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Vorgespräche zur bundesdeutschen Koalitionsbildung zwischen CDU/CSU und SPD. Eine spieltheoretische Fallanalyse

©2012 Hausarbeit 15 Seiten

Zusammenfassung

“The government formation process ends with the creation of a new govern-ment – a new set of managers of the various departments of the state. But what of its beginning?” (Shepsle und Boncheck 1997, 437).

Was kommt zuerst, Minister oder Ministerium? Im Zuge einer Koalitionsbildung, die vornehmlich in parlamentarischen Systemen vonstattengeht, schmieden Parteien ein Bündnis, um die notwendige Mehrheit zur Regierungsbildung zu erreichen (Riker 1975, Schofield und Sened 2006, von Neumann und Morgenstern 1953). Allerdings kommt dieser Pakt selten einer „Liebesheirat“ gleich, sondern harte Verhandlungen über Ämter und Inhalte deuten eher auf einen „Rosenkrieg“ hin.

In vorliegender Arbeit werden die Vorgespräche zu den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD nach den Bundestagswahlen 2005 koalitionstheoretisch verortet und spieltheoretisch entschlüsselt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Koalitionstheorien: Spannungsverhältnis zwischen Amt und Inhalt
1.1 Ämterorientierte Koalitionstheorien
1.2 Politikorientierte Koalitionstheorien

2. Koalitionstheoretische Synthese: Policy, Office, Votes

3. Fallanalyse: Vorgespräche der Koalitionsbildung 2005
3.1 Nutzenfunktion und Auszahlungen
3.2 Modellierung des Spielbaums

4. Interpretation des Ergebnisses und Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

“The government formation process ends with the creation of a new government – a new set of managers of the various departments of the state. But what of its beginning?” (Shepsle und Boncheck 1997, 437).

Was kommt zuerst, Minister oder Ministerium? Im Zuge einer Koalitionsbildung, die vornehmlich in parlamentarischen Systemen vonstattengeht, schmieden Parteien ein Bündnis, um die notwendige Mehrheit zur Regierungsbildung zu erreichen (Riker 1975, Schofield und Sened 2006, von Neumann und Morgenstern 1953). Allerdings kommt dieser Pakt selten einer „Liebesheirat“ gleich, sondern harte Verhandlungen über Ämter und Inhalte deuten eher auf einen „Rosenkrieg“ hin.

In vorliegender Arbeit werden die Vorgespräche zu den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD nach den Bundestagswahlen 2005 koalitionstheoretisch verortet und spieltheoretisch entschlüsselt. Der Spezialfall der Großen Koalition, den es zuvor nur einmal in der bundesdeutschen Historie gab, beginnt bereits vor den offiziellen Verhandlungen mit dem Vorspiel: so wurden bereits in inoffiziellen Vorgesprächen die K-Frage zugunsten der CDU beantwortet und die Ressorts an etwaige Minister vergeben (Hartmann, Vogt und Wanner 2008, 25).

Dieser Schritt erschien nötig, um die Handlungsspielräume der Parteien bereits vor den Koalitionsverhandlungen festzulegen, denn ein Scheitern wäre ein Desaster. Die Große Koalition 2005 unterschied sich von ihrem Prototyp unter Kiesinger 1966 darin, dass sie „aus der Not geboren war“, da sie „von den Regierungsparteien in dieser Form nicht gewollt war“ (Egle und Zohlnhöfer 2010b, 11). Die zentrale Forschungsfrage ergibt sich aus ebendiesen Umständen: Inwiefern lassen sich die Vorgespräche für die daran anknüpfenden offiziellen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD 2005 spieltheoretisch erklären?

Denn es bietet sich an eine Entscheidung, die als einzige Option interpretiert wird vor dem Hintergrund der Rational Choice Theorie, die sich in Koalitionstheorien der Politikwissenschaft wiederfindet (Laver und Schofield 1998, Mueller 2003, Müller und Strøm 1999), zu erklären. Im ersten Teil werden Koalitionstheorien dargestellt und interpretiert, was den Forschungsstand bezüglich der spieltheoretischen Theorien erblicken lässt. Im zweiten Teil wird schließlich der empirische Fall der Vorgespräche zwischen Konservativen und Sozialdemokraten spieltheoretisch dargestellt und erklärt. Im Ergebnis wird gezeigt, dass man mithilfe spieltheoretischer Ansätze die Koalitionsbildung 2005 nachvollziehbar erklären kann, jedoch Vorsagen nur schwer getroffen werden können.

1. Koalitionstheorien : Spannungsverhältnis zwischen Amt und Inhalt

„Nur wenn also institutionelle und akteurspezifische Erklärungen herangezogen werden, können zentrale Fragen der bundesdeutschen Regierungspraxis beantwortet werden“ (Sturm und Kropp 1999, 9).

Im Folgenden werden wesentliche Argumente der Koalitionstheorien erörtert. Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Spannungsfeld zwischen ämterorientierten und politikorientierten Koalitionstheorien, um sodann den Forschungsstand zu erläutern. Gleichzeitig werden wichtige Faktoren isoliert, die in der Anwendung eingebettet werden und das theoretische Fundament bilden.

1.1 Ämterorientierte Koalitionstheorien

Koalitionstheorien als Teildisziplin innerhalb der politischen Wissenschaft unterliegen einer fortwährenden Entwicklung. William H. Riker (1975 [zuerst 1962]) analysierte in The Theory of Coalitions das Zustandekommen von Regierungsbündnissen, wobei er an von Neumanns und Morgensterns (1953 [zuerst 1944]) spieltheoretischen Konzept der „minimal winning coalition“ anknüpfte und so die Koalitionsforschung in der Politikwissenschaft etablierte (Müller 2004, 269). Die Idee der „minimal winning coalition“ besagt, dass potenzielle Koalitionäre eine Mehrheit bilden („winning“), allerdings ganz im wörtlichen Sinne „minimal“ sind, da jeder Koalitionspartner notwendig ist, um die Mehrheit aufrecht zu erhalten (von Neumann und Morgenstern 1953, 430).

Daran anknüpfend interpretierte Riker (1975) den politischen Prozess und somit Koalitionsbildungen als Nullsummenspiel unter dem Dach der Rational Choice Theorie, weshalb es immer zu „minimum winning coalitions“ kommen müsse, so Riker (1975, 30). In einem Parlament mit 50 Abgeordneten, entspricht also eine Koalition aus 26 Abgeordneten der minimalen Mehrheitskoalition.[1]

Der zentrale Kritikpunkt ist, dass die Theorie rein ämterorientiert, nicht aber politikorientiert argumentiert (Linhart und Pappi 2009). Denn immerhin drei nicht selten vorkommende Probleme der politischen Wirklichkeit kann das Konzept nicht abdecken: a) Minderheitsregierungen (erfüllen winning-Kriterium nicht), b) Anzahl der Parteien übersteigt minimal winning-Kriterium und c) Koalitionen bestehend aus den Parteien, die nicht die kleinstmögliche Mehrheit tragen (Müller 2004, 271). Ferner sind die rein ämterorientierten Koalitionstheorien nicht hinreichend, da nur Ämterbesetzung als Motiv für Koalitionsbildung betrachtet werden, die Motivation zur Durchsetzung politischer Inhalte hingegen wird nicht berücksichtigt, weshalb diese Theorien als „policy blind“ abgekanzelt werden (Laver und Schofield 1998, 91).

1.2 Politikorientierte Koalitionstheorien

Michael Leiserson (1968) entwickelte eine „policy-seeking“ Theorie, die darauf abzielte, dass sich vermeintliche Koalitionspartner ideologisch nahestehen müssen, um ein hohes Maß ihrer Interessen, Dank der großen programmatischen Schnittmengen, durchsetzen zu können, was Leiserson (1968) als „minimal range coalitions“ bezeichnet. Diesem Konzept nahm sich auch Abram de Swaan (1973) an, der eine präzise Darstellung der Theorien Leisersons und Axelrods (1970) lieferte und darauf hinwies, dass mit großer ideologischen Geschlossenheit auch der Grad der Stabilität einer Koalition steige (de Swaan 1973, 71-73).

Zentral ist, dass Akteure in erster Linie nicht „office seeking“, sondern vielmehr „policy seeking“ agieren, was mit einer räumlichen „policy distance“ zwischen den Parteien begründet wird, da die Mitglieder der Parteien „genuine Präferenzen“ aufweisen (Axelrod 1970, Diermeier 1996, Leiserson 1968, de Swaan 1973). So nachvollziehbar die Kritik an den rein ämterorientierten Theorien ist, vermissen es die Autoren jedoch, das „office-seeking“ genügend zu beachten (Linhart und Pappi 2009). Die bundesdeutsche Geschichte betrachtend, sind gerade einmal zwei große Koalitionen (1966-69 und 2005-09) zustande gekommen, obwohl sich SPD und CDU/CSU programmatisch oftmals näher standen als zur FDP oder zu den Grünen. Dennoch wurden meist kleine Koalitionen gebildet, wohl aus machttaktischen (ämterorientierten) Gründen (Linhart und Pappi 2009, 24).

Des offensichtlichen „missing links“ zwischen Amt und Inhalt nahmen sich Autoren wie Sened und Schofield (2006) sowie Müller und Strøm (1999) an, die „policy seeking“ sowie „office seeking“ nicht als unvereinbares Spannungsverhältnis betrachten, sondern analysierten Koalitionsbildung unter gleichwertiger und gleichzeitiger Berücksichtigung von Politik- und Ämtermotivation.

[...]


[1] Siehe hierzu die ausführliche Darstellung spieltheoretischer Ansätze in den Sozialwissenschaften: Dennis C. Muellers (2003), Public Choice III. Dort finden sich pointierte Definitionen zur „minimal winning coalition“: “A coalition is a minimal winning coalition if the removal of any one member results in its shifting from a majority to a minority coalition. (…) A minimal winning coalition contains the smallest number of seats of all minimal winning coalitions” (Mueller 2003, 281).

Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783656330226
ISBN (Buch)
9783656331759
DOI
10.3239/9783656330226
Dateigröße
575 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft
Erscheinungsdatum
2012 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
Spieltheorie Game Theory Rational Choice Koalitionen
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Titel: Vorgespräche zur bundesdeutschen Koalitionsbildung zwischen CDU/CSU und SPD. Eine spieltheoretische Fallanalyse