Aggressionen bei Kindern
Über das Petermann-Training und Faustlos und wann welche Art der Prävention/Intervention sinnvoll ist
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung1
2. Was versteht man unter „Aggression“?
2.1 Begriffliche Definition
2.2 Diagnostische Klassifizierung
2.2.1 DSM-IV
2.2.2 ICD-10
2.3 Arten der Aggression
2.4 Typische Verhaltensweisen aggressiver Kinder
3. Wie entstehen Aggressionen? - Theorien
3.1 Die Trieb- oder Instinkttheorie
3.2 Die Lerntheorie
3.3 Die Frustrations-Aggressions-Theorie
3.4 Die psychoanalytische Theorie
3.5 Die Anomietheorie
3.6 Die Etikettierungtheorie
4. Risikofaktoren
4.1 Biologische Risikofaktoren
4.1.1 Geschlecht
4.1.2 Familiäre Häufung
4.1.3 ADHS
4.2 Familiäre Risikofaktoren
4.2.1 Unzureichende Erziehungskompetenzen der Eltern
4.2.2 Negative Eltern-Kind-Beziehung/Negative Bindung
4.2.3 Erfahrene körperliche Misshandlung
4.2.4 Charakteristika der Eltern
4.3 Schulische Risikofaktoren
4.3.1 Schulprobleme
5. Anti-Aggressions-Programme
5.1 Training mit aggressiven Kindern nach Petermann
5.1.1 Ziele und Zielgruppe
5.1.2 Die Ausgangslage: Das Prozessmodell aggressiven Verhaltens nach Kaufmann
5.1.3 Stufenweise Interventionsmöglichkeiten
5.1.4 Aufbau der Therapie
5.1.5 Positive Wirkungen
5.1.6 Grenzen
5.1.7 Evaluation
5.2 Das Curriculum „Faustlos“
5.2.1 Ziele und Zielgruppe
5.2.2 Inhalte
5.2.3 Durchführung
5.2.4 Positive Wirkungen
5.2.5 Grenzen
5.2.6 Evaluation
6. Welche Möglichkeiten der Prävention/Intervention gibt es und in welchen Fällen ist zu den einzelnen Möglichkeiten zu raten?
6.1 Prävention
6.2 Intervention
6.2.1 Einzelförderung
6.2.2 Einzeltherapie
6.2.3 Gruppentherapie
6.2.4 Eltern-Erziehungstraining
6.2.5 Familientherapie
7. Fazit
1. Einleitung
Sie tauchen in der Familie, der Schule, dem Kindergarten oder im Freundeskreis auf: Aggressionen bei Kindern und Jugendlichen. Besonders Eltern, Lehrer und Erzieher werden somit tagtäglich mit diesem Problem konfrontiert und wissen oft nicht, wie sie damit umgehen sollen.
Während des Unterrichts sind Lehrer zunehmend gezwungen, sich mit abweichendem Sozialverhalten sowie mit aggressivem Verhalten von Kindern und der Lösung interpersoneller Konflikte auseinanderzusetzen. Oftmals wird dadurch die Durchführung des regulären Unterrichts stark eingeschränkt[1] .
Auch in Kindergärten gehören Aggressionen vereinzelt häufig zur Tagesordnung.
Viele Eltern scheinen ebenso mit aggressiven Verhaltensweisen ihrer Kinder überfordert zu sein. Streit unter Geschwistern, der überhand nimmt oder gar Aggressionen gegen die eigene Mutter und den eigenen Vater. Nicht selten hört man von Kindern und Jugendlichen, die ihre Eltern schlagen oder demütigen, was von vielen Familien aus Scham von der Öffentlichkeit ferngehalten wird[2] .
In meinen Praktika in der Grundschule, der Arbeit mit Migrantenkindern sowie meiner Tätigkeit in einer Krabbelstube tauchte das Phänomen der Aggression in verschiedenen Facetten immer wieder auf. Es schien in vielen Bereichen ständig präsent zu sein. Dies gab mir zum Anlass, mich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen, um zu verstehen, was hinter diesen Verhaltensweisen steckt.
Auch in meiner praktischen Arbeit beim Städtischen Sozialdienst sowie in einer Erziehungsberatungsstelle tauchte das Problem des aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen vielfach auf. Deshalb sowie aufgrund der Tatsache, dass ich zukünftig in der Kinder- und Jugendberatung tätig sein möchte, werde ich mich besonders auf die Prävention und Intervention bei Aggressionen konzentrieren, um zu verstehen, welche Möglichkeiten der Behandlung es gibt.
Dazu werde ich zwei Programme vorstellen, die sich mit der Prävention bzw. Intervention von aggressivem Verhalten beschäftigen und der Frage nachgehen, in welchen Fällen zu den einzelnen Möglichkeiten des Eingreifens geraten werden kann.
In einem ersten Schritt gilt es zu klären, was unter Aggression überhaupt zu verstehen ist. Dazu soll ein Versuch der begrifflichen Definition unternommen werden, um im Nachhinein die diagnostische Klassifizierung nach dem DSM-IV und dem ICD-10 näher anzuschauen. Ebenso werden die verschiedenen Arten der Aggression sowie typische Verhaltensweisen aggressiver Kinder vorgestellt.
Weiter werden die wichtigsten Aggressionstheorien mit ihren unterschiedlichen Ansätzen vorgestellt, um der Frage nachzugehen, wie aggressive Verhaltensweisen zu Stande kommen.
Für Aggressionen gibt es immer gewisse Risikofaktoren, die das Auftreten solcher begünstigen. In der vorliegenden Arbeit sollen diese biologischen, familiären und schulischen Faktoren aufgezeigt werden. Sie sollen zeigen, welche Kinder besonders gefährdet sind.
Um einen Einblick über die Möglichkeiten der Prävention bzw. der Intervention zu geben, wurden zwei Programme ausgewählt, die in ihrem Konzept, ihrer Durchführung und ihrer Wirksamkeit vorgestellt werden sollen. Dabei handelt es sich zum Einen um das intervenierende „Training mit aggressiven Kindern“ nach Petermann und zum Anderen um das Gewaltpräventionsprogramm „Faustlos“.
Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die Frage gelegt werden, in welchen Fällen welche Art der Prävention oder Intervention sinnvoll ist, und was bei der Entscheidung für einen Weg berücksichtigt werden sollte.
Abschließend werde ich die wichtigsten Aussagen dieser Arbeit nochmals zusammenfassen, um am Ende ein Fazit zu ziehen.
2. Was versteht man unter „Aggression“?
2.1 Begriffliche Definition
Der Begriff der „Aggression“ lässt sich aus dem Lateinischen ableiten (aggredi, aggressio) und bedeutet so viel wie angreifen, Angriff. In der Literatur werden die Begriffe „Aggression“, „Aggressivität“ und „Gewalt“ häufig synonym benutzt, drücken jedoch verschiedenes aus. Deshalb gilt es zunächst, auf die Begriffsunterscheidungen einzugehen. Bründel und Hurrelmann definieren die Begrifflichkeiten folgendermaßen[3] :
Während „Aggression“ ein wissenschaftlicher Begriff ist, der eine Handlung bezeichnet, die auf eine Verletzung eines Menschen zielt, meint „Aggressivität“ eher allgemein die Absicht oder Bereitschaft, eine Person zu verletzen bzw. ihr psychischen Schmerz zuzufügen oder Sachen zu beschädigen oder zu zerstören. Aggressivität muss folglich nicht unbedingt Aggression auslösen. Dennoch merkt Klosinski an, dass der Begriff der Aggressivität „von subjektiven Deutungen und sozialen Normen abhängt[4] “.
Gewalt hingegen bezeichnet in der älteren Literatur ausschließlich den physischen Akt, bei dem eine Person einer anderen Person körperlichen Schaden zufügt. Er beinhaltet somit lediglich die körperliche Aggression und nicht die psychische. Heute wird er häufig synonym zum Begriff der „Aggressivität“ verwendet[5] .
2.2 Diagnostische Klassifizierung
Kliniker diagnostizieren psychische Störungen mithilfe eines Klassifikationssystems, um eine eindeutige Zuordnung zu einem Krankheitsbild treffen zu können. Es liegt zum Einen das „Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen“ (DSM-IV) vor, das von der APA (American Psychiatric Association) erstellt wurde. Zum Anderen die „International Classificaton of Diseases“ (ICD-10), mithilfe derer die Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet. Im Nachfolgenden soll knapp die Klassifikation von Aggression an beiden Systemen dargestellt werden:
2.2.1 DSM-IV
Störung des Sozialverhaltens
Im DSM-IV wird zwischen einer leichten, mittleren und schweren Form der Störung unterschieden, sowie zwischen dem Beginn dieser in der Kindheit (vor dem 10. Lebensjahr) oder der Adoleszenz[6] . Die antisozialen Verhaltensweisen werden dabei in vier Bereiche gegliedert:
ñ Aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Tieren
ñ Zerstörung von Eigentum
ñ Betrug oder Diebstahl
ñ Schwere Regelverstöße
Mindestens drei der Kriterien müssen im vergangenen Jahr aufgetreten sein, eines davon in den letzten sechs Monaten. Die Verhaltensweisen müssen für eine Diagnose deutliche Beeinträchtigungen im sozialen, schulischen oder beruflichen Umfeld hervorrufen[7] .
Laut Bremer Jugendstudie (1999) leiden 4,7% der vier- bis 18-Jährigen unter einer Störung des Sozialverhaltens[8] .
Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten
Dieser Subtyp zeigt sich durch ein feindseliges, trotziges Verhalten, das mindestens sechs Monate anhält. Auch hier ist eine Diagnose nur zu stellen, wenn deutliche Beeinträchtigungen im sozialen, schulischen oder beruflichen Bereich vorliegen und überdurchschnittlich häufig auftritt. Vier der folgenden Symptome müssen für eine Diagnose auftreten[9] :
ñ wird schnell ärgerlich
ñ streitet sich häufig mit Erwachsenen
ñ widersetzt sich häufig aktiv den Anweisungen oder Regeln von Erwachsenen oder weigert sich, diese zu befolgen
ñ verärgert andere häufig absichtlich
ñ schiebt häufig die Schuld für eigene Fehler oder eigenes Fehlverhalten auf andere
ñ ist häufig empfindlich oder lässt sich von anderen leicht verärgern
ñ ist häufig wütend und beleidigt
ñ ist häufig boshaft und nachtragend
Die 1999 durchgeführte Bremer Jugendstudie nannte eine Auftretenshäufigkeit bei vier- bis 18-Jährigen von 2,5%[10] .
2.2.2 ICD-10
Störung des Sozialverhaltens
Diese Störungen weisen ein „wiederholendes und andauerndes Muster dissozialen, aggressiven und aufsässigen Verhaltens[11] “ auf. Dabei gibt es verschiedene Erscheinungsformen, die ebenso in die Stufen leicht, mittel und schwer einzuordnen sind[12] :
ñ Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens
ñ Störungen des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen
ñ Störungen des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen
ñ Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten
ñ Andere und nicht näher bezeichnete Störungen des Sozialverhaltens
2.3 Arten der Aggression
Es gibt keineswegs nur eine Art der Aggression. Vielmehr gilt es viele verschiedene Arten der Aggression zu unterscheiden. Wie können sich diese äußern und was können Intentionen der Aggressoren sein?
offen vs. verdeckt
Die offene Aggression richtet sich direkt an eine andere Person oder Dinge und ist daher als ein „offener Akt der Konfrontation im Zusammenhang mit körperlicher Gewalt[13] “ zu sehen. Dazu zählen beispielsweise Drohungen und Beschimpfungen, Schikanieren, Tritte, Schläge oder der Gebrauch von Waffen.
Die hinterhältig-verdeckte hingegen ist weniger gut zu beobachten und somit schwieriger nachzuweisen. Essau und Conradt zählen zu dieser Unterart Stehlen, Schule schwänzen oder Weglaufen[14] . Petermann und Petermann hingegen bezeichnen neben Stehlen das Verbreiten von Gerüchten und lügen sowie den Versuch, über soziale Beziehungen andere zu schädigen, als verdeckte Aggression[15] .
Loeber und Stouthamer-Loeber stellten fest, dass offen-aggressive Kinder dazu neigen, in bestimmten Situationen reizbar, negativ und empfindlich zu reagieren, während Kinder mit verdeckt-aggressivem Verhalten weniger gesellig, ängstlicher und misstrauischer sind[16] .
Körperlich vs. verbal
Die körperliche Aggression, zu der physische Handlungen wie Schlagen oder Treten zählen, meint eine offene und direkte Konfrontation mit dem Opfer[17] .
Während bei dieser meist objektivierbare Verletzungen oder Schmerzen festzustellen sind, sind die Verletzungsfolgen verbaler Aggressionsangriffe für Außenstehende nicht eindeutig sichtbar[18] , denn bei der verbalen Aggression werden Worte angewandt. Zu diesem Subtyp zählen u.a. abfällige Bemerkungen, Schimpfen, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung und Erpressung oder Schreien[19] .
Initiativ vs. reaktiv vs. parteiergreifend
Diese Untertypen beziehen sich auf den Grad der Eigenbeteiligung an der aggressiven Handlung. Bei der initiativen Form ist eine große Eigenbeteiligung gegeben. Man handelt demnach aktiv[20] .
Die reaktive Aggression hingegen ist vielmehr als eine Antwort auf einen Angriff oder eine Bedrohung zu verstehen und daher immer abhängig von den Vorerfahrungen, den eingeübten Reaktionsformen und der eigenen Frustrationstoleranz[21] . Essau/Conradt betonen des Weiteren, dass der vorausgegangene Reiz nicht zwingend real gewesen sein muss, sondern auch nur als ein solcher wahrgenommen worden sein kann[22] . Häufig spielt bei reaktiv-aggressiven Kindern Rache eine entscheidende Rolle[23] .
Tritt man für einen Aggressor ein, bewertet man also eine Handlung aus der Beobachterperspektive positiv (offen oder auch verdeckt), spricht man von einer parteiergreifenden Aggression[24] .
Instrumentell motiviert vs. emotional motiviert
Ist die Aggression instrumentell motiviert, verfolgt sie das Ziel, etwas Bestimmtes zu erreichen. Sie ist somit zielorientiert, meist verdeckt und kontrolliert. Während einer instrumentell orientierten Aggression ist das Erregungsniveau gering[25] . Ziele könnten z.B. Anerkennung, Abwehr von Bedrohung, Gewinn oder positive Selbstbewertung sein. Vorderste Intention ist hierbei folglich nicht die Schädigung einer anderen Person oder eines Gegenstandes, sondern etwas Bestimmtes zu erreichen.
Emotional aggressives Verhalten, oder auch impulsive Aggression genannt, hingegen tritt als Reaktion auf eine subjektiv wahrgenommene Drohung oder Provokation. Es ist impulsiv, unkontrolliert und spontan[26] . Das Erregungsniveau ist in diesem Falle hoch. Meist wird sie von Ärger oder Angst begleitet und erfolgt offen[27] . Im Gegensatz zur instrumentellen Aggression gibt es keine Intention, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Wichtig dabei ist, dass die aufgeführten Arten der Aggression niemals getrennt voneinander zu betrachten sind. Sie treten immer kombiniert auf und schließen sich gegenseitig nicht aus. Im Nachfolgenden sollen weiter zwei speziellere Formen der Aggression aufgezeigt werden.
Autoaggression
Bei der Autoaggression werden im Gegensatz zur Fremdaggression, zu der alle bisher genannten Formen zählen, die schädigenden Verhaltensweisen nicht nach außen projiziert, sondern richten sich auf die eigene Person. Gründe für das Bestehen dieser Unterart können beispielsweise ein Hilferuf nach Außen oder eine Kompensation von fehlender Liebe oder Zuwendung sein. Oft soll durch solch ein Verhalten Aufmerksamkeit erzeugt werden[28] . Zur Autoaggression zählen selbst herbeigeführte Verletzungen (z.B. Ritzen), der Missbrauch von Rausch- oder Suchtmitteln (z.B. Drogen, Tabletten, Alkohol) als auch Essstörungen[29] .
Die angstmotivierte Aggression
Die angstmotivierte Aggression ist vorwiegend emotional begründet und äußert sich in expressiven Wutausbrüchen und Zorn. Diese Unterart ist durch Verhaltensunsicherheiten begründet. Betroffene haben meist wenig Vertrauen zu anderen und fühlen sich schneller bedroht. Um ihre entstandene Angst zu verringern, nehmen sie eine Abwehrhaltung ein, die sich in Aggressionen äußert[30] . Automatisch tritt für die Kinder eine Art „emotionale Erleichterung“ ein. Diese wirkt als negative Verstärkung[31] . Zusätzlich wird dieses Verhalten positiv verstärkt, da durch die Reaktion der anderen Kinder (Angst, Unterwürfigkeit o.Ä.) ein vergrößerter Handlungsfreiraum entsteht[32] .
Die soziale Umwelt jedoch reagiert mit Sanktionen, da sie Aggressionen grundlegend nicht akzeptiert. Die zunächst vermeintliche Bedrohung von Außen wird immer realer, das Kind reagiert erneut mit angstmotivierter Aggression, sodass ein sich immer mehr festigender Kreislauf entsteht[33] . Die Aggressionen treten häufiger auf und weiten sich mehr und mehr aus.
Unter dieser Art der Aggression leiden laut Petermann etwa ein Drittel aller Grundschulkinder[34] .
2.4 Typische Verhaltensweisen aggressiver Kinder
Besonders im Grundschulalter weisen aggressive Kinder spezifische Verhaltensweisen auf, die von Petermann und Petermann aufgezeigt wurden und im Nachfolgenden erläutert werden sollen[35] .
ñ massive Wutausbrüche
ñ häufiges Streiten mit Erwachsenen
ñ absichtliches Ärgern anderer
ñ sich Anweisungen und Regeln von Erwachsenen widersetzen
ñ die Schuld für eigene Fehler anderen zuschieben
ñ leicht beleidigt und reizbar sein
ñ andere bedrohen oder einschüchtern
ñ häufiges Beginnen von Schlägereien
ñ Gegenstände benutzen, die anderen schweren körperlichen Schaden zufügen können
ñ andere (z.B. schwächere Kinder) oder Tiere quälen
ñ bewusst Eigentum anderer zerstören
ñ Stehlen/ anderen Dinge wegnehmen
ñ nachts unerlaubt von zuhause wegbleiben
ñ häufiges Schule schwänzen
ñ oft unaufmerksam (oder ADS)
ñ häufig Verweigerungshaltung
3. Wie entstehen Aggressionen? - Theorien
Sind Aggressionen angeboren? Kann man sie erlernen? Oder entstehen sie mehr oder weniger spontan aus dem Affekt heraus? Bezüglich dieser Fragen haben sich in den letzten Jahren verschiedene Theorien entwickelt, über die die Wissenschaft bisher noch keine Einigung finden konnte. Im Nachfolgenden sollen die wichtigsten dieser Theorien erläutert werden.
3.1 Die Trieb- oder Instinkttheorie
Laut dieser These, die vor allem von dem Verhaltensforscher Lorenz vertreten wird, trägt jedes Individuum ein angeborenes Aggressionspotential in sich, das genetisch bestimmt ist[36] . Lorenz geht davon aus, dass dieser Instinkt dem Mensch und Tier ursprünglich der Verteidigung, der Arterhaltung sowie dem Beutetrieb diente[37] . Er hebt die Spontanität hervor, mit der sich Aggressionen äußern und welche diese erst gefährlich werden ließe.
„Die Spontaneität des Instinktes ist es, die ihn so gefährlich macht. Wäre er nur eine Reaktion auf bestimmte Außenbedingungen, was viele Soziologen und Psychologen annahmen, dann wäre die Lage der Menschheit nicht ganz so gefährlich, wie sie tatsächlich ist. Dann könnte man grundsätzlich die reaktions-auslösenden Faktoren erforschen und ausschalten.[38] “
Nach einer spontanen Entstehung, zum Beispiel aus dem Spiel heraus mit der Intention, die eigene Stärke zu testen, schaukelt die Aggression weiter hoch, drängt dann zur Handlung und erlischt danach wieder für einen bestimmten Zeitraum[39] .
Kritisch zu sehen ist an dieser Stelle jedoch, dass Lorenz bei seiner Aggressionsforschung „bei Mensch und Tier unter einer gemeinsamen begrifflichen Perspektive[40] “ betreibt und „auch schon einmal kurzschlüssig von Buntbarschen und Graugänsen auf die Aggressivität des Menschen geschlossen wird.[41] “.
Auch Freud ging um 1920 davon aus, dass jedem Individuum ein Aggressions- und Destruktionstrieb inne wohne. Halte man diesen zurück, erkranke man. So sei es nötig, den Trieb zu entlasten, was lediglich durch Fremd- oder Autoaggression möglich sei[42] . Im Gegensatz zu Lorenz' ethologisch begründeten Triebtheorie gründet jene Freuds auf die Psychoanalyse.
Laut der Triebtheorie liegt der aggressiven Handlung keinerlei böse Absicht zugrunde[43] .
3.2 Die Lerntheorie
Ebenso entstand in den sechziger Jahren die Annahme, dass aggressives Verhalten gelernt ist - eine Theorie, die sich auf das „Lernen am Modell“ von Bandura (1989) zurückführen lässt. Aggressives Verhalten entsteht demnach durch Nachahmung der Menschen, die dieses Verhalten ebenso anwenden[44] . Das abgeschaute Verhalten muss jedoch nicht zwingend direkt nachgeahmt werden. Es kann ebenso verzögert und erinnert bzw. durch symbolische Repräsentation erfolgen[45] .
„Aggressionsbegünstigende Modelle lassen sich als Verhaltensstil von Bezugspersonen wie auch eines einzelnen Vorbildes ausfindig machen, als reale oder medial vermittelte Leitbilder in der Umwelt oder als fiktive Figuren aus irgendwelchen Horror-Szenen. Charakteristisch ist, daß sie fast unvermeidliche Wirkungen auf die kindliche Phantasie ausüben, indem sie die Sehnsucht des Kindes/Jugendlichen nach Größe, Stärke und Macht anstacheln.[46] “
Die Medien (gewalthaltige Computerspiele oder Filme) tragen laut dieser Theorie folglich zum Imitationslernen und Ausüben aggressiver Handlungen bei, da sich das Individuum das Verhalten bei den dort auftauchenden Figuren abschaut und nachahmt. In der Familie können diese Modelle beispielsweise die Eltern oder Geschwister des Kindes sein. Hat ein Kind Erfahrung mit Schlägen o.Ä., wurde es beispielsweise selbst geschlagen oder hat eine Gewaltaktion miterlebt, übernimmt es diese Verhaltensweisen. Merkt es, dass es damit Erfolge erzielt, bekommt es in der Schule beispielsweise mehr Aufmerksamkeit (gleich ob positive oder negative), wiederholt es sein Verhalten, das sich schnell festigen und zur Gewohnheit werden kann. Die Art, wie schnell und ob Modellverhalten wirkt, hängt jedoch von der Modellperson, der beobachtenden Person und deren Beziehung zueinander ab. Ebenso entscheiden Erfolg oder Misserfolg des aggressiven Verhaltens sowie die Konsequenzen darüber, wie gut oder schlecht Modellverhalten wirkt[47] .
3.3 Frustrations-Aggressions-Theorie
John Dollard und seine Forschungsgruppe (Yale-Gruppe) stellten 1939 die Theorie auf, dass Frustration immer eine Form von Aggression hervorruft. Frustration meinte dabei das Gefühl, das auftritt, wenn ein zielgerichtetes Verhalten blockiert wird[48] . Sie unterschieden zwischen den vier Frustrationsmöglichkeiten Hindernisfrustration, Misserfolge, Mangelzustände und schädigende Reize[49] .
[...]
[1] Vgl. Cierpka, M. (2005). Faustlos - wie Kinder Konflikte gewaltfrei lösen lernen (5. Aufl.). Freiburg im Breisgau: Herder, S.15f.
[2] Vgl. Staatsinstitut für Frühpädagogik: Online Familienhandbuch. HTML: https://www.familienhandbuch.de/ haufige-probleme/elternprobleme/wenn-kinder-und-jugendliche-ihre-eltern-schlagen (Stand: 3.12.11).
[3] Vgl. Bründel, H.; Hurrelmann, K. (1994): Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven Kindern um? München: Droemer Knaur, S.23.
[4] Klosinski, G. (2004): Pubertät heute. Lebenssituationen, Konflikte, Herausforderungen. München: Kösel, S.119.
[5] Vgl. Ratzke, K. (1999): Gewalt, Aggressivität und Aggressionen. In: Cierpka, M. (Hg.) (1999): Kinder mit aggressivem Verhalten. Ein Praxismanual für Schulen, Kindergärten und Beratungsstellen. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle: Hogrefe, S. 15.
[6] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München; Basel: E. Reinhardt, S.28.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J, S.11f.
[9] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München; Basel: E. Reinhardt, S.28f.
[10] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J, S.11f.
[11] Ratzke, K. (1999): Gewalt, Aggressivität und Aggressionen. In: Cierpka, M. (Hg.) (1999): Kinder mit aggressivem Verhalten. Ein Praxismanual für Schulen, Kindergärten und Beratungsstellen. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle: Hogrefe, S. 18.
[12] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München; Basel: E. Reinhardt, S.33f.
[13] Ebd., S.17.
[14] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München; Basel: E. Reinhardt, S.17.
[15] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J, S.5.
[16] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München; Basel: E. Reinhardt, S.17.
[17] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J., S.5.
[18] Vgl. Selg, H.; Mees, U.; Berg, D. (1988): Psychologie der Aggressivität. Göttingen: Verlag für Psychologie, Hogrefe, S. 21.
[19] Vgl. ebd.
[20] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J., S.5.
[21] Vgl. Merkens, L. (1989): Aggressivität im Kindes- und Jugendalter. Entstehung, Ausdrucksformen, Interventionen. München [u.a.]: Reinhardt, S.21.
[22] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München; Basel: E. Reinhardt, S.18.
[23] Vgl. ebd.
[24] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J., S.5.
[25] Vgl. Klosinski, G. (2004): Pubertät heute. Lebenssituationen, Konflikte, Herausforderungen. München: Kösel, S.120.
[26] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J., S.4.
[27] Vgl. Klosinski, G. (2004): Pubertät heute. Lebenssituationen, Konflikte, Herausforderungen. München: Kösel, S.120.
[28] Fachzentrum für Pflegekinderwesen Sachsen-Anhalt (FZPSA): HTML: http://www.fzpsa.de/paedpsych/ Fachartikel/erziehung/aggressionen/aggressionen-bei-kindern-und-jugendlichen (Stand: 27.11.11).
[29] Vgl. ebd.
[30] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J, S.6.
[31] Vgl. ebd.
[32] Vgl. ebd., S.7.
[33] Vgl. ebd., S.8.
[34] Vgl. ebd., S.6.
[35] Vgl. Petermann, F.; Petermann, U. (2008): Training mit aggressiven Kindern. 12., vollst. überarb. Weinheim, Bergstr: Beltz, J, S.314.
[36] Vgl. Bründel, H.; Hurrelmann, K. (1994): Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven Kindern um? München: Droemer Knaur, S.255.
[37] Vgl. ebd.
[38] Lorenz, K. (1963): Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. Wien: Dr. G. Borotha-Schoeler Verlag, S.77f.
[39] Vgl. Bründel, H.; Hurrelmann, K. (1994): Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven Kindern um? München: Droemer Knaur, S.255 f.
[40] Selg, H.; Mees, U.; Berg, D. (1988): Psychologie der Aggressivität. Göttingen: Verlag für Psychologie, Hogrefe, S.12f.
[41] Ebd., S.13.
[42] Vgl. Merkens, L. (1989): Aggressivität im Kindes- und Jugendalter. Entstehung, Ausdrucksformen, Interventionen. München [u.a.]: Reinhardt, 11.
[43] Vgl. Bründel, H.; Hurrelmann, K. (1994): Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven Kindern um? München: Droemer Knaur, S.256.
[44] Vgl. Bründel, H.; Hurrelmann, K. (1994): Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven Kindern um? München: Droemer Knaur, S.262.
[45] Vgl. Bandura, A. (1976): Lernen am Modell. Stuttgart: Klett, S.12.
[46] Merkens, L. (1989): Aggressivität im Kindes- und Jugendalter. Entstehung, Ausdrucksformen, Interventionen. München [u.a.]: Reinhardt, S.25.
[47] Vgl. Bründel, H.; Hurrelmann, K. (1994): Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven Kindern um? München: Droemer Knaur, S.264.
[48] Vgl. Essau, C.; Conradt, J. (2004): Aggression bei Kindern und Jugendlichen. Mit 11 Tabellen und 88 Übungsfragen. 1. Aufl. München, Basel: E. Reinhardt, S.111.
[49] Vgl. Nolting, H.P (1969): Lernfall Aggression. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, S.40ff.