1. Heilermarkt – einleitende Betrachtungen
Ein Blick auf das heutige, sich für den Betrachter gleichsam als modern darstellendes Gesundheitssystem scheint zunächst die Frage nach einem anderen funktionierenden System zu erübrigen - wo doch Gesundheitsreformen keinesfalls das Fundament abtragen sollen. Doch schon die Professionalisierung der persönlichen gesundheitlichen Absicherung erlaubt den historischen Blick auf ein Armenwesen, welches zum Zweck medizinischer Unterstützung durch Spenden und Stiftungen bereits im ausgehenden 18.Jahrhundert bedacht wurde.
Dieser Bogen lässt sich leicht von Einzelgruppen über Patienten und Ärzte bis hin zur Betrachtung eines Heilermarktes spannen, der in seiner Funktionalität, obwohl auf einer völlig anderen Basis stehend, dem modernen System in nichts nachzustehen scheint. So birgt die Auseinandersetzung mit der Medizingeschichte die Erkenntnis starker Aspekte des Umgangs mit Krankheiten, die auch heute noch ihren Ausdruck durch Patienten finden. Wenngleich sich das den Ärzten zukommende Vertrauen auf einem historischen Maximum befindet, so ist der Glaube an alternative Therapiemaßnahmen und Laienkonsultationen doch ebenso nicht zu brechen. Diese Nachfrage wird in Anbetracht des aktuell hohen Angebots alternativer Heiler greifbar.
Der Körper fand lange zeit keine Beachtung durch die Geschichtsschreibung, ebenso stellte der Patienten für die Medizingeschichte zu lange eine weitestgehend homogene Masse dar, wodurch erst Mitte der 1980er Jahre ein wendender Blick auf diese nicht minder wichtige und interessante Laienperspektive gelang. Die aktuelle Auseinandersetzung mit diesen Aspekten ermöglicht der Forschung einen detailierten Einblick in Bereiche der Selbstmedikation und Heilkunde. Die neuere Forschung nimmt sich ferner der historischen Hintergründe, aber auch Theorien und Techniken der Umsetzung medizinischer Prozesse an. [...]
Um die Vielschichtigkeit des Heilermarktes herauszustellen ist es zunächst nötig, den Begriff der Krankheit mit seinem Auswirkungen für die Patienten darzulegen und anschließend auf die verschwommenen Grenzen der Schul- und Volksmedizin einzugehen, was gleichsam ein Resultat des zu beschreibenden vielschichtigen Heilerangebotes ist. Nach dieser Darlegung wird auch dem Leser das Herausstellen der Besonderheiten als didaktisch angebracht erscheinen, bevor zu abschließenden Betrachtungen übergegangen wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Heilermarkt – einleitende Betrachtungen
2. Krankheit: Begriff und Unterschiede
3. Patienten – Schulmedizin vs. Volksmedizin
4. Hierarchie und Wirklichkeit
4.1 Stand und Ausbildung der Heiler
4.2 Wirklichkeit: kapitalgeprägte Frequentierung
4.3 Methoden und Wege der Konsultation
4.4 Vom Eingreifen der Obrigkeit
4.5 Leibärzte als Angehörige des Hofstaates
5. Abschließende Gedanken: Die professionalisierte Medizin als Chance
Verzeichnis verwendeter Literatur
Verzeichnis verwendeter Quellen
1 . Heilermarkt – einleitende Betrachtungen
Ein Blick auf das heutige, sich für den Betrachter gleichsam als modern darstellendes Gesundheitssystem scheint zunächst die Frage nach einem anderen funktionierenden System zu erübrigen - wo doch Gesundheitsreformen keinesfalls das Fundament abtragen sollen. Doch schon die Professionalisierung der persönlichen gesundheitlichen Absicherung erlaubt den historischen Blick auf ein Armenwesen, welches zum Zweck medizinischer Unterstützung durch Spenden und Stiftungen bereits im ausgehenden 18.Jahrhundert bedacht wurde.[1]
Dieser Bogen lässt sich leicht von Einzelgruppen über Patienten und Ärzte bis hin zur Betrachtung eines Heilermarktes spannen, der in seiner Funktionalität, obwohl auf einer völlig anderen Basis stehend, dem modernen System in nichts nachzustehen scheint. So birgt die Auseinandersetzung mit der Medizingeschichte die Erkenntnis starker Aspekte des Umgangs mit Krankheiten, die auch heute noch ihren Ausdruck durch Patienten finden. Wenngleich sich das den Ärzten zukommende Vertrauen auf einem historischen Maximum befindet, so ist der Glaube an alternative Therapiemaßnahmen und Laienkonsultationen doch ebenso nicht zu brechen. Diese Nachfrage wird in Anbetracht des aktuell hohen Angebots alternativer Heiler greifbar.
Der Körper fand lange zeit keine Beachtung durch die Geschichtsschreibung, ebenso stellte der Patienten für die Medizingeschichte zu lange eine weitestgehend homogene Masse dar, wodurch erst Mitte der 1980er Jahre ein wendender Blick auf diese nicht minder wichtige und interessante Laienperspektive gelang. Die aktuelle Auseinandersetzung mit diesen Aspekten ermöglicht der Forschung einen detailierten Einblick in Bereiche der Selbstmedikation und Heilkunde. Die neuere Forschung nimmt sich ferner der historischen Hintergründe, aber auch Theorien und Techniken der Umsetzung medizinischer Prozesse an.[2]
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Heilermarkt der frühen Neuzeit führt neben Basiswerken der Medizingeschichte, welche aufgrund ihres enzyklopädischen Charakters keine explizite Erwähnung in der Literaturliste finden, zur folgenden Hauptliteratur: Das von Christian Probst verfasste Buch „Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin von Marktplatz und Landstraße“ stellt aufgrund einer gelungenen Beispielfindung nicht nur eine leichtverständliche Grundlage dar, sondern bildet durch detailierte Betrachtungen und der daraus folgenden geringen Interpretation des Autors ein Leitwerk zu jenem Thema. „Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit“ von Robert Jütte soll dieser Arbeit als elementare Literatur bei der Betrachtung der einzelnen Heiler, aber auch der Patienten dienen. Das Werk bietet einerseits, durch die historische Genauigkeit des Autors, einen fast als spannend zu bezeichnenden Einblick in den Heilermarkt der Stadt Köln, andererseits eben durch diesen Aspekt auch eine vorweggenommene Richtschnur zur Darstellung des Angebots jener Zeit, die dem Leser schon anhand der Gliederung klar und somit strengend und wenig interpretativ erscheint.
Um die Vielschichtigkeit des Heilermarktes herauszustellen ist es zunächst nötig, den Begriff der Krankheit mit seinem Auswirkungen für die Patienten darzulegen und anschließend auf die verschwommenen Grenzen der Schul- und Volksmedizin einzugehen, was gleichsam ein Resultat des zu beschreibenden vielschichtigen Heilerangebotes ist. Nach dieser Darlegung wird auch dem Leser das Herausstellen der Besonderheiten als didaktisch angebracht erscheinen, bevor zu abschließenden Betrachtungen übergegangen wird.
2. Krankheit: Begriff und Unterschiede
Die Gesundheit gilt nicht nur in postmaterialistischer Zeit als höchster Wert. Auch in der frühen Neuzeit stellte eine Krankheit einen immensen Einschnitt in das Leben und den Alltag eines Menschen dar. Weit darüber hinaus wurde die Krankheit als etwas Körperfremdes begriffen, dessen man sich, um die Wiederherstellung des körperlichen Gleichgewichts bedacht, entledigen musste.[3] Diese ontologische Auffassung lässt sich unter dem Kontext einer atypischen Körpererfahrung erschließen, welche nicht nur eine reine Abweichung vom Idealzustand darstellte.[4]
Dies ist vor allem im Sinne der Diätetik nach Galen zu verstehen, da dieser, die gesamte Lebenswelt des Menschen bedenkend, zu einer ausgeglichenen und gleichsam bewussten Wahrnehmung der Regelkreise rät: Die Ausgeglichenheit von Licht und Luft, Essen und Trinken, Bewegung und Ruhe, Schlafen und Wachen sowie die Beachtung des Stoffwechsels und der Gemütsbewegungen.[5] Hierzu ist es im Verlauf der Arbeit erforderlich, die stark frequentierten entleerenden Behandlungen zu betrachten.[6]
Weiterhin muss an dieser Stelle auch der starke Jenseitsglaube einer religiösen Gesellschaft Erwähnung finden, welcher durch die Akzeptanz von Schmerzen – und dies nicht einzig aus Mangel an narkotischen Substanzen – und die tief verwurzelte Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod Ausdruck fand.[7]
3. Patienten – Schulmedizin vs. Volksmedizin
Die sich ausprägende Krankenrolle beginnt mit der Akzeptanz der Krankheit und der daraus resultierenden Schwächung des Körpers. Dies verdeutlicht sich auch in der Moderne durch das Heraustreten aus dem Alltag, indem sich der Kranke selbsttherapeutisch in sein Bett begibt. Jenes Phänomen stellte bereits vor hunderten von Jahren ein Anzeichen der Krankheit dar.[8] Weit mehr als die Hälfte der frühneuzeitlichen Kölner Bevölkerung hatte niemals einen Arzt konsultiert.[9] Dieser Aspekt verdeutlicht die enorme Ausprägung der Selbstmedikation zur damaligen Zeit[10], welche sich durch alle Schichten der Bevölkerung zog.[11] Doch diese Tendenzen scheinen bei genauerer Betrachtung zunächst nur begrenzt nachvollziehbar, gingen die Selbstbehandlungen doch über Kopfschmerzen und Magenverstimmungen hinaus. Blutungen und Augenentzündungen stellten gleichsam Ausgangslagen für selbstverordnete Therapien dar. So soll an dieser Stelle, um der Darstellung der Verbreitung der Selbstmedikation, der Reformator Martin Luther Erwähnung finden, welcher sein Harnleiden, auf Anraten seiner Frau, durch Pferdemist zu lindern hoffte.[12] Doch nicht nur Infektionskrankheiten, auch Epidemien[13] zwangen die Menschen durch Ärztemangel, wie zu Pestzeiten, zur Selbsttherapie, wobei die Einnahme des Theriaks als beliebtestes Mittel herauszustellen ist.[14]
Eine kaum zu überschätzende Grundlage für die Ausbreitung der Selbstbehandlung stellten die Kräuterbücher dar.[15] Diese schriftlichen Gesundheitsratgeber stammten aus den Federn und basierten auf den Erfahrungsschätzen der angesehenen Ärzte und Chirurgen, die sich aufgrund zu befürchtender Patientenverluste zwar gegen die Selbsttherapie stellten, diese aber aufgrund ihrer publizistischen Tätigkeiten unterstützten.[16] Solche Werke bildeten vor allem für ärztliche Praxen, medizinische Fakultäten und in den Häusern der Oberschicht eine wichtige Grundlage des gesundheitlichen Verständnisses.[17]
Die sich durch die Darlegung der Diätetik nach Galen bereits dargestellte Therapiemethode – der Suche nach der Wiedererlangung des inneren Gleichgewichts – wurde durch die Kräuterbücher und das weitergegebene Wissen um Tränke und Tinkturen durch Aspekte der medikamentösen Therapie erweitert. Die Einnahme von selbstständig hergestellten oder auch nur verordneten Substanzen, welche von Apothekern oder auf dem Markt von fahrenden Heilmittelhändlern bezogen wurden[18], stellte eine in der frühen Neuzeit nicht ungewöhnliche Methode zur Gesundung dar[19], wenn hierbei auch dem heute bekannten Placebo-Effekt ein nicht unbedeutender Einfluss zugekommen sein dürfte. Gleichwohl bargen diese günstigen Genesungen einen verfestigten Glauben in die angewandte Medizin.[20]
Ferner zeichnete sich die Volksmedizin durch ein stark ausgeprägtes Analogiedenken aus. So wurden beispielsweise Verbrennungen mit kalten Substanzen behandelt, und Medikamente eingenommen, welche bereits von einer Krankheit kurierten, die sich an selbiger betroffener Stelle befand.[21]
Eine wichtige Rolle bei der Neigung zur Selbsttherapie mag auch die Furcht vor den Therapiemaßnahmen der Ärzte gespielt haben. Übertrieben durchgeführte Aderlässe oder auch die Verabreichung von Brechmitteln und Klistiere – was zu einem Stuhlgang vom acht- bis zwölfmal täglich führte – hatten vor allem eine weitere Schwächung des Patienten zu Folge.[22] Rosskuren als entleerende Behandlungsformen und die Angst vor schweren Operationen, welche einen geringen Heilungserfolg bargen, veranlassten wohl einige Menschen zur Favorisierung der Selbstmedikation.[23]
[...]
[1] Vgl. Menninger, Annerose: Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16. – 19. Jahrhundert), Stuttgart 2004, S.124.
[2] Vgl. Stolberg, Michael: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der frühen Neuzeit, Köln 2003, S.9–17.
[3] Vgl. Jütte, Robert: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München 1991, S.124.
[4] Vgl. Stolberg: [FN2], S.36-38.
[5] Vgl. Schipperges, Heinrich: Homo Patiens. Zur Geschichte des kranken Menschen, München 1985, S.112-114.
[6] Vgl. Stolberg: [FN2], S.41.
[7] Vgl. Stolberg: [FN2], S.33.
[8] Vgl. Jütte: Ärzte, [FN3], S.165.
[9] Vgl. Ebd.: S.76.
[10] Vgl. Stolberg: [FN2], S.10.
[11] Vgl. Jütte: Ärzte, [FN3], S.108.
[12] Vgl. Jütte: Ärzte, [FN3], S.78.
[13] Vgl. Menninger: [FN1], S.116.
[14] Vgl. Jütte: Ärzte, [FN3], S.78-79.
[15] Vgl. Stolberg: [FN2], S.34.
[16] Vgl. Jütte, Robert: Ärzte, [FN3], S.77.
[17] Vgl. Menninger: [FN1], S.121.
[18] Vgl. Jütte, Robert: Ärzte, [FN3],, S.84.
[19] Vgl. Ebd.: S.80.
[20] Vgl. Stolberg: [FN2], S.35.
[21] Vgl. Jütte: Ärzte, [FN3], S.82.
[22] Vgl. Menninger: [FN1], S.122.
[23] Vgl. Jütte: Ärzte, [FN3], S.133-134.