Bestimmte Verhalten eines Menschen zu verstehen ist nicht immer frei von persönlichen Vorurteilen und Intepretationen. In der Arbeit als Sozialpädagoge/in ist es jedoch unabdingbar.
Ich habe versucht dies an einem Fallbeispiel anzuwenden.
Das Fallbeispiel wird mit dem ICF (International Classificacion of Functioning) beschrieben.
Ein bestimmtes Verhalten der Person wird mit der Methode der 6 Schritten: Beobachten zum Beurteilen erfasst.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
1.1. Institution
1.2. Angaben zur Person
1.2.1. Auswahl der zu beobachtenden Person
1.2.2. Beschreibung der zu beobachtenden Person
1.2.3. Aktuelle Situation von Frau J. nach Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit
2. Beobachtungskonzept
2.1. Beobachtungsabsicht
2.2. Fragestellung
2.3. Beobachtungsbereiche
2.4. Planung der Beobachtungssituationen
3. Beschreibung der Beobachtungen und deren Bearbeitung
3.1. Beobachtungssituation
3.1.1. Situation
3.1.1.1. Kontext
3.1.1.2. Beobachtung
3.1.2. Deutung
3.1.3. Hinterfragung
3.1.4. Deutung
3.1.5. Hinterfragung
3.1.6. Selbstbeobachtung
3.2. Beobachtungssituation
3.2.1. Situation
3.2.1.1. Kontext
3.2.1.2. Beobachtung
3.2.2. Deutung
3.2.3. Hinterfragung
3.2.4. Deutung
3.2.6. Selbstbeobachtung
3.3. Beobachtungssituation
3.3.1. Situation
3.3.1.1. Kontext
3.3.1.2. Beobachtung
3.3.2. Deutung
3.3.3. Hinterfragung
3.3.5. Hinterfragung
3.3.6. Selbstbeobachtung
4. Beurteilung
4.1. Gesamtbericht
4.2. Beantwortung der Fragestellung
5. Konsequenzen
Fazit:
6. Literaturverzeichnis:
1 Einleitung
In dieser Arbeit möchte ich versuchen die 6 Schritte vom Beobachten zum Beurteilen anzuwenden. Es soll mir ermöglicht werden durch die Beobachtungen eigene Deutungen zu erstellen, welche mit Theorieelementen belegt werden können.
Das Ziel dieser Arbeit ist für mich durch die 6 Schritte vom Beobachten zum Beurteilen meine Fragestellung beantwortet zu bekommen um die beobachtete Person besser verstehen und optimalere unterstützen zu können.
Bei der Handhabung der Anonymisierung werde ich die beobachtete Person als Frau J. bezeichnen. Die Institution wird nicht beim Name genannt und alle Ortschaften in der näheren Umgebung, werden in dieser Arbeit nicht benannt.
Die gendergerechte Sprache werde ich anwenden, in dem ich beide geschlechterspezifischen Namen ausschreibe (Sozialpädagoge/Sozialpädagogin) oder in der Mehrzahl schreibe.
1.1. Institution
In der Wohngemeinschaft leben vier kognitiv beeinträchtigte Männer und zwei kognitiv beeinträchtigte Frauen. Der Betreuer/ Betreuerinnen Schlüssel beträgt ohne Sonderbewilligung sechshundertfünfzig Prozent, zum jetzigen Zeitpunkt ist er auf siebenhundert zehn Prozent.
Es ist ein allein stehendes Haus am Dorfrand. In unserem Leitbild wird das „Normalisierungsprinzip“ als Grundidee für die agogische Arbeit in der Wohngruppe gelebt.
In der Wohngemeinschaft ist ein Bewohnender mit eine kognitiven Beeinträchtigung und aggressiven Verhaltensweisen „gesetzt“, das heißt die Wohngemeinschaft wurde um diesen Bewohnenden herum aufgebaut.
Im Wohnallltag ist es für die Mitarbeiter erschwert, Beschäftigungen sowie Arbeitsstrukturen zu etablieren, da die Bewohner äußerst verhaltensauffällig sind.
1.2. Angaben zur Person
1.2.1. Auswahl der zu beobachtenden Person
In dieser Methodenarbeit sehe ich die Chance ein Verhalten schriftlich und kognitiv erfassen zu können. Ich erhoffe mir durch diese Arbeit verschiedene Einblicke zu bekommen, welche mir in meiner agogischen Arbeit in der Praxis eine Unterstützung sind. Diese neuen Einblicke sollen für die Ausgewählte Person und mich eine Hilfe sein im Umgang im alltäglichen und in der Auseinandersetzung miteinander.
Die ausgewählte Person Frau J. wähle ich aus verschiedenen Gründen. Einerseits weil ich mir die Beobachtungssituationen gut gestalten kann, anderseits weil das Verhalten welches Frau J. zeigt, problematisch für sie und mich ist.
Durch die Komplexität des Verhaltens, welche Frau J. gegenüber mir zeigt, sehe ich in dieser Arbeit eine Chance dies schrittweise und wertfrei zu erfassen und durch dies mir eine objektivere Meinung zu bilden.
Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit sollen mir meinen Handlungsspielraum erweitern und Frau J. ermöglichen ihre Ressourcen zu erkennen, zu fördern und zu entwickeln.
Frau J. ist eine erwachsene Frau, welche viele Ressourcen besitzt, welche Ressourcen noch zu wenig gefordert werden und Ihr noch nicht bewusst sind. Es soll auch eine Arbeit sein, welche Frau J. zeigen soll, dass sie ein Wertvoller Mensch und ein bereicherndes Mitglied in der Wohngruppe ist, sowie sie und mich in der Auseinandersetzung mit der Fixationsproblematik ermutigen.
1.2.2. Beschreibung der zu beobachtenden Person
Frau J. ist 24 Jahre alt. Sie hat eine leichte kognitive Beeinträchtigung und eine latente Epilepsie. Sie ist 1.65m groß, hat braune, kurze Haare, braune Augen und einen normalen Körperbau. Sie ist Brillenträgerin. Sie hat X- Beine, welche ihre Art und Weise wie sie geht prägen.
Frau J. ist aufgewachsen in Zürich bei ihren Eltern und ihrer 2 Jahre älteren Schwester.
Die Eltern holen Frau J. alle zwei Wochen von der Wohngemeinschaft Stofel ins Wochenende zu sich. Die Familie pflegt einen regelmäßigen Kontakt untereinander, besonders der Kontakt zwischen Frau J. und ihrer Mutter ist innig.
Bis Frau J. in unsere Wohngemeinschaft gestoßen ist, besuchte sie extern eine heilpädagogische Schule. Sie lebte bis sie in die Wohngemeinschaft gestoßen ist bei ihren Eltern in Zürich.
Frau J. ist seit 6 Jahren in der Wohngemeinschaft zu Hause. Sie geht 4 ganze Tage extern in eine geschützte Werkstatt arbeiten, wo Frau J. verschiedene Aufgaben hat.
Frau J. zeigt ein Verhalten, dass sich jeweils bei einer Betreuerin manifestiert, indem dass Frau J. Nähe und Distanz nicht selbstregulieren kann. Wir nennen dies bei uns eine „Fixationsproblematik“.
Dieses Verhalten zeigte Frau J. schon in der heilpädagogischen Schule. Die Ortswechslung von Zürich nach Unterwasser beeinflusste die „Fixationsproblemtik“ sofern, dass sich die Fixationsperson änderte, das Verhalten von Frau J. jedoch gleich blieb. Die Fixationsproblematik hat sich auf eine Betreuerin in der Wohngemeinschaft „übertragen“.
Durch das Abgehen der Fixationsperson von Frau J. in der Wohngemeinschaft, wechselte die Fixationsperson. Die Fixationspersonen wurden eine Mitarbeiterin der geschützen Werkstatt, in welcher Frau J. arbeitet und ich anderseits, welche Frau. J im Wohnbereich begleitet.
Im Wohnalttag gestaltet sich dieses Verhalten für Frau J. und mich als problematisch für die Umsetzung von Aufträgen wie zum Beispiel Tisch decken. Da Frau J. in der Regulation von Nähe und Distanz Unterstützung braucht, bin ich oft in der Dilemmasituation, wie viel Nähe Frau J. annehmen kann, um ihre Aufmerksamkeit nicht zu gefährden.
Die Aufmerksamkeit von Frau J. ist auf mich gerichtet und manifestiert sich, Frau J. folgt mir auf Schritt und Tritt und sieht mich konstant an.
1.2.3. Aktuelle Situation von Frau J. nach Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit
Klassifikation der Körperfunktionen
- Mentale Funktionen; B117 Funktionen der Intelligenz
Frau J. hat eine kognitive Beeinträchtigung
Die kognitive Beeinträchtigung äußert sich in ihrem Lern- und Explorationsverhalten
- Globale mentale Funktionen; B114 Funktion der Orientierung
Frau J. kann die vollen Stunden benennen, die Minuten jedoch nicht. Gelegentlich ist man überrascht, dass sie doch sehr genau die Zeit lesen kann. Sie hat ein gutes Verständnis dafür, welche Jahreszeit ist und welche kulturellen Tage aktuell kommen.
Die Wochentage und die Wochenenden weiß Frau J. auswendig, wann sie zu den Eltern geht.[1]
Die Umgebungs- sowie Raumorientierung, kann sie benennen und differenzieren. Sie kann sich im Dorf alleine bewegen, sie kann sagen wo sie war und kann selbständig wieder zurück kommen. Sie kann die Örtlichkeiten (Elternhaus, Ferienhaus, Wohngemeinschaft) klar differenzieren und die Leute und sich in ihren Rollen einordnen.
- Spezifische mentale Funktionen; B140 Funktion der Aufmerksamkeit
Frau J. zeigt Schwierigkeiten, sich auf mehre Tätigkeiten zu konzentrieren.
Frau J. kann sich alleine im Zimmer ausgeprägt auf einzelne Sachen (Puzzel) konzentrieren und mit langer Aufmerksamkeitsdauer. Sie kann ihre Aufmerksamkeit lenken und halten. Der Wechsel ihrer Aufmerksamkeit findet nach ihrem Interesse statt, welche nur bedingt beeinflusst werden kann.
- Spezifische mentale Funktion; B152 Emotionale Funktionen
Frau J. kann ihre Gefühle zeigen und grob einteilen, jedoch die Gefühle auszudifferenzieren fällt ihr schwer. (Es geht ihr gut- Es geht ihr nicht gut- Sie hat Heimweh) Diese Gefühle kann sie klar benennen.
Die Gefühle wirken nicht immer stimmend auf die Situation und sind ambivalent. Zum Beispiel; Frau J. kann sagen, sie sei Traurig, weil jemand gestorben ist, weint stark und intensiv und gleichzeitig schaut sie eine Person an und lacht.
- Spezifische mentale Funktion; B156 Funktion der Wahrnehmung
Wenn Frau J. sich selbständig wäscht und anzieht, ist es der Fall, dass Frau J. zu heiß duscht und die Kleiderauswahl meist zu warm für das aktuelle Wetter ist.
Frau J. stört es nicht, wenn sie stark schwitzt. Sie zieht dann wieder ihre verschwitzen Kleider am nächsten Tag an. Sie merkt auch nicht, wenn Lebensmittel verfault im Zimmer sind.
Frau J. ist musikalisch sehr begabt, sie kann die Melodien schnell und korrekt nachsummen oder singen.
- Spezifische mentale Funktion; B167 Kognitive- sprachliche Funktion
Frau J. kann verschiedene Dialekte nach sprechen, sie zeigt großes Talent und Interesse an Fremdsprachen. Sie kann Gesprächen folgen und kann auch komplexere Gespräche zuordnen, ist doch ambivalent in der Aufmerksamkeit und der Interessen.
Frau J. wiederholt oft gleiche Fragen. Die Antwort hat sie jedoch verstanden und kann sie wiederholen.
Frau J. kann in verschiedene Tonlagen sprechen, spricht jedoch meistens laut und schrill, dies ist ihrer Befindlichkeit angepasst. Laut und Schrill = nervös, aufgedreht, freudig, genervt.
Klassifikation der Körperstrukturen
- Struktur des Nervensystem; S110 Struktur des Gehirns
Frau J. hat eine latente Epilepsie diagnostiziert.
Klassifikation der Aktivitäten und Partizipation
- Allgemeine Aufgaben und Anforderungen; D220 Mehrfachaufgaben übernehmen
Frau J. kann komplexe Aufgaben mit aufeinander folgenden schritten und gleichzeitigen Aufgaben nicht bearbeiten.
Sie kann einfache Aufgaben, wie Kompost leeren, übernehmen und ausführen, wenn sie in ihrer Stimmungslage ausgeglichen ist, ist jedoch die Stimmungslage von Frau J. nicht stabil, fallen ihr die einfachsten Aufgaben, welche sie normalerweise kann, wie Zähne putzen, schwer.
Wenn Frau J. eine neue Aufgabe erlernt, braucht sie klare Anweisungen von Schritt zu Schritt. Die Schritte zu sehen, welche benötigt werden um eine Mehrfachaufgabe auszuführen, (fällt ihr schwer) und wann welche Schritte nötig sind um die Aufgabe zu beenden.
- Allgemeine Aufgaben und Anforderungen; D230 Die tägliche Routine durchführen
Frau J. kann eingeübte, routinierte Aufgaben erfüllen und bearbeiten, zum Beispiel sich anziehen. Die Bearbeitung fällt ihr einfacher, wenn sie in ihrer Stimmung ausgeglichen ist, ansonsten braucht sie die Erläuterung von den einzelnen Schritten. Frau J. hat ihr eigenes Zeitmanagement, was jedoch nicht immer der täglichen Situationen angemessen ist, das heißt sie verliert sich oft in der Zeit und braucht für kleine Aufgaben lange und kommt so zu Zeitdruck.
Sie kann dann den Engpass von der Zeit anpassen, indem sie schnell und eifrig ist, jedoch nicht alle Schritte einbezieht, sondern einzelne Schritte auslässt, um die Zeit einzusparen. Zum Beispiel im Morgenablauf vergisst sie dann das Zähneputzen oder den Deodorant.
- Kommunikation; Kommunizieren als Sender (D330-D349)
Frau J. spricht oft und viel. Sie macht präverbale Äußerungen, wenn eine Person in der Nähe ist, welche ihre Aufmerksamkeit einnimmt, wird Frau J. lauter und kindlicher in der Redensart.
Frau J. singt oft, gut und gerne, vor allem ist das ein Ausdruck ihrer Zufriedenheit.
Sie zeigt verschiedene Nonverbale Ausdrücke, wie mit dem Daumen hoch zeigen, wenn sie was gut gemacht hat, oder Zeichen, welche sie benützt zum sagen, das sie Arbeiten geht, auch in der Impulsivität zeigt sie Nonverbale Ausdrücke, wie Hände hoch werfen und dabei flattern.
Frau J. schreibt gerne Briefe und Postkarten ihren Bekannten und Familienmitgliedern.
- Selbstversorgung; D570 Auf seine Gesundheit achten
Frau J. nimmt sich selbständig die Zeit in ihr Zimmer zu gehen und Musik zu hören, wenn sie müde ist vom Arbeiten. Sie genießt Filme (Kinderfilme, wie Pingu, Pipi Langstrumpf, Aschenbrödel) gerne für sich alleine.
Sie kann nicht einordnen, welche Ernährung gesundheitsfördernd ist und welche nicht, sowie sie Unterstützung braucht im Umgang mit Sport und den physischen Komfort.
Frau J. kann lange in einer Körperposition sein, welche für ihre X- Beine nicht vorteilhaft ist, Zum Beispiel knienden, die Unterbeine auf die Seite gelegen und darauf sitzend.
- Häusliches Leben; Beschaffung von Lebensnotwendigkeiten (D610-D629)
Frau J. kann eine Liste schreiben, welche für den Einkauf in der Käserei notwendig ist und den Einkauf selbständig durchführen. Sie kann nach einem Kochrezept eine Liste erstellen, die dazu gehörigen Produkte in der Küche suchen. Frau J. hat beim Einkaufen Mühe mehr als 5 Produkte zu besorgen.
- Häusliches Leben; Haushaltsaufgaben (D630-D649)
Frau J. ist in der Lage eingeübte kalte Mahlzeiten, wie Birchermüsli oder Fruchtsalat, selbständig zu zubereiten. Komplexere Mahlzeiten kann sie nicht zubereiten, jedoch ist sie eine Hilfe in der Vorbereitung, beim Rüsten und schneiden von Gemüse.
Frau J. kann Hausarbeiten mit Unterstützung erledigen, braucht jedoch immer wieder die einzelnen Schritte aufgezeigt.
Frau J. ist motiviert Hausarbeiten selbständig zu erlernen und sie auch umzusetzen.
- Interpersonelle Interaktionen und Beziehung; D720 Komplexe interpersonelle Interaktionen
Frau J. hat Mühe ihre Verhaltensweise bei Interaktionen zu bestimmten Personen zu regulieren.
Dies zeigt sich, indem sie ihre Verhaltensweise nicht kontrollieren kann, wenn sie ihrer Meinung nach zu kurz kommt, oder noch mehr Nähe möchte von der gewünschten Person. Dieses Verhalten zeigt sich, in dem, dass Frau J. der Person auf Schritt und Tritt folg, konstant ansieht, durchgehend die gleichen Frage laut und schrill stellt, sie die Person ständig an fasst und streichelt bis zu völlig hysterische Aktionen, wie schreien, Türe knallen und Dinge verwerfen.
Frau J. kann auch Mitgefühl und Verständnis aufbringen gegenüber diesem Verhalten. In der späteren Reflexion äußert sie dann, dass sie sich nicht beherrschen kann, es doch schwer sei und fragt auch hilfesuchend nach, was sie machen könne.
Frau J. beendet Beziehungen entweder abrupt oder gar nicht.
Wenn Frau J. im Dorf unterwegs ist, zeigt sie oft starke Kontaktbegierden. Sie sagt jedem „Hallo“ und überschüttet die Personen mit Informationen oder Fragen, sucht körperliche Nähe mit Berührungen von den Armen oder Händen, sie kann dann schnell das Interesse verlieren und weitere Kontakte suchen.
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[1] ICF