Die Bürgerkommune - Ein „Gegenmittel“ zur schwindenden repräsentativ-demokratischen Legitimation auf kommunaler Ebene?
Zusammenfassung
In den vergangenen Jahren wird der Ruf einer ,Bürgerkommune‘ immer lauter. Demnach sollen die Bürgerinnen und Bürger aktiv mit in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. Politikwissenschaftler versprechen sich hierdurch eine höhere Akzeptanz und Effektivität, der auf kommunaler Ebene gefällten (politischen) Entscheidungen.
Kann man die Bürgerkommune als ,Gegenmittel‘ zur schwindenden repräsentativ-demokratischen Legitimation auf kommunaler Ebene ansehen?
Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Bürgerkommune: Schnittstelle von repräsentativer, direkter und kooperativer Demokratie
3. Die Bürgerkommune
3.1. Was ist die Bürgerkommune? Begriffsdefinitionen
3.2. Die veränderte Bürgerrolle und das Leitbild der Bürgerkommune
4. Die Bürgerkommune in der Praxis: Beteiligungsmöglichkeiten an Planungs- und Entscheidungsprozessen
4.1. Der Bürgerhaushalt
5. Die Bürgerkommune in der Praxis: Förderungsmöglichkeiten des freiwilligen Engagements
5.1. Spielplatzpatenschaften
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
8. Gegen die Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahren bei kommunalen Wahlen. Eine Argumentation gegen den jüngsten Vorschlag der Saarliberalen, auch Jugendlichen eine Stimme geben zu wollen.
1. Einleitung
„Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk!“.[1] Diese Behauptung des ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln ist im Großen und Ganzen wohl richtig. Bei näherer Betrachtung und einem Vergleich zum repräsentativen Demokratieverständnis wird allerdings deutlich, dass die letztendliche Entscheidungsgewalt bei der politischen Elite liegt, die durch das Volk gewählt wurde. Aber wodurch legitimieren sich in der heutigen Zeit noch diese Entscheidungen auf der kommunalen Ebene? In Zeiten sinkender Wahlbeteiligung, Politikverdrossenheit und der wachsenden Finanznot vieler Kommunen ist dies eine berechtigte Frage. Zudem klaffen die Interessen der Auftraggeber (Bürgerinnen und Bürger) und die Interessen der Mandatsträger weit auseinander. Entscheidungen der Politiker stoßen vermehrt auf Widerstände bei den Bürgern, da sie von diesen nicht als legitim empfunden werden (Bsp. ,Stuttgart 21‘). Politiker denken oftmals wahlperiodenorientiert, wohingegen die Bürger für ihre Gemeinde eine nachhaltige und effektive Problemlösungsstrategie verfolgen. In den vergangenen Jahren wird der Ruf einer ,Bürgerkommune‘ immer lauter. Demnach sollen die Bürgerinnen und Bürger aktiv mit in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. Politikwissenschaftler versprechen sich hierdurch eine höhere Akzeptanz und Effektivität, der auf kommunaler Ebene gefällten (politischen) Entscheidungen. Die erkenntnisleitende Forschungsfrage der vorliegenden Expertise lautet daher: Kann man die Bürgerkommune als ,Gegenmittel‘ zur schwindenden repräsentativ-demokratischen Legitimation auf kommunaler Ebene ansehen?
In einem ersten Schritt setze ich mich hierbei mit drei wichtigen Komponenten der Bürgerkommune auseinander: Repräsentativer, direkter und kooperativer Demokratie. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu beachten, in wie weit man die Bürger als soziales Kapital innerhalb der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene ansehen kann. In einem zweiten Schritt werde ich den Begriff der Bürgerkommune definieren, das Leitbild der Bürgerkommune erläutern und konkrete Beteiligungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene anführen.
2. Die Bürgerkommune: Schnittstelle von repräsentativer, direkter und kooperativer Demokratie
Jörg Bogumil und Lars Holtkamp sehen in der Bürgerkommune ein „Zusammenspiel von repräsentativer, direkter und kooperativer Demokratie“.[2] In der repräsentativen Demokratie hat das Volk nicht die Herrschaftsfunktion inne, sondern hat diese abgegeben, an Personen und Institutionen (politische Eliten, wie beispielsweise die Ratsvertreter in der Gemeinde).[3] Für die kommunale Ebene von großer Bedeutung ist allerdings die direkte Demokratie. Hier haben die Bürgerinnen und Bürger ein hohes Maß an Entscheidungsrechten, wie kommunale Referenden, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, sowie die Direkt- oder Urwahl des Bürgermeisters und des Landrats.[4] Die kooperative Demokratie möchte eine Miteinbeziehung der Bürger in den (politischen) Entscheidungsprozess. Dieser Prozess ist in der Regel „dialogisch orientiert und auf kooperative Problemlösungen angelegt“.[5] Alle drei genannten Demokratietheorien wirken auf die Bürgerkommune ein und ergänzen sich gegenseitig: Durch die Direktwahl der Bürgermeister in vielen Gemeinden ist für die Bürgerinnen und Bürger ein Anreiz geschaffen, sich aktiv an der Kommunalpolitik zu beteiligen. Wird man in verschiedene Entscheidungsprozesse mit einbezogen (kooperative Demokratie), so ist durchaus eine Motivationssteigerung zu erwarten. Der Wert an demokratischer Legitimation gewinnt durch die Zusammenführung der drei Demokratietheorien neue Bedeutung. Mit der Bürgerkommune können die gewillten Aktivbürger mitentscheiden, stoßen aber womöglich schnell an ihre Grenzen, wenn es darum geht, wie man die vorgeschlagenen Projekte/Investitionen finanzieren will. Die kommunale Haushaltslage zwingt die Gemeinden zu einem enormen Sparkurs, so dass die Mittel der Mitentscheidung begrenzt sind. Die Gemeinden können in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Gesetze, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, in eigener Verantwortung regeln.[6] Hierzu besitzen die Kommunen einen entsprechenden Gemeinderat, der vom Volk gewählt wurde. Verbindet man dies nun jedoch mit der kooperativen Demokratie, so erkennt man schnell ein Dilemma:
„Einerseits soll die Attraktivität der Bürgerbeteiligung durch möglichst hohe Relevanz und Verbindlichkeit der Beteiligungsverfahren und –ergebnisse gesteigert werden, andererseits darf die demokratisch legitimierte Letztentscheidungskompetenz der gewählten Vertretungen nicht ausgehebelt werden“.[7]
Es ist also nicht wunderlich, wenn verschiedene Ratsmitglieder der Bürgerkommune eher skeptisch gegenüberstehen, da sie sich zwangsläufig die Frage stellen müssen, zu welchem Zweck sie vom Volk gewählt wurden. Die engagierten Bürgerinnen und Bürger greifen hier in die Arbeit der Kommunalpolitiker ein und sehen sich nicht mehr nur als Auftraggeber, sondern als Mitgestalter. Im Prozess der Entscheidungsfindung kann es daher zu divergierenden Interessen und Ansichten kommen.
3. Die Bürgerkommune
3.1. Was ist die Bürgerkommune? Begriffsdefinitionen
„Mit der Bürgerkommune ist es so ähnlich wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness – alle reden darüber, aber noch keiner hat sie gesehen“.[8] Jörg Bogumil und Lars Holtkamp bringen die Bürgerkommune mit diesem Satz voll und ganz auf den Punkt. Auch in der Literatur gibt es keine allgemeingültige Definition, was die Bürgerkommune eigentlich ausmacht. An dieser Stelle sollen nun drei Definitionen vorgestellt und in einem weiteren Schritt miteinander verglichen werden.
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[1] Lincoln, Abraham. In: Rasch, Adolf (2007): Mehr Freiheit. Einführung in den klassischen Liberalismus. In: http://www.mehr-freiheit.de/buch/mf_buch.pdf. S. 32. [24.02.2012]
[2] Vgl. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars 2002: Die Bürgerkommune als Zusammenspiel von repräsentativer, direkter und kooperativer Demokratie. Erste Ergebnisse einer explorativen Studie. In: polis Nr. 55 (2002).
[3],Repräsentative Demokratie‘. Wörterbucheintrag in: Schmidt, Manfred G. 2004: Wörterbuch zur Politik. Kröner, S. 613.
[4] Schmidt, Manfred G. 2010: Demokratietheorien. Eine Einführung. Bundeszentrale für politische Bildung, S. 338.
[5] Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars, a.a.O., S.5.
[6] Vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: Artikel 28, Abs. 2.
[7] Hill, Hermann 2005: Urban Governance und Lokale Demokratie. In: Informationen zur Raumentwicklung Nr. 9 (2005), S. 568.
[8] Bezirksamt Lichtenberg von Berlin et. al. 2009: Rahmenkonzeption „Berlin Lichtenberg auf dem Weg zur Bürgerkommune“, S. 8. In: http://www.berlin.de/imperia/md/content/balichtenberghohenschoenhausen/buergerservice-gemeinwesen/buergerkommune_lichtenberg.pdf?start&ts=1256134013&file=buergerkommune_lichtenberg.pdf) [28.02.2012]