Dieses Werk widmet sich der klausurrelevanten Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt und den daraus resultierenden Fallgruppen, die einer genauen, juristischen Betrachtung bedürfen. Das bestimmende Thema der Proseminararbeit ist, ob untauglicher Versuch und Wahndelikt in die Versuchsstrafbarkeit eingeordnet werden können.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs und deren Abgrenzung zum Wahndelikt
I. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs
1. Definition
2. Strafgrund des untauglichen Versuchs
a) Objektive Theorie
b) Theorie von der Gefährdung der Geltungskraft
c) Lehre vom Mangel am Tatbestand
d) Subjektive Theorie
e) Eindruckstheorie
3. Untauglicher Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt
4. Untauglicher Versuch bei mittelbarer Täterschaft, Mittäterschaft,
Anstiftung und Beihilfe
5. Rücktritt beim untauglichen Versuch..6 6. Abergläubischer Versuch
7. Strafzumessung
II. Wahndelikt
1. Definition
2. Straflosigkeit des Wahndelikts
III. Fallgruppen
1. Untauglichkeit des Tatobjekts
2. Untauglichkeit des Tatmittels
3. Untauglichkeit des Tatsubjekts
4. Umgekehrter direkter Verbotsirrtum
5. Umgekehrter direkter Subsumtionsirrtum
6. Umgekehrter Erlaubnisirrtum
7. Fehlendes subjektives Rechtfertigungselement
8. Umgekehrter reiner Strafbarkeitsirrtum
9. Vorfeldirrtum
10. Doppelirrtum
C. Schluss
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Ist es strafbar, einen Menschen mit Vitamin C vergiften zu wollen? Oder verlangt unsere Rechtsordnung, dass besser derjenige bestraft wird, der sich vorstellt, Ehebruch sei verboten? Diese Fragen stellen sich bei der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs und des Wahndelikts, welche jeweils voneinander abzugrenzen sind. Es könnte sich nämlich um besondere Fallgruppen der Versuchsstrafbarkeit, die in den §§ 22 und 23 StGB normiert ist, handeln. Insofern gilt für die Prüfung des untauglichen Versuchs genauso wie für die des Wahndelikts, dass der Aufbau dem einer normalen Versuchsprüfung entspricht. Sowohl der untaugliche Versuch als auch das Wahndelikt sind beim Tatentschluss zu thematisieren, da es um die Tätervorstellung von der konkreten Tat geht. Im Folgenden werden der untaugliche Versuch und das Wahndelikt erläutert und schließlich anhand typischer und problematischer Fallgruppen voneinander abgegrenzt.
B. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs und deren Abgrenzung zum Wahndelikt
Nachfolgend wird nun die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs und deren Abgrenzung zum Wahndelikt im Rahmen der Versuchsstrafbarkeit erläutert.
I. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs
Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs ist nicht explizit im Gesetz verankert. Dass es eine Strafbarkeit des sogenannten untauglichen Versuchs gibt, ist zwar umstritten, aber dennoch weitestgehend anerkannt.[1]
1. Definition
Untauglich ist der Versuch dann, „wenn die Ausführung des Tatentschlusses entgegen der Vorstellung des Täters aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur vollständigen Verwirklichung des objektiven Unrechtstatbestandes führen kann"[2]. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Begriffsbezeichnung der Tauglichkeit nicht auf den Kausalitätszusammenhang bezieht, weil aus einer ex-post-Sicht auch jeder fehlgeschlagene Versuch ein untauglicher Versuch wäre. Die Tauglichkeit bezieht sich auf eine ex-ante-Betrachtung.[3] Da der Täter über Tatsachen irrt, wird der untaugliche Versuch auch gerne als „umgekehrter Tatbestandsirrtum“[4] bezeichnet.
2. Strafgrund des untauglichen Versuchs
Fraglich ist, warum der untaugliche Versuch strafbar sein sollte. Hierfür gibt es mehrere Ansätze, wovon sich die meisten für eine Strafbarkeit des untauglichen Versuchs aussprechen.
a) Objektive Theorie
Zunächst ist die objektive Theorie zu erwähnen, die nur darauf abstellt, ob der Versuch eine objektive Gefährlichkeit besitzt. Daher wird sie auch öfters als „Gefährlichkeitstheorie“[5] bezeichnet. Nach dieser Ansicht wäre aber der untaugliche Versuch gerade nicht strafbar, weil er objektiv gesehen niemals ein Gefahrenpotential entwickelt. Die objektive Theorie verkennt aber völlig, dass die Versuchsstrafbarkeit ganz klar auf der konkreten Tätervorstellung aufbaut, was auch aus dem Wortlaut des § 22 StGB hervorgeht. Der Täter nimmt aber in seiner Vorstellung irrig Umstände an, die, wenn sie vorlägen, doch zu einer Strafbarkeit führen würden. Dieser subjektive Bestandteil wird aber bei der objektiven Theorie völlig ausgeblendet, weswegen sie als nicht geeignet erscheint, ihr zu folgen.
b) Theorie von der Gefährdung der Geltungskraft
Anlehnend an die objektive Theorie ist die Theorie von der Gefährlichkeit der Geltungskraft. Sie vertritt die Ansicht, dass eine strafrechtliche Norm nicht um ihrer selbst willen da ist, also nicht um eine spätere Abschreckung zu erreichen, sondern ausschließlich um die konkrete und unmittelbare Gefahr für das jeweilige Rechtsgut zu verhindern.[6] Daher wäre auch nach dieser Ansicht der untaugliche Versuch nicht strafbar. Selbst wenn man davon absieht, auch bei der Gefährdungstheorie den subjektiven Bezug, den § 22 StGB nun einmal vorschreibt, zu vermissen, scheint sie aus einem anderen Grund problematisch: Jede strafrechtliche Vorschrift ist selbstverständlich in allererster Linie des Rechtsgüterschutzes wegen da. Aber sie dient - zumindest bei schwereren Straftaten - auch der Verteidigung der Rechtsordnung und muss abschreckende Wirkung haben, damit das entsprechende Rechtsgut gar nicht erst durch Straftäter gefährdet wird. Daher ist auch die Gefährdungstheorie nicht wirklich fähig, eine Begründung des materiellen Sinns der Versuchsstrafbarkeit zu geben.
c) Lehre vom Mangel am Tatbestand
Daneben wird auch als besondere Form einer objektiven Theorie die Lehre vom Mangel am Tatbestand vertreten. Diese will die Versuchsstrafbarkeit dann verneinen, wenn dem Täter oder dem Tatobjekt die Tauglichkeit fehlt, die zum Tatbestand der entsprechenden Norm gehört. Fehlt hingegen nur das „tatbestandliche Schlussstück“[7], tritt also der Erfolg nicht ein, wird der Täter wegen Versuchs bestraft. Da aber auch die Lehre vom Mangel am Tatbestand objektiv geprägt ist, was aber dem bereits erwähnten Wortlaut des § 22 StGB entgegensteht, lässt sich diese Theorie auch nur schwer vertreten. Auch die Tatsache, dass es ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers ist, grundsätzlich auch selbst grob unverständige Versuche unter Strafe zu stellen, was aus § 23 III StGB hervorgeht, kann dieser Theorie entgegenhalten werden, weswegen sie abzulehnen ist.[8]
d) Subjektive Theorie
Des Weiteren gibt es die subjektive Theorie, welche sich besonders auf den bereits angesprochenen Wortlaut des Gesetzestextes beziehen kann. Der Täter muss ja gerade gemäß § 22 StGB nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung ansetzen. Der Gesetzgeber hat sich somit deutlich für einen subjektiven Ansatz zur Beurteilung der Strafbarkeit des versuchten Delikts ausgesprochen. Auch die Rechtsprechung legt ihren Entscheidungen seit jeher eine rein subjektive Sicht zugrunde.[9] Zudem spricht für diese Theorie, dass es den § 23 III StGB gibt, der sogar einen grob unverständigen (und damit zwangsläufig untauglichen) Versuch, bei dem der Täter in seinem Handeln die Wirkungsmöglichkeiten desselben verschätzt und der von einer durchschnittlichen dritten Person als nicht ernst zu nehmen empfunden wird, unter Strafe stellt.[10] Daraus folgt, dass, nur wenn es einen strafbaren untauglichen Versuch gibt, auch der grob unverständige Versuch nach § 23 III StGB grundsätzlich unter Strafe stehen kann. Andererseits vermag die subjektive Theorie nicht zu sagen, warum der grob unverständige Versuch nach § 23 III StGB straffrei bleiben kann, wohingegen „normale“ Versuchsdelikte bestraft werden. Kennzeichnend für die subjektive Theorie ist allerdings das Abstellen auf die „Betätigung des verbrecherischen Willens“[11]. Der Täter muss deshalb bestraft werden, weil angenommen werden kann, dass er in einer vergleichbaren Situation erneut denselben rechtsfeindlichen Willen besitzt. Es liegt nämlich vollständig ein deliktischer Wille vor.[12] Darüber hinaus kann angeführt werden, dass die Rechtsordnung, gegen die sich der Täter auflehnt, verteidigt werden muss.[13] Allerdings verkennt die subjektive Theorie, dass bei Bagatelldelikten - wie etwa dem Diebstahl geringwertiger Sachen (§ 248a StGB) - nicht davon gesprochen werden kann, dass die Rechtsordnung gefährdet wäre. Daher kann festgehalten werden, dass die subjektive Theorie zwar in richtiger Weise die Intention des Gesetzgebers (§§ 22, 23 III StGB) wiedergibt, aber nicht den Strafgrund des untauglichen Versuchs hinreichend genug bestimmen kann.[14]
e) Eindruckstheorie
Zuletzt ist noch die Eindruckstheorie nennenswert, da sie eine zwischen subjektiven und objektiven Ansichten vermittelnde Stellung einnimmt, da sie beide Kriterien in die Bewertung miteinfließen lässt. Sie wird daher auch als „gemischt subjektiv-objektive Theorie“[15] bezeichnet. Der Strafgrund der Strafbarkeit eines versuchten Delikts ist nach dieser heute herrschenden Meinung die Bekämpfung des rechtsfeindlichen Willens des Täters, da die Handlung des Versuchstäters in den meisten Fällen dazu geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung zu erschüttern.[16] Hierbei steht die Prävention von Straftaten im Vordergrund und nur sekundär die Bestrafung. Die Eindruckstheorie lehnt sich somit an der subjektiven Theorie an, bringt aber zusätzlich die objektive Erwägung der Gefährlichkeit der Tat ins Spiel.[17] Problematisch ist hier freilich die sehr allgemein gefasste Aussage des verbrecherischen Willens, der vorliegen muss. Dieser kann sich schließlich nicht ausdrücklich auf den Wortlaut des § 22 StGB berufen. Daher scheint diese Konstruktion mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG schwer vereinbar. Allerdings führen Vertreter der Eindruckstheorie an, dass es bei dem für die Allgemeinheit rechtserschütternden Eindruck nicht um aktuelle Empfindungen der Bevölkerung, sondern um ein normativ zu deutendes Kriterium handele.[18] Die Kritik an der Eindruckstheorie ist zwar angebracht. Trotzdem erscheint eine Kombination von subjektiven und objektiven Elementen als real und ermöglicht im konkreten Einzelfall, auf den jeweiligen Schwerpunkt abzustellen. Es werden hier also unweigerlich wertende Überlegungen angestellt, die sich aber wegen der Komplexität dieser Materie nicht gänzlich vermeiden lassen. Dass es richtig ist, jemanden, der durch den untauglichen Versuch seinen verbrecherischen Willen und seine kriminelle Energie gezeigt hat, zu bestrafen, ist ein logischer Gedanke. Daher erscheint es vorzugswürdig, Rechtsprechung und herrschender Lehre zu folgen und anhand der Eindruckstheorie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zu bejahen.
[...]
[1] Vgl. BGH NJW 1953, 113; BGH NJW 1953, 1271; BGH NStZ 1992, 84; auch Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen/ Zaczyk, § 22 Rn. 34.
[2] Wessels/Beulke , AT, Rn. 619.
[3] Vgl. Fischer , § 22 Rn. 39.
[4] Vgl. BGH NStZ 1997, 431 (432).
[5] Hirsch , FS Roxin, S. 711 (726).
[6] Vgl. MüKo- Herzberg/Hoffmann-Holland , § 22 Rn. 21.
[7] Sch/Sch- Eser , § 22 Rn. 67.
[8] Vgl. Sch/Sch- Eser , Vor § 22 Rn. 19.
[9] Vgl. bereits RGSt 1, 439 (443); auch etwa BGH NJW 1995, 204 (207); BGH NJW 1995, 2176 (2177).
[10] Vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/ Zaczyk , § 23 Rn. 20.
[11] MüKo- Herzberg/Hoffmann-Holland , § 22 Rn. 4.
[12] Vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/ Zaczyk , § 22 Rn. 35.
[13] Vgl. BGH NJW 1958, 836 (837).
[14] Vgl. MüKo- Herzberg/Hoffmann-Holland , § 22 Rn. 7.
[15] Sch/Sch- Eser , Vor § 22 Rn. 22.
[16] Vgl. Fischer , § 22 Rn. 2a; auch Sch/Sch- Eser , § 22 Rn. 17, 22.
[17] Vgl. Sch/Sch- Eser , § 22 Rn. 22.
[18] Vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen- Zaczyk , § 22 Rn. 11.