In seiner Piéce "Philosophische Brocken oder Ein Bißchen Philosophie" stellt sich Climatus die Frage, ob Wahrheit gelehrt werden kann und wer sie vermitteln sollte. Die Aufgabe des Lehrers ist es, den Schüler auf die in ihm enthaltene Wahrheit aufmerksam zu machen. Diese Hausarbeit geht nun besonders auf Jesus als lehrende Person ein. Da in dessen Lehrtätigkeit die Begriffe Liebe und Sünde eine wichtige Rolle spielen, wird diese beide Begriffe ins Zentrum gestellt.
Inhaltverzeichnis
1.Einleitung
1.1. Klärung der Begriffe Bedingung und Augenblick
2. Liebe als Beweggrund und Ziel
3. Sünde – der Mensch ist die Unwahrheit
4. Fazit: Viele offene Fragen
5. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
In seiner Piéce „Philosophische Brocken oder Ein Bißchen Philosophie“[1] stellt sich Climacus die Frage, ob Wahrheit gelehrt werden kann und wer sie vermitteln sollte. Er entwirft im ersten Kapitel ein Gedankenprojekt und stellt dem sokratischen Lehrer den göttlichen gegenüber. Climatus beschreibt den Inhalt des Christentums im Vergleich zum sokratischen Standpunkt. Dieser sagt, dass die Wahrheit in uns ist und wir uns nur erinnern müssen. Denn die Seele[2] hat in der Welt der Ideen schon alles gesehen, aber beim eindringen in den menschlichen Körper vergaß sie es wieder. Die Aufgabe des Lehrers ist es, den Schüler auf die in ihm enthaltene Wahrheit aufmerksam zu machen. In meiner Hausarbeit möchte ich besonders auf Gott bzw. Jesu als lehrende Person eingehen. Warum benötigen wie überhaupt Gott als Lehrer? Haben Adam und Eva nicht bezüglich der Bibel (Gen 3) vom Baum der Erkenntnis gegessen und konnten seit diesem sündigen Genuss wie Gott selbst zwischen Gut und Böse unterscheiden? Aber diese Differenzierung ermöglicht offenbar noch nicht zum Erkennen der Wahrheit und somit benötigt der Mensch Gott als Lehrer, der ihm die Bedingung dafür gibt[3].
Für den Titel der Hausarbeit habe ich ein Bibelzitat verwendet (Mt 23,10)[4]. Im Neuen Testament wird Jesu noch in Joh 3,2 als Lehrer bezeichnet, der von Gott kommt[5]. Jesu bringt eine neue Auslegen der alten jüdischen Lehren und er lehrt diese nicht nur wie die Sophisten durch Vorträge, sondern macht sie durch Gleichnisse verständlich und fordert so seine Zuhörer zu eigenen Überlegungen auf. Aber eigentlich ist Jesu vielmehr ein Prophet als ein Lehrer, da er den göttlichen Willen verkündet[6]. Ebenso sieht Climacus in dem Knecht Jesu den fleischgewordenen Gott, der auf die Erde herabgestiegen ist. Im Umgang mit der Lehrtätigkeit Gottes spielen besonders die Begriffe Liebe und Sünde eine bedeutende Rolle. Auf diese beiden werden ich im speziellen eingehen, da sie Gottes Ziel und Beweggrund sind (Liebe) und die Sünde dadurch aufgehoben wird, dass der Mensch erkennt, das er die Unwahrheit ist.
1.1. Klärung der Begriffe Bedingung und Augenblick
Climacus versteht im Augenblick einen kurzen und zeitlich begrenzten Moment, der vom Ewigen erfüllt ist. Er ist der Übergang vom Nichtsein ins Sein in dem der Mensch erkennt, dass er die Unwahrheit (Nichtsein) ist. In der Erfahrung des Augenblicks wird der Mensch sich seiner selbst klar und versteht. Obwohl dieser Moment nur kurz ist, hinterlässt er einen nachwirkenden Eindruck. Der Mensch erhält eine andere Qualität – er wird ein neuer Mensch. Gott erschafft ihn nicht neu, aber er gibt ihm ein neues Sein. In diesem Augenblick erhält der Lernende von Gott die Bedingung, d.h. er versteht das Ewige. Sie gibt die Möglichkeit in Christus Gott zu erkennen und somit die Wahrheit. Der Mensch versteht dass er die Unwahrheit und dadurch Sünder ist. Durch dieses Verstehen nimmt Gott ihn aus der Unwahrheit und gibt ihm die Gelegenheit sich der Wahrheit zu zuwenden. Das Begreifen des Paradoxen durch den Glauben wird erst die Bedingung erlaubt. Ohne sie könnte der Mensch nicht erfassen, dass sich der unendliche Gott im endlichen Jesu offenbart hat. Dieses Denken erst befähigt zur Annahme der göttlichen / christlichen Wahrheit. Sie erhält auf diese Weise den Charakter einer Offenbarung. Mit der Gabe der Bedingung wird auch der Anfang des Glaubens charakterisiert und nimmt so die Eigenschaft eines Bekehrungserlebnisses an.
Im christlichen Sinne versteht man unter Glauben die völlige Selbstüberantwortung des Menschen an den offenbarten Gott und das Bekenntnis zu Christus. Der Glaubensinhalt übersteigt das eigene Wissen, hebt dieses aber nicht auf. Mit dem Erkennen von Jesu beginnt Glaube, aber er wird nicht als geschichtlich handelnder Gott aufgefasst, sondern als überzeitlicher Geist. Der Glaubende anerkennt ohne Zweifel das ihm Geoffenbarte als Wahrheit an. Hier finden sich deutliche Parallelen zu der Auffassung von Climacus. Mit Annahme der Bedingung erkennt der Schüler, dass er vorher die Unwahrheit war und nimmt nun die göttliche Wahrheit als einzig gültige an. Er überantwortet so sein Selbst Gott, da er die Offenbarung bedingungslos aufnimmt. Der von Climacus als Paradox benannt Widerspruch übersteigt ebenso das eigene Wissen und nur der Glaube hindert den Verstand daran, dass er zugrundegeht.
2. Liebe als Beweggrund und Ziel
Im sokratischen Sinn besteht ein Wechselverhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Gott dagegen benötigt keinen Schüler, denn der Anlass und das Veranlasste entsprechen sich nicht und folglich besteht auch kein Wechselverhältnis wie bei Sokrates. Gottes Entschluss Lehrer zu werden besteht von der Ewigkeit an und wird zum Augenblick. Beim Erinnern im sokratischen Sinn ist kein Augenblick erforderlich und folglich auch kein Gott[7]. Gott entschließt sich aus Liebe Lehrer zu werden, da er und der Mensch sich nicht mehr verstehen. Dadurch, dass der Mensch die Unwahrheit ist, ist die Kommunikation mit Gott nicht mehr möglich. Gott und Mensch sind zu verschieden und nur in der Gleichheit kann eine Liebe glücklich sein. Das Verhältnis von beiden wird infolgedessen als ein unglückliches Liebesverhältnis beschrieben. Demgemäß muss Gott den Menschen aus dessen Unwahrheit herausheben, da die christliche Wahrheit offenbart werden muss. Sie kommt nicht aus dem Menschen selbst. Der Mensch denkt sich Gott nach seinen Gedanken und bringt ihn damit selbst hervor, dennoch ist Gott vom Menschen verschieden und der Mensch kann dies nur durch Gott erfahren[8]. Trotzdem will der Mensch sich im religiösen Bezug Gott gleich machen, aber er kann es durch seine Menschlichkeit nicht schaffen. Beide werden immer verschieden sein[9]. Gott muss sich dem Menschen verständlich machen und dafür beschreibt Climatus am Beispiel des liebenden Königs zwei Möglichkeiten: Entweder einen Aufstieg der geliebten Person oder einen Abstieg des Liebenden. Dabei muss aber zwischen menschlicher und göttlicher Liebe eigentlich unterschieden werden[10]. Die menschliche Liebe will das Objekt ihrer Liebe im Grunde immer sich angleichen (also Emporheben), da ein Verzicht an Status schwieriger zu sein scheint, als eine Erhöhung des Geliebten. Ebenso kann nur der, der den höchsten Status hat am ehesten verzichten. Selbst wenn so die Gefahr besteht, dass der Geliebte sich in seiner früheren (niedrigeren) Rolle als weniger liebenswert empfindet. Für Gott ist es dagegen nicht sinnvoll den Menschen aufsteigen zu lassen[11]. Um nun eine Gleichstellung zu ermöglichen, muss Gott dem Lernenden gleich werden. In der Gestalt des Knechtes macht sich Gott selbst dem geringsten Wesen ebenbürtig. Die entschlossene Liebe zeigt sich eben darin, dass man von gleicher Art wie der Geliebte sein will[12]. Durch diese Selbsterniedrigung wird mein Gegenüber erhöht, man verzichtet auf seinen Status und geht damit auch einen Positionswechsel ein.
[...]
[1] Ich beziehe mich in dieser Hausarbeit auf die Ausgabe des Syndikatsverlags von 1984.
[2] Laut Sokrates hat die Seele Anteil an der Wahrheit.
[3] Das Wort Bindung benutzte ich im Sinne von Climatus. Auf die Bedeutung werde ich in Punkt 1.1 eingehen.
[4] „Und ihr sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer ist eurer Lehrer: Christus.“
[5] Joh 3,2: „Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, er sei denn Gott mit ihm.“
[6] Vgl. Calwer Bibellexikon, Art. Lehrer, S. 807
[7] Vgl. Climacus, Philosophische Brocken, S. 25
[8] Vgl. Diem, Sören Kierkegaard, S. 91
[9] Vgl. Liessmann , Kierkegaard, S. 119f
[10] Heymel, Das Humane lernen, S.161
[11] Im Paradies waren Adam und Eva Gott sehr nahe gestellt, dennoch ließen sie sich von der Schlange verführen. Auch soll der Mensch die Erde beherrschen und nicht mit Gott im Himmel verweilen.
[12] Vgl. Climacus, Philosophische Brocken, S. 31