Gyburc ist neben ihrem Gatten Willehalm der zentrale Charakter in der gleichnamigen mittelalterlichen Versdichtung Willehalm Wolframs von Eschenbach.
In seinem Werk, das vermutlich im 13. Jahrhundert am Hofe des Thüringer Landgrafen Hermann I. entstanden ist und auf das altfranzösische Heldenepos Chanson d’Aliscans zurückgreift, geht es um den christliche Protagonisten Willehalm, der während eines Kampfes in Gefangenschaft des heidnischen Kö-nigs Tybalt gerät und nach Arabi gebracht wird. In Arabi lernt Willehalm Tybalts Frau Arabel kennen und lieben. Arabel flieht zusammen mit Willehalm und lässt sich zum christlichen Glauben bekehren. Im Zuge ihrer Taufe nimmt sie den Namen Gyburc an. Die Tatsache, dass Willehalm Tybalts Land in der Provence besetzt und dort seine Grafschaft Oransche gründet, löst einen Krieg mit dem großen Heidenheer unter der Führung Tybalts und dessen Schwiegervater Terramer aus. Aus der Minnefehde um Gyburc entwickelt sich im Laufe des Geschehens ein mächtiger Glaubenskrieg.
Gyburc ist der Auslöser eines Krieges zwischen Heiden und Christen, aber welche Rolle hat sie als Frau innerhalb des Geschehens, vor allem im Vergleich zu ihrem Gatten Willehalm? Diese Frage ist, unter Einbeziehung des Vergleichs des Frauenbildes im Mittelalter mit der weiblichen Geschlechtskonstruktion, die Wolfram von Eschenbach in seinem Willehalm anhand der Hauptfigur Gyburc entwickelt, Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem Frauenbild im Mittelalter. Dazu erfolgt ein Einblick in die sozialgeschichtliche Rolle der Frau in der christlichen Gesellschaft des Mittelalters sowie die grobe Erforschung der Darstellung der Frau innerhalb der höfischen Dichtung.
Der zweite Teil dieser Hausarbeit beinhaltet die Untersuchung der Darstellung von Gyburc hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Rolle als Frau sowie die Herausstellung eventueller Abweichungen bezüglich des Frauenbildes in der mittelalterlichen Realität und innerhalb der höfischen Dichtung dieser Zeit.
Am Ende der Arbeit werden alle gewonnenen Ergebnisse kurz zusammengefasst.
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
1 Das Frauenbild im Mittelalter
1.1 Christliche Gesellschaft
1.2 Höfische Dichtung
2 Gyburc: Weibliche Fürsorge versus männliche Kampfbereitschaft
2.1 Dominanz weiblicher Tugenden und Verhaltensweisen
2.1.1 Gyburc als treue und liebende Ehefrau
2.1.2 Gyburc als höfische Dame
2.2 Dominanz männlicher Tugenden und Verhaltensweisen
2.2.1 Gyburcs kämpferisches und strategisches Verhalten
2.2.2 Gyburcs Eingreifen in Religionsfragen
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Gyburc ist neben ihrem Gatten Willehalm der zentrale Charakter in der gleichnamigen mittelalterlichen Versdichtung Willehalm Wolframs von Eschenbach.
In seinem Werk, das vermutlich im 13. Jahrhundert am Hofe des Thüringer Landgrafen Hermann I. entstanden ist und auf das altfranzösische Heldenepos Chanson d ’ Aliscans zurückgreift,1 geht es um den christliche Protagonisten Willehalm, der während eines Kampfes in Gefangenschaft des heidnischen Kö- nigs Tybalt gerät und nach Arabi gebracht wird. In Arabi lernt Willehalm Tybalts Frau Arabel kennen und lieben. Arabel flieht zusammen mit Willehalm und lässt sich zum christlichen Glauben bekehren. Im Zuge ihrer Taufe nimmt sie den Namen Gyburc an. Die Tatsache, dass Willehalm Tybalts Land in der Provence besetzt und dort seine Grafschaft Oransche gründet, löst einen Krieg mit dem großen Heiden- heer unter der Führung Tybalts und dessen Schwiegervater Terramer aus. Aus der Minnefehde um Gyburc entwickelt sich im Laufe des Geschehens ein mächtiger Glaubenskrieg.
Gyburc ist der Auslöser eines Krieges zwischen Heiden und Christen, aber welche Rolle hat sie als Frau innerhalb des Geschehens, vor allem im Vergleich zu ihrem Gatten Willehalm? Diese Frage ist, unter Einbeziehung des Vergleichs des Frauenbildes im Mittelalter mit der weiblichen Geschlechtskonstruktion, die Wolfram von Eschenbach in seinem Willehalm anhand der Hauptfigur Gyburc entwickelt, Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem Frauenbild im Mittelalter. Dazu erfolgt ein Einblick in die sozialgeschichtliche Rolle der Frau in der christlichen Gesellschaft des Mittelalters sowie die grobe Erforschung der Darstellung der Frau innerhalb der höfischen Dichtung.
Der zweite Teil dieser Hausarbeit beinhaltet die Untersuchung der Darstellung von Gyburc hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Rolle als Frau sowie die Herausstellung eventueller Abweichungen bezüglich des Frauenbildes in der mittelalterlichen Realität und innerhalb der höfischen Dichtung dieser Zeit.
Am Ende der Arbeit werden alle gewonnenen Ergebnisse kurz zusammengefasst.
1 Das Frauenbild im Mittelalter
1.1 Christliche Gesellschaft
Grundlage für die Theologie des Mittelalters ist die Bibel, die allerdings kein stimmiges Frauenbild auf- zeigt: Im ersten Schöpfungsbericht schafft Gott den Menschen nach seinem Abbild als Mann und Frau: „ Und Gott schuf den Menschen ihm zu Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn: und er schuf sie ein Mä nn- lein und Frä ulein. “2 Im zweiten Schöpfungsbericht schnitzt Gott die Frau aus der Rippe des Mannes.3
In der Fassung des Buches Exodus gilt die Frau als Eigentum des Mannes. Unter 20,17 heißt es: „ Du sollst nicht begehren deines Nä chsten Haus! Du sollst nicht begehren die Frau deines Nä chsten noch sei nen Knecht, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel noch irgend etwas, was deinem Nä chsten gehö rt! “ 4 Widersprüchlichkeiten bezüglich des Frauenbildes sind auch im Neuen Testament zu finden: Jesus selbst bevorzugt weder Frau noch Mann, gleichzeitig aber setzt er sich für eine Ehebrecherin ein und verstößt somit gegen geltendes jüdisches Recht.5
Eine offensichtliche Abwertung der Frauen erfolgt, abgesehen von der Berufung auf den Sündenfall Evas, durch Paulus von Tarsus. Dieser Apostel ist der Auffassung, Frauen haben sich Männern unterzu- ordnen: „ Aber, wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Mä nnern in allen Dingen.“6 Einige seiner vierzehn Briefe des Neuen Testaments unterstellen Frauen moralische Minderheit und fehlende Intelligenz.
Aufgrund des Frauenbildes, das durch die Kirche verbreitet wird, erfolgt nun durch berühmte Theolo- gen wie Augustinus und Thomas von Aquin auch die Herabsetzung von Frauen innerhalb der Gesell- schaft.
Augustinus beispielsweise verbindet den Sündenfall mit dem Geschlechtstrieb und macht Frauen für die schlechte und vor allem geschlechtliche Welt verantwortlich. Da weibliche Triebhaftigkeit Männer ins Verderben stürzen kann, bedarf die Sexualität der Frau einer Reglementierung. Innerhalb der Ehe wird die Sexualität der Frau darauf reduziert, Kinder zu gebären.7
Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin, der sich auf Aristoteles’ De Generatione Animalium bezieht, verweist Frauen in den häuslichen Bereich: „ Der wesentliche Wert der Frau liegt in ihrer Gebä rfä higkeit und in ihrem hauswirtschaftlichen Nutzen. “8 und betont, dass Frauen verfehlte oder unvollkommene Männer darstellen: „ Das Weib verhä lt sich zum Mann wie das Unvollkommene und Defekte (imperfectum, deficiens) zum Vollkommenen (perfectum).“9 Laut Thomas von Aquin unterscheiden sich Frauen von Männern vor allem aufgrund ihrer geistigen und moralischen Defizite: „ Denn im Manneüberwiegt von Natur aus die Unterscheidungskraft des Verstandes.“10, „ Die Frau ist von Natur aus mit weniger Tugend und Würde ausgestattet als der Mann.“11
Frauen werden zudem zusätzliche negative Eigenschaften wie Labilität, Streitsucht und Herrschsucht zugeschrieben.
Die theologische Auffassung des Mittelalters bezüglich des Frauenbildes wirkt sich auch auf die recht- liche und wirtschaftliche Stellung der Frau im Mittelalter aus. In Folge des Decretum Gratiani, dem Liber Extra und der Kodifizierung durch Papst Gregor IX. sind kirchliche Ämter für Frauen unzugänglich. Mit Ausnahme des Klostereintritts, der, durch die mit dem Kloster verbundene Frömmigkeit, die soziale Stel- lung von Frauen aufwertet, gleichzeitig aber auch ein Leben abseits von Mutterschaft, Ehe und Unterdrü- ckung ermöglicht,12 sind Frauen bezüglich der gesellschaftlichen Position Männern in jeglicher Hinsicht unterworfen. Männer erteilen Befehle, denen sich Frauen zu beugen haben. Sie fordern von Frauen Ge- horsam ein und geben Lebensregeln vor. Zudem besitzen Männer gegenüber Frauen ein absolutes Straf- und Züchtigungsrecht, das bei Ehebruch, der als Verrat am Mann gilt, sogar eine Tötung der Frau er- laubt.13 Die mittelalterliche Praxis sieht zudem vor, dass Frauen bereits in einem jungen Alter verheiratet werden und ihnen somit eine freie Partnerwahl verwehrt wird.
Ausnahmen im Hinblick auf die unterdrückte gesellschaftliche Stellung von Frauen bilden die Beteili- gung von Frauen am Lehnswesen, der Erwerb des Bürgerrechts als Voraussetzung zur Gründung eines Gewerbes sowie die Errichtung von Frauenzünften, so genannten Gynä zeen, im 11. Jahrhundert, die Frauen zumindest eine gewisse wirtschaftliche und finanzielle Eigenständigkeit ermöglichen.14
In Adelskreisen dagegen gibt es immer wieder Frauen, die dieser allgemeinen Minderberechtigung des weiblichen Geschlechtes nicht entsprechen. Vor allem im Bereich der Politik und Herrschaft sind Frauen keine reine Fiktion höfischer Romane, sondern realer Bestandteil der mittelalterlichen Politik auf Landes- ebene. Eleonore von Aquitanien beispielsweiseübte einen bedeutenden Einfluss auf die englische Thron- folge aus.15
Insgesamt kann die mittelalterliche Gesellschaft als misogyn bezeichnet werden. Die Frauenfeindlichkeit ist allerdings keinesfalls schriftlich in der Bibel festgehalten, sondern stellt eher das Resultat der Auslegung dieses Schriftstückes dar.
1.2 Hö fische Dichtung
Das Frauenbild der höfischen Dichtung im Mittelalter steht im Gegensatz zur christlichen Degradierung der Frau. Auch Kellermann-Haaf verweist auf eine Divergenz zwischen historischen und literarischen Quellen bezüglich des Frauenbildes im Mittelalter. Dabei gehe es allerdings weniger um inhaltliche Differenzen, sondern vielmehr um die Form der Präsentation von Frauen.16
In Adelskreisen erfahren Frauen im 12. Jahrhundert eine Aufwertung, da sie von nun an vor allem Gegenstand der Minnelyrik sind. Innerhalb der höfischen Dichtung werden Frauen Schönheit und Vollkommenheit zugesprochen und zudem deren sonstige Vorzüge betont.
Weiterhin werden Frauen auch spezifische Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen zugewiesen. Thomasîn von Zerclaere beispielsweise spricht ihnen innerhalb seiner Dichtung Attribute wie Verstand, Treue und Demut zu.17 Insgesamt entspricht die Darstellung der Frauen einem „ überzogenen Idealbild.“18 Dieser Umstand der Idealisierung entspricht aber keinesfalls der Realität und hat zudem auch keine soziale oder rechtliche Gleichstellung der höfischen Frau zur Folge.
Die höfische Dichtung beschreibt allerdings nicht nur Idealfrauen, sondern thematisiert zugleich deren Unerreichbarkeit: Oftmals geht es um die Liebe eines Ritters zu einer verheirateten Frau aus Adelskreisen, welche niemals zu einer Beziehung führt.
Trotz der Hochschätzung der Frauen und des allgemein positiven Frauenbildes in der höfischen Dichtung existiert eine gewisse versteckte Frauenfeindlichkeit. Frauen werden, indem die höfische Dame den Lohn für die Taten eines Ritters darstellt, teilweise als fremdbestimmte Objekte verstanden. Ihre Rolle ist zudem immer an einen Mann gebunden. Frauen vervollständigen als Ehefrau, Schwester oder Geliebte die Persönlichkeit des Mannes.19
[...]
1 Vgl. JOACHIM BUMKE, Wolfram von Eschenbach, S.791f.
2 Zitiert nach 1. Buch Mose 1,27.
3 Vgl. ebd. 2,7-8 und 2,15-22.
4 Zitiert nach 2. Buch Mose 20,17.
5 Vgl. Johannes 8,1-11.
6 Zitiert nach Der Brief des Paulus an die Epheser, Kapitel 5, Zeile 24.
7 Vgl. VEREIN FRAUENWISSEN (IN GRÜNDUNG), Frauenleben im Mittelalter [online].
8 Zitiert nach Thomas von Aquin (Vgl. DIETER POTZEL, Was Katholiken und die katholische Kircheüber die Frauen sagen [online]).
9 Ebd.
10 Zitiert nach THOMAS VON AQUIN, Summa Theologica I q 92 a.
11 Ebd.
12 Vgl. MICHAEL MÜNCH, Das Frauenbild Willehalms, S.5.
13 Vgl. EDELTRAUD KLUETING, Fromme Frauen - unbequeme Frauen? Weibliches Religiosentum im Mittelalter, S.172.
14 Vgl. VEREIN FRAUENWISSEN (IN GRÜNDUNG), Frauenleben im Mittelalter [online].
15 Vgl. PETRA KELLERMANN-HAAF, Frau und Politik im Mittelalter. Untersuchungen zur politischen Rolle der Frau in höfischen Romanen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts, S.146f.
16 Ebd., S.339.
17 Vgl. MICHAEL MÜNCH, Das Frauenbild Willehalms, S.6.
18 Ebd.
19 Vgl. ELKE UKENA-BEST, Die Klugheit der Frauen in Wolframs von Eschenbach, S.13.