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Beruflich bedingte Belastung bei Lehrerinnen und Lehrern

Bericht zum Orientierungspraktikum

©2012 Praktikumsbericht / -arbeit 49 Seiten

Zusammenfassung

Gegenstand meiner Arbeit ist die beruflich bedingte Belastungssituation bei Lehrerinnen und Leh- rern. Eine Reihe von Untersuchungen zeigte, dass der Lehrerberuf sowohl physisch als auch psychisch sehr anstrengend ist. So ist bspw. allein die durchschnittliche Arbeitszeit oft höher als die der meisten anderen Arbeitnehmer, und kaum eine andere Berufsgruppe muss derart oft öffentliche Kritik hinnehmen. Die Folgen der starken physischen und psychischen Anforderungen zeigen sich besonders deutlich in den hohen Krankenständen und den frühen Pensionierungen von Lehrerinnen und Lehrern, auf welche unter anderem Krankenkassen regelmäßig hinweisen. Dennoch besteht in der Öffentlichkeit und in den Medien oft das Bild des gut bezahlten „Halbtagsjobbers“, der „vormittags recht und nachmittags frei“ hat, wie Der Spiegel 2008 provokativ titelte. Vor diesem undurchsichtigen Hintergrund zwischen „Horrorjob“ und „Halbtagsjobber“ geht es mir darum, drei zentrale Fragen zur beruflich bedingten Belastungssituation von Lehrerinnen und Lehrern zu eruieren: Welchen aktuellen Belastungsfaktoren sind Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich ausgesetzt? Wie ist das aktuelle, subjektive Belastungsempfinden? Welche Bewältigungsstrategien werden derzeit von Lehrkräften zur Überwindung der Belastung angewendet? Hierzu wähle ich einen theoretisch-deduktiven Ansatz, d.h. ich „zimmere“ mir zunächst einen theoretischen Rahmen, in dem sich meine anschließende Untersuchung schließlich bewegt. Der theoretische Rahmen selbst besteht aus Stresstheorien und -modellen, welche in einem schulischen Kontext betrachtet und diskutiert werden. Hier hinein platziere ich meine Untersuchung, welche ich im Rahmen eines vierwöchigen Hospitationspraktikums durchführte. Anhand von Unterrichtsbeobachtungen, offen geführten Interviews und eines schriftlichen Fragebogens sammelte ich Daten zur beruflich bedingten Belastungssituation. Sowohl die gesellschaftliche, schulpraktische als auch die wissenschaftliche Relevanz der Thematik ist offensichtlich. Die öffentliche Diskussion um Lehrerbelastungen ist stets aktuell, tangiert einen Großteil der Bevölkerung und veranlasst viele Menschen dazu in sie einzusteigen. Dabei werden Begriffe wie „Stress“, „Belastung“ oder „Beanspruchung“ inflationär und beinahe synonym für die verschiedensten Phänomene benutzt. Hier gilt es, mit klaren Definitionen zu arbeiten und diese einzuhalten, um eine sachgemäße Diskussion zu ermöglichen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Lehrer — „Horrorjob“ oder doch nur „Halbtagsjobber“?

2. Schulprofil

3. Theoretischer Hintergrund: Stress
3.1 Allgemeine Belastungsbegriffe — Was ist Stress?
3.2 Stressmodelle im schulischen Kontext
3.2.1 Das Transaktionsmodell nach Lazarus
3.2.2 Modelle der Lehrerbelastung
3.2.2.1 Transaktionales Modell des Lehrerstresses
3.2.2.2 Lehrerpersönlichkeitsorientierte Modell
3.2.2.3 Belastungs-Beanspruchungskonzept
3.3 Belastungsfaktoren im Lehrerberuf
3.3.1 Klassifikation der Belastungsfaktoren
3.3.2 Ergebnisse der empirischen Lehrerbelastungsforschung
3.3.2.1 Belastungsfaktoren auf der individuellen Ebene
3.3.2.2 Belastungsfaktoren auf der Schulebene
3.3.2.3 Belastungsfaktoren auf der Systemebene
3.3.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
3.4 Coping
3.4.1 Klassifikation von Coping
3.4.2 Wirksamkeit von Coping

4. Empirische Untersuchung
4.1 Belastungsempfinden
4.2 Belastungsfaktoren
4.3 Bewältigungsstrategien
4.4 Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang
6.1 Fragebogen zu beruflichen Belastungen und Bewältigungsstrategien von Lehrerinnen und Lehrern
6.2 Ergebnisse des Fragebogens
6.3 Transaktionales Modell des Lehrerstress

1. Lehrer — „Horrorjob“ oder doch nur „Halbtagsjobber“?

Gegenstand meiner Arbeit ist die beruflich bedingte Belastungssituation bei Lehrerinnen und Leh- rern. Zu diesem Thema wurden in den letzten 20 Jahren bereits eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, eine aktuelle Übersicht hierfür bietet Martin Rothland.1 Dabei zeigte sich immer wie- der, dass der Lehrerberuf sowohl physisch als auch psychisch sehr anstrengend ist. So ist beispiels- weise allein die durchschnittliche Arbeitszeit oft höher als die der meisten anderen Arbeitnehmer, und kaum eine andere Berufsgruppe muss derart oft öffentliche Kritik hinnehmen. Die Folgen der starken physischen und psychischen Anforderungen zeigen sich besonders deutlich in den hohen Krankenständen und den frühen Pensionierungen von Lehrerinnen und Lehrern, auf welche unter anderem Krankenkassen regelmäßig hinweisen. Dennoch besteht in der Öffentlichkeit und in den Medien oft das Bild des gut bezahlten „Halbtagsjobbers“ (wie Uwe Schaarschmidt in seiner gleich- namigen Veröffentlichung aus dem Jahr 2005 passend feststellte), der „vormittags recht und nach- mittags frei“ hat, wie Der Spiegel 2008 provokativ titelte.

Vor diesem undurchsichtigen Hintergrund zwischen „Horrorjob“ und „Halbtagsjobber“ geht es mir darum, drei zentrale Fragen zur beruflich bedingten Belastungssituation von Lehrerinnen und Lehrern zu eruieren: Welchen aktuellen Belastungsfaktoren sind Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich ausgesetzt? Wie ist das aktuelle, subjektive Belastungsempfinden? Welche Bewältigungsstrategien werden derzeit von Lehrkräften zur Überwindung der Belastung angewendet?

Davon ausgehend verfolge ich mit meiner Arbeit zweierlei Ziele. Zum einen möchte ich ein möglichst differenziertes Bild der Belastungssituation von Lehrerinnen und Lehrern zeichnen. Zum anderen erhoffe ich mir durch die Beantwortung der Fragen und die Rekonstruktion eines Belas- tungsbildes sowohl die Leserinnen und Leser als auch mich selbst als angehenden Lehrer für die Diskussion um „Horrorjob“ und/oder „Halbtagsjobber“ sensibilisieren zu können, um somit einen offenen, reflektierten und selbstreflexiven Umgang mit dem Thema Belastung zu erreichen.

Zum Erreichen der Ziele, insbesondere des ersten, wähle ich einen theoretisch-deduktiven Ansatz, d.h. ich „zimmere“ mir zunächst einen theoretischen Rahmen, in dem sich meine anschlie- ßende Untersuchung schließlich bewegt. Der theoretische Rahmen selbst besteht aus Stresstheorien und -modellen, welche in einem schulischen Kontext betrachtet und diskutiert werden. Hier hinein platziere ich meine Untersuchung, welche ich im Rahmen eines vierwöchigen Hospitationsprakti- kums durchführte. Anhand von Unterrichtsbeobachtungen, offen geführten Interviews und eines schriftlichen Fragebogens sammelte ich dort Daten zur beruflich bedingten Belastungssituation.

Sowohl die gesellschaftliche, schulpraktische als auch die wissenschaftliche Relevanz der Thematik ist offensichtlich. Wie gezeigt, ist die öffentliche Diskussion um Lehrerbelastungen eine stets aktuelle. Zudem tangiert sie einen Großteil der Bevölkerung und veranlasst viele Menschen dazu in sie einzusteigen. Dabei werden Begriffe wie „Stress“, „Belastung“, „Burn-Out“ oder „Be- anspruchung“, besonders in den populären Medien, inflationär und beinahe synonym für die ver- schiedensten Phänomene benutzt. Hier gilt es, mit klaren Definitionen zu arbeiten und diese einzu- halten, um eine sachgemäße und -gerechte Diskussion zu ermöglichen. Ferner zeigt die große Zahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema, wie brennend die Lehrerbelastungsforschung an neuen Erkenntnissen interessiert ist.

Meine Arbeit folgt folgendem Aufbau: Zu Beginn stelle ich das Profil meiner Praktikums- schule im Hinblick auf die Belastungssituation der Lehrkräfte vor. Daran anschließend folgt der Hauptteil. Hier werde ich zunächst noch einmal das Problem sowie die Zielsetzung der Arbeit erör- tern. Dabei führe ich zunächst in die Belastungsbegriffe ein und erörtere, wie Stress im schulischen Kontext erlebt und erklärt wird. Im Anschluss stelle ich, ausgehend von empirischen Untersuchun- gen der Lehrerbelastungsforschung, Belastungsfaktoren für Lehrerinnen und Lehrer sowie Mög- lichkeiten zu deren Bewältigung vor. An den theoretischen Teil setzt schließlich meine empirische Untersuchung an deren Ergebnisse ich vorstellen und mit deren Hilfe ich versuchen werde, die ein- gangs gestellten Leitfragen zu beantworten. Am Ende der Arbeit wird es zudem noch eine abschlie- ßende Reflexion meinerseits bezüglich des Praktikums und dieser Arbeit geben.

2. Schulprofil

Mein Hospitationspraktikum absolvierte ich im März 2012 an einer Grundschule (GS). An der Schule lernen 277 Schüler in vier FLEX-Klassen und zehn Regelklassen der Klassenstufen drei bis sechs. Die GS ist eine Integrationsschule, das heißt, dass dort Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht lernen. Die 141 Jungen und 136 Mädchen von werden von 22 Lehrerinnen und 4 Gastlehrern unterrichtet. Das Schulgebäude wurde zwischen 2002 und 2004 komplett saniert. Damit war eine neue Ausstattung mit Möbeln und Unterrichtsmitteln ver- bunden, sodass ein offenes und freundliches Lernen gewährleistet wird. Allen 14 Klassen stehen moderne Klassenräume mit Medieninseln sowie Fachkabinette, etwa für Musik oder Physik, zur Verfügung. Die Turnhalle und ein moderner Leichtathletikplatz befinden sich etwa 200 Meter ent- fernt.

Die GS verfolgt mit ihrer pädagogischen Arbeit verschiedenste Ziele und Schwerpunkte. Vier der zwölf möchte ich im folgenden kurz vorstellen: Erstens gibt es das Ziel, durch Methoden- vielfalt, den Unterricht neu zu gestalten. Dies geschieht u.a. durch die bereits angesprochenen FLEX-Klassen. Hier lernen Schüler der ersten und zweiten Klasse gemeinsam. Zweitens gibt es das Ziel, Chancen zu bieten. Dies wird realisiert durch ein Ganztagsangebot in offener Form, in dem zur Zeit 50 AG‘s angeboten werden. Darüber hinaus werden u.a. regelmäßig Englisch- und Mathe- matikolympiaden, aber auch Sportveranstaltungen durchgeführt. Ein drittes Ziel ist das Helfen. Dies wird insbesondere durch einen Förderunterricht und Teilungsunterricht im Fachunterricht umge- setzt. Hinzu kommen hier des Weiteren Angebote, wie beispielsweise das Hausaufgabenzimmer. Als viertes Ziel kann die Forderung und Förderung der Lernbereitschaft genannt werden. Dies soll v.a. durch eine Binnendifferenzierung, aber auch durch den bereits angesprochenen gemeinsamen Unterricht in FLEX- und Integrationsklassen erreicht werden.2

Ausgehend von meiner Fragestellung ergeben sich bereits hier interessante Aspekte, welche ich in einem kurzen und exemplarischen Problemaufriss darstellen möchte: FLEX-Klassen beinhal- ten auf der einen Seite viele Vorteile, v.a. für die Schüler, was sich in den Ergebnissen der Orientie- rungs- und Vergleichsarbeiten widerspiegelt. Auf der anderen Seite geht mit ihnen ein enorm großer Vor- sowie Nachbereitungsaufwand einher. Dieser muss immer auch von mehreren Lehrern organi- siert werden; im konkreten Fall sind es der Klassen- und der Teilungslehrer, sowie der Sonderpäda- goge. Die Liste von Vor- und Nacheilen ließe sich beliebig lang weiterführen, doch es ist nicht die Aufgabe dieser Arbeit diese zu diskutieren; hier sei auf die aktuelle Diskussion in Forschung und Medien verwiesen. Ebenso ambivalent verhält es sich mit weiteren Aufgaben neben der eigentli-chen Unterrichtsvor- und -nachbereitung, beispielsweise die Auswertung von Orientierungs- und Vergleichsarbeiten, schulischen Wettbewerben, Auftritten des Chores usw. All dies sind, neben der zunehmenden Erziehungs- und Elternarbeit, Belastungsquellen für den Lehrer und können zur Ü- berbelastung führen. Da die GS eine Integrationsschule ist, sind unterschiedliche Rahmenlehrpläne zu berücksichtigen, denn jeder Schüler und jede Schülerin muss entsprechend seiner oder ihrer Fähigkeiten entsprechend gefordert und gefördert werden. Auch hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den Fachlehrern und Sonderpädagogen unumgänglich.

Nichts desto trotz werden die hier aufgeführten Punkte von den Lehrern in der Regel gern geleistet. Worauf ich in diesem Zusammenhang jedoch aufmerksam machen möchte ist, dass es, neben dem Unterricht, zum Wohle und zur optimalen Entwicklung der Kinder eine Reihe selbst- auferlegter Ziele und Schwerpunkte gibt, welche von Außenstehenden oft nicht wahrgenommen und so zu einem verzerrten Blick auf die Tätigkeit der Lehrer führen. Tatsächlich geht mit eben je- nen Zielen und Schwerpunkten in vielen Fällen ein erheblicher Mehraufwand einher; ob und inwie- fern dieser sich als potenzielle Belastung auf das individuelle Belastungsempfinden auswirkt, gilt es im Rahmen dieser Arbeit zu klären.

3. Theoretischer Hintergrund: Stress

Während Lehrer in der Öffentlichkeit gern als gut bezahlte „Halbtagsjobber“ gesehen werden, wird in der Forschung kaum bestritten, dass „der Lehrerberuf ein besonders belastender Beruf ist.“3 Über der gesamten Diskussion schwebt die allgegenwärtige These einer stark belasteten, um nicht zu sagen leidenden Lehrerschaft, deren Beruf mit Begriffen wie „Horrorjob“ beschrieben wird.4 Tatsächlich steht der endgültige Beleg für diese These noch aus.5

An diese Diskussion um die beruflich bedingte Belastungssituation bei Lehrern schließt meine Arbeit an: Natürlich ist es mir im Rahmen meiner Möglichkeiten nicht möglich, den so drin- gend benötigten Beleg für die These der „belasteten“ und „leidenden“ Lehrerschaft zu liefern. Was ich jedoch ergründen möchte, ist ganz allgemein die aktuelle beruflich bedingte Belastungssituation der Lehrer an der GS. Daraus ergeben sich drei zwingende Frage: Welchen aktuellen Belastungsfak- toren sind die Lehrer ausgesetzt? Wie ist das aktuelle, subjektive Belastungsempfinden? Und schließlich, welche Bewältigungsstrategien werden derzeit von Lehrkräften zur Überwindung der Belastung angewendet?

Mit diesen Fragen verfolge ich zwei Ziele. Zum einen möchte ich aus wissenschaftlicher Sicht ein möglichst differenziertes Bild der Belastungssituation von Lehrerinnen und Lehrern kon- struieren, um so meinerseits einen Beitrag zur aktuellen Forschungsdiskussion zu liefern. Zum an- deren möchte ich aus schulpraktischer Sicht sowohl die Leserinnen und Leser als auch mich selbst für diese Thematik sensibilisieren und so die Grundlage für eine sachgerechte Diskussion zu legen.

Für diese Ziele sind zwei Schritte von Nöten. Erstens werde ich in diesem theoretischen Teil in die Terminologie der Belastung einführen, um Belastung anschließend im schulischen Kontext zu betrachten. Ausgehend davon werde ich Belastungsfaktoren und Bewältigungsstrategien eruieren. Zweitens werden ich die Ergebnisse meiner Untersuchung auswerten und diese in die Erkenntnisse des theoretischen Teils einbetten. Zunächst widmen wir uns der Belastungs-Terminologie.

3.1 Allgemeine Belastungsbegriffe — Was ist Stress?

„Ich habe Stress!“ Diesen Satz hat wahrscheinlich jeder schon einmal gesagt oder zumindest gehört. Doch was bedeutet eigentlich „Ich habe Stress“? Im alltäglichen Gebrauch meinen wir damit in der Regel zwei Dinge. Zum einen können durch das Wort Stress belastende Umgebungsfaktoren ausge-drückt werden, wie etwa Hitze, Zeitdruck oder im schulischen Kontext Lärm. Zum anderen können aber auch durch den Ausdruck „gestresst sein“ körperliche Reaktionen und Empfindungen gemeint sein. Dabei handelt es sich häufig um Symptome von zu hohen Belastungen, wie beispielsweise Kopfschmerzen oder ähnliches.6

Bereits hieraus ergibt sich, dass Stress nicht gleich Stress ist und einer genaueren Betrach- tung bedarf. An dieser Stelle empfiehlt sich ein Rückblick auf einen der „Väter“ der Stressfor- schung, den Mediziner Hans Selye. Er postulierte bereits zur Mitte des letzten Jahrhunderts, dass Stress als die spezifische Reaktion des Organismus auf einen Reiz im Allgemeinen und auf Belas- tungen im Speziellen zu verstehen ist. Laut Selye läuft eine Stressreaktion in drei Phasen ab: Zu- nächst wird ein Organismus mit einem Stressor konfrontiert, woraufhin er mit einer Alarmreaktion reagiert. In einer zweiten Phase, der sogenannten Widerstandsphase, passt sich der Organismus der Situation an. Abschließend tritt die Erschöpfungsphase ein, in der sich der Organismus entweder erholt, so er denn den Stressor bewältigt hat, oder all seine Ressourcen bis hin zur Krankheit und Tod aufbraucht, da der Stressor zu stark ist. Dieses hier stark vereinfacht dargestellte Konzept war wegweisend für die nachfolgende Forschung.7

Selyes Konzept, welches terminologisch selbst inkohärent scheint, bietet nun seinerseits An- satzpunkte für weitere definitorische Betrachtungen. So wird beispielsweise von Belastungen ge- sprochen, welche „als die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken“8, verstanden werden. Nicht zu verwechseln sind Be- lastungen mit Beanspruchungen, welche nach Greif „als die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkungen des psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von sei- nen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand“9 verstanden werden. Demnach ist eine Be- lastung „als Ursache zu betrachten, Beanspruchung als Reaktion“10, in Form von „physischen und psychischen Veränderungen.“11

Nun herrscht in der Wissenschaft keineswegs Einigkeit über diese Terminologie. Udris und Frese beispielsweise verwenden als Synonyme für Belastung auch Belastungsfaktor, Load, Stress-faktor oder, wie schon Selye, Stressor.12 Ferner gab Rudow in diesem Zusammenhang zu bedenken,dass der Begriff Belastung zweidimensional ist. So unterscheidet er zwischen objektiven und sub- jektiven Belastungen. Ersteres meint alle Anforderungen der Umwelt, die auf eine Person einwir- ken. Letzteres entsteht durch den Prozess der Widerspiegelung, bei dem unter Berücksichtigung der individuellen Ressourcen objektive in subjektive Belastungen überführt werden. Aus diesen subjek- tiven Belastungen resultieren individuelle Beanspruchungsreaktionen und schlussendlich individu- elle Beanspruchungsfolgen. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass sich aus objektiv identi- schen Belastungen individuell unterschiedliche Beanspruchungen ergeben.13 In eine ähnliche Rich- tung argumentieren Dick, Wagner und Petzel, wenn sie behaupten, dass sie unter „Belastungen die subjektive Wahrnehmung von Beanspruchung durch unterschiedliche Arbeitsbedingungen“14 ver- stehen. Strittig ist zudem, ob Belastungen die individuelle Befindlichkeit beeinflussen sowie einen subjektiven Leidensdruck hervorrufen, und somit vor allem negativ konnotiert sind, wie Ulich postuliert, oder ob es sich dabei schlicht um ein wertneutrales Phänomen handelt, wie Rudow behauptet.15 Auch für den Begriff der Beanspruchung finden sich unterschiedlichste Ausprägungen, so verwenden Udris und Frese für ihn auch Beanspruchungsfolge, Stressreaktion oder Strain synonym.16 Dick hält fest, dass die Arbeitswissenschaft derweil der Terminologie von Rohmert und Rutenfranz folgt. Sie beschreiben den Begriff Belastung neutral als „alle von außen auf den Orga- nismus einwirkenden Faktoren“, währenddessen Beanspruchung die „Auswirkungen dieser Belas- tungen“ meint.17 Diese Definitionen erachte ich als äußerst fruchtbar, da sie sowohl präzise und knapp als auch wertfrei formuliert sind, weshalb sie fortan als terminologische Grundlage dieser Arbeit dienen. Der Weg hin zur Definition war hierbei unerlässlich, weil er zum einen verschiedene Dimensionen der Forschungskontroversen anriss sowie zum anderen eine unabdingbare Übersicht über die Termini der Belastungsforschung gab. Nach dieser kurzen Einführung in die Terminologie der Belastungsbegriffe gilt es abschließend, die einzelnen Begriffe in einer Synthese zusammenzu- führen, um die eingangs gestellte Frage nach Stress zu beantworten. Hierzu bediene ich mich einer Definitionen von Dick:

Von Stress kann gesprochen werden, wenn „die Belastungen die Ressourcen einer Person übersteigen und als aversive, von negativen Emotionen begleitete Beanspruchung erlebt werden.“18 Dick schafft es damit in seiner Definition zum einen Belastung, als Ursache, und Beanspruchung, als Reaktion, miteinander zu verbinden. Zum anderen deutet er auch auf die von Rudow postulierte Mehrdimensionalität des Belastungsbegriffs, die, wie wir uns erinnern, zur Folge hatte, dass objek- tiv identische Belastungen, je nach individuellen Handlungsvoraussetzungen, zu subjektiv unter- schiedlichen Beanspruchungen führen können. Elementar an seiner Definition ist, dass Stress das Erleben einer von negativen Emotionen begleiteten Beanspruchung ist, welche sich aus der Diskre- panz zwischen den „Ressourcen einer Person“, also den individuellen Handlungsvoraussetzungen und den, aus den Belastungen resultierenden, Anforderungen ergibt. Ich erachte diese Definition als sehr treffend und schließe mich ihr deshalb an.

3.2 Stressmodelle im schulischen Kontext

Nachdem nun geklärt wurde, was allgemein unter dem Begriff Stress subsumiert wird, stellt sich in diesem Abschnitt die Frage, wie er im schulischen Kontext erlebt und erklärt wird. Ausgangspunkt meiner Betrachtung soll das Transaktionsmodell nach Lazarus sein, da es vielleicht das bedeutends- te und meist zitierte Modell zur Stresserklärung ist und die Grundlage für die Lehrerbelastungsfor- schung darstellt. Davon ausgehend werde ich einen Überblick über drei Modelle der Lehrerbelas- tung geben: Zunächst werde ich das Transaktionale Modell des Lehrerstresses nach Kyriacou und Sutcliffe vorstellen, welches seinerseits eng an das Transaktionsmodell nach Lazarus angelehnt ist und eines der nachhaltigsten Modelle des Lehrerstresses darstellt. An dessen Kritikpunkte ansetzend werde ich danach das Lehrerpersönlichkeitsorientierte Modell, welches besonders von Schaar- schmidt geprägt wurde, sowie abschließend das Belastungs-Beanspruchungskonzept, eingeführt von Rohmert und Rutenfranz und im schulischen Kontext maßgeblich geprägt von Rudow und Schonwälder, vorstellen.

3.2.1 Das Transaktionsmodell nach Lazarus

Ganz allgemein kann gesagt werden, dass Stress nach Lazarus als das Resultat der Transaktion zwi- schen zwei Systemen, nämlich der Umwelt und der Person, erklärt wird. Dick weist darauf hin, dass bewusst der Begriff Transaktion, im Gegensatz zum Begriff Interaktion, verwendet wird. Diese Un- terscheidung ist wichtig, da eine Interaktion nur eine unidirektionale Wirkung der Umwelt auf das Verhalten der Person suggerieren würde (oder umgekehrt). Tatsächlich besteht laut Lazarus jedoch eine bidirektionale Wirkung. Das heißt, eine Person kann durch ihr Verhalten die Umwelt verändern.19

Zur Identifizierung von Stress bedarf es nun, laut genannter Definition, einer Analyse der Beziehung zwischen der Umwelt und der Person. Das Entscheidende und Charakteristische hierbei ist, dass diese Beziehung erst durch kognitive Bewertungsprozesse entsteht und durch diese beein- flusst wird. Lazarus postuliert, dass drei Formen der Bewertung durchlaufen werden. Zunächst fin- det eine primäre Bewertung statt: Ein Individuum wird mit einer Situation konfrontiert und stuft diese, abhängig von seinen Ressourcen, hinsichtlich ihrer Bedeutung für das eigene Wohlbefinden, ein. Dabei stellt das Individuum fest, ob die Situation entweder unwichtig oder eben belastend sein kann. Als belastend kann eine Situation dann eingeschätzt werden, sobald sie das Individuum in Form von Schäden oder Verlusten bedroht, aber auch, wenn sie das Individuum herausfordert. Wird eine Situation als belastend eingestuft, setzt an diese erste Bewertungsstufe die sekundäre Bewer- tung an: Die Person wägt zwischen allen Möglichkeiten ab, wie sie die Situation am besten bewäl- tigen könnte und entscheidet sich für mindestens eine Strategie. Unter Strategie werden hier sowohl sichtbares Verhalten als auch intrapsychische Prozesse subsumiert. Abschließend findet als dritte Bewertungsstufe eine Neubewertung statt: Das Individuum bewertet die Situation neu und berück- sichtigt dabei, ob die gewählte Strategie erfolgreich oder erfolglos war. Im letzteren Fall wird die Bewertungsstreppe von vorne erklommen.20

Festgehalten werden kann der zentrale Gedanke, dass Stress nach Lazarus „als (das) Resultat eines wahrgenommenen Ungleichgewichts zwischen Umweltanforderungen und Ressourcen der Personen“21 erklärt und beschrieben werden kann. Es wurde darüber hinaus deutlich, dass sowohl das Verhalten einer Person von der Umwelt, als auch umgekehrt, die Umwelt vom Verhalten dieser Person abhängig ist.22 An diese Gedanken setzten Kyriacou und Sutcliffe an und überführten Lazarus‘ Modell in einen schulischen Kontext.

3.2.2 Modelle der Lehrerbelastung

3.2.2.1 Transaktionales Modell des Lehrerstresses

Ausgangspunkt des Modells von Kyriacou und Sutcliffe sind Situationen, welche als „potential stressors“ bezeichnet werden. Wir erinnern uns an dieser Stelle zurück, dass Stressor, beispielsweise von Udris und Frese, als Synonym für Belastung oder Belastungsfaktor verwendet wird. Dieser steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausführung des Lehrerberufs, beispielsweise Lärm oder zu große Klassen, und, so er denn von der Lehrkraft wahrgenommen wird, führt analog zum Transaktionsmodell nach Lazarus zu einer ersten Bewertung („appraisal“), in welcher entschieden wird, ob es sich um eine Bedrohung handelt („actual stressor“) oder nicht. Dies ist wiederum ab- hängig davon, ob der Stressor beispielsweise den Selbstwert und/oder die Gesundheit der Lehrper- son bedroht. Entscheidet die Lehrkraft, dass es sich um eine Bedrohung handelt, werden die Bewäl- tigungsstrategien („coping mechanisms“) sondiert und es erfolgt eine, von den individuellen Cha- rakteristiken abhängige, Auseinandersetzung mit dem Stressor. Diese bietet wiederum zwei mögli- che Lösungen. Entweder der Stressor wurde bewältigt, was zu einer Neubewertung der Situation führen würde, oder aber die Bewältigung scheitert, was nun negative Affekte auftreten lassen würde („teacher stress“). Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass „teacher stress“ noch nicht zwangsläufig mit somatischen Symptomen gleichzusetzen ist. Vielmehr handelt es sich hierbei zunächst um das Erleben negativer Emotionen, wie Unlust oder Ärger. Erst wenn ein Stressor dauerhaft nicht über- wunden werden kann, können chronische Beanspruchungsfolgen auftreten („chronic symptoms“). Krause und Dick weisen dabei besonders auf psychosomatische, psychologische und physiologi- sche Beschwerden hin. Beeinflusst wird der Prozess zwischen der ersten Bewertung und der Ausei- nandersetzung mit dem Stressor von den individuellen Merkmalen, Vorerfahrungen und Ressourcen des Lehrers („characteristics of the individual teacher“). Zudem können auch potentielle außerbe- rufliche Stressoren einen Einfluss auf diesen Vorgang haben („potential non occupational stres- sors“). Darüber hinaus enthält das Modell vier Feedbackschleifen: Die erste beschreibt den Fall, in dem ein Stressor durch die gewählte Bewältigungsstrategie überwunden wurde. Hier würde eine Neubewertung stattfinden, in welcher der Stressor seinen Bedrohungswert verloren hätte. Die zwei- te Schleife weist indirekt auf die Prozesshaftigkeit des Modells hin. Obwohl ein Stressor noch nicht überwunden ist, kann bereits ein nächster den Organismus bedrohen. Die Bewertung des neuen Stressor würde dabei durch den vom alten Stressor hervorgerufenen „teacher stress“ beeinflusst werden.

[...]


1 Rothland (2007), S. 7.

2 Laut Schulprogramm

3 Lipowsky (2003), S. 53.

4 Rothland (2009), S. 112.

5 Ebd.

6 Dick (2006), S. 27; Dick / Stegmann (2007), S. 35.

7 Dick (2006), S. 28.

8 Greif (1991), S. 4.

9 Ebd.

10 Schönwälder (1997), S. 188.

11 Tiesler / Berndt / Ströver / Schönwälder (2002), S. 235.

12 Udris / Frese (1999), S. 429.

13 Dick (2006), S. 28; Dick / Stegmann (2007), S. 35f.

14 Dick / Wagner / Petzel (1999), S. 270.

15 Ulich (1996), S. 64; Rudow (2000), S. 36.

16 Udris / Frese (1999), S. 429.

17 Dick (2006), S. 28.

18 Dick (2006), S. 29.

19 Siehe hierzu: Lazarus, R., Psychological stress and the coping process, New York 1966. Nach: Dick (2006), S. 29; Dick / Stegmann (2007), S. 37.

20 Dick (2006), S. 29; Dick / Stegmann (2007), S. 37.

21 Dick (2006), S. 31.

22 ebd.

Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783656281337
ISBN (Paperback)
9783656281474
DOI
10.3239/9783656281337
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Erscheinungsdatum
2012 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
Stress Belastung Praktikumsbericht Lehrer Coping Erziehungswissenschaft Burn-Out Transaktionsmodell Lazarus
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