Kein Ereignis in der jüngeren deutschen Geschichte war von solch epochaler Tragweite wie die Friedliche Revolution in der DDR und die anschließende Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland vor nunmehr gut 20 Jahren.
Unbestritten ist, dass es die Menschen auf der Straße waren, Menschen „wie du und ich“, die durch ihren Mut und den Willen zur Veränderung ein System ins Wanken – und schließlich zum Sturz – brachten, welches 40 Jahre lang von einer Partei und ihren Kadern in diktatorischer Weise dominiert wurde.
Überall im Land regte sich nach den offensichtlich und dreist gefälschten Kommunalwahlergebnissen vom Mai 1989 Unmut, der zum Widerstand erwuchs. Es wurden reihenweise Eingaben verfasst in deren Folge sich kleinere Gruppen herausbildeten, die unter größtmöglichem persönlichem Risiko erste Demonstrationen organisierten. Ihnen ist es zu verdanken, dass mehr und mehr Menschen aufgestanden sind um zu protestieren.
Diese Arbeit wirft einen Blick auf die Ereignisse des Jahres 1989 am Beispiel von Plauen und Leipzig – und das nicht ohne Grund: Leipzig gilt gemeinhin als Keimzelle der Revolution in der DDR. Plauen hingegen reklamiert für sich „die erste ostdeutsche Stadt [gewesen zu sein], die einen geeinten Willen zur Wende ausdrückte; sie war die einzige, in der der ostdeutsche Umbruch von Anfang an eine Sache der Massen war“(1).
Mein Anliegen ist es, eine vergleichende Analyse vorzunehmen, bei der insbesondere die folgenden Fragen geklärt werden sollen: Wer waren jeweils die Protagonisten? Welche Ziele hatten sie und welche Mittel setzten sie ein? Gibt es Gemeinsamkeiten oder gar Verknüpfungspunkte? Wo liegen Unterschiede, allgemein und hinsichtlich der Wirkkraft nach außen?
(1) Connelly, John: Moment of Revolution: Plauen (Vogtland), October 7, 1989. In: German Politics & Society, Issue 20, Summer 1990, S. 71 (Übersetzung des Verfassers).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau
2 Plauen
2.1 Standortbestimmung
2.2 Plauen im Jahr der Wende
3 Leipzig
3.1 Standortbestimmung
3.2 Bürgerrechts- und Oppositionsbestrebungen vor
3.3 Leipzig im Jahr der Wende
4 Vergleich
4.1 Die Protagonisten
4.2 Ziele und Mittel
4.3 Reichweite und Bedeutung
4,4 Die Rolle der Kirche
5 Fazit und Ausblick
5.1 Fazit
5.2 Ausblick
6 Bibliographie
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Kein Ereignis in der jüngeren deutschen Geschichte war von solch epochaler Tragweite wie die Friedliche Revolution in der DDR und die anschließende Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland vor nunmehr gut 20 Jahren.
Unbestritten ist, dass es die Menschen auf der Straße waren, Menschen „wie du und ich“, die durch ihren Mut und den Willen zur Veränderung ein System ins Wanken – und schließlich zum Sturz – brachten, welches 40 Jahre lang von einer Partei und ihren Kadern in diktatorischer Weise dominiert wurde.
Überall im Land regte sich nach den offensichtlich und dreist gefälschten Kommunalwahlergebnissen vom Mai 1989 Unmut, der zum Widerstand erwuchs. Es wurden reihenweise Eingaben verfasst in deren Folge sich kleinere Gruppen herausbildeten, die unter größtmöglichem persönlichem Risiko erste Demonstrationen organisierten. Ihnen ist es zu verdanken, dass mehr und mehr Menschen aufgestanden sind um zu protestieren.
Diese Arbeit wirft einen Blick auf die Ereignisse des Jahres 1989 am Beispiel von Plauen und Leipzig – und das nicht ohne Grund: Leipzig gilt gemeinhin als Keimzelle der Revolution in der DDR. Plauen hingegen reklamiert für sich „die erste ostdeutsche Stadt [gewesen zu sein], die einen geeinten Willen zur Wende ausdrückte; sie war die einzige, in der der ostdeutsche Umbruch von Anfang an eine Sache der Massen war.“[1]
Mein Anliegen ist es, eine vergleichende Analyse vorzunehmen, bei der insbesondere die folgenden Fragen geklärt werden sollen: Wer waren jeweils die Protagonisten? Welche Ziele hatten sie und welche Mittel setzten sie ein? Gibt es Gemeinsamkeiten oder gar Verknüpfungspunkte? Wo liegen Unterschiede, allgemein und hinsichtlich der Wirkkraft nach außen?
1.2 Aufbau
Die Kapitel 2 und 3 widmen sich Plauen und Leipzig zunächst in der Einzelbetrachtung. Dabei wird anfangs jeweils eine Standortbestimmung vorgenommen, bevor die darauffolgenden Unterkapitel auf die Vorboten und unmittelbaren Ereignisse des Jahres 1989 eingehen.
Im 4. Kapitel erfolgen, ebenfalls in themenspezifischen Abschnitten, der systematische Vergleich sowie eine Wertung entlang der oben genannten Kriterien.
Die Schlussbetrachtung in Kapitel 5 fasst die Ergebnisse meiner Untersuchungen noch einmal in kompakter Form zusammen und endet mit einem Ausblick auf offene beziehungsweise weiterführende Fragestellungen, die im Rahmen künftiger Arbeiten aufgegriffen werden könnten.
2 Plauen
2.1 Standortbestimmung
Die Stadt Plauen wies anno 1989 einige markante Merkmale auf, denen mittelbar auch Einfluss auf das Geschehen insgesamt zugeschrieben wird.[2]
Einst gehörte Plauen zu den wichtigsten Industriestädten in Deutschland, schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde mit mehr als 125.000 Einwohnern der Großstadtstatus erreicht. Durch die rasante wirtschaftliche Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts – hervorzuheben sind der Nutzfahrzeug- und Maschinenbau sowie eine weltberühmte Spitzenindustrie – verschärften sich auch die sozialen „Spannungen, die zu einem wachen politischen Bewusstsein [und gleichzeitig der Herausbildung extremistischer Tendenzen an beiden Rändern des politischen Spektrums] führten“[3]. Diese Faktoren waren nach Thomas Küttler maßgeblich für die Bombardierung Plauens durch die Alliierten im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Eine vollständige Erholung von den verheerenden Folgen (75 Prozent der Stadt wurden zerstört) gelang nie. Und so zählte die „Vogtlandmetropole“ im Wendejahr 1989 gerade einmal rund 75.000 Bürger. Dennoch hatte Plauen, vor allem wirtschaftlich und kulturell, die Funktion eines zentralen Ortes innerhalb eines ländlichen Raums im westlichsten Teil des Bezirks Karl-Marx-Stadt. Die unmittelbare Nähe und Allgegenwärtigkeit der innerdeutschen Grenze (die fränkische Partnerstadt Hof lag nur 30 Kilometer entfernt) prägte das Bewusstsein vieler Menschen in und um Plauen in besonderer Weise, nicht zuletzt weil der indirekt untersagte Empfang von „Westfernsehen“ großflächig möglich und in der Praxis weit verbreitet war. Allerdings war mit der Randlage auch eine gewisse Vernachlässigung und verhältnismäßig schlechte Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern verbunden[4].
2.2 Plauen im Jahr der Wende
Noch zu Beginn des Jahres 1989 deutete kaum etwas auf den bevorstehenden Umbruch hin, erst recht nicht auf eine ausgewachsene Revolution. Die politische Führung beschäftigte sich hauptsächlich mit der Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober. Es ist kaum vorstellbar, mit welcher Ignoranz und Selbstgerechtigkeit gegenüber dem eigenen Volk, trotz der offensichtlichen Diskrepanz zur alltäglichen Lebenswelt, unbeirrt „weiter gemacht“ wurde. Nun war es für die Menschen nichts Neues, dass die regelmäßig abgehaltenen Wahlen schon aufgrund der Einheitsliste keine „echten“ Wahlen waren. Trotzdem erwiesen sich die „noch einmal in der bisherigen Form abgehaltenen Scheinwahlen (...) [als] der heimliche Wendepunkt“[5]. Zum einen vergrößerte sich die bereits angesprochene Distanz zwischen Regierung und Regierten sowie deren unterschiedliche Wahrnehmung der Wirklichkeit bis 1989 auf ein kritisches Maß. Andererseits hatten auch äußere Entwicklungen ihren Anteil an dem was sich in der DDR anbahnte. Die hiesige Bevölkerung verfolgte mit großem Interesse Gorbatschows Reformprojekte rund um die Prämissen „Perestroika“ und „Glasnost“. Sie verband damit Hoffnungen auf eine baldige Besserung der politischen, gesellschaftlichen und materiellen Lebensumstände.
Die Kommunalwahlen am 7. Mai wurden in Plauen – wie anderenorts auch – erstmals von kritischen Bürgern beobachtet. Es handelte sich überwiegend um junge Leute, eine kleine Gruppe namens „Umdenken durch Nachdenken“ bildete sich heraus.[6] Ihre regelmäßigen Treffen fanden in der Markuskirche bei Pfarrer Henke statt, nicht weil es sich durchweg um Christen handelte, sondern vielmehr weil nur die Kirche geeignete Räumlichkeiten und ein gewisses Maß an Sicherheit bieten konnte. Die Gruppe um Persönlichkeiten wie Steffen Kollwitz oder Klaus Hopf verfasste am 16.5.1989 eine Eingabe an den Rat der Stadt, in der sie gravierende Abweichungen der von ihnen beobachteten Wahlergebnisse gegenüber den in der „Freien Presse“ am 10.5.1989 offiziell verkündeten Ergebnissen feststellte. Nur etwa ein Viertel der Wahlberechtigten erschien demnach überhaupt, um seine Stimme abzugeben.[7] Bereits am 9.5.1989 hatte man diesbezüglich ein Gespräch bei Oberbürgermeister Dr. Martin beantragt, welches bis dato nicht zustande kam. Am 6.6.1989 erklärten sich die Herren Döhler (erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters) und Luft (Sekretär des Rates) zu einem Treffen samt Stellungnahme bereit.[8] Das Ergebnis war ernüchternd: Die Ratsmitglieder hielten die Wahlen und deren Durchführung für rechtmäßig und demokratisch und wiesen den Einspruch zurück. Weiterhin zweifelten sie die Legitimität der Eingabeunterzeichner an. Mehr als zynisch klangen Einlassungen, dass man trotz dessen stets an konstruktiver Kritik interessiert sei, jetzt aber auch den Blick nach vorne richten müsse – diese Wahlen seien nun mal Geschichte. Die teilnehmenden Unterzeichner der Eingabe sahen ihre Zweifel in dieser Stellungnahme natürlich nicht ausgeräumt. Sie beklagten mangelndes Vertrauen und fehlende Transparenz, betonten aber gleichzeitig ihre Distanz zu westlichen Berichterstattungen (insbesondere zur Frage der Wiedervereinigung) und bekräftigten den Willen, Konfrontationen zu vermeiden. Weiterhin wurde von den politisch Verantwortlichen der Kreißausschuss der Nationalen Front als einziges einspruchsberechtigtes Organ benannt. Dieser kam seinem Prüfungsauftrag jedoch in keiner Weise nach, sondern „verschleppte“ das Anliegen der Bürger bis zum Verstreichen der offiziellen Einspruchsfrist.
Auch wenn man von einem vorläufigen Scheitern des Aufbegehrens sprechen kann wurde im Mai 1989 zum ersten Mal „sichtbar, daß ein erheblicher Teil der Menschen (...) nicht mehr bereit war, sich von diesem Staat mißbrauchen zu lassen“[9]. Allein die Tatsache, dass in Plauen „verhältnismäßig viel Gegenstimmen abgegeben“[10] wurden, sollte der politischen Führung zu Denken geben. Offiziell verkündete der zentrale Wahlleiter Egon Krenz eine Quote von 3,82 Prozent – an sich schon den höchsten Wert in der gesamten DDR, tatsächlich dürfte sie aber bei fast acht Prozent gelegen haben.[11]
Die folgenden Wochen und Monate verliefen – zumindest an der Oberfläche – ausgesprochen ruhig. Die innere Gemütslage bei einem großen Teil der Plauener Bürger war aber das glatte Gegenteil. Für viele wurde es unerträglich, derart und vollkommen bewusst ignoriert zu werden. Und nicht wenige trafen die Entscheidung, im Sommer 1989 die Flucht über die Botschaften der Bundesrepublik in Prag oder Budapest zu versuchen. Angesichts einer erodierenden Gesellschaft wirkten die zur gleichen Zeit durch die SED betriebenen Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR schlichtweg anachronistisch. Während der Eiserne Vorhang in Ungarn mehr und mehr Löcher bekam verschloss man im Politbüro die Augen vor der Wirklichkeit. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Haltung als Anweisung offenbar auch an die unteren Leitungsebenen weiter gegeben wurde. Derweil stellten in der ersten Jahreshälfte 1989 bereits mehr als 2000 Plauener einen Ausreiseantrag[12].
Der 7. Oktober rückte schnell näher und sollte „für die SED zu einem schwarzen Tag werden“[13]. Zwei Tage zuvor erreichte die aufgeheizte Stimmung einen neuen Höhepunkt als mehrfach Züge mit Botschaftsflüchtlingen den Oberen Bahnhof in Plauen passierten. Hunderte Menschen wollten den Ausreisenden zuwinken, flankiert und zurückgedrängt von einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften. Es kam zu Auseinandersetzungen mit Verletzten und zahlreichen Verhaftungen. Die kurzfristig anberaumten Friedensandachten in der Markuskirche mussten aufgrund von Überfüllung zweimal hintereinander abgehalten werden. Sie verliefen friedlich und ohne Polizeieinsatz.[14] Nicht nur die Zugdurchfahrten selbst, sondern „auch die Bilder von der jubelnden Ankunft in Hof und dem begeisterten Empfang durch die Hofer, die das Westfernsehen zeigte, brachten in Plauen die Emotionen in Wallung“[15].
Schon im September wurden bei den zuständigen Polizeistellen Anträge zur Durchführung von allgemeinen Protestdemonstrationen gestellt, zuletzt für den 7. Oktober. Wie zu erwarten war wurden diese abgelehnt.[16] Dennoch machten kurz vor dem „Tag der Republik“ maschinengeschriebene Handzettel wie dieser die Runde:
[...]
[1] Connelly, John: Moment of Revolution: Plauen (Vogtland), October 7, 1989. In: German Politics & Society, Issue 20, Summer 1990, S. 71 (Übersetzung des Verfassers).
[2] Vgl. Küttler, Thomas/Röder, Jean Curt: Die Wende in Plauen. Eine Dokumentation, 5., leicht überarbeitete Auflage, Plauen 1993, S. 12.
[3] Ebd.
[4] Vgl. Berg, Stefan: Die unbemerkten Helden, in: Der Spiegel, Nr. 30/2009 vom 20.07.2009, S. 44.
[5] Küttler/Röder (1993), S. 13.
[6] Vgl. hier und im weiteren Verlauf: Küttler/Röder (1993), S. 13.
[7] Vgl. hierzu Abschrift der Eingabe, ebd., S. 25.
[8] Vgl. hierzu Abschrift des Gesprächsprotokolls, ebd., S. 27-28.
[9] Küttler/Röder (1993), S. 14.
[10] Fiedler, Aline/Tiesler, Frank: 1989. Chronologie der Wende in Sachsen, Dresden 1999, S. 17.
[11] Vgl. Richter, Michael: Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90, Band 1, Göttingen 2009, S. 111.
[12] Vgl. Berg (2009), S. 45.
[13] Küttler/Röder (1993), S. 14.
[14] Vgl. ebd., S. 19.
[15] Richter (2009), S. 273.
[16] Vgl. ebd., S. 208.