Personalentwicklung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland
Herausforderungen und betriebliche Gestaltungsmöglichkeiten
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der demografische Wandel in Deutschland und seine Folgen
1.1 Zur aktuellen und künftigen demografischen Situation in Deutschland
1.2 Mögliche Konsequenzen des demografischen Wandels für die Unternehmen
1.3 Bedeutung der Personalentwicklung im demografischen Wandel
2. Handlungsmöglichkeiten des Personalmanagements im Hinblick auf die Herausforderungen des demografischen Wandels
2.1 Demografieorientierte Handlungsfelder des Personalmanagements
2.2 Altersstrukturanalyse als Ausgangspunkt der Gestaltung des demografischen Wandels in Unternehmen
Fazit
Literatur
Weiterführende Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Mögliche Altersstrukturen von Belegschaften
Einleitung
Seit einigen Jahren erfährt die Debatte um den demografischen Wandel in Deutschland eine zunehmende Beteiligung von einer Vielzahl gesellschaftlicher Akteure. Verdeutlicht wird der Diskussions- und Handlungsbedarf in diesem Kontext durch eine steigende Anzahl politischer Initiativen. So startete die Bundesregierung im Jahr 2007 das Programm „Initiative 50 Plus“, das die Einstellung und Weiterbildung älterer Arbeitnehmer[1] unterstützt. Ebenso wurden 2011 der demografische Wandel und seine Herausforderungen als ein Schwerpunkt der Forschungsförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) festgelegt. Die Politik reagiert damit auf eine Entwicklung, die sich schon seit einigen Jahrzehnten abzeichnet: Die deutsche Bevölkerung schrumpft und altert (vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 12). Im Verlauf der letzten Jahrzehnte ist die Zahl der Geburten immer weiter zurückgegangen, während gleichzeitig die Lebenserwartung der Menschen steigt. Damit stehen immer weniger junge Menschen einer großen Anzahl älteren Menschen gegenüber. Das hat nicht nur Konsequenzen für die sozialen Sicherungssysteme. Die zurückgehende Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter hat darüber hinaus unmittelbare Auswirkungen auf das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft, da immer weniger junge Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen, die den technischen Fortschritt der deutschen Gesellschaft als Innovationen in den Unternehmen voranbringen können (vgl. Bundesministerium des Inneren 2011, S. 94 f.). So blieben bereits im Jahr 2007 fast 22.000 Ingenieurstellen unbesetzt, woraus nicht nur ein Umsatzverlust von 3,7 Milliarden Euro resultiert, sondern auch eine Gefährdung des Forschungs- und Technologiestandorts Deutschland (vgl. Langhoff 2009, S. 262). Auf die Unternehmen selbst wirkt sich der demografische Wandel als gesamtgesellschaftliche Entwicklung allerdings nicht im selben Maß aus. Die demografische Struktur eines jeden Unternehmens ist individuell gestaltet. In den letzten Jahrzehnten haben die meisten Unternehmen versucht ihre Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit zu sichern, indem sie vermehrt jüngere Fachkräfte einstellten und ältere Mitarbeiter frühzeitig aus dem Unternehmen ausgliederten (vgl. Grumbach & Ruf 2007, S. 40). Diese Strategie wird allerdings nicht mehr lange zukunftsweisend sein, da sich die Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung (Personen im Alter von 20 bis 65 Jahren) in den Jahren zwischen 2017 und 2024 deutlich verändern wird. Parallel zur Bevölkerungsentwicklung wird die Erwerbsbevölkerung zunächst altern und dann schrumpfen. Das Statistische Bundesamt kommt in seinen Analysen zu dem Schluss, dass das Erwerbspersonenpotenzial künftig zu einem wesentlichen Teil aus Menschen bestehen wird, die älter sind als 50 Jahre (vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 18). Diese Entwicklungen werden die Unternehmen vor die Schwierigkeit stellen, in Zeiten eines branchen- und regionalspezifischen Fachkräftemangels, junge Nachwuchskräfte an sich zu binden. Aus diesem Grund scheint es erforderlich zu werden, neue Rekrutierungspotenziale zu erschließen. Dabei treten vor allem ältere Mitarbeiter in den Fokus, da sie durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters länger in den Unternehmen bleiben und frühzeitige Ausgliederungsmöglichkeiten politisch nicht mehr unterstützt werden. Somit müssen die Unternehmen Strategien entwickeln, wie sie ihre Wettbewerbsfähigkeit mit einer alternden Belegschaft sicherstellen können. In diesem Zusammenhang gewinnt die permanente Weiterqualifizierung aller betrieblichen Humanressourcen an Bedeutung. Entgegen der gängigen Praxis müssen insbesondere ältere Mitarbeiter vermehrt in Personalentwicklungsprozesse integriert werden (vgl. Frerichs 2007, S. 67; Institut für Mittelstandsforschung Bonn 2010, S. 62). Personalentwicklung macht es sich in dem Verständnis dieser Arbeit zum Ziel, die Qualifikationen, welche die Mitarbeiter benötigen, um gegenwärtige und künftige Anforderungen bewältigen zu können, zu vermitteln (vgl. Figge & Kern 1982, S. 33). Der Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit eines jeden Mitarbeiters muss künftig im Zentrum der personalpolitischen Bemühungen stehen (vgl. Grumbach & Ruf 2007, S. 36 f.). Allerdings finden diese Erkenntnisse in der Personalarbeit der meisten Unternehmen noch kaum Berücksichtigung. Eine Befragung von mittelständischen Unternehmen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn aus dem Jahr 2007 zeigt auf, dass sich lediglich 37% der Unternehmen intensiver mit den Folgen des demografischen Wandels beschäftigt haben (vgl. Institut für Mittelstandsforschung 2008, S. 37).
Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Erkenntnis leitende Fragen:
1.) Welche Auswirkungen kann der demografische Wandel auf die Unternehmen haben?
2.) Wie kann der demografische Wandel durch das Personalmanagement gestaltet werden und welche Rolle nimmt dabei die Personalentwicklung ein?
Diese Arbeit diskutiert die Auswirkungen des demografischen Wandels auf personalwirtschaftliche Aspekte in Unternehmen. Dabei wird wie folgt vorgegangen: Das erste Kapitel beschreibt die aktuelle und künftige demografische Situation in Deutschland. Es werden zentrale Entwicklungen skizziert und mögliche Folgen für die Unternehmen herausgearbeitet. Schließlich wird beleuchtet, welchen Beitrag die Personalentwicklung im Umgang mit den Herausforderungen des demografischen Wandels leisten kann. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden demografieorientierte Gestaltungsmöglichkeiten des Personalmanagements dargelegt. Es werden Handlungsfelder vorgestellt und daraus ableitend die Altersstrukturanalyse als eine Methode zur Feststellung der demografischen Situation eines Unternehmens betrachtet. Im abschließenden Fazit werden die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst.
1. Der demografische Wandel in Deutschland und seine Folgen
Im Wesentlichen wird die Bevölkerungsentwicklung, die gegenwärtig kontrovers unter dem Begriff demografischer Wandel diskutiert wird, durch zwei Faktoren[2] bestimmt: die Geburtenrate und die Lebenserwartung. Seit dem Jahr 1840 kann ein permanenter Geburtenrückgang verzeichnet werden, der nur durch die Familienpolitik des Dritten Reiches und das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er mit dem sogenannten Babyboom unterbrochen wurde (vgl. Sporket 2009, S. 13). Während für die Reproduktion der Gesellschaft eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau erforderlich wäre, liegt diese schon seit mehreren Jahren um den Wert 1,4. Somit kann jede Elterngeneration nur zu etwa zwei Dritteln ersetzt werden. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung der Menschen kontinuierlich und liegt derzeit bei 75 Jahre für Männer und 81 Jahre für Frauen (vgl. ebd., S. 30). Das nun folgende Kapitel gibt einen kurzen Einblick auf die gegenwärtige und künftige Bevölkerungsentwicklung und zeigt weiterführend auf, wie sich die Erwerbsbevölkerung entwickeln wird. Daran anknüpfend werden mögliche Folgen für die Unternehmen skizziert und die Bedeutung der Personalentwicklung in diesem Zusammenhang herausgearbeitet.
1.1 Zur aktuellen und künftigen demografischen Situation in Deutschland
Die deutsche Bevölkerung nimmt seit dem Jahr 2003 sukzessiv ab. Laut dem Statistischen Bundesamt wird sich dieser Trend in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen. Während im Jahr 2008 etwa 82 Millionen Menschen in Deutschland lebten, werden es den derzeitigen Prognosen nach im Jahr 2060 zwischen 65 und 70 Millionen sein (vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 13). Die abnehmende Zahl der Geburten und das Altern der stark besetzten Babyboomer-Generation erzeugen signifikante Veränderungen im Altersaufbau der Gesellschaft. Im Jahr 2008 bestand die Bevölkerung zu 19% aus Kindern und jungen Menschen unter 20 Jahren, zu 61% aus 20- bis unter 65-Jährigen und zu 20% aus 65-Jährigen und Älteren. Die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Bundesamtes prognostiziert für das Jahr 2060, dass die Gruppe der 65-Jährigen und Älteren auf 34% wachsen, wohingegen die Gruppe der 20- bis unter 65-Jährigen auf 50% schrumpft. Die Bevölkerungsgruppe der unter 20-Jährigen sinkt nur geringfügig auf 16% (vgl. ebd., S. 14 ff.).
Für die vorliegende Arbeit ist die Gruppe der Erwerbspersonen von besonderem Interesse. Das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial wird sich von aktuell etwa 50 Millionen auf 33 bis 36 Millionen im Jahr 2060 verringern (vgl. Statistisches Bundesamt 2009, S. 17). Die deutsche Wirtschaft erwartet erste tiefer greifende Einschneidungen in der Altersstruktur zwischen den Jahren 2017 und 2024, wenn die Babyboomer-Generation ins Rentenalter vorrückt. In diesen Jahren wird sich das Erwerbspersonenpotenzial zu jeweils 40 Prozent aus 30- bis 49-Jährigen sowie 50- bis 65-Jährigen zusammensetzen. Daraus lassen sich zwei Trends ableiten: Dem Arbeitsmarkt werden 1.) immer weniger junge Menschen und 2.) immer mehr ältere Menschen zur Verfügung stehen. Das impliziert, dass sich der Bedarf an jungen Nachwuchskräften noch mehr als bisher verschärfen wird (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2007, S. 4; Langhoff 2009, S. 262) und das Potenzial älterer Arbeitnehmer besser ausgeschöpft werden muss (vgl. Deller & Kolb 2010, S. 422; König, Holzer & Kaiser 2010, S. 114; Becker 2009, S. 335). Die Herausforderungen, die diese Entwicklungen langfristig für die Unternehmen darstellen können, greift das nun folgende Kapitel auf.
1.2 Mögliche Konsequenzen des demografischen Wandels für die Unternehmen
Die Prognosen des Statistischen Bundesamtes zeigen auf, dass erste einschneidende Veränderungen in der Struktur der Erwerbsbevölkerung dem Arbeitsmarkt in fünf bis zwölf Jahren bevorstehen. Die Unternehmen sollten sich demnach gegenwärtig mit der Frage auseinandersetzen, wie es ihnen gelingen kann, künftig ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unter den Bedingungen eines abnehmenden Angebots von Nachwuchskräften sowie alternden Arbeitnehmern bzw. einer alternden Erwerbsbevölkerung bei einem gleichzeitigen Anstieg der Qualifikations- und Arbeitsanforderungen zu sichern (vgl. Frerichs 2007, S. 68; Deller & Kolb 2010, S. 422; Grumbach & Ruf 2007, S. 45). Wenn in den Jahren um 2020 die Babyboomer-Generation allmählich in den Ruhestand übergeht, werden die Unternehmen in vielen Branchen und Regionen ohne rechtzeitiges Eingreifen einen großen Teil ihres gut qualifizierten Personals verlieren. Kann der damit einhergehende Verlust an Wissen nicht im Unternehmen oder durch Nachwuchskräfte kompensiert werden, drohen den Unternehmen Ernst zu nehmende Einbußen in ihrer Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.
Schon allein die Fakten legen es nahe, dass hier ältere Arbeitnehmer (50- bis 65-Jährige) in den Fokus rücken sollten. Aktuell sind sie in einer Vielzahl von Unternehmen unterrepräsentiert, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung dieser Personengruppe wird jedoch politisch forciert[3] (vgl. Institut für Mittelstandsforschung 2010, S. 55). Die Frühausgliederung älterer Arbeitnehmer lässt sich aufgrund der Verknappung des Arbeitskräfteangebots sowie der Finanzierung des Rentensystems nicht länger fortsetzen (vgl. Künemund 2007, S. 15). Demzufolge wird es immer wichtiger, das Potenzial der Älteren zu entwickeln, um Kompetenz- und Leistungsverluste vorzubeugen (vgl. König et al. 2010, S. 114). Die Unternehmen sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, welchen Beitrag sie dazu leisten können, dass ihre Arbeitnehmer bis zum Übergang in den Ruhestand beschäftigungsfähig [4] bleiben. Dabei sind sowohl der Erhalt von Qualifikationen als auch der Leistungsfähigkeit zentral.
[...]
[1] Die Formen Arbeitnehmer etc. werden hier im generischen Sinne, d. h. für beide biologischen Geschlechter verwendet.
[2] Als dritter Faktor kann der Wanderungssaldo, die Differenz aus Zu- und Fortzügen, identifiziert werden (vgl. Sporket 2009, S. 31 ff.), der in dieser Arbeit aber nicht weiter berücksichtigt werden soll.
[3] Hier sind beispielhaft die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, das Bundesprogramm „Perspektive 50plus – Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen“ oder Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ (INQA) zu nennen.
[4] An dieser Stelle scheint eine kurze Klärung des Begriffs der Beschäftigungsfähigkeit sinnvoll. Die Beschäftigungsfähigkeit „beschreibt ein Verhältnis aus individuell verorteten Dispositionen, Qualifikationen und Kompetenzen auf der einen und darauf bezogenen Rahmenbedingungen auf der anderen Seite“ (Grumbach & Ruf 2007, S. 56). Beschäftigungsfähigkeit wird daher in gemeinsamer Verantwortung und Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer erreicht.