Die sicherheitspolitischen Diskussionen über Ostasien konzentrieren sich vor allem auf die Dauerkonflikte um Taiwan und Nordkorea sowie die Rivalitäten der Regionalmächte Japan und China. Doch diese Konflikte sind nur die Spitze des Eisberges. Alle Staaten der Region haben auch 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion noch eine Vielzahl ungelöster Territorialkonflikte miteinander. Die umstrittenen Gebiete sind nicht nur wirtschaftlich und militärisch bedeutsam, sonder zusätzlich auch noch historisch und ideologisch belastet. Besonders in den maritimen Regionen schaffen die ungesicherten Grenzverläufe und territorialen Besitzansprüche damit ein erhöhtes Eskalationspotential.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Altlasten des Zweiten Weltkrieges
2.1. Kurilen
2.2. Liancourt Rocks (jap. Takeshima / kor. Tokdo)
3. Rivalität zwischen Regionalmächten
3.1. Pinnacle Islands (jap. Senkaku / chin. Diaoyu)
3.2. Okinotorishima
4. Konfrontation im südchinesischen Meer
4.1. Pratas Islands
4.2. Paracel Islands
4.3. Spratly Islands
5. Zusammenfassung und Ausblick
6. Literatur
1. Einleitung
Auch Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und fast 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele Grenzverläufe in Ostasien noch stark umstritten. Allein China befindet sich in territorialen Konflikten mit 13 seiner Nachbarn, aber auch Japan, Südkorea und Taiwan führen mit angrenzenden Staaten hitzige Auseinandersetzungen über ungeklärte Besitzverhältnisse und Grenzziehungen.
Ein Großteil der betroffenen Territorien befindet sich in den Ostasiatischen Seegebieten und oft handelt es sich bei den Streitobjekten um nicht mehr als kleine Ansammlungen unbewohnbarer und weit abgelegener Felsbrocken, Atolle und winziger Inseln. Die auf den ersten Blick relativ unbedeutend scheinenden Gebiete besitzen jedoch eine weit über ihren materiellen Wert und nationalistische Befindlichkeiten hinausgehende Bedeutung für die beteiligten Konfliktparteien.
Wirtschaftliche und militärische Bedeutung
Zum einen verspricht der Besitz von Gebieten, welche nach dem internationalen Seerecht als Inseln definiert werden auch den Anspruch auf eine sie umgebende, 200 Seemeilen breite ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), und damit das Recht auf die Ausbeutung eventuell vorhandener Bodenschätze sowie das exklusive Fischfangrecht.[1] Einige Konflikte drehen sich daher auch nicht um konkurrierende Besitzansprüche zweier Staaten, sondern um deren widersprechende Ansichten, ob einem bestimmten Streitobjekt überhaupt eine AWZ zustehe.
Zum anderen muss bei der Einordnung der Konflikte auch die allgemein instabile Sicherheitslage in der Region und die damit verbundene militärstrategische Bedeutung der Territorien berücksichtigt werden. Die schwelenden Konflikte mit Nordkorea und der ungeklärte Status Taiwans, fehlende regionale Integrationsmechanismen und die gegenseitigen Antagonismen der benachbarten Staaten, die wirtschaftlichen und militärischen Rivalitäten der Platzhirsche Japan und China sowie die Rolle der USA in der ostasiatischen Sicherheitsarchitektur sind nur einige der Themen mit hohem Konfliktpotential.[2]
Besonders Taiwan kommt hier die paradoxe Rolle zu, selbst Konfliktgegenstand und gleichzeitig eine potente Konfliktpartei zu sein. Der völkerrechtliche Status Taiwans wird wohl noch auf absehbare Zeit weiter im Unklaren liegen und seine offiziellen diplomatischen Beziehungen aufgrund der chinesischen „Ein- China- Politik“ auf wenige Staaten beschränkt bleiben. Andererseits besitzt Taipeh noch immer einen beträchtlichen wirtschaftlichen und militärischen Einfluss in der Region und unterhält auf einigen umstrittenen - und auch von China beanspruchten - Gebieten dauerhafte Stützpunkte. Beide Seiten scheinen es allerdings vorzuziehen, die gemeinsamen Territorialkonflikte im Zusammenhang mit dem Gesamtstatus Taiwans zu klären und haben es bislang erfolgreich vermieden, sie zum Auslöser eines bewaffneten Konflikts werden zu lassen.
Geschichtliche Hintergründe
Die Unsicherheit über den Status der betroffenen Territorien ist zum Teil auf das Machvakuum nach der Kapitulation Japans am Ende des zweiten Weltkrieges zurückzuführen. Infolge der raschen Einbindung der ostasiatischen Staaten in die jeweiligen Blöcke des kalten Krieges und des 1950 ausbrechenden Koreakrieges wurde eine einvernehmliche Aushandlung neuer maritimer Grenzziehungen zwischen den Anrainerstaaten verhindert. Die Forderungen nach erweiterten AWZ in den 1970er Jahren und die Entdeckung erster Rohstoffvorkommen im ost- und südchinesischen Meer sowie das Aufbrechen der Blockgegensätze nach dem Zerfall der Sowjetunion führten zur weiteren Politisierung der vormals als relativ unbedeutend betrachteten Inseln und Felsen. Sie verwandelten sich immer mehr zu zwischenstaatlichen Streitobjekten, obwohl das tatsächliche Ausmaß der Rohstofflagerstätten auch heute oftmals noch nicht wirklich gesichert ist.
Die konkurrierenden Geschichtsbilder der Konfliktparteien stellen aber auch noch in anderer Hinsicht ein Problem dar: Die Kontrahenten versuchen in fast allen Fällen ihre Ansprüche mit historischen, mehr oder weniger glaubhaften „Beweisen“ zu untermauern, seien es Dokumente über Erstentdeckungen oder längst obsolet gewordene koloniale Vertragswerke.
Schwache regionale Kooperationen
Eine einvernehmliche Lösung der Konflikte über multi – oder bilaterale Verhandlungen zu finden wird durch mehrere Faktoren erschwert. Zum einen stellen der neu erwachende Nationalismus in den nordostasiatischen Ländern, schwache Kooperations- und Verhandlungsgremien sowie die unterschiedlichen politischen Systeme und wirtschaftlichen Entwicklungsstufen ein beträchtliches Hindernis dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Darstellung
Zum anderen werden die Territorialdispute von den Regierungen der Konfliktparteien immer wieder gern ideologisch instrumentalisiert und die nationalistischen Strömungen im eigenen Land als Druckmittel und „inoffizielle Unterstützer“ missbraucht. Insbesondere im Fall der Konflikte mit Japan werfen ihm dessen Gegenspieler gern die mangelnde Geschichtsaufarbeitung vor und unterstellen der japanischen Regierung neo- imperialistische Ambitionen. Massendemonstrationen mit brennenden Flaggen vor den japanischen Botschaften und die strikte Ablehnung eines japanischen Sitzes im UN- Sicherheitsrat durch China und Korea sind nur andere Ausprägungen desselben zugrundeliegenden Misstrauens. Aber auch die japanische Seite hatte sich durch „rhetorische Entgleisungen“ einiger Regierungsmitglieder oder durch Besuche nationalistischer Kräfte in den umstrittenen Territorien in den letzten Jahren nicht oft besonders konfliktentschärfend verhalten.
Im Folgenden sollen die wichtigsten maritimen Territorialkonflikte in Ostasien in einer Übersicht dargestellt werden. Ein zusammenfassender Text wird dabei jeweils die umstrittenen Gebiete und die konkurrierenden Parteien sowie deren Besitzansprüche und Handlungsmotive vorstellen. Im Anschluss folgt eine Zusammenfassung, welche die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Konflikten in der Region noch einmal analytisch auf den Punkt bringen soll.
2. Altlasten des Zweiten Weltkrieges
2.1. Kurilen
Die Kette relativ großer und bewohnbarer Inseln zwischen Sachalin und Hokkaido stellt auch heute noch das Haupthindernis für einen endgültigen Friedensvertrag zwischen Japan und Russland dar. Die drei südlichen Inseln Etorofu (russisch: Iturup), Kunashiri, Shikotan und eine Gruppe von Inselchen, die Habomai, werden von den Japanern „nördliche Territorien“ und von Russland „südliche Kurilen“ genannt. Sie wurden nach der Kapitulation Japans am 15.08.1945 von der Sowjetunion besetzt und seine japanischen Bewohner umgesiedelt. In den Augen der Japaner hatte Stalin damit einen Wortbruch begangen, galt doch während des Krieges ein Nichtangriffspakt zwischen dem japanischen Kaiserreich und den Sowjets. Aus russischer Sicht wurde mit der Besetzung dagegen nur ein Teil russischen Bodens wieder ins Mutterland eingegliedert und ein „gerechter Lohn“ für die Anstrengungen der Roten Armee eingefordert.
Die nördlichen Kurilen und Sachalin mussten von den Japanern auch aufgegeben werden, aber diese hatten sie erst nach dem Sieg Japans im russisch-japanischen Krieg 1905 zugesprochen bekommen und besitzen somit keinen vergleichbaren Stellenwert im Nationalempfinden der Japaner.
Während des kalten Krieges verhandelten beide Seiten über eine Rückgabe der Inseln, aber militärstrategische und wirtschaftliche Erwägungen der Sowjetunion und konträre historische „Beweise“ für die jeweiligen Besitzansprüche verhinderten eine Einigung. Auch nach dem Ende des Sowjetischen Reiches wurde die Verhandlungen wieder aufgenommen, scheiterten jedoch immer wieder durch den erstarkten Nationalismus auf beiden Seiten und den jeweiligen innenpolitischen Problemen.[3] Für die russische Führung wurde es äußerst schwierig Gebiete zurück zu geben, welche mit dem „Blut der roten Armee“ erkauft worden, zumal die neuen Gebiete inzwischen eine nicht zu vernachlässigende russische Bevölkerung besitzen.
Die japanische Seite instrumentalisierte das Thema dagegen insbesondere während der Koizumi Ära (2001- 2006), indem der damalige japanische Ministerpräsident die nationalistischen Kreise beispielsweise durch eine demonstrative Bootstour in den umstrittenen Gewässern zu beruhigen suchte. Dass der Konflikt nicht nur mit Worten ausgetragen wird, zeigt der Tod eines japanischen Fischers, der im August 2006 von der russischen Küstenwache beim „wildern“ erschossen wurde.[4]
Für beiden Nationen sind neben den nationalen Empfindungen auch handfeste wirtschaftliche Interessen mit im Spiel. Die Gewässer um die südlichen Kurilen sind zum einen äußerst fischreich, was zu der für nationalistisch gesinnte Japaner „skurrilen" Situation führt, dass japanische Fischgroßhändler in Hokkaido gezwungen sind, Fisch aus den „nördlichen Territorien“ von russischen Fischern zu kaufen. Zum anderen werden auch Öl- und Gasvorkommen im umgebenden Meeresbecken vermutet.
Da beide Nationen auch noch mit anderen Ländern in territoriale Konflikte verwickelt sind, und es im Falle Russlands auch Separationsbestrebungen abwehren gilt, scheint auf absehbare Zeit auch eine Teilung der Inseln keine Option, da kein Präzedenzfall geschaffen werden soll.
2.2. Liancourt Rocks (jap. Takeshima / kor. Tokdo)
Der Konflikt um die zwei, etwa fußballfeldgroßen Felsen und die sie umgebende AWZ ist besonders nationalistisch aufgeladen, wobei selbst Nordkorea seinen südlichen Bruderstaat in seltener Eintracht unterstützt.[5]
Der Streit beginnt schon damit, dass sich die beiden Seiten nicht mal auf einen gemeinsamen Namen für das Meer einigen können in denen das umstrittene Gebiet liegt. Während Japan auf der Bezeichnung „japanisches Meer“ beharrt, will Südkorea im internationalen Gebrauch den Namen „Ostmeer“ durchsetzen. Wie heftig der Konflikt die nationalen Empfindungen berührt und die Bedeutung symbolischer Handlungen steigert, zeigt auch, dass er mit diplomatischen Mitteln im Ausland fortgeführt wird und sich beispielsweise der koreanische Botschafter bei einem deutschen Verlagshaus über eine neue Weltkarte mit japanischer Version beschwerte.[6]
Beide Nationen führen historische Seekarten für ihre Besitzansprüche ins Feld, deren Authentizität aber natürlich regelmäßig von der jeweiligen Gegenseite bestritten wird. Südkorea besetzte daher 1954 ohne Ankündigung - und unter heftigen Protesten Japans - die Felsengruppe und baute sie nach und nach mit einem Hafen, einen Leuchtturm und einer kontinuierliche Besatzung aus.[7] Um auch das Kriterium des „wirtschaftlichen Lebens“ der UNCLOS – Definition einer Insel zu erfüllen und dadurch eine eigene AWZ beanspruchen zu können, haben nationalistische Kreise in Südkorea verstärkt damit begonnen den Tourismus in das Gebiet zu fördern.[8]
[...]
[1] United Nations (UN): United Nations Convention on Law of the Sea (UNCLOS): http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements/texts/unclos/closindx.htm (abgerufen am 15.11.2009)
[2] Umbach, Frank (2006): „Asiens Energieunsicherheit und Ressourcenationalismus: Kooperation oder Konfliktpotential für die Region?“, in: Berg, Christine / Schucher, Günter (Hrsg.), „Regionale politische und wirtschaftliche Kooperation in Asien“, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Bd. 397, Hamburg, S. 33-57
[3] Dick, Michael (2007): „ Japans Territorialstreit mit Russland: Kein Land in Sicht?“, in: Japan aktuell - Journal of Current Japanese Affairs, 3/2007, S. 63-76
[4] Neue Züricher Zeitung (03.09.2006): Moskau und Tokio sind immer noch im Kriegszustand
[5] Valencia, Mark J. (2006): "Japan and Korea: Between A Legal Rock and a Hard Place", The Nautilus Institute for Security and Sustainable Development / Northeast Asia Peace and Security Project (Policy Forum Online)
[6] Spiegel Online (14.05.2004): Geografie-Posse Asiatischer Kartenkrieg erreicht Deutschland
[7] Fern, Sean (2005): “Tokdo or Takeshima? : The international law of territorial acquisition in the Japan-Korea island dispute”, in: The Stanford Journal of East Asian Affairs, 5 (Winter 2005) 1, S. 78-89
[8] Neue Züricher Zeitung (22.04.2006): Dunkle Wolken zwischen Japan und Korea