"In froher Runde, zwischen Spottliedern und freundschaftlichen Diskussionen, bei Burgunder und Champagner, da wurden diese Umsturzpläne ausgeheckt. In ihrem tiefsten Innern waren sie nicht revolutionär gesinnt. Es entsprang alles ihrer Langeweile, dem Tatenhunger ihres jungen Gemüts. Erwachsene Männer zwar, flüchteten sie sich doch in die tollkühne Abenteuerlust der Jugend."
Diese Worte stammen von Alexander Puschkin, der schon zu seiner Lebenszeit sowohl in der russischen Literatur als auch für die Dekabristen eine wichtige Rolle einnahm. In diesem Zitat bezieht er sich auf letztere und im genaueren beschreibt er die Situation in den geheimen Gesellschaften aus seiner Sicht. Bei den Dekabristen fand er nicht nur aufgrund seiner literarischen Talente Gehör, sondern weil er Freunde hatte, die sich in den Kreisen der Geheimgesellschaften engagierten. Dieses Zitat ist daher kritisch zu betrachten. Womöglich wollte er die Bewegung der Dekabristen verharmlosen, um viele vor einer harten Bestrafung zu bewahren und deshalb den ihnen vorgeworfenen verschwörerischen Charakter entkräften. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass Alexander Puschkin keinen tiefen Einblick in die Pläne der Dekabristen hatte, weil seine Freunde ihn zum einen schützen wollten und zum anderen die Bewegung geheim bleiben wollte, so dass seine Freunde ihn von vornherein nicht eingeweiht haben. Es wird sich wohl nicht eindeutig klären lassen, inwieweit Alexander Puschkin informiert und involviert war, was die Pläne und Ziele der Dekabristen betrifft. Nichtsdestotrotz dient dieses Zitat als guter Einstieg, um sich näher mit dem Thema der Dekabristen und den geheimen Gesellschaften zu beschäftigen. Dennoch weckt dieses Zitat die Neugier des Lesers, sich näher mit den Dekabristen auseinander zu setzen. Bei näherer Betrachtung wird nämlich deutlich, dass die Dekabristen eine sehr heterogene Gruppe waren und keine einheitlichen Ziele verfolgten. Denn es kommen Fragen auf wie zum Beispiel: Wer waren Dekabristen, was waren die einzelnen Ziele? Und war der Dekabristenaufstand ein von unerfahrenen jungen Offizieren und Soldaten verübter Putsch, der durch geringfügiges Engagement und Planung scheiterte, oder gestaltete sich der Aufstand spontan, als man versuchte den Tod des Zaren Alexander I. für die eigene Sache zu nutzen?
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Die Dekabristen
1 Einführung
2 Der Dekabristenaufstand
III Die russischen Geheimgesellschaften im 19. Jahr-
hundert unter Zar Alexander I.
1 Entstehung der Geheimgesellschaften
2 Der deutsche Einfluss auf die russischen Geheimgesellschaften
3 Peter I. der Große
IV Russischer Nationalismus oder europäischer Mainstream?
1 Europäisierung als Weckruf für den russischen Nationalismus
2 Die Entwicklung des nationalen Gedankens in Russland
V Schluss
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
„In froher Runde, zwischen Spottliedern und freundschaftlichen Diskussionen, bei Burgunder und Champagner, da wurden diese Umsturzpläne ausgeheckt. In ihrem tiefsten Innern waren sie nicht revolutionär gesinnt. Es entsprang alles ihrer Langeweile, dem Tatenhunger ihres jungen Gemüts. Erwachsene Männer zwar, flüchteten sie sich doch in die tollkühne Abenteuerlust der Jugend.“[1]
Diese Worte stammen von Alexander Puschkin, der schon zu seiner Lebenszeit sowohl in der russischen Literatur als auch für die Dekabristen eine wichtige Rolle einnahm. In diesem Zitat bezieht er sich auf letztere und im genaueren beschreibt er die Situation in den geheimen Gesellschaften aus seiner Sicht. Bei den Dekabristen fand er nicht nur aufgrund seiner literarischen Talente Gehör, sondern weil er Freunde hatte, die sich in den Kreisen der Geheimgesellschaften engagierten. Dieses Zitat ist daher kritisch zu betrachten. Womöglich wollte er die Bewegung der Dekabristen verharmlosen, um viele vor einer harten Bestrafung zu bewahren und deshalb den ihnen vorgeworfenen verschwörerischen Charakter entkräften. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass Alexander Puschkin keinen tiefen Einblick in die Pläne der Dekabristen hatte, weil seine Freunde ihn zum einen schützen wollten und zum anderen die Bewegung geheim bleiben wollte, so dass seine Freunde ihn von vornherein nicht eingeweiht haben. Es wird sich wohl nicht eindeutig klären lassen, inwieweit Alexander Puschkin informiert und involviert war, was die Pläne und Ziele der Dekabristen betrifft. Nichtsdestotrotz dient dieses Zitat als guter Einstieg, um sich näher mit dem Thema der Dekabristen und den geheimen Gesellschaften zu beschäftigen. Dennoch weckt dieses Zitat die Neugier des Lesers, sich näher mit den Dekabristen auseinander zu setzen. Bei näherer Betrachtung wird nämlich deutlich, dass die Dekabristen eine sehr heterogene Gruppe waren und keine einheitlichen Ziele verfolgten. Denn es kommen Fragen auf wie zum Beispiel: Wer waren Dekabristen, was waren die einzelnen Ziele? Und war der Dekabristenaufstand ein von unerfahrenen jungen Offizieren und Soldaten verübter Putsch, der durch geringfügiges Engagement und Planung scheiterte, oder gestaltete sich der Aufstand spontan, als man versuchte den Tod des Zaren Alexander I. für die eigene Sache zu nutzen?
In dieser Arbeit versuche ich, auf diese Fragen einzugehen und auch die historischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Hintergründe aufzuzeigen, die die Entstehung der Geheimgesellschaften bedingten. Die Arbeit findet ihren Anfang in der Definition des Begriffs ‚Dekabristen‘. Darauf aufbauend wird der Dekabristenaufstand in St. Petersburg im Dezember 1825 beschrieben. Hierbei ist noch hinzuzufügen, dass der Aufstand im Süden nicht näher erläutert wird. Die genauen Hintergründe und der Anlass dieses Aufstandes in St. Petersburg sollen weitere Indizien auf die Arbeit der Dekabristen und deren Absichten liefern. Daraufhin sollen die historischen Hintergründe der Anfangsjahre des 19. Jahrhunderts in Russland erklärt werden und dabei den Zeitgeist des russischen Volkes tiefer erläutert werden. Zweitens soll herausgearbeitet werden, inwiefern der russische Nationalismus durch die Dekabristen mit ihrem Aufstand im Dezember 1825 eine prägende Rolle gespielt hat Der zweite Hauptteil dieser Arbeit behandelt die Ursprünge und Motive der Geheimgesellschaften. Dabei ist selbstredend die Entstehung von diesen geheimen Zirkeln im Vordergrund. Des Weiteren spielen die verschiedenen Impulse und Anregungen für die Haltung geheimer Sitzungen und deren Inhalte essentielle Rollen in dieser schriftlichen Ausarbeitung. Der dabei oft verschwiegene ´positive´ Einfluss der `Deutschen` soll weiteren Aufschluss darauf bieten, welche innenpolitischen Probleme im zaristischen Russland zu Grunde lagen. In Bezug auf die Gründe und dem Ursprung dieser innenpolitischen Auseinandersetzungen wird die Zeit Peters I. in einem weiteren Unterpunkt kurz erläutert und auf die Problematik seiner Politik näher eingegangen. Der dritte und letzte Hauptteil behandelt schließlich den russischen Nationalismus und die Problematik der Definierung seiner genauen Entstehung. Hierbei wird die These vertreten, dass bereits durch die Europäisierung Peters des Großen ein inneres Bedürfnis nach eigener Tradition und Sprache entsteht. Die Entstehung eines russischen Nationalgedanken ist auch in Peters Jahrhundert einzuordnen, wobei erst 200 Jahre später ein bemerkbares Interesse seitens des Adels erfassbar ist.
Die breite Fülle an Literatur bezüglich des Dekabristenaufstandes im Dezember 1825 deutet klar daraufhin, dass dieses Ereignis für die russische Historie ein sehr bahnbrechendes darstellt. Es existieren über 15 000 Aufsätze über die Dekabristen und deren Aufstand im Dezember 1825. Die Mehrzahl dieser Aufsätze ist russischer Herkunft.
II. Die Dekabristen
1 Einführung
Der Begriff des Dekabrismus entstand in Anlehnung an den russischen Monat „dekabr“, was nach dem julianischen Kalender dem Dezember entspricht. Die Anhänger des in St. Petersburg verübten Aufstandes am 26. Dezember 1825[2] wurden nach dem Monat Dezember benannt und heißen seither Dekabristen. Es handelt sich hierbei um einen zeitgenössischen Begriff der erstmals 1828 in Russland belegt ist.
Die Dekabristen stammten aus dem Adel ab und wollten die Umwandlung der russischen Staatsordnung in eine Konstitution erzwingen, in dem sie versuchten den Zaren zu stürzen. Am 1. Dezember verstarb unerwartet Zar Alexander I. in Taganrog. Die Dekabristen wollten verhindern, dass potentielle Nachfolger die Leibeigenschaft, die Polizeiwillkür und die Zensur fortsetzten. Sie verweigerten dem Thronfolger Nikolaus I. den Eid und versuchten diesen durch einen Militäraufstand zu stürzen. Jedoch hatten die Dekabristen als Gruppe keine gemeinsamen, festgelegten Ziele, sie waren sich nur einig über das, was sie nicht wollten. Insgesamt stellten die Dekabristen keine homogene Gruppe dar, was sich auch darin zeigte, dass der Aufstand binnen Stunden von zarentreuen Soldaten niedergeschlagen wurde.
2 Der Dekabristenaufstand
Am 26. Dezember befahl Nikolaus die Truppen der St. Petersburger Garnison auf ihn zu vereidigen. Doch Teile mehrerer Regimenter wie zum Beispiel des Moskauer Regiments und der Marinewachen verweigerten ihm den Eid. Sie versammelten sich auf dem Senatsplatz und forderten Konstantin und eine Verfassung.[3] Es herrschte nämlich große Verwirrung bezüglich des Nachfolgers des unerwartet verstorbenen Zaren Alexanders I., denn von dem Thronverzicht des in Polen lebenden nächstjüngeren Bruder Konstantin wussten nur wenige Eingeweihte. Als wäre diese Verheimlichung der Thronentsagung nicht genug, vervollständigte Nikolaus I. die chaotische Situation, in dem er, nach dem ihm die Nachricht über den Tod seines ältesten Bruders Alexander erreichte, den Eid auf seinen Bruder Konstantin schwur.[4] Die Aufständischen verharrten stundenlang aktionslos auf dem Senatsplatz. Nachdem der Leutnant Kachovskij den Generalgouverneur Graf Michail A. Miloradowitsch tödlich verwundete kam es zum Schusswechsel zwischen Meuterern und Zarentreuen, was zur Eskalation des Aufstandes führte: Das Durcheinander wurde durch die Anwesenheit Schaulustiger verstärkt. Die zarentreuen Gardeoffiziere ließen den Senatsplatz einkesseln womit es keinen Rückweg für die Aufständischen gab. Am Ende lösten sich die Aufständischen in Unordnung auf.[5] Durch die Abwesenheit politischer und militärischer Führungspersonen und der Passivität der Beteiligten blieb der Aufstand erfolglos und wurde schon im Ausbruch erstickt, obwohl es nach Augenzeugenberichten etwa 250 Todesopfer gab.[6]
III. Die russischen Geheimgesellschaften im 19. Jahrhundert unter Zar Alexander I.
Entstehung der geheimen Gesellschaften
Um den exakten Grund für die Entstehung von geheimen Gesellschaften während der Amtszeit Alexanders I. (24. März 1801 – 1. Dezember 1825 nach dem gregorianischen Kalender) nachvollziehen zu können, ist es unausweichlich, näher auf den Zeitgeist und die historischen Gegebenheiten einzugehen. Dabei spielen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle. Es lässt sich nicht genau abgrenzen, ob es die Liebe zum Vaterland, die Sehnsucht nach einer starken Nation oder das Bedürfnis nach Reformen war, die in den verschwörerischen Gedanken resultierten, die dann in die Entstehung mehrerer, geheimer Gesellschaften mit diversen Programmen und verschiedenen Motiven mündete. Es war vielmehr eine Mischung dieser verschiedenen Faktoren, die die Gründung der Geheimgesellschaften bedingten. Im Folgenden wird nun näher auf die historischen Hintergründe und den Geist der Zeit eingegangen.
Am 24. März 1801 übernahm Alexander I.[7] das Amt des Zaren. Viele seiner Untertanen setzten große Hoffnungen auf ein ‚besseres‘, d.h. anderes, Russland: Das Volk erwartete von Alexander I. eine gemäßigte und reformorientierte Herrschaftspolitik. Denn kurz nach seinem Amtsantritt ließ der Zar liberale Exilaristokraten, die sein Vater verbannt hatte, wieder ins Land zurückholen. Auch ließ Alexander I. die Vollmachten des Senats, den Peter I. ins Leben gerufen hatte, und dem sowohl Alexanders I. Vater Paul als auch seine Großmutter Katharina keine bis mäßige Beachtung schenkten, prüfen[8]. Somit wurden die Erwartungen seitens des Volkes erfüllt. Vasilii Karazin schrieb bei der Amtsübernahme des Zaren einen äußerst offenen und ehrlichen Brief, indem er seine Sicht der Vergangenheit schilderte und seine Erwartungen an den Zaren unmissverständlich darlegte:
[...]
[1] Ulam, Adam B,: Rußlands gescheiterte Revolution. Von den Dekabristen bis zu den Dissidenten. München 1985, S. 11.
[2] Dieses Datum sowie alle folgenden richten sich nach dem gregorianischen Kalender.
[3] Alan Palmer. Alexander I.: Der Gegenspieler Napoleons. Esslingen : Bechtle, 1982, S.363.
[4] Nikolaus Katzer. Der gescheiterte Staatsstreich des aufgeklärten Adels. Der Dekabristenaufstand von 1825 in Rußland. In: Grosse Verschwörungen. Staatsstreich und Tyrannensturz von der Antike bis zur Gegenwart, S.175.
[5] Palmer, S. 363.
[6] Katzer, S. 176.
[7] Ph. D. Anatole G. Mazour: The First Russian revolution 1825: The Decembrist movement, its origins, development, and significance. Stanford California, S. 1.
[8] Alan Palmer. Alexander I.: Der Gegenspieler Napoleons. Esslingen : Bechtle, 1982. S.59/60.