Aktivismus 2.0 – Politischer Protest im Internet.
Eine öffentlichkeitstheoretische Betrachtung.
Zusammenfassung
Ein weiterer zentraler Fokus der Arbeit liegt auf der Entstehung sogenannter virtueller Gegenöffentlichkeit, das heißt es soll aufgezeigt werden, inwieweit das Internet das Verbreiten beziehungsweise Aufgreifen oppositioneller Themen und Meinungen, die nicht in den klassischen Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitung vertreten sind, erlaubt. Darüber hinaus soll verdeutlicht werden, wie sich die Strukturen und Merkmale des Internets auf die Planung, Durchführung und Organisation von Protestaktionen auswirken. Daneben soll gleichzeitig beschrieben werden, welche Möglichkeiten das Internet politisch motivierten Aktivistinnen und Aktivisten bietet. Dazu soll näher auf das Phänomen des sogenannten Cyberaktivismus eingegangen werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Zu den Begriffen „Öffentlichkeit“ und „Gegenöffentlichkeit“
3. Das Internet als Raum politischer (Gegen-)Öffentlichkeit
3.1 Vom Informationsmedium zum „Sozialraum“
3.2 Konzepte zur internetgestützten Demokratie – zwei Ansätze im Vergleich
3.3 Politisch nutzbare Potenziale und Handlungsoptionen
4. Protest im Internet
4.1 Zum Phänomen des „Cyberaktivismus“
4.2 Politische Artikulation im Netz – exemplarische Fälle
4.2.1 Beispiel 1: Netstrikes
4.2.2 Beispiel 2: Hacktivismus
4.3 Neue Formen von Gegenöffentlichkeit – virtuelle Protestmedien
4.3.1 Alternative Medien
4.3.2 Taktische Medien
5. Fazit
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Das Internet ist ohne Zweifel das wohl schnellste sich entwickelnde technische Medium unserer Zeit. Kaum eine andere neue Technologie zuvor hat sich jemals so stark auf unseren Alltag ausgewirkt. Vieles ist durch das Internet leichter geworden, insbesondere bezogen auf die Faktoren Informationen und Kommunikation. Gleichzeitig gehen mit ihm wesentliche Veränderungen von Politik und Gesellschaft einher. (Vgl. z. B. Grunwald et al. 2006: 31-34; In der Smitten 2007: 67ff.)
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit sollen ebenjene Auswirkungen des Internets auf die Bereiche Politik und Gesellschaft stehen. Dabei gilt es zentrale Fragen zu beantworten, wie in etwa den Aspekt, inwieweit sich das Internet als Raum einer sogenannten politischen Öffentlichkeit anbietet. Gleichzeitig stellt sich damit die Frage, welche Visionen und Potenziale mit dem Internet in Bezug auf die Demokratie einhergehen. Denn haben technische Entwicklungen Auswirkungen auf die Kommunikation in der Gesellschaft, so sind sie immer auch von unmittelbarer Bedeutung für demokratische Prozesse (vgl. Grunwald et al. 2006: 56).
Nahezu ebenso alt wie das Internet selbst ist auch die damit einhergehende libertäre Protestkultur (vgl. Köhler 2007: 246). So hatten sich schon Protestbewegungen im Internet etabliert, noch ehe dieses von Militär, Wissenschaft und Wirtschaft für sich entdeckt wurde (vgl. ebd.). Dieser Umstand ist allerdings nicht neu. Wirft man einen Blick zurück in die Mediengeschichte, kann man feststellen, dass sich Ähnliches beispielsweise bereits bei der Etablierung des Zeitungswesens abgespielt hat (vgl. Schmidt 2012: 5). So war dieses ein wichtiges Mittel zur Erzeugung von Öffentlichkeit während der Französischen Revolution (vgl. ebd.).
Ein weiterer zentraler Fokus der Arbeit liegt daher auf der Entstehung sogenannter virtueller Gegenöffentlichkeit, das heißt es soll aufgezeigt werden, inwieweit das Internet das Verbreiten beziehungsweise Aufgreifen oppositioneller Themen und Meinungen, die nicht in den klassischen Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitung vertreten sind, erlaubt. Darüber hinaus soll verdeutlicht werden, wie sich die Strukturen und Merkmale des Internets auf die Planung, Durchführung und Organisation von Protestaktionen auswirken. Daneben soll gleichzeitig beschrieben werden, welche Möglichkeiten das Internet politisch motivierten Aktivistinnen und Aktivisten bietet. Dazu soll näher auf das Phänomen des sogenannten Cyberaktivismus eingegangen werden.
Um die aufgezählten Fragen zu beantworten erscheint es zunächst einmal wichtig, näher auf die Begriffe Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit einzugehen. In Kapitel 2 liegt das Augenmerk daher auf der Darstellung der unterschiedlichen Interpretations- und Verständnisweisen dieser Begriffe. Parallel dazu soll die Verschränkung von Politik und Gesellschaft betrachtet werden. Dafür wird unter anderem das Modell des politischen Systems nach Easton herangezogen. Daneben gilt es – insbesondere im Hinblick auf westliche Gesellschaften wie der unseren - die zentralen Merkmale einer Demokratie zu beschreiben.
Kapitel 3 wiederum befasst sich mit den Potenzialen, Chancen und Auswirkungen des Internets auf politische Vorgänge. Dafür wird zunächst ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Internets geworfen, ehe im Anschluss daran eine Diskussion über die möglichen damit einhergehenden demokratischen Prozesse erfolgt. Dazu werden zwei aktuelle Ansätze einander gegenübergestellt - das Konzept der Digitalen Demokratie dem der sogenannten Cyberdemokratie. Schließlich erfolgt noch ein Überblick über die wichtigsten Dienste und Anwendungen des Internets sowie über die möglichen daraus resultierenden politischen Handlungsoptionen.
Ab Kapitel 4 wird es darum gehen, näher auf das Szenario des Internetprotests einzugehen, zusammengefasst unter dem Begriff des sogenannten Cyberaktivismus. Ein wichtiger Aspekt dabei ist es zu verdeutlichen, wie sich Protestaktionen unter Einsatz des Internets verändern. Anhand mehrerer Fallbeispiele soll zudem dargestellt werden, wie politisch motivierte Aktivistinnen und Aktivisten das Internet konkret nutzen, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Gegen Ende des Kapitels wird es abermals um den Begriff der sogenannten Gegenöffentlichkeit gehen. So kann das Internet nicht nur ein politisches Ausdrucksmittel sein, sondern auch für das Produzieren virtueller Protestmedien genutzt werden. Welche Formen sich dabei herausgebildet haben und welch wichtige Bedeutung diese für die Gesellschaft haben, gilt es abschließend zu klären.
Das am Ende der Arbeit stehende Fazit sammelt alle Ergebnisse in Bezug auf die eingangs gestellten Fragen. Darüber hinaus soll der Aspekt des Cyberaktivismus kritisch betrachtet und über dessen mögliche Auswirkungen auf die Offline-Welt diskutiert werden. Zu guter Letzt soll nochmals ein Blick auf die möglichen politischen Handlungsoptionen des Internets geworfen und dessen tatsächliches Potenzial für die Demokratie bewertet werden.
2. Zu den Begriffen „Öffentlichkeit“ und „Gegenöffentlichkeit“
Um den Begriff Öffentlichkeit in einem für die angestrebte Bearbeitung der Thematik hinreichenden Ausmaß zu erläutern, ist es wichtig, diesen von unterschiedlichen Perspektiven her zu beleuchten. Plake, Jansen und Schuhmacher (2001: 17ff.) beispielsweise unterscheiden drei verschiedene Objektbereiche, auf welche sich der Begriff beziehen kann. So bezeichnet er zum einen „ein Geschehen […], das für alle Angehörigen einer Gesellschaft oder einer Gruppe tatsächlich oder vermeintlich von Bedeutung ist und deswegen eine unbestimmte Menge von Personen interessiert oder interessieren sollte“ (ebd.: 18). Mit dem Wort öffentlich werden demnach Ereignisse beschrieben, die das Potenzial besitzen, Aufmerksamkeit zu erregen (vgl. ebd.). Zum anderen kann der Öffentlichkeitsbegriff den Ort meinen, an dem eben jenes Geschehen stattfindet (vgl. ebd.: 19f.). Öffentlich bedeutet in diesem Fall so viel wie für jedeN zugänglich und bezieht sich auf Räume, welche offen sind für Einflüsse von außen. Beispiele hierfür sind soziale Einrichtungen oder aber auch politische Institutionen. Des Weiteren steht der Begriff in unmittelbarem Zusammenhang mit Kommunikation. So kann öffentlich auch heißen, dass es keinerlei Beschränkung hinsichtlich eines bestimmten Adressatenkreises gibt. In Bezug auf die Massenkommunikation unserer Zeit ist Öffentlichkeit demnach gegeben, da die medialen Inhalte prinzipiell allen Personen zugänglich sind. Von den Medien Aufgegriffenes gilt als veröffentlicht. (Vgl. ebd.)
Gerhards und Neidhardt (1991: 40) gehen in ihrer Begriffsbeschreibung über die Aussagen von Plake, Jansen und Schuhmacher hinaus, indem sie Öffentlichkeit als Ort kollektiven Diskurses betrachten, in welchem Diskussionen angestoßen und Probleme gelöst werden, gleichzeitig aber auch um die Übernahme von Verantwortung gestritten wird. Gerade für das politische System ist Öffentlichkeit von besonderer Bedeutung, denn sie ist der Raum,
„in dem sich Parteien und Interessengruppen präsentieren, für sich werben und den Bürger [bzw. die Bürgerin, d. Verf.] von sich überzeugen müssen. Umgekehrt brauchen sie zur wahlwirksamen Ausrichtung ihrer Entscheidungen und Programme Informationen über Themen und Meinungen, die sich in der Öffentlichkeit konstituieren und als öffentliche Meinung ihren Ausdruck finden.“ (Ebd.: 39)
Laut Grunwald et al. (2006: 69f.) ist die Herausbildung einer sogenannten politischen Öffentlichkeit, die dem Austausch zwischen Regierenden und Regierten dient, von höchster gesellschaftlicher Relevanz. Der Austausch zwischen dem politischen System (= Regierenden) und seiner Umwelt (= Regierten) besteht nach Easton (1965: 32) aus einer Reihe von Inputs und Outputs, welche eine Art Kreislauf ergeben. Wie in weiter unten stehender Abbildung verdeutlicht, zählen zu den Inputs sowohl Forderungen (Demands) an die Politik als auch unterstützende Handlungen (Support) von Seiten der BürgerInnen. Als Outputs wiederum werden die letztendlich getroffenen Entscheidungen (Decisions) und Handlungen (Actions) von Seiten der Regierung bezeichnet. Diese wiederum können über eine Feedbackschleife zu neuen oder erneuten Forderungen der Bevölkerung führen beziehungsweise im Idealfall weitere unterstützende Maßnahmen für das politische System bewirken. (Vgl. ebd.)
Modell des politischen Systems nach Easton:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Easton 1965: 32
Laut In der Smitten (2007: 53f.) können sich aus den Forderungen an das politische System insofern Probleme ergeben, als dass dieses nicht auf alle Demands reagieren kann. Zum anderen können sich Forderungen auch inhaltlich widersprechen. Daher ist die Existenz sogenannter struktureller Elemente wie beispielsweise Parteien, Medien und Interessengruppen für das politische System unerlässlich, da diese die einzelnen Forderungen kanalisieren und – aus ihrer Sicht - unverwendbare Demands absorbieren. (Vgl. ebd.)
An der politischen Öffentlichkeit beteiligt sein können Menschen und Zusammenschlüsse von Menschen auf mehreren Ebenen. Zu unterschieden ist dabei zwischen der Mikro-, Meso-, Makro- und der Metaebene (vgl. ebd.: 46f.). Auf der Mikroebene der politischen Öffentlichkeit findet sich der einzelne Mensch mit seiner individuellen Meinung wieder (vgl. ebd.). Nach In der Smitten (2007: 46) generiert ein einzelner Mensch alleine zwar noch keine politische Öffentlichkeit, jedoch kann er im Hinblick auf diese handeln und auf sie einwirken. Die Mesoebene der politischen Öffentlichkeit wiederum bilden Vereinigungen einzelner BürgerInnen, wie zum Beispiel Initiativen, Vereine, Clubs oder Parteien (vgl. ebd.: 47). Der Staatsapparat hingegen, welcher auch „als res publica definiert und mit den öffentlichen Institutionen gleichgesetzt [wird, d. Verf.], die damit befasst sind, das Zusammenleben der Menschen in einem Gemeinwesen zu organisieren“ (ebd.) befindet sich auf der Makroebene (vgl. ebd.). Zudem agieren auf Metaebene internationale Organisationen, welche entweder von mehreren Staaten, wie beispielsweise der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen, aber auch von der Zivilgesellschaft, womit „nicht-staatliche und nicht-ökonomische Zusammenschlüsse und Assoziationen auf freiwilliger Basis“ (Habermas 1992: 443) gemeint sind, getragen werden (vgl. In der Smitten 2007: 47).
Der Idealtyp einer politischen Öffentlichkeit wäre laut Grunwald et al. (2006: 70f.) die sogenannte demokratiepolitische Öffentlichkeit.
„Wesentlich […] sind dabei die Forderungen nach Chancengleichheit in der Teilhabe (niemand darf ausgeschlossen werden), thematische Offenheit (kein Thema darf von vornherein ausgeschlossen werden), Ergebnisoffenheit (kein möglicher Lösungsweg darf von vornherein ausgeschlossen werden). Gefundene Lösungen sollen auf geteilten Überzeugungen beruhen, und Kritik der eigenen als auch anderer Meinungen soll jederzeit möglich sein.“ (Ebd.: 70, H. i. O.)
Aufgabe der demokratiepolitischen Öffentlichkeit ist es zum einen, für Orientierung zu sorgen (vgl. ebd.: 71). So ermöglicht sie das Herausbilden sogenannter öffentlicher Meinungen, welche wiederum als Handlungsorientierung für diejenigen dienen können, die verbindliche Beschlüsse zu treffen haben – wie beispielsweise die Akteurinnen und Akteure des politischen Systems. Diese Destination der demokratiepolitischen Öffentlichkeit wird auch als Orientierungsfunktion bezeichnet. (Vgl. ebd.) Darüber hinaus hat die demokratiepolitische Öffentlichkeit zwei weitere Bestimmungen (vgl. ebd.: 70). Zum einen soll sie eine „möglichst allgemeine und umfassende Wahrnehmung von den in einer Gesellschaft vertretenen Themen und Meinungen […] gewährleisten“ (ebd.), was als sogenannte Transparenzfunktion bezeichnet wird. Zum anderen soll das Vorhandensein anderer Meinungen und Themen dazu beitragen, die eigene Position zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren, beispielsweise wenn die Argumente anderer überzeugender sind. Dies wiederum wird als sogenannte Validierungsfunktion der demokratiepolitischen Öffentlichkeit beschrieben. (Vgl. ebd.)
Grundsätzlich beteiligen sich die BürgerInnen an der politischen Öffentlichkeit vor allem deshalb, weil die darin getroffenen Entscheidungen sie selbst betreffen (vgl. ebd.). Winter (2010: 95) merkt diesbezüglich an, dass insbesondere der fehlende Bezug zur Lebenswelt der BürgerInnen ein großes Hemmnis für die Partizipation an der politischen Öffentlichkeit darstellt. Das Engagement der einzelnen BürgerInnen hängt zudem von unterschiedlichen Interessenslagen ab (vgl. Grunwald et al. 2006: 69f). „Manche wollen sich nur informieren, andere wollen am eigenen Interesse orientierte Wissensbestände aufbauen und pflegen, wieder andere wollen andere informieren oder überzeugen.“ (Ebd.) Daher kann auch nicht nur von einer allgemeinen Öffentlichkeit die Rede sein (vgl. ebd.: 71). Vielmehr muss von unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten ausgegangen werden, welche sich parallel zu den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen herausbilden (vgl. ebd.).
Wie bereits erwähnt, werden Themen und Meinungen, welche sich in der Öffentlichkeit konstituieren, als sogenannte öffentliche Meinung bezeichnet (vgl. Gerhards/Neidhardt 1991: 39). Gegen Ende der 1960er gerieten in diesem Zusammenhang die Massenmedien zunehmend unter Kritik (vgl. Plake/Jansen/Schuhmacher 2001: 16f). Ihnen wurde vorgeworfen, für die Allgemeinheit wichtige und bedeutende Themen zu vernachlässigen und nur mehr „die offizielle und ‚offiziöse’ Informationsversorgung“ (ebd.: 17) im Sinne der Politik zu ermöglichen (vgl. ebd.). In Folge dessen bildeten sich in der Bevölkerung die sogenannten Neue Soziale Bewegungen heraus, welche es sich zur Aufgabe machten, „das traditionelle Verständnis von Politik in Frage zu stellen und neue Formen der Partizipation [zu, d. Verf.] erstreiten“ (ebd.: 16). Der Name Neue Soziale Bewegungen beruht dabei auf der Tatsache, dass sich diese von den Sozialen Bewegungen der Arbeiterschaft im 19. sowie im frühen 20. Jahrhundert deutlich abgrenzen (vgl. ebd.: 16f.). Oberstes Ziel der Neuen Sozialen Bewegungen ist es, die Bedürfnisse der Bevölkerung an den Staat heranzutragen und gleichzeitig mehr Transparenz in Bezug auf die politische Entscheidungsfindung zu erwirken. Indem sie die Herstellung von Öffentlichkeit unmittelbar mit in ihren Protest einbeziehen, sorgen die Akteurinnen und Akteure der Neuen Sozialen Bewegungen dafür, dass diese unmittelbar zum Thema wird. (Vgl. ebd.) Gleichzeitig dient die Demonstration von Öffentlichkeit auch „als Nachweis dafür […], dass politisch relevante Vorgänge durch die Allgemeinheit kontrolliert werden“ (ebd.: 23). Zudem haben die Akteurinnen und Akteure der Neuen Sozialen Bewegungen das Bestreben, mit ihren Aktionen in den Mittelpunkt medialer Berichterstattung zu geraten, und diese somit für Themen zu öffnen, welche „aufgrund von Macht- und Profitinteressen“ (ebd.: 25) darin ansonsten keine Beachtung finden (vgl. ebd.).
In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, näher auf das Konzept der sogenannten Gegenöffentlichkeit einzugehen. Darunter verstanden werden „Aktivitäten zur Verbreitung von Informationen und Meinungen, die […] die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf weitgehend unbeachtete, nichtsdestoweniger für die Allgemeinheit als bedeutsam angesehene Themen zu richten versuchen“ (ebd). „Soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen [NGOs, d. Verf.] oder zivilgesellschaftliche Basisaktivisten [und –aktivistinnen, d. Verf.] […] werden als Träger oder Institutionen von Gegenöffentlichkeit bezeichnet.“ (Kneip 2010: 138, Herv. d. Verf.] Laut Winter (2010: 98) gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, Gegenöffentlichkeit zu erzeugen: das Produzieren eigener Medien oder aber das Veranlassen traditioneller Medien zur Berichterstattung mittels Inszenierungen. Ersteren Fall bezeichnen Plake, Jansen und Schuhmacher (2001: 25) als sogenannte „alternative Öffentlichkeit“ (ebd.), den zweiten als sogenannte „Kampagnenöffentlichkeit“ (ebd.).
Im heutigen Zeitalter scheint sich insbesondere das Internet dafür anzubieten, politische (Gegen-)Öffentlichkeit zu konstituieren, indem es Bevölkerungsgruppen, die normalerweise nur einen kleinen bis gar keinen Bekanntheitsgrad haben, Raum gibt, sich zu äußern (vgl. Winter 2010: 98). Möglich gemacht hat dies vor allem die Weiterentwicklung des Internets innerhalb der letzten Jahre von einem rein technischen hin zum sozialen Medium. Dieser Prozess sowie die daraus resultierenden Potenziale für Politik und Demokratie sollen in den nachfolgenden Kapiteln aufgezeigt werden.
3. Das Internet als Raum politischer (Gegen-)Öffentlichkeit
3.1 Vom Informationsmedium zum „Sozialraum“
Das Wort Internet (Kurzform für Interconnected Networks) steht für einen „Verbund von Teilnetzen, in dem Daten in digitalisierter Form paketvermittelt zwischen Computern ausgetauscht werden“ (Grunwald et al. 2006: 32). Seit seiner Entwicklung Ende der 1950er hat das Internet – auch Netz genannt - innerhalb unserer Gesellschaft zunehmend mehr an Bedeutung gewonnen (vgl. In der Smitten 2007: 67f.). Während es in seiner Anfangszeit als sogenanntes ARPANET hauptsächlich als Verbindungsnetzwerk der einzelnen Rechenzentren der amerikanischen Armee diente, führte die Einführung des sogenannten Internet Protocols (IP) – eine standardisierte Übertragungstechnik – dazu, dass Geräte unterschiedlicher Fabrikate miteinander verbunden werden konnten. Dadurch wurde eine länderübergreifende Nutzung möglich, jedoch blieb das Internet aufgrund seiner komplizierten Technik und den damit verbundenen hohen Kosten zunächst ein Privileg der Wissenschaft. (Vgl. ebd.) Erst die Weiterentwicklung zum sogenannten World Wide Web (WWW) in den 1990ern machte das Internet für die normale Bevölkerung zugänglich (vgl. Grunwald et al.2006: 33). So wurde die Technik dahingehend verbessert als dass mit der Erfindung des sogenannten Webbrowsers die Navigation im Netz wesentlich erleichtert wurde. Über das Hypertext Transfer Protocol (http) waren die einzelnen Internetseiten - genannt Websites - fortan miteinander verlinkt, das heißt verbunden. Die Websites wiederum basierten nicht mehr nur auf reinem Text, sondern konnten nun auch grafische Elemente wie Fotos oder Animationen sowie Audio- und Video-Einbindungen enthalten. Zudem brachte das World Wide Web verschiedene Dienste und Anwendungen hervor, wie beispielsweise Chats oder Onlineforen, welche den Nutzerinnen und Nutzern – genannt UserInnen – wechselseitiges Kommunizieren und Interagieren ermöglichen (siehe dazu auch Kapitel 3.3). (Vgl. ebd.)
„Das Wort Interaktion ist abzuleiten vom lateinischen agere für handeln und der Präposition inter für zwischen und steht für Handeln, das sich zwischen zwei Handlenden [sic!] abspielt, die ihr Handeln aufeinander beziehen. Darum verlangt eine Interaktion minimal zwei Züge, nämlich eine Aktion und eine Reaktion.“ (In der Smitten 2007: 70, H. i. O.)
In den darauf folgenden Jahren weitete sich das Internet zunehmend aus (vgl. ebd.: 68). So waren im Jahr 2005 bereits über eine Milliarde Menschen (vgl. ebd.) online, das heißt „am Netz“ (ebd.: 67). Die Zahl der einzelnen Websites ist aufgrund ihres hohen Umfangs inzwischen nicht mehr feststellbar (vgl. ebd.: 68). Die jüngsten Entwicklungen im World Wide Web werden unter dem Begriff Web 2.0 zusammengefasst (vgl. ebd.: 68f). Hervorgebracht wurde dieser vom Publizisten Tim O’Reilly, welcher darunter im Wesentlichen zwei Trends versteht: erstens das Implementieren von Anwendungen, welche vormals ausschließlich als eigenständige Programme auf dem Computer liefen, in den Webbrowser (vgl. ebd.: 69). Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist die E-Mail, „zu übersetzen als elektronische Post “ (ebd.: 70, H. i. O.). Während früher der Erwerb beziehungsweise die Installation bestimmter Softwareprogramme auf dem Computer notwendig war, um E-Mails versenden und empfangen zu können, ist dies heute problemlos über das World Wide Web möglich (vgl. ebd.: 69). Inzwischen gibt es im Internet eine Vielzahl an Unternehmen, die Mailprogramme - zum Teil kostenlos - zur Verfügung stellen. Der zweite wesentliche Trend des Web 2.0 ist das Entstehen sogenannter Communitys. Darunter werden Websites verstanden, die es ihren Nutzerinnen und Nutzern erlauben, diese aktiv mitzugestalten. Die UserInnen erhalten somit die Gelegenheit, anderen Personen Materialien wie beispielsweise Bild-, Musik- oder Video-Dateien zur Verfügung zu stellen und sich gegebenenfalls an selber Stelle darüber auszutauschen. Entsprechende Möglichkeit bieten beispielsweise Plattformen wie das Videoportal YouTube (siehe auch http://www.youtube.com) oder aber die Fotocommunity Flickr (siehe auch http://www.flickr.com). (Vgl. ebd.) Laut Grunwald et al. (2006: 33) stellt das Internet in seiner heutigen Form ein sogenanntes Hybridmedium dar, da es die Funktionen herkömmlicher Massenmedien vereint, indem es mittlerweile sowohl Telefonieren, Fernsehen, Radiohören als auch Zeitungslesen erlaubt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich das Internet im Lauf der Jahre von einem reinen Informationsmedium hin zu einem „Kommunikations- und Sozialraum“ (ebd.: 31) entwickelt hat. Menschen treffen und verabredeten sich dort, um Informationen und Meinungen auszutauschen oder um darin Unterstützung zu finden (vgl. ebd.). Wie das Beispiel der Communitys zeigt, haben die NutzerInnen nicht mehr nur die Rolle des „passiven Rezipienten“ (ebd.: 34) inne, sondern werden vielmehr selbst zu Produzentinnen und Produzenten (vgl. ebd.). Dieser Prozess lässt sich laut Winter (2010: 43) auch als „Produsage“ bezeichnen. Das Internet hat also nicht mehr nur eine „technische“, sondern auch eine „soziale Seite“ (In der Smitten 2007: 67). Daher kann es in seiner heutigen Form auch als Social Web bezeichnet werden (vgl. ebd.). Winter (2010: 86f.) unterscheidet zwischen drei verschiedenen Arten von Sozialräumen, die sich im Internet herausgebildet haben: erstens sogenannte reale Gruppen, welche auch außerhalb des Internets bestehen, einen Teil ihrer Kommunikation aber ins Internet verlagert haben. Zweitens sogenannte virtuelle Gruppen, die ausschließlich im Internet agieren und drittens virtuelle Gruppen, die ihre Aktivitäten auf das reale Leben ausweiten (vgl. ebd.). In den unterschiedlichen Sozialräumen „wird debattiert, über konkurrierende Auffassungen gestritten, Unbehagen, Empörung und auch Kritik an gesellschaftlichen Missständen artikuliert“ (ebd.: 79). Das Internet wird somit zum Raum politischer Öffentlichkeit. In der Smitten (2007: 89f.) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer sogenannten E-gora, eine elektronische Agora, in der sich die Menschen - ähnlich wie einst auf dem athenischen Marktplatz – über aktuelle Ereignisse informieren und über politische Themen diskutieren können. Im Gegensatz zur Agora bringt diese jedoch den Vorteil mit sich,
„dass die Teilnehmer [und Teilnehmerinnen, d. Verf.] einer Versammlung nicht physisch anwesend sein müssen, so dass Mobilitätsprobleme und große Entfernungen kein Hindernis darstellen, wenn Menschen mit gemeinsamen Anliegen zueinander Kontakt aufnehmen und ggf. gemeinschaftliche Aktionen in die Wege leiten wollen“ (ebd.: 90).
Aufgrund dieser Tatsache erleichtert das Internet die Verbreitung oppositioneller Themen und Meinungen wesentlich, weshalb ihm ein hohes demokratisches Potenzial nachgesagt wird (vgl. ebd.). Ob beziehungsweise inwieweit mit der E-gora demokratische Prozesse einhergehen oder gefördert werden können, soll im nächsten Kapitel diskutiert werden.
3.2 Konzepte zur internetgestützten Demokratie – zwei Ansätze im Vergleich
„Demokratie lebt von gelingender Kommunikation. Kommunikationsbeziehungen zwischen politischen Funktionsträgern [bzw. –Trägerinnen, d. Verf.] und Bürgern [bzw. Bürgerinnen, d. Verf.], zwischen Bürgern [und Bürgerinnen, d. Verf.] untereinander oder zwischen Funktionsträgern [bzw. –Trägerinnen, d. Verf.] und der (organisierten) Öffentlichkeit gehören zu den kulturellen Grundlagen der Demokratie. Wenn technische Entwicklungen Auswirkungen auf gesellschaftliche Kommunikationskulturen haben, sind sie daher von unmittelbarer Bedeutung für die Demokratie. Das Internet ist ohne Zweifel eine der gegenwärtig wichtigsten technischen Entwicklungen mit dem Potenzial zur Veränderung der kulturellen Grundlagen demokratischer Politik.“ (Grunwald et al. 2006: 57)
Wie bei bisher jedem in der Gesellschaft neu auftauchenden Medium, so ist auch beim Internet die Euphorie groß, dass sich daraus neue Chancen für die Demokratie ergeben – insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sich vor allem unter den Bürgerinnen und Bürgern westlicher Länder, für die ein demokratisches System schon beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden ist, zunehmend Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit ausbreitet (vgl. ebd.: 58). So ist zwar das Interesse der BürgerInnen an politischen Entscheidungen – insbesondere an denen, die sie selbst betreffen – nach wie vor gegeben. Tiefergehenden politischen Themen, Parteien und einzelnen politischen Akteurinnen beziehungsweise Akteuren wird von Seiten der Bevölkerung jedoch immer weniger entgegengebracht. (Vgl. ebd.) Die Erwartungen an das Internet richten sich daher insbesondere auf eine „Revitalisierung der Demokratie“ (ebd.: 63). „Anvisiert werden eine neue Rolle des Staates sowie ein verstärktes bürgerschaftliches und politisches Engagement gut informierter Bürger [und Bürgerinnen, d. Verf.] unter intensiver Nutzung des Internets.“ (Ebd.) Zusammengefasst wird diese Vorstellung im Konzept der Digitalen Demokratie.
„[…] das Wort Demokratie ist etymologisch zurückzuführen auf das griechische Wort demos für Volk und kratein für herrschen und dient folglich als Bezeichnung für ein politisches Gemeinwesen, in dem die Bürger [und Bürgerinnen, d. Verf.] bei anstehenden Entscheidungen die Richtung angeben.“ (In der Smitten 2007: 85, H. i. O.)
Der Kerngedanke des Konzeptes ist es, im Internet sogenannte Deliberative Diskurse zu implizieren und damit „eine positive Veränderung der politischen Kultur [zu, d. Verf.] begünstigen“ (ebd.: 99). „Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, dass Art und Weise der Politikvermittlung Einfluss auf die politische Beteiligung haben […] [und, d. Verf.] dass neue Kommunikationstechniken auch neue Formen direkter politischer Beteiligung ermöglichen […].“ (Grunwald et al. 2006: 63) Mit deliberativen Diskursen gemeint sind „ argumentationsgeleitete Beratungen “ (ebd.: 73, H. i. O.), welche von dem beziehungsweise der einzelnen BürgerIn „Reflexion, wohldurchdachte Kommunikationsbeiträge und ein Eingehen auf oppositionelle Meinungen, um Konsensmöglichkeiten auszuloten“ (ebd.) verlangen. Die argumentationsgeleiteten Beratungen – auch „ Deliberationen “ (ebd., Herv. d. Verf.) genannt – gehen über einen bloßen Meinungsaustausch hinaus und unterstellen dem beziehungsweise der BürgerIn die Kompetenz des argumentativen und rationalen Handelns (vgl. ebd.). Zudem erfordert dieser Prozess den respektvollen Umgang der DiskussionsteilnehmerInnen untereinander (vgl. In der Smitten 2007: 98). Im deliberativen Diskurs wird Autorität also mittels gültigen, glaubwürdigen und überzeugenden Argumenten erlangt, womit gleichzeitig die Orientierung an der öffentlichen Meinung, einhergeht, da ansonsten kein entsprechender Austausch möglich ist (vgl. Grunwald et al. 2006: 73.). Sinn dieses diskursiven Prozesses ist es, die an die Regierung gestellten Forderungen inhaltlich zu verbessern und gleichzeitig für mehr Transparenz bei der Entscheidungsfindung zu sorgen (vgl. In der Smitten 2007: 98) (siehe dazu auch Kapitel 2: Modell des politischen Systems nach Easton). Deliberative Diskurse machen also nur Sinn, wenn sie im Vorfeld an politische Entscheidungsfindungen stattfinden (vgl. ebd.).
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