Realismus – Neorealismus – Neofunktionalismus
Welche Rolle spielt die internationale Kooperation?
Zusammenfassung
Doch was bewirken Theorien der Internationalen Beziehungen? Für Manuela Spindler und Siegfried Schieder treffen sie Aussagen über das „Beziehungsgeflecht grenzüberschreitender Interaktionen und das darin politisch relevante, auf Wertzuweisun-gen gerichtete Handeln von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren“(1). Einen Teilaspekt dieses Handlungsgeflechts stellt die internationale Zusammenarbeit und Kooperation dar. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt darauf, deren Bedeutung aus der Perspektive der eingangs bezeichneten Theorien zu untersuchen.
Konkret sollen folgende Fragen beantwortet werden: Ist Kooperation überhaupt möglich/erwünscht, und welche Motive geben Anlass dafür? In welcher Form erfolgen Kooperationen typischerweise? Inwiefern ist mit Auswirkungen auf die nationalstaatliche Unabhängigkeit zu rechnen?
(1) Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela: Theorie(n) in der Lehre von den Internationalen Beziehungen. In: Dies. (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, 2., überarbeitete Auflage, Opladen; Farmington Hills 2006, S. 20.
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau
2 Theoretische Grundlagen und Definitionen
2.1 Realismus
2.2 Neorealismus
2.3 Neofunktionalismus
3 Motive für und Formen von Kooperation
3.1 Kooperation in Realismus und Neorealismus
3.2 Kooperation im Neofunktionalismus
4 Schlussbetrachtung
5 Bibliografie
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Begriffe Realismus, Neorealismus und Neofunktionalismus bezeichnen einige der bedeutendsten Theorien innerhalb der Disziplin der Internationalen Beziehungen ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Große Namen wie Hans Joachim Morgenthau, Kenneth Neal Waltz und Ernst Bernard Haas – um nur einige zu nennen – sind mit eigenständigen und sich zum Teil deutlich voneinander unterscheidenden Konzepten zur Erklärung und Gestaltung internationaler politischer Prozesse verbunden.
Doch was bewirken Theorien der Internationalen Beziehungen? Für Manuela Spindler und Siegfried Schieder treffen sie Aussagen über das „Beziehungsgeflecht grenzüberschreitender Interaktionen und das darin politisch relevante, auf Wertzuweisungen gerichtete Handeln von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren“[1]. Einen Teilaspekt dieses Handlungsgeflechts stellt die internationale Zusammenarbeit und Kooperation dar. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt darauf, deren Bedeutung aus der Perspektive der eingangs bezeichneten Theorien zu untersuchen.
Konkret sollen folgende Fragen beantwortet werden: Ist Kooperation überhaupt möglich/erwünscht, und welche Motive geben Anlass dafür? In welcher Form erfolgen Kooperationen typischerweise? Inwiefern ist mit Auswirkungen auf die nationalstaatliche Unabhängigkeit zu rechnen?
1.2 Aufbau
Kapitel 2 widmet jeder Theorie einen eigenen Abschnitt und gibt zunächst einen Überblick über Entstehung, Entwicklung und Inhalt sowie Grundannahmen von Realismus, Neorealismus und Neofunktionalismus.
Im darauf folgenden Kapitel wird die Frage erörtert, welcher Stellenwert Kooperationen auf internationaler Ebene von den jeweiligen Theorien eingeräumt wird und wie deren Umsetzung erfolgt.
Die Schlussbetrachtung in Kapitel 4 fasst die Ergebnisse der Untersuchung noch einmal auf kompakte Weise zusammen und schließt mit dem Hinweis auf die Möglichkeit weiterführender Analysen sowie einem Ausblick auf die künftige Bedeutung der bearbeiteten Theorieansätze.
2 Theoretische Grundlagen und Definitionen
2.1 Realismus
Im Zentrum des realistischen Politikbegriffs steht vor allem die Vokabel „Macht“. Das Streben nach Macht und deren Erhalt oder besser noch Ausbau ist dabei die oberste politischen Maxime. Realistisches Denken hat für sich genommen eine lange Tradition, die bis zurück in die Antike reicht.[2] Schon der Grieche Thukydides (460 – 400 v. Chr.) erkannte Macht als einen Faktor, der die Politik nicht nur reguliert, sondern auch deren Grundlage ist. Niccolò Machiavelli (1469-1527) fügte dem Machtbegriff weitere Aspekte hinzu, die auch im späteren Realismus von entscheidender Bedeutung sein sollten: Zum einen betrachtete er Geschichte als „Abfolge kausaler Zusammenhänge, die begriffen und analysiert werden“[3] können, zum anderen war er der Auffassung, dass Theorie nur der Praxis folgen könne – und nicht umgekehrt. Politik sollte sich also mit den bestehenden Verhältnissen auseinandersetzen und nicht etwa ein bestimmtes Ideal anstreben. Diese Sichtweise impliziert bereits das analytische Prinzip des späteren Realismus. Des Weiteren betrachtete Machiavelli Ethik, Moral und Religion zwar durchaus als wichtig und nützlich, ordnete diese aber einer wirkungsvollen politischen Autorität unter.
Realistisches Denken entwickelte sich über die Jahrhunderte fort. So sind entsprechende Ansätze unter anderem bei Thomas Hobbes, Friedrich Nietzsche und Max Weber zu finden. Den Realismus als Paradigma der internationalen Politik prägte jedoch Hans Joachim Morgenthau (1904-1980) mit seinem 1948 erstmals erschienenen Hauptwerk „Politics among Nations“[4], welches als systematischer Gegenentwurf zum Idealismus betrachtet werden kann. Andreas Jakobs spricht in diesem Zusammenhang von „einer Art Gründungsbeitrag der Lehre von den Internationalen Beziehungen“[5]. Morgenthau wandte sich mit seiner „Realistischen Schule“ gegen utopische und idealistische Vorstellungen in der internationalen Politik, wonach „Mängel des internationalen Systems durch eine systematische Aufarbeitung ihrer Ursachen“[6] beseitigt werden könnten. Diese Haltung lässt sich vielleicht nicht ausschließlich, aber zumindest zu einem bedeutenden Teil aus dem konkreten sozialen und historischen Kontext erklären: Geboren und aufgewachsen als Sohn eines jüdischen Arztes in Bayern sah er sich frühzeitig mit wachsendem Antisemitismus konfrontiert. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren und dem Scheitern des Völkerbundes, einhergehend mit dem Aufkommen autoritärer Regime in Europa, verfestigte sich sein pessimistisches Menschenbild, die bis dato unvorstellbare Dimension des Zweiten Weltkriegs zementierte es schließlich.
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[1] Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela: Theorie(n) in der Lehre von den Internationalen Beziehungen. In: Dies. (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, 2., überarbeitete Auflage, Opladen; Farmington Hills 2006, S. 20.
[2] Vgl. hier und im weiteren Verlauf des Kapitels: Jakobs, Andreas: Realismus. In: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, 2., überarbeitete Auflage, Opladen; Farmington Hills 2006, S. 40-47.
[3] Ebd., S. 40.
[4] Die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel „Macht und Frieden“.
[5] Jakobs, Andreas: Realismus. In: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, 2., überarbeitete Auflage, Opladen; Farmington Hills 2006, S. 39.
[6] Ebd., S. 41.