt König von England, wandte sich wieder den Plänen auf dem französischen Festland zu. In Zusammenarbeit mit dem Herzog von Burgund, Philipp II., strebte er nach der französischen Krone. Der Erfolg schien England sicher, als die Engländer bei Azincourt im Norden Frankreichs entscheidend siegten und Frankreich bis hin nach Orléans eroberten. Das heißt: Die ganze Normandie und Paris wurden besetzt. Burgund verband sich daraufhin mit England. Heinrich V. wurde an der Regierung Frankreichs beteiligt und schon als Erbe der Krone gefeiert. Insbesondere, weil seit 1380 Karl VI. in Frankreich regierte. Dieser wurde als vollständig geistig umnachtet und geistesschwach bezeichnet", weshalb England vermehrt von einem Sieg über Frankreich ausging. Dies wurde durch einen Hinterhalt durch den Kronprinzen von Frankreich, Karl VII., verstärkt. Dieser traf sich mit dem Burgunder Fürst Johann Ohnefurcht, Sohn und seit 1404 Nachfolger Philipps II., am 10. September 1419 auf der Brücke von Montereau. Bei diesem als Versöhnungstreffen deklarierten Zusammentreffen ermordeten die Begleiter Karls VII. den Burgunder Fürst Johann Ohnefurchtiv. Als Konsequenz wurde Karl VII. enterbt. Im "Vertrag von Troyes" wird diese Übereinkunft von Karl VI. und Heinrich V. festgehalten: Der Thronanspruch Heinrichs V. wird anerkannt und der Dauphin Karl VII. dadurch ausgeschaltet. Dies förderte erheblich den burgundischen Entschluss, sich endgültig gegen die Armagnacs, das heißt gegen die Herzöge von Orléans, mit England zu verbündenv.
Mit dem Vertrag von Troyes begann eine "Zeit der Nicht-Entscheidungvi". Frankreich war in drei Herrschafts- und Einflussbereiche geteilt. Darunter fielen das Königtum des Hauses Orléans, die von England beherrschte Normandie sowie das englisch-burgundische Gebiet zwischen Somme und Loire mit Besitz der Haupstadt Paris. Burgund verwaltete Frankreich mit Blick auf die Übernahme der Orléans-Dynastie auf Dauer. Im Jahre 1422 starben sowohl Karl VI. als auch Heinrich V. In England übernahm Bedford, der Schwager des englischen Königs, die Regentschaft über den englischen Teil Frankreichs, da der Sohn Heinrichs V. noch ein Kleindkind war. Die Armagnacs und der Klerus hatten Karl VII. trotz dessen unmoralischer Tat an Johann Ohnefurcht zum König proklamiert. Aber sowohl die Lage des Königreichs Frankreichs als auch die Lage Karls VII., dersich aufGrund weitererVormärsche und Eroberungen durch die Engländer auf eine Flucht vorbereitete, schienen aussichtlos, wenn da nicht ein einfaches Bauernmädchen aus dem lothringischen Domrémy gekommen wäre, die ihrer göttlichen Eingebung folgte und dadurch motoviert Frankreich durchquerte, um mit ihrem Glauben den natürlichen Widerstand der Franzosen gegen die Engländer zu bewegen.
3. Jeanne d'Arc
3.1 Ein Bauernmädchen aus Domrémy
Der Name des Bauernmädchens war Jeanne d'Arc. Sie stammte aus dem Raum Lothringen. Dieser Raum erstreckte sich zwischen dem Vogesenkamm im Osten und den Gebirgszügen im Westen der Maas. Mithin war Jeanne Lothringerin. Sie wurde etwa um 1411 (nach eigenen Angabenvii) in Domrémy geboren. Domrémy unterstand zusammen mit seiner Nachbargemeinde Greux der Herrschaft der Bourlémonts, von der das Dorf verwaltet wurde. Die Familie Bourlémont geriet in der Zeit, in der Jeanne aufwuchs in eine Krise, sodass das Erbe über Umwege an Jean Biget und Jeannes Vater Jacques d'Arc fielviii. In diesen Jahren veränderte sich die Umgebung bei den Bauern von Domrémy wesentlich. Durch die Verwirrungen bezüglich der Herrschaftsmächte hatte das Dorf keinen unmittelbaren Schutz mehr. Diese Erfahrungen der Unsicherheit prägten die Kindheit Jeanne d'Arcs. Neben ihren Eltern, Jacques d'Arc und Isabelle Rommée, besaß Jeanne, wie in dem Adelspatent von 1429 benanntix, drei Brüder (Jacques, Jean und Pierre). Jeannes Vater war aller Wahrscheinlichkeit nach ein Arbeiter bzw. Bauer. Er lebte von der Landarbeit, bei der Jeanne half, indem sie hinter dem Pflug herging, das Vieh hütete und häusliche Arbeiten verrichtete. Die Familienmitglieder der Familie d'Arc waren nach Aussagen der Dorfbewohner "gute und gläubige Katholikenx". Auch Jeanne wurde als Mensch von ruhiger, freundlicher Wesensart, gegenüber Armen und Kranken stets hilfs- und opferbereit beschrieben, die regelmäßig die Kirche und andere heilige Orte besuchte, Gottesdienste frequentierte, häufig zu den Sakramenten ging und den Küster tadelte, wenn er das Läuten der Stundengebete vergaßxi. So gesehen war sie eine "Vorbild-Katholikin" und ihre Kindheit unterschied sich nicht von der ihrer Altersgefährtenxii.
Jeannes Erfahrungsbereich wurde allerdings zunehmend von Krieg, zahlreichen Überfällen und Brandschatzungen bestimmt. Auch auf Domrémy fanden Überfälle statt, bei denen auch Verwandte Jeannes gefangengenommen wurdenxiii oder ums Leben kamenxiv, sodass diese Erfahrungen sie besonders prägten. In dieser Zeit der Überfälle hörte Jeanne das erste Mal nach ihrer Aussage im Verdammungsprozess Stimmen:
„Und sie sagte, dass sie im Alter von dreizehn Jahren eine Offenbarung von Unserem Herrn hatte, durch eine Stimme, die sie lehrte, sich gut im Griff zu halten. Das erste Mal hatte sie große Angst gehabt. Besagte Stimme kam zur Mittagsstunde, im Sommer, als sie im Garten ihres Vaters war, an einem Fastentag und sie sagte, dass die Stimme von der rechten Seite kam, von der Kirche her. Und dass die Stimme fast nie ohne Heiligkeit war, die immer von derselben Seite kommt wie die Stimme. Außerdem sagte sie, dass sie wusste, als sie die Stimme zum dritten Mal hörte, dass es die Stimme eines Engels war. Und dass diese Stimme sie immer wohl beschützt hat. [...]Gefragt, welche Ratschläge diese Stimme ihr für ihr Seelenheil gab, antwortete sie, dass sie sie lehrte, sich gut zu führen und oft in die Kirche zu gehen. Danach sagte sie ihr, dass sie nach Frankreich gehen müsste. Zwei oder dreimal sagte sie ihr, dass sie nach Frankreich aufbrechen müsste. Und zwar so, dass ihr Vater nichts von ihrem Fortgehen erführe. Und dass sie sich beeilen sollte, fortzugehen, und sie sollte zu Robert de Baudricourt gehen, dem Stadthauptmann von Vaucouleurs, erwürde ihr Leute geben, die mit ihr kämen...xv"
Sowohl Jeannes Auffassung vom Glauben als auch der Wille, Frankreich zu Hilfe zu eilen, waren ihrer Zeit angemessen. Auch war im 15. Jahrhundert das Empfangen von Visionen keine Seltenheit™. Die Menschen dieser Zeit stellten auch gar nicht in Frage, ob Jeanne tatsächlich Stimmen hörte. Diese Menschen wollten nur in Erfahrung bringen, ob die Stimmen tatsächlich im Ursprung von Gott und den Heiligen kamen oder ob sich der Teufel ihrer bedient hatte, um die Menschen auf Abwege zu führen.
Jeanne hatte Stimmen bzw. Visionen durch den Heiligen Michael, die Heilige Katharina und die Heilige Margareta. Diese waren in dieser Zeit keine Besonderheit. Gerade diese Heiligen waren in diesem Zeitraum und auch in dieser Region die populärsten. Daher stellt sich die Frage, weshalb sich gerade Jeanne Aufmerksamkeit bei der Bevölkerung verschaffen konnte. Doch sie unterschied sich in einem Punkt wesentlich von ihren Zeitgenossen: Sie entfesselte eine enorme Energie, um die Aufträge ihrer Stimmen umzusetzen und sie wollte in den Krieg ziehen, um selbst mit der Waffe in der Hand zu kämpfenxvii. Nachdem im Laufe des Jahres 1428 die Stimmen Jeannes immer stärker bzw. drängender wurden, begann sie mit der Umsetzung ihrer Aufträge.
3.2 Aufstieg und Gefangennahme
Etwa Mitte Mai 1428 hatte Jeannes Onkel Durand Laxart sie zuhause abgeholt und auf ihr Flehen hin ohne das Wissen ihrer Eltern nach Vaucouleurs gebracht. Dort hatte sie, nachdem sie zweimal abgewiesen worden war, ihre erste Vorsprache beim Hauptmann der Königsburg der Valois- Dynastie, Robert de Baudricourt. Dieser begegnete ihr zunächst mit großer Skepsis und forderte
ihren Onkel auf, sie wieder nach Hause zu führenxviii. In Vaucouleurs, während sie auf ein Vorsprechen wartete, zog sie bereits mit ihrem Auftreten und ihrer Persönlichkeit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Es ist nachvollziehbar, dass Robert de Baudricourt ihr anfangs mit Zurückhaltung begegnete, denn Jeanne war nicht die einzige Visionärin, die bei ihm mit dem Anspruch vorsprach, die Retterin Frankreichs zu sein. Aufgrund des Drängens der Bevölkerung der Stadt Vaucouleurs ließ er Jeanne schließlich vorsprechen. Allerdings arrangierte er dieses Vorsprechen außerhalb der Burg. Robert de Baudricourt begegnete Jeanne zusammen mit einem Priester. Dieser befand die Jungfrau für ungefährlich, da er keine Anzeichen teuflischer Besessenheit vorfinden konnte. Daraufhin gab Robert de Baudricourt dem Bitten der Jungfrau nach und schenkte ihr ein Schwert sowie einen kleinen Trupp zur Begleitung auf den Weg zum Dauphin Karl VII. nach Chinon.
Die Gruppe brach etwa Mitte Februar 1429 von Vaucouleurs auf und erreichte Chinon Ende des Monats. Dort wollte Jeanne gleich beim Dauphin vorsprechen, der sie aber zu ihrer Enttäuschung nicht sofort empfing. Sie wurde zunächst mehrere Tage von hohen Kirchenmännern über ihre Sendung und Stimmen, deren Existenz sie mitgeteilt hatte, befragtxix .Hinzu kam eine Überprüfung ihrer Jungfräulichkeit, auf die sie so sehr beharrte, durch weibliche Angehörige der königlichen Familie. Erst nach zwei Tagen wurde Jeanne schließlich zum Dauphin vorgelassen®, nachdem auch das Empfehlungsschreiben Roberts de Baudricourt angekommen war. Jeanne wurde im Schloss empfangen und nach ihrem Namen gefragt. Daraufhin antwortete sie, dass sie Jeanne la Pucelle sei und Karl VII. der wahre König Frankreichs, und er in Reims gesalbt und gekrönt werde. Die Untersuchungen zur Unberührtheit Jeannes bestätigten ihre Jungfräulichkeit. Dennoch verlangten die Berater des Dauphin und auch der Dauphin selbst Beweise für ihre göttliche Sendung. Sie entgegnete darauf, dass sie nicht gekommen sei, um Zeichen zu geben; aber sie würde zeigen, wofür sie gesandt worden sei, wenn man sie nach Orléans führe™. Die Schlussfolgerungen der Untersuchungen zeigten, dass man ihr weitestgehend Glauben schenkte: „Der König darf in Anbetracht seiner und seines Reiches Notlage und mit Rücksicht auf die andauernden Gebete seines armen Volkes und aller, die Frieden und Recht lieben, die Jungfrau, die sagt, dass sie von Gott gesandt sei, um ihm Hilfe zu bringen, nicht zurückweisen und nicht verwerfen, auch wenn es möglich ist, dass diese Versprechen nur menschliche Erfindung sind. [...] der König sie nicht daran hindern [darf], mit ihren Kriegsleuten nach Orleans zu ziehen, sondern er soll ihr im Gegenteil ein ehrenvolles Geleit geben und auf Gott vertrauen. Denn an ihr zu zweifeln oder sie ohne den Anschein von etwas Bösem zu verwerfen hieße, sich dem Heiligen Geist zu widersetzen und der Hilfe Gottes unwürdig zu werden.xxii"
[...]