Das Demarkationsproblem und die Auswirkungen auf die Betriebswirtschaftslehre
Zusammenfassung
Es stellt sich damit die Frage, wann eine Theorie wissenschaftlich ist und wie man eine wissenschaftliche von einer unwissenschaftlichen Theorie unterscheiden kann. Dieses Problem wird in der Philosophie als Abgrenzungs- oder Demarkationsproblem behandelt. Dies ist auch für den Bereich der Betriebswirtschaftslehre (BWL) von Interesse, da hier eine Vielzahl von Theorien genutzt werden.
Diese Arbeit wird das Abgrenzungsproblem darstellen und verschiedene Lösungsansätze der letzten Jahre skizzieren. Die Lösungsansätze werden den jeweiligen Haupt-vertretern zugeordnet. Es wird im Weiteren untersucht, in wie fern das Abgrenzungsproblem Auswirkungen auf die BWL hat. Dazu wird die Betriebswirtschaftslehre im System der Wissenschaften verortet und das Abgrenzungsproblem auf die Betriebswirtschaftslehre angewandt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Demarkationsproblem
2.1. Definition
2.2. Wissenschaftlicher Forschungsprozess
3. Lösungsansätze
3.1. Karl R. Popper
3.2. Thomas S. Kuhn
3.3. Martin Gardner
3.4. Paul R. Thagard
3.5. Larry Laudan
3.6. Gerhard Schurz
4. Das Demarkationsproblem in der Betriebswirtschaftslehre
4.1. Die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft
4.2. Anwendung der Abgrenzungskriterien
4.3. Auswirkung des Abgrenzungsproblems
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Jeden Tag werden in Politik und Wirtschaft weitreichende Entscheidungen getroffen. Politische Gesetzte zur Ausgestaltung der Beziehungen von Unternehmen und ihren Aktionären oder die Frage der Ausgestaltung eines sind Beispiele für diese Art von Entscheidungen. Grundlage für diese Entscheidungen sind dabei häufig wissenschaftlichen Theorien. Hierbei gilt, dass die Qualität der Entscheidungen direkt mit der Qualität der Theorien zusammenhängt.[1]
Es stellt sich damit die Frage, wann eine Theorie wissenschaftlich ist und wie man eine wissenschaftliche von einer unwissenschaftlichen Theorie unterscheiden kann. Dieses Problem wird in der Philosophie als Abgrenzungs- oder Demarkationsproblem behandelt. Dies ist auch für den Bereich der Betriebswirtschaftslehre (BWL) von Interesse, da hier eine Vielzahl von Theorien genutzt werden.
Diese Arbeit wird das Abgrenzungsproblem darstellen und verschiedene Lösungsansätze der letzten Jahre skizzieren. Die Lösungsansätze werden den jeweiligen Hauptvertretern zugeordnet. Es wird im Weiteren untersucht, in wie fern das Abgrenzungsproblem Auswirkungen auf die BWL hat. Dazu wird die Betriebswirtschaftslehre im System der Wissenschaften verortet und das Abgrenzungsproblem auf die Betriebswirtschaftslehre angewandt.
2. Das Demarkationsproblem
2.1. Definition
Der Begriff des Abgrenzungsproblems findet sich bei Popper in seinem Werk „Logik der Forschung“. Es gelte, so Popper, „[…] ein Kriterium zu finden, durch das wir die empirischen Wissenschaften gegenüber Mathematik und Logik, aber auch gegenüber ‚metaphysischen’ Systemen abgrenzen können […]“[2].
Es geht, so Schurz, allgemeiner um die „Abgrenzung der Wissenschaften von nichtwissenschaftlichen Disziplinen bzw. geistigen Betätigungsfeldern.“[3]
Der Begriff „Wissenschaft“ ist nach Meyers Großem Taschenlexikon definiert als „das System des durch Forschung, Lehre und überlieferte Lit. gebildeten, geordneten und begründeten, für gesichert erachteten Wissens einer Zeit“[4]. Diese Definition zeigt, dass das was unter Wissenschaft verstanden wird, sich im Lauf der Zeit wandeln kann und Kriterien, wie z.B. begründet oder geordnet, entsprechen muss.
Das Abgrenzungsproblem beschreibt damit die Frage, wann eine Aussage wissenschaftlich ist und mit welchen Kriterien dies bestimmt bzw. von Nichtwissenschaft abgegrenzt werden kann.
Diese Fragestellung an sich wurde nicht erstmalig durch Popper aufgebracht. Popper schreibt, dass bereits die Philosophen David Hume und Emanuel Kant sich mit dieser Frage beschäftigt. David Hume betrachtete die Frage unter dem Gesichtspunkt des Induktionsproblems. Emanuel Kant hatte das Problem der Kriterienfindung „[…] in den Mittelpunkt der erkenntnistheoretischen Problematik gestellt.“[5]
Bereits Aristoteles beschäftigte sich mit der Frage, wie echtes Wissen gewonnen werden kann. Bei Aristoteles sei dies, so Schurz, bspw. nur möglich auf „einem Fundament von sicheren und notwendigen Prinzipien, welche nicht durch unsichere Erfahrung, sondern durch rationale Intuition gewonnen werden.“[6]
Die Fragestellung was als wissenschaftlich, als „echtes Wissen“[7], betrachtet werden kann, ist somit seit langem Gegenstand philosophischer Diskussionen.
2.2. Wissenschaftlicher Forschungsprozess
Ulrich/Hill unterscheiden im realwissenschaftlichen Forschungsprozess drei Aspekte: den Entdeckungs-, der Begründungs- und der Verwendungszusammenhang. Der Entdeckungszusammenhang beschäftigt sich mit der Frage, wie Forscher zu fruchtbaren theoretischen Ideen kommen. Hier gilt, so die Autoren, vor allem ein vorwissenschaftliches Zweckmäßigkeitskriterium.[8]
Im Begründungszusammenhang ist die Frage zu lösen, wie einzelne Aussagen und Beobachtungen auf den theoretischen Gehalt überprüft und verallgemeinert werden können. Hier ist das Wahrheitskriterium von besonderer Bedeutung.[9]
Der letzte Aspekt ist der Verwendungszusammenhang, in dem nach der Anwendung der gefundenen Aussagen gefragt wird. Er stellt den Bereich der Wissenschaftspolitik dar, der sich mit der gesellschaftlichen Relevanz wissenschaftlicher Aussagen beschäftigt.[10]
Für den Begründungszusammenhang gilt, so Schurz, dass nur wissenschaftsinterne Werte gelten dürfen und dieser von „fundamentalen wissenschaftsexternen Wertannahmen“[11] frei sein soll. Die Wertneutralitätsthese der Wissenschaft bezieht sich damit bei Schurz explizit auf den Begründungszusammenhang. Sowohl im Entdeckungs- als auch Verwendungszusammenhang sind wissenschaftsexterne Wertannahmen möglich und notwendig.[12]
Im Rahmen des Forschungsprozesses gehört das Abgrenzungsproblem in den Bereich des Begründungszusammenhangs, da es um die grundsätzliche Frage wann Wissen, hier in Form von Wissenschaft, wahr ist.
3. Lösungsansätze
3.1. Karl R. Popper
Mit seinem Buch „Die Logik der Forschung“ schrieb Karl Popper das Hauptwerk zum kritischen Rationalismus. Mit dem kritischen Rationalismus entwirf er eine Theorie, die von einer grundlegenden Asymmetrie der Logik zwischen Verifikation und Falsifikation bei strikten Allsätzen ausgeht. Ein Allsatz als Gesetzeshypothese, wie „alle Metalle leiten Strom“, kann, so Popper, niemals verifiziert, sehr wohl aber von einem einzigen Gegenbeweis widerlegt werden. Wenn Theorien mehrere Falsifikationsversuche überstanden haben, können sie daher nicht als bewiesen gelten, sondern nur als bewährt. Umgekehrt reicht ein erfolgreicher Falsifikationsversuch aus, eine Theorie zu widerlegen.[13]
Er trat damit in Gegensatz zur induktiven Sichtweise, bei der aus Einzelbeobachtungen eine allgemeingültige Theorie entwickelt wird. Diesen Ansatz kritisierte Popper grundlegend: „Ein solcher Schluss [von besonderen Sätzen auf allgemeine Hypothesen, Anmerkung des Autors] kann sich ja immer als falsch erweisen: Bekanntlich berechtigen uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz, dass alle Schwäne weiß sind.“[14]
Popper entwickelt daraus auch die Konzeption des empirischen Gehalts einer Theorie. Meyer schreibt dazu: „Eine Theorie informiert über die Wirklichkeit um so mehr, je mehr logisch mögliche Sachlagen sie verbietet.“[15] Daraus ergibt sich die Forderung die riskanten und leicht prüfbaren Theorien den trivialen Theorien vorzuziehen.[16]
Als Konsequenz kann damit niemals die Aussage gemacht werden, dass eine Theorie bewiesen ist. Dies macht jedoch keine Aussage darüber, ob eine Theorie an sich wahr ist.[17]
Popper definiert als Abgrenzungskriterium die Falsifizierbarkeit einer Theorie. Er schreibt dazu: „Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können.“[18]
Nicht-Wissenschaft macht demnach Aussagen, die sich prinzipiell nicht an der Realität reiben können. Popper spricht dies am Beispiel des Marxismus an, dessen theoretische Aussagen, so Popper, nicht wissenschaftlich sind, da Marxisten bspw. in einer Zeitung in jedem Artikel einen „Beweis“ für die Theorie sehen, aber auch alles was nicht geschrieben wurde. Was auch immer geschieht, es bestätigt die Theorie.[19]
3.2. Thomas S. Kuhn
Eine andere Sichtweise auf die Geschichte und das Wirken von Wissenschaft hat Thomas S. Kuhn. In seinem Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ beschreibt er ein Wissenschaftsmodell auf Basis von Paradigmen. Schurz schreibt dazu: „Das von Kuhn entwickelte alternative Wissenschaftsmodell ist eher historisch-soziologisch als logisch-kognitiv angelegt.“[20]
Wissenschaft ist nach Kuhn ein Prozess, der sich in zwei Phasen gliedern lässt. Zum einen die Phase der Normalwissenschaft und zum anderen die Phase der Revolution. Die Normalwissenschaft findet immer innerhalb eines Paradigmas statt. Wissenschaftler bilden dabei die Wissenschaftsgemeinschaft, die die paradigmatischen Grundannahmen, Prinzipien und Modellvorstellungen anwenden. Sie verwenden die gleichen Musterbeispiele und machen die gleichen methodologisch-normativen Annahmen. Schurz schreibt, da es nach kein Kuhn nur eine theoriegeladene Beobachtung gibt, finden Wahrnehmungen immer mit einem paradigmatischen Blick statt. Kommt es nun zu Anomalien, werden diese in der Phase der Normalwissenschaft zu lösen versucht. Erst wenn sich neue Weltsichten herausbilden, die die aufgetretenen Anomalien besser erklären können und das alte Paradigma immer größere Probleme zur Lösung diese Anomalien bekommt, tritt die Wissenschaft in die revolutionäre Phase ein. Dabei wird ein neues Paradigma dem alten gegenübergestellt.[21] Hoyningen-Huene schreibt dazu: „Ihr [der Paradigmen, Anm. des Autors] zentrales Charakteristikum ist, daß das neue Wissen mit dem alten nicht verträglich ist.“[22] Dies wird auch in der Philosophie Inkommensurabilitätsthese genannt.[23]
Wissenschaftliche Arbeit in den Normalphasen bedeutet nach Kuhn „Rätsellösen“[24]. Dabei können nur Probleme innerhalb des paradigmatischen Rahmens zu lösen versucht werden. Treten die beschriebenen Anomalien auf, wird versucht ihnen mit ad-hoc Lösungen zu begegnen.
Die Frage wie nun nach dieser Definition Wissenschaft von Pseudo-Wissenschaft unterschieden werden kann beantwortet Kuhn auch aus der Perspektive des Rätsellösens heraus – nur aus der Sicht der Normalwissenschaft. Kuhn definiert die Kriterien für Pseudo-Wissenschaften an der Unterscheidung von Astronomie und Astrologie. Die Astrologie ist nicht deshalb keine Wissenschaft, weil sie Vorhersagen macht, die häufig nicht eintreten. Dies wird begründet mit der Komplexität der Materie und der Anfälligkeit für kleinste Abweichungen. Dies trifft in dieser Hinsicht, so Kuhn, in Teilen auch auf die Medizin zu.[25]
[...]
[1] Vgl. Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 12.
[2] Popper, Logik, S. 9.
[3] Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 44.
[4] Vgl. Meyers großes Taschenlexikon, Stichwort Wissenschaft, S. 108.
[5] Popper, Logik, S. 9.
[6] Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 12.
[7] Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 12.
[8] Vgl. Ulrich/Hill, Grundlagen, S. 165f.
[9] Vgl. Ulrich/Hill, Grundlagen, S. 166f.
[10] Vgl. Ulrich/Hill, Grundlagen, S. 167ff.
[11] Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 45.
[12] Vgl. Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 45f.
[13] Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 15.
[14] Popper, Logik, S. 3.
[15] Meyer, Methodologie, S. 39.
[16] Vgl. Meyer, Methodologie, S. 39.
[17] Vgl. Kromrey, Wissenschaftstheorie, S. 59.
[18] Popper, Logik, S. 15.
[19] Vgl. Popper, Conjectures, S. 45.
[20] Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 16.
[21] Vgl. Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 16.
[22] Hoyningen-Huene, Kuhn, S. 318.
[23] Vgl. Schurz, Wissenschaftstheorie, S. 16.
[24] Kuhn, Struktur, S. 50.
[25] Vgl. Kuhn, Research, S. 8.