Die Entstehung des Deutschen Bundes und Metternichs Politik auf dem Wiener Kongress
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vorgeschichte und Ausgangssituation in den Jahren 1813/
3. Die Verhandlungen über die deutsche Verfassungsfrage auf dem Wiener Kongress
und die Entstehung des Deutschen Bundes
3.1 Der 12-Punkte-Plan Metternichs als gemeinsamer
preußisch-österreichischer Verfassungsentwurf
3.2 Die polnisch-sächsische Krise und das Scheitern des
12-Punkte-Plans
3.3 Der weitere Fortgang der Verhandlungen und der
Abschluss der Bundesakte
4. Fazit
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Als die antinapoleonische Koalition siegreich aus den Befreiungskriegen hervorging und Napoleon Mitte April 1814 abdanken und ins Exil nach Elba gehen musste, stellte sich nach über 20 Jahren territorialen und politischen Umwälzungen, Krieg und französischer Hegemonie die Frage nach einer Neuordnung des europäischen Staatensystems und der Wiederherstellung einer auf einem Gleichgewicht beruhenden Staatenordnung. Nichts geringeres als dies hatten sich die europäischen Souveräne und ihre Bevollmächtigten auf dem vom Oktober 1814 bis Juni 1815 abgehaltenen Wiener Kongress als Aufgabe auferlegt. Neben dieser gesamteuropäischen Neuordnung stellte sich auf dem Kongress die wichtige Aufgabe der unweigerlich damit eng verknüpften territorialen und gesamtorganisatorischen Neuordnung Deutschlands. Es musste ein adäquater politischer Verfassungsrahmen für die Gesamtheit der deutschen Staaten gefunden werden, nachdem das Heilige Römische Reich im Zuge der napoleonischen Hegemonialpolitik untergegangen war. Wie bekannt ging aus den Verhandlungen über die deutsche Verfassungsfrage auf dem Wiener Kongress der Deutschen Bund als lockere völkerrechtliche Vereinigung der einzelnen souveränen deutschen Staaten hervor. Diese Arbeit soll sich folglich mit der Entstehung des Deutschen Bundes auf dem Kongress, namentlich den maßgeblichen Verfassungsentwürfen, der Politik der verschiedenen deutschen Staaten, den Problemen und Krisen dieser Verhandlungen und dem Abschluss der Deutschen Bundesakte befassen. Des Weiteren wird im Ersten Punkt des Hauptteils auf die Vorgeschichte und Ausgangssituation in den Jahren 1813/14 eingegangen, da in dieser Zeit verschiedene politische Geschehnisse die spätere Entstehung des Deutschen Bundes im Vorhinein schon beeinflussten und der Leser somit den Ausgangspunkt für die Verhandlungen der deutschen Verfassungsfrage auf dem Wiener Kongress kennt. Ferner wird ein besonderes Augenmerk auf die Person Metternichs und seiner Politik bezüglich des Entstehens des Deutschen Bundes gelegt. Es sollen dabei folgenden Leitfragen im Vordergrund stehen: Welche politischen Ereignisse beeinflussten die Entstehung des Deutschen Bundes schon im Vorhinein und wieso taten sie dies? Was waren die politischen Zielvorstellungen der verschiedenen deutschen Staaten, insbesondere Österreichs und Preußens? Was waren die Gründe und Motive der deutschen Staaten für ihre Verhandlungspolitik, insbesondere für Österreich und Preußen? Und was waren die Gründe und Motive Metternichs für sein politisches Handeln bezüglich der deutschen Verfassungsfrage? Anhand dieser Fragen soll chronologisch die Entstehung des Deutschen Bundes dargestellt werden.
Geschichtswissenschaftlich interessant ist die Frage nach der Entstehung des Deutschen Bundes, da sie die politischen Gegensätze der verschiedenen einzelnen deutschen Staaten aufzeigt und somit auch erklärt, wieso eine engere, bundesstaatlichere und nationalstaatlichere Einigung ganz Deutschlands zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war. Auch zeigt die Entstehung des Deutschen Bundes wie sehr die Neuordnung Deutschlands eine alle europäischen Mächte angehende Frage war.
Diese Arbeit stützt sich zum überwiegenden Teil auf Darstellungen bzw. Sekundärliteratur. Der Forschungsstand bietet zur Bearbeitung des Themas und der Fragestellung ausreichendes und umfassendes Material. Hier zu nennen sind vor allem die Publikationen: „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789“ von Ernst Rudolf Huber[1] , „Deutsche Geschichte 1800-1866“ von Thomas Nipperdey[2] , „Vom Staatenbund zum Nationalstaat“ von Wolfram Siemann[3] und „Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress“ von Elisabeth Fehrenbach[4] .
2. Vorgeschichte und Ausgangssituation in den Jahren 1813/14
Die folgenden Ausführungen sollen einen knappen Überblick über die politische und diplomatische Ausgangssituation vom Übergang Österreichs zur antinapoleonischen Koalition im August 1813 über die erste Abdankung Napoleons (12. April 1814) bis zum Ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) darstellen. Besonderes Augenmerk soll hier auf den politischen Geschehnissen liegen, welche explizit die deutschen Staaten betrafen und die spätere Entstehung des Deutschen Bundes im Vorhinein schon beeinflussten.
Österreich trat am 11. August 1813[5] in den Krieg gegen Napoleon auf Seiten der Koalitionsmächte[6] ein. Dem Kriegseintritt vorausgegangen war die Konvention von Reichenbach (27. Juni 1813), in der sich Österreich bereit erklärte Napoleon den Krieg zu erklären, sollte dieser nicht auf die von Metternich ausgearbeiteten Friedensbedingungen eingehen.[7] In dem als Vermittlungsversuch angesetzten Gespräch zwischen Napoleon und Metternich in Dresden (26. Juni 1813) lehnte der französische Kaiser diese Bedingungen jedoch als für ihn nicht hinnehmbar ab.[8] Wie vertraglich verabredet trat Österreich daraufhin in den Krieg ein und schloss am 9. September mit Russland und Preußen ein offizielles Bündnis gegen Napoleon (Bündnisvertrag von Teplitz[9] ). In diesem wurde als allgemeines Kriegsziel die Wiederherstellung des europäischen Mächtegleichgewichts von 1805 erklärt. Des Weiteren wurde für Deutschland im speziellen die Unabhängigkeit der deutschen Staaten, die Wiederherstellung der territorialen Ordnung Nordwestdeutschlands (von 1803), die Auflösung des Rheinbundes, sowie die Rheingrenze festgelegt.[10] Die deutsche Verfassungsfrage blieb jedoch zunächst ungeklärt.[11]
Metternich hatte schon während des Sommers 1813 intensiv versucht die süddeutschen Staaten, vor allem Bayern, zum Beitritt zur Koalition und somit zum Austritt aus dem Rheinbund zu bewegen. Im Verlaufe des Kriegsherbstes, im Oktober 1813, kam es dann, auch dank Metternichs Hintergrunddiplomatie, zum Seitenwechsel des Königreichs Bayern. Noch bevor Napoleon in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig (16.-19. Oktober 1813) entscheidend geschlagen wurde, gelang es Metternich nach vierwöchigen Verhandlungen am 8. Oktober 1813 in Ried einen, wie Thomas Nipperdey es treffend formulierte, „[...] für die Zukunft Deutschlands höchst bedeutsamen Vertrag [...]“[12] mit Bayern zu schließen.[13] [14] Bayern trat damit aus dem Rheinbund aus und der Koalition gegen Napoleon bei. Österreich hingegen garantierte Bayern die volle Souveränität und dessen territorialen Besitzstand.[15] Nachdem Bayern den ersten Schritt getan hatte und sich der Rheinbund nach der „Völkerschlacht“ von Leipzig begann aufzulösen, folgten weitere, ähnliche Verträge[16] mit den übrigen deutschen Mittelstaaten des Rheinbundes (mit Ausnahme Sachsens), in denen den ehemaligen Rheinbundstaaten ebenso der territoriale Bestand[17] und die Souveränität garantiert wurden.[18] Die Auflösung und Zerschlagung der Rheinbundstaaten, wie z.B. Freiherr von Stein[19] sie forderte, war damit ausgeschlossen, ebenso die Rückkehr zu den Zuständen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Folglich waren der impulsgebende Vertrag von Ried und die folgenden Verträge eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung des Deutschen Bundes, da die von Napoleon geschaffenen süddeutschen Staaten nun allgemeine völkerrechtliche Anerkennung genossen und somit „[...] zu Elementen auch der nachnapoleonischen Neuordnung Deutschlands [...]“[20] wurden.[21] Auf Grund der Souveränitätsgarantien in den Verträgen wurde daher die später auf dem Wiener Kongress getroffene staatenbündische Antwort auf die deutsche Verfassungsfrage, namentlich der Deutsche Bund, weitgehend schon vorentschieden.[22] [23] [24] Metternichs Hauptgrund für die Abschlüsse der genannten Verträge war vor allem sein Grundbedürfnis nach Stabilität, welches seinem grundlegenden Politikkonzept entsprach. Denn „[...] jeder Rückgang hinter die territoriale Neuordnung Napoleons hätte ein Chaos alter und neuer Ansprüche in Bewegung gesetzt“[25] . Speziell mit dem Vertrag von Ried wollte er außerdem die über Jahrhundert währende Rivalität zwischen Österreich und Bayern beenden und das Königreich zum Verbündeten Österreichs vor allem gegenüber Preußen machen. Preußen hatte im süddeutschen Raum seine eigenen Interessen verfolgt und ein gemeinsames Vorgehen mit Österreich abgelehnt, weshalb der Vertrag auch eine habsburgerische Reaktion auf diese Ambitionen Preußens war.[26]
[...]
[1] Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Reform und Restauration 1789-1830, 2. Aufl., Stuttgart 1967.
[2] Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, 6. Aufl., München 1993.
[3] Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806-1871, München 1995 (Neue Deutsche Geschichte Bd. 7).
[4] Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress, 3. Aufl., München 1993 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte Bd. 12).
[5] Vgl. Fehrenbach, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress, S. 124.
[6] Im Frühjahr/Sommer 1813 hatten sich Preußen, Russland, England, Schweden, Spanien und Portugal zur einer großen Koalition gegen Napoleon zusammengeschlossen. Vgl. hierzu Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 85.
[7] Wolfram Siemann, Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne, München 2010, S. 46. Die Bedingungen waren, dass Napoloen auf seine Herrschaften in Polen (Herzogtum Warschau), in Norddeutschland (Hansestädte) und in Illyrien verzichten sollte. Außerdem sollte er der Vergrößerung Preußens im Osten zustimmen und alle französisch besetzten Festungen in Preußen räumen. Vgl. hierzu Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 86.
[8] Vgl. hierzu Siemann, Metternich, S. 47: „Metternich unterbreitete die Bedingungen der Kriegsgegner: Rückzug auf die Grenzen Frankreichs im Jahre 1792 und Auflösung des Rheinbundes. Napoleon antwortete wie erwartet: 'Ich trete keine Hand breit Boden ab'“. Napoleon machte gegenüber Metternich in Dresden den Vorschlag eines allgemeinen Friedenskongresses in Prag, dem auch alle Parteien zustimmten. Die Gespräche in Prag zeigten jedoch, dass Napoleon zu keinen Zugeständnissen bereit war und das von Metternich am 8. August 1813 überbrachte Ultimatum ließ der französische Kaiser unbeantwortet, worauf es zum Kriegseintritt Österreichs kam. Vgl. hierzu Michael Erbe, Revolutionäre Erschütterungen und erneutes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785-1830, Paderborn 2004 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen Bd. 5), S. 336 und Siemann, Metternich, S. 50.
[9] Für den Vertragstext siehe Corpus Juris Confoederationis Germanicae oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bunds, hrsg. v. Philipp Anton Guido Meyer, Bd. 1. Staatsverträge, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1858, S. 144-145.
[10] Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 87, sowie Erbe, Revolutionäre Erschütterungen und erneutes Gleichgewicht, S. 336.
[11] Manfred Botzenhart, Reform, Restauration, Krise. Deutschland 1789-1847, Frankfurt am Main 1985, S. 78.
[12] Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 87.
[13] Vgl. hierzu ebd., S. 87, sowie Erbe, Revolutionäre Erschütterungen und erneutes Gleichgewicht, S. 337.
[14] Für den Text des Vertrages von Ried siehe Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 und 1815, hrsg. v. Johann Ludwig Klüber, Bd. 1 Heft 2, S. 89ff.
[15] Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 87. Siehe hierzu ebenso Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 494.
[16] Das Königreich Württemberg erhielt am 2. November 1813 mit dem, dem Rieder Vertrag nachgebildeten Vertrag von Fulda ebenso Besitzstands- und Souveränitätsgarantien. In den Frankfurter Akzessionsverträgen vom 20., 23. und 24. November 1813 bekamen die Rheinbundstaaten Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau sowie die Mehrzahl der thüringischen Staaten (Sachsen-Coburg, Sachsen-Gotha etc.) ebenso diese Zusicherungen. Siehe hierzu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 495-496.
[17] Die territorialen Veränderungen seit 1803 wurden anerkannt. Vgl. hierzu Fehrenbach, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress, S. 124.
[18] Ebd., S. 124.
[19] Vgl. auch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 494: „Stein, der gehofft hatte, die Rheinbundstaaten kraft des 'Rechts der Eroberung' zu Zugeständnissen in der deutschen Frage zwingen zu können, erhob gegen die Grundsätze des Vertrags von Ried zwar Protest, jedoch ohne Erfolg“.
[20] Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 87.
[21] Ebd., S. 87, sowie Fehrenbach, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress, S. 124.
[22] Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 87.
[23] Vgl. hierzu ebenso Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 494: „Der Vertrag von Ried war ein Präjudiz gegen die engere nationalstaatliche Verbindung Deutschlands. Er machte jede Beschränkung der partikularstaatlichen Souveränitätsrechte vom freien Verzicht der Einzelstaaten abhängig, der von den süddeutschen Staaten jedoch nicht zu erwarten war“.
[24] Es gab in diesen Verträgen zwar auch Vorbehalte bezüglich von Einschränkungen der Souveränität zugunsten einer zukünftigen deutschen Bundesorganisation, dies änderte aber nichts grundlegendes an dem eingeschlagenen Weg. Vgl. hierzu Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 88. So enthielt der Vertrag von Fulda im Gegensatz zum Rieder Vertrag eine Einschränkung der Souveränitätsgarantie. Und auch die Frankfurter Akzessionsverträge enthielten eine Unterwerfungsklausel, die besagte, dass sich die nun der Allianz angeschlossenen Rheinbundstaaten allen Abtretungen an Macht oder territorialem Besitz unterwerfen mussten, die sich bei der kommenden Neuordnung Deutschlands als notwendig erweisen würden. Vgl. hierzu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 495-496.
[25] Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 87-88.
[26] Vgl. ebd., S. 87.