Der französische Hitchcock – ein Spitzname, der dem Regisseur Henri-Georges Clouzot sehr missfiel, ebenso wie der damit einhergehende Vergleich mit dem britischen Filmemacher Alfred Hitchcock. Dennoch liegt eben dieser Vergleich nahe, da Clouzot besonders mit seinem Thriller "Les Diaboliques" ein Werk geschaffen hat, das den Zuschauer, genau wie bei vielen Hitchcocks Thrillern, durch die Erzeugung vieler spannender und überraschender Momente ein emotionales Wechselbad beschert. Dem britischen Regisseur brachte diese starke emotionale Wirkung seiner Filme den Titel „Master of Suspense“ ein. Ist Clouzot also folglich auch hier das französische Äquivalent? Oder aber ergeben sich starke Unterschiede im Umgang mit der Suspense-Spannung, sodass vielleicht sogar Clouzot diesen Titel eher verdient hätte?
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Vergleich der Wissensverteilung zwischen Hauptfiguren und Zuschauern und den daraus resultierenden Suspense- und Surprise-Momenten in Clouzots "Les Diaboliques" und Hitchcocks "Vertigo". Der Vergleich dieser Werke liegt nahe, da sie beide nicht nur zu den bekanntesten und meist geschätzten Filmen dieser Regisseure gehören, sondern auch, weil sowohl "Les Diaboliques" als auch "Vertigo" auf den Romanen derselben Autoren basieren.
Zunächst erfolgt eine kurze theoretische Erläuterung, auf welche Weise der Begriff „Suspense“ in dieser Arbeit verwendet wird, sowie die Klärung sonstiger Termini, die im Zusammenhang mit der Wissensverteilung benutzt werden. Im Anschluss erfolgen dann die separaten Analysen zu "Les Diaboliques" und "Vertigo", in denen der Wissensstand der Hauptfiguren mit dem der Zuschauer verglichen wird, um die Spannungs- und Überraschungs-Momente identifizieren und charakterisieren zu können. Abschließend werden die Ergebnisse der Einzelanalysen gegenüber gestellt, um Häufigkeit, Verteilung und Art der Spannungs- und Überraschungsmomente vergleichend zu betrachten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Begriffsdefinitionen
2 Wissensverteilung in Clouzots Les Diaboliques
2.1 „Similarity“- und „unspezifische Vorahnung“-Szenen
2.2 „Surprise“- und „Surprise-Phase“-Szenen
2.3“Suspense“-Szenen
3 Wissensverteilung in Hitchcocks Vertigo
3.1 „Similarity“- und „unspezifische Vorahnung“-Szenen
3.2 „Surprise“- und „Surprise-Phase“-Szenen
3.3“Suspense“-Szenen
4 Vergleich der Wissensverteilung
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Filmographie
Einleitung
Der französische Hitchcock – ein Spitzname, der dem Regisseur Henri-Georges Clouzot sehr missfiel, ebenso wie der damit einhergehende Vergleich mit dem britischen Filmemacher Alfred Hitchcock.[1] Dennoch liegt eben dieser Vergleich nahe, da Clouzot besonders mit seinem Thriller Les Diaboliques ein Werk geschaffen hat, das den Zuschauer, genau wie bei vielen Hitchcocks Thrillern, durch die Erzeugung vieler spannender und überraschender Momente ein emotionales Wechselbad beschert. Dem britischen Regisseur brachte diese starke emotionale Wirkung seiner Filme den Titel „Master of Suspense“[2] ein. Ist Clouzot also folglich auch hier das französische Äquivalent? Oder aber ergeben sich starke Unterschiede im Umgang mit der Suspense-Spannung, sodass vielleicht sogar Clouzot diesen Titel eher verdient hätte?
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Vergleich der Wissensverteilung zwischen Hauptfiguren und Zuschauern und den daraus resultierenden Suspense- und Surprise-Momenten in Clouzots Les Diaboliques und Hitchcocks Vertigo. Der Vergleich dieser Werke liegt nahe, da sie beide nicht nur zu den bekanntesten und meist geschätzten Filmen dieser Regisseure gehören, sondern auch, weil sowohl Les Diaboliques als auch Vertigo auf den Romanen derselben Autoren basieren.[3]
Zunächst erfolgt eine kurze theoretische Erläuterung, auf welche Weise der Begriff „Suspense“ in dieser Arbeit verwendet wird, sowie die Klärung sonstiger Termini, die im Zusammenhang mit der Wissensverteilung benutzt werden. Im Anschluss erfolgen dann die separaten Analysen zu Les Diaboliques und Vertigo, in denen der Wissensstand der Hauptfiguren mit dem der Zuschauer verglichen wird, um die Spannungs- und Überraschungs-Momente identifizieren und charakterisieren zu können. Abschließend werden die Ergebnisse der Einzelanalysen gegenüber gestellt, um Häufigkeit, Verteilung und Art der Spannungs- und Überraschungsmomente vergleichend zu betrachten.
1 Begriffsdefinitionen
Diese Arbeit orientiert sich an den Begrifflichkeiten, die Christina Stiegler in ihrer Monografie Die Bombe unter dem Tisch zur Analyse von Wissensständen in Hitchcocks Thrillern verwendet.
„Suspense is created by the process of giving the audience information that the character in the scene does not have“[4] ; „When making a suspense picture, […] one must never confuse the audience. Always give them the fullest facts.“[5] – diese Definitionen von Hitchcock charakterisieren Suspense-Situationen als filmische Momente, in denen der Zuschauer nicht nur ein Wissensplus gegenüber den Hauptfiguren hat, sondern auch umfassend über die herrschende Situation informiert ist. Stiegler greift diese Definition von Supsense auf und bezeichnet diese Momente als „Suspense-Phasen“[6]. Ist der Zuschauer jedoch über eine Situation nicht vollständig informiert und bekommt durch filmische Mittel lediglich den Eindruck vermittelt, dass sich eventuell eine Gefahr für die Protagonisten anbahnen könnte, wird dies als „unspezifische Vorahnung“[7] beschrieben. Der Terminus „Similarity“[8] wird für einen Wissensgleichstand zwischen Hauptfiguren und Rezipient verwendet, wohingegen der Begriff „Surprise-Phase“[9] für all die Situationen steht, in denen der Zuschauer ein Informationsdefizit gegenüber den Protagonisten hat oder sich diesen Wissensmangel mit einer der Hauptfiguren teilt. Werden Protagonist und Rezipient resultierend aus einem Mangel an Informationen überrascht, wird dies als „Surprise“[10] bezeichnet. Die eben genannten Phasen sind zudem alle „mit einer inneren Unruhe, einem emotional aufgewühlten Zustand des Publikums verbunden“[11] und können sich durchaus überschneiden.
2 Wissensverteilung in Clouzots Les Diaboliques
2.1 „Similarity“- und „unspezifische Vorahnung“-Szenen
Wie der Plot des Films bereits vermuten lässt, ist es nicht Clouzots Ziel, dem Zuschauer besonders viele Informationen zu übermitteln. Dies schlägt sich auch in der Häufigkeit von „Similarity“- und „unspezifische Vorahnung“-Momenten nieder, die durchaus vorhanden, jedoch eher rar gesät sind.
Der erste „Similarity“-Zustand, in den der Rezipient versetzt wird, findet sich in der Speisesaal-Szene, in der der Zuschauer miterlebt, wie Michel seine Frau zum Essen zwingt und sie anschließend misshandelt. Zwar ist die eigentliche Misshandlung für den Zuschauer durch eine Wand verdeckt, doch ist durch Christines Schreie und Michels vorherige Ankündigung „Wir feiern Flitterwochen.“, für den Rezipienten klar, dass er sie dort vergewaltigt. Gleich im Anschluss folgt eine weitere Szene, in der sich Publikum und Christine auf dem gleichen Wissensstand befinden, nämlich, als sie sich aus dem Schlafzimmer schleicht, voller Angst, dass Michel aufwachen könnte. Auch in der nächsten „Similarity“-Phase stellt Michel, den der Zuschauer an dieser Stelle schon gewaltbereit erlebt hat, die Bedrohung dar: Als Christine ihrem Mann mit einer Scheidung droht und dieser sie dann in Nicoles Haus konfrontiert, sind sich sowohl der Rezipient als auch die Protagonistin der Gefahr bewusst, die von dem tyrannischen Michel ausgeht. Nachdem die Frauen ihn schließlich (vermeintlich) getötet haben und den Korb mit seiner Leiche unter Mithilfe der Nachbarn aus dem Haus tragen, stellt dies ebenfalls einen „Similarity“-Moment dar, besondere als letztere die schwere Kiste öffnen wollen, um den Inhalt umzupacken. Doch nicht nur in dieser Situation sind Protagonistinnen und Zuschauer gleichsam besorgt, dass die Leiche in der Kiste gefunden werden könnte: An Einer Tankstelle klettert zunächst ein Betrunkener auf die Ladefläche von Nicoles Auto, auf der sich die Kiste befindet, dann will der Tankstellenwart helfen, den Innenraum des Wagens zu säubern. Weitere „Similarity“-Phasen treten auf, als sich der ehemalige Kommissar Fichet Christina zu erkennen gibt, mit ihr zur Schule fährt und dort sie und Nicole befragt. Da der Rezipient mit den Hauptfiguren auf einem Wissenslevel ist, erkennen sowohl der Zuschauer als auch die Frauen die Gefahr, dass Fichet die scheinbare Wahrheit herausfinden könnte und sind angespannt.
Kaum zu finden in Les Diaboliques, sind Phasen von „unspezifischer Vorahnung“. Als sich Christina im Leichenschauhaus nach dem gefundenen Körper erkundigt, zeigt Clouzot, wie ein Mann sie beobachtet und erzeugt somit ein ungutes Gefühl beim Zuschauer. Diese Person entpuppt sich kurze Zeit später als Fichet. Eine weitere „unspezifische Vorahnung“ findet sich gegen Ende des Films, wenn das Publikum sieht, wie sich in der nächtlichen Schule eine Tür öffnet und eine Person die Treppe heraufkommt, von der wir nur die behandschuhte Hand auf dem Geländer sehen. Wenig später schleicht Christina durch die dunklen Gänge des Hauses, während der Zuschauer Zeuge davon wird, wie sich hinter der Protagonistin eine Tür leise öffnet. Auch hier kann das Publikum die Gefahr nur vermuten und hat deshalb eine „unspezifische Vorahnung“.
[...]
[1] Vgl. Lloyd 2007. S. 10.
[2] Bouzereau 2010. S43.
[3] Celle qui n’était plus und D’entre les morts von Pierre Boileau und Thomas Narcejac.
[4] Hitchcock 1965. S. 212.
[5] Hitchcock in Bogdanovich 1973. S.28.
[6] Stiegler 2011. S 146.
[7] Ebd. S. 143.
[8] Ebd. S. 141.
[9] Ebd. S. 142.
[10] Ebd.
[11] Ebd.