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Organisation und Verfahren des Disziplinarrechts

©2012 Seminararbeit 28 Seiten

Zusammenfassung

Ein Beamter i.S.d. § 1 BBG (Bundesbeamtengesetz) schuldet seinem Dienstherrn insbesondere gem.
§§ 60 ff. BBG eine besondere Treue und unterliegt einer Vielzahl von Pflichten. Gemäß § 77 I 1 BBG stellt die schuldhafte Verletzung einer beamtenrechtlichen Pflicht ein „Dienstvergehen“ dar. Ein solches kann gem. § 77 III BBG nach dem BDG (Bundesdisziplinargesetz), welches die bis dahin geltende Bundesdisziplinarordnung (BDO) mit Wirkung zum 01.01.2002 ablöste, disziplinar geahndet werden.
In persönlicher Hinsicht gilt das BDG gem. § 1 S.1 BDG1 für Beamte und Ruhestandsbeamte i.S.d. BBG, mithin also für solche des Bundes, vgl. § 1 BBG. Jedoch existieren auch Disziplinargesetze der einzelnen Länder, deren persönlicher Anwendungsbereich sich auf Beamte des Landes, der Gemeinden, Gemeindeverbände etc. erstreckt, vgl. z.B. § 1 I LDG NRW i.V.m. § 1 I LBG NRW. Die Disziplinargesetze der Länder sind inhaltlich sehr stark an das BDG angelehnt. So ist etwa das LDG NRW bis auf einige wenige Abweichungen (insbesondere findet ein Widerspruchsverfahren im Gegensatz zu §§ 41 ff. BDG nicht statt, vgl. §§ 41 f. LDG NRW) mit dem BDG inhaltsgleich.2
In sachlicher Hinsicht bedarf es gem. § 2 I Nr.1, 2 eines Dienstvergehens gem. § 77 I, welches von dem Beamten während seines Beamtenverhältnisses [lit. a)] bzw. von dem Ruhestandsbeamten nach Eintritt in den Ruhestand [lit. b)] begangen wurde.
Im Gegensatz zur BDO wird das disziplinarrechtliche Verfahren im BDG sehr systematisch dargestellt.3
Zudem ergibt sich sehr viel aus dem Gesetz selbst.
Das Disziplinarrecht gliedert sich in ein behördliches und ein gerichtliches Disziplinarverfahren.
[...]
1 Alle §§ ohne Angabe sind solche des BDG.
2 Weiß in: Fürst, GKÖD, Band II, M § 52, Rn.2.
3 BT Drucksache 14 / 4659, S.1, 33.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

A. Allgemeines

B. Behordliches Disziplinarverfahren, §§ 17 - 44 BDG
I. Einleitung
1. Einleitung von Amts wegen
a) Verfolgungsgrundsatz
b) Ausnahmen
aa) Zulassigkeit von DisziplinarmaBnahmen nach Straf- / BuBgeldverfahren, § 14 BDG
(1) VerstoB gegen Art. 103 III GG?
(2) VerstoB gegen Art. 103 II GG?
(3) ,,Derselbe Sachverhalt“
bb) DisziplinarmaBnahmeverbot wegen Zeitablaufs, § 15 BDG
2. Einleitung durch den Beamten selbst
II. Durchfuhrung, §§ 20 - 31 BDG
1. Unterrichtung und Belehrung des Beamten
2. Untersuchungsgrundsatz
a) Ermittlungsbefugnisse
aa) Beweiserhebung, § 24 BDG
bb) Zeugen und Sachverstandige, § 25 BDG
cc) Herausgabe von Unterlagen, § 26 BDG
dd) Beschlagnahmen und Durchsuchungen, § 27 BDG
ee) Innerdienstliche Informationen, § 29 BDG
b) Grenzen und Umfang der Aufklarungspflicht bzw. der Ermittlungsbefugnisse
aa) Sachverhalt steht bereits fest bzw. ist bereits aufgeklart, § 21 II BDG
bb) Bindung an tatsachliche Feststellungen aus Strafverfahren bzw. anderen
Verfahren, § 23 BDG
cc) Zusammentreffen eines Disziplinarverfahrens mit einem Strafverfahren
bzw. anderen Verfahren, § 22 BDG
dd) Ausdehnung und Beschrankung des Ermittlungsverfahrens, §19 BDG
3. AbschlieBende Anhorung gem. §30 BDG
4. Entscheidung uber etwaige Abgabe des Disziplinarverfahrens gem. §31 BDG
III. Abschlussentscheidung, §§ 32 - 34 BDG
1. Einstellungsverfugung, § 32 BDG
2. Disziplinarverfugung, §33 BDG
3. Erhebung der Disziplinarklage, § 34 BDG
4. Grenzen der erneuten Ausubung der Disziplinarbefugnisse nach Erlass einer Einstellungs- oder Disziplinarverfugung durch das hohere Disziplinarorgan ,§35 BDG
5. Pflicht zur Aufhebung einer etwaig erlassenen Disziplinarverfugung und zur Einstellung des Disziplinarverfahrens, § 36 BDG
6. Kostentragungspflicht, §37 BDG
IV. Vorlaufige Dienstenthebung und Einbehaltung von Bezugen, §§ 38 - 40 BDG
V. Kontrollmoglichkeiten des hoheren Disziplinarorgans wahrend des Disziplinar­verfahrens
VI. Widerspruchsverfahren, §§ 41 - 44 BDG

C. Gerichtliches Disziplinarverfahren, §§ 45 - 76 BDG
I. Zuweisung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit
II. Einleitung, Gang und Beendigung des Disziplinarverfahrens
1. Vor dem Verwaltungsgericht (1. Instanz)
a) Klageerhebung
aa) Disziplinarklage, §52 I BDG
bb) Nachtragsdisziplinarklage, § 53 BDG
cc) ,,Ubrige Klagen“ § 52 II BDG
b) Gang des Verfahrens
c) Abschluss des Verfahrens
aa) Beschluss gem. §55II BDG
bb) Beschluss gem. §59 BDG
cc) Urteil
2. Vor dem OVG (2. Instanz)
3. Vor dem BVerwG (3. Instanz)
III. Wiederaufnahme, §§ 71 - 76 BDG
IV. Besondere Verfahren, §§ 62, 63 BDG
V. Grenzen der erneuten Ausubung der Disziplinarbefugnisse, § 61 BDG
VI. Kostentragungspflicht, §§ 77, 78 BDG

Literaturverzeichnis

1. Deutscher Bundestag, BT Drucksache 14 / 4659.

2. Kunig in: Schmidt-ABmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2008.

3. Reinstein, Wandel des Disziplinarrechts in der modernen Verwaltung 2004.

4. Urban in: Die Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, NVwZ 2001.

5. Vosskuhle in: Hoffmann-Riem, Schmidt-ABmann, Vosskuhle, Grundlagen des Verwaltungs- rechts, Band III, 2009.

6. WeiB in: Furst, Gesamtkommentar Offentliches Dienstrecht, Stand Oktober 2011.

Organisation und Verfahren des Disziplinarrechts

A. Allgemeines

Ein Beamter i.S.d. § 1 BBG (Bundesbeamtengesetz) schuldet seinem Dienstherm insbesondere gem. §§60 ff. BBG eine besondere Treue und unterliegt einer Vielzahl von Pflichten. GemaB § 77 I 1 BBG stellt die schuldhafte Verletzung einer beamtenrechtlichen Pflicht ein „Dienstvergehen“ dar. Ein solches kann gem. § 77 III BBG nach dem BDG (Bundesdisziplinargesetz), welches die bis dahin geltende Bundesdisziplinarordnung (BDO) mit Wirkung zum 01.01.2002 abloste, disziplinar geahndet werden.

In personlicher Hinsicht gilt das BDG gem. § 1 S.1 BDG1 far Beamte und Ruhestandsbeamte i.S.d. BBG, mithin also fur solche des Bundes, vgl. § 1 BBG. Jedoch existieren auch Disziplinargesetze der einzelnen Lander, deren personlicher Anwendungsbereich sich auf Beamte des Landes, der Gemeinden, Gemeindeverbande etc. erstreckt, vgl. z.B. § 1 I LDG NRW i.V.m. § 1 I LBG NRW. Die Disziplinargesetze der Lander sind inhaltlich sehr stark an das BDG angelehnt. So ist etwa das LDG NRW bis auf einige wenige Abweichungen (insbesondere findet ein Widerspruchsverfahren im Gegensatz zu§§41 ff. BDG nicht statt, vgl. §§41 f. LDG NRW) mit dem BDG inhaltsgleich.2

In sachlicher Hinsicht bedarf es gem. § 2 I Nr.1, 2 eines Dienstvergehens gem. § 77 I, welches von dem Beamten wahrend seines Beamtenverhaltnisses [lit. a)] bzw. von dem Ruhestandsbeamten nach Eintritt in den Ruhestand [lit. b)] begangen wurde.

Im Gegensatz zur BDO wird das disziplinarrechtliche Verfahren im BDG sehr systematisch dargestellt.3 Zudem ergibt sich sehr viel aus dem Gesetz selbst.4

Das Disziplinarrecht gliedert sich in ein behordliches und ein gerichtliches Disziplinarverfahren.

B. Behordliches Disziplinarverfahren, §§ 17 - 44

I. Einleitung

Das Disziplinarverfahren kann sowohl gem. § 17 von Amts wegen als auch gem. § 18 auf Antrag des Beamten eingeleitet werden.

1. Einleitung von Amts wegen

a) Verfolgungsgrundsatz

Gemafi § 17 I 1 ist der Dienstvorgesetzte bei hinreichendem Verdacht eines Dienstvergehens grds. dazu verpflichtet, ein Disziplinarverfahren von Amts wegen einzuleiten („Verfolgungsgrundsatz“)5. Um diesen Grad der Gewissheit zu erlangen sind ggf. (nichtdisziplinare) „Verwaltungsermittlungen“, fur welche § 24 VwVfG gilt, durchzufuhren.6

b) Ausnahmen

Der Verfolgungsgrundsatz gilt gem. § 17 II 1 jedoch nicht, wenn zu erwarten ist, dass eine Disziplinarmafinahme aufgrund von § 14 oder § 15 nicht in Betracht kommt. Sofern die erforderliche ,,mit an Sicherheit grenzende“ Wahrscheinlichkeit7 diesbezuglich vorliegt, hat die Einleitung des behordlichen Ermittlungsverfahrens zu unterbleiben.

aa) Zulassigkeit von DisziplinarmaBnahmen nach Straf- / BuBgeldverfahren, § 14

§14 befasst sich mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Disziplinarmafinahme nach einem bereits durchgefuhrten Straf- oder Bufigeldverfahren noch zulassig ist.

Fur die Falle, dass gegen einen Beamten in einem solchen Verfahren unanfechtbar eine Strafe, Geldbufie oder Ordnungsmafinahme verhangt worden ist oder eine Tat gem. § 153aI5, II 2 StPO nach Erfullung von Auflagen und Weisungen nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann, bestimmt § 14 I , dass gegen ihn wegen „desselben Sachverhalts“ ein Verweis, eine GeldbuBe oder eine Kurzung des Ruhegehalts nicht mehr (Nr.l) und eine Kurzung der Dienstbezuge nur noch bei einem zusatzlichen Erfordernis zur Anhaltung des Beamten zur Pflichterfullung (Nr.2) ausgesprochen werden darf.

Nach einem rechtskraftigen Freispruch des Beamten in einem solchen Verfahren darf eine DisziplinarmaBnahme gegen ihn wegen des Sachverhalts, der Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gewesen ist, gem. § 14 II nur dann ausgesprochen werden, wenn dieser Sachverhalt ein Dienstvergehen darstellt, ohne den Tatbestand einer Straf- / BuBgeldvorschrift zu erfullen. In Betracht kommt etwa die bloBe - straflose- Vorbereitung eines Diebstahls, welche gegen den Vertrauensgrundsatz aus § 61 I 3 BBG verstoBen kann.8

(1) VerstoB gegen Art. 103 III GG?

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Verhangung einer DisziplinarmaBnahme neben einer Strafe wegen derselben Tat einen VerstoB gegen das Verbot der Doppelbestrafung (,,ne bis in idem“) aus Art. 103 III GG darstellt. Nach dieser verfassungsrechtlichen Vorschrift ist die wiederholte strafrechtliche Ahndung ein und derselben Tat verboten.9 Entscheidend fur die Klarung dieser Frage ist, welche Zwecke das Strafrecht auf der einen und das Disziplinarrecht auf der anderen Seite verfolgen.

Ubergeordnetes Ziel des Disziplinarrechts ist die Sicherung der Funktionsfahigkeit der Exekutive.10 Dazu bezweckt es in erster Linie, den betroffenen Beamten durch die DisziplinarmaBnahme spezialpraventiv dahingehend zu erziehen, zukunftig pflichtgemaB zu handeln.11 Denn im Gegensatz zu einem Angestellten oder Arbeiter kann ihm nicht gekundigt werden.12 Kann dieser Zweck bei einem nicht mehr erziehbaren bzw. fur die Beamtenschaft nicht mehr tragbaren Beamtenjedoch nicht mehr erreicht werden und ist daher seine Entfernung aus dem Beamtenverhaltnis (§ 10) geboten, so hat diese eine generalpraventive Erziehungswirkung, indem die Beamtenschaft als solche dazu angehalten werden soll, nicht gleichermaBen pflichtwidrig zu handeln.13 Zudem dient diese scharfste DisziplinarmaBnahme der „Reinerhaltung“ des Beamtentums von Personen, die fur den Beamtendienst nicht mehr tragbar sind.14

Auf gar keinen Fall dient das Disziplinarrecht jedoch der Vergeltung.15 So kann insbesondere die Entfemung aus dem Beamtenverhaltnis nicht als „Strafe“ (,,Zufugung eines Ubels um einer Ubeltat wegen“) angesehen werden. Denn diese „Mafinahme“ stellt lediglich die Folge der Unvereinbarkeit eines Dienstvergehens mit dem offentlichen Amt des Beamten dar, ungeachtet einer daneben etwaig begangenen Straftat.16 Ohne Bedeutung sind die den Beamten durch die Disziplinarmafinahme personlich treffenden Folgen.17 Daher stellen sowohl der Gedanke an Vergeltung auf der einen als auch etwa die Rucksichtnahme auf die Familie des Beamten auf der anderen Seite sachfremde Erwagungen i.R.d. Verhangung einer Disziplinarmafinahme dar.18 Zwar kann dies eine fur den Beamten sehr einschneidende Mafinahme darstellen. Jedoch ist diese nicht unbillig, da sie im Risikobereich des Beamten liegt, der wissen musste, dass er bei einem bestimmten Verhalten ,,seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt“ [vgl. auch unter B. I. 1. b) aa) (2)].19

Zudem haben auch die einfach-gesetzlichen Regelungen der § 125 c BRRG bzw. § 49 BeamtStG eine Indizwirkung fur das Vorliegen der Moglichkeit einer doppelten (straf- und disziplinarrechtlich) Ahndung. Denn diese Vorschriften normieren eine Mitteilungspflicht seitens des Gerichts und der Strafverfolgungs- bzw. -vollstreckungsbehorde im Strafverfahren gegen einen Beamten an den zustandigen Dienstvorgesetzten (Abs.7), damit ,,erforderliche dienstrechtliche Mafinahmen“ getroffen werden konnen (Abs.1 S.1).

Damit bleibt festzuhalten, dass bei einer „Doppelahndung“20 wegen desselben Sachverhalts aufgrund der ,,Wesensverschiedenheit von Straf- und Disziplinarrecht“21 - unabhangig von den personlichen Folgen fur den Beamten - kein Verstofi gegen Art. 103 III GG gegeben ist.

Zugunsten des Beamten ist jedoch auf der einen Seite eine etwaig verhangte Disziplinarmafinahme bei der Strafzumessung (i.R.e. Strafverfahrens) zu berucksichtigen; auf der anderen Seite begrenzt das Urteil eines Strafgerichts gem. § 14 die Zulassigkeit von Disziplinarmafinahmen.22

(2) VerstoR gegen Art. 103 II GG?

Zudem ist fraglich, ob die Verhangung einer DisziplinarmaBnahme uberhaupt mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz ,,nulla poena sine lege“ aus Art. 103 II GG im Einklang steht. Danach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor diese begangen wurde.

Zu beachten ist, dass diese Vorschrift anwendbar ist23, obwohl es sich bei einer DisziplinarmaBnahme - unabhangig von ihrer konkreten Wirkung - nicht um eine „Strafe“ handelt [s.o. unter B. I. 1. b) aa) (1)]. Jedoch liegt das Merkmal „vorherige gesetzliche Bestimmtheit“ vor. Denn viele beamtenrechtliche Pflichten, deren Verletzung fur das Vorliegen eines „Dienstvergehens“ i.S.d. § 77 I 1 BBG unabdingbare Voraussetzung ist, sind gesetzlich, insbesondere in den §§60 ff. BGG, normiert. Daruber hinaus sind diese und auch die zahlreichen ungeschriebenen beamtenrechtlichen Pflichten24 im Laufe der Zeit durch die Rechtssprechung aufgrund einer sehr umfangreichen Kasuistik weitgehend konkretisiert worden.25 Auch wird der Umfang der Pflichten durch dienstliche Weisungen konkretisiert.26 Zudem kann fur das Vorliegen eines Dienstvergehens die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten strafbar ist, als Indikator dienen.27 Dabei ist jedoch zu berucksichtigen, dass weder alle Straftaten ein Dienstvergehen darstellen noch jede Straftat automatisch ein solches ausfullt.28 Zu beachten ist auch, dass etwaige Irrtumer des Beamten aufgrund unklarer Weisungen bei der Frage nach seiner Schuld i.R.d. Prufung des Vorliegens eines Dienstvergehens zu berucksichtigen sind.29 Aufgrund der Zwecke des Disziplinarrechts, den Beamten zu „erziehen“ bzw. ihn bei Untragbarkeit als ultima ratio zur Reinerhaltung des Beamtentums aus dem Beamtenverhaltnis zu entfernen, folgt, dass eine DisziplinarmaBnahme - mit Ausnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhaltnis und der Aberkennung des Ruhegehalts - nur dann und nur insoweit verhangt werden darf, als der Beamte „erziehungsfahig und -wurdig“ ist. Dabei ist zu beachten, dass die DisziplinarmaBnahme umso intensiver ausfallen wird, je starker er als erziehungswurdig angesehen wird. Ein Beamter erscheint umso erziehungswurdiger, desto schwerer das von ihm begangene Dienstvergehen wiegt und desto starken Vorsatz er diesbezuglich hatte. Damit steht fest, dass er insbesondere bei einer scharferen DisziplinarmaBnahme mit dieser zumindest hatte rechnen mussen. Entsprechendes gilt erst Recht bzgl. der scharfsten MaBnahmen in Form der Entfernung aus dem Beamtenverhaltnis bzw. der Aberkennung des Ruhegehalts mit der MaBgabe, dass der Beamte seine Untragbarkeit zumindest hatte erkennen mussen.

Damit liegt auch kein VerstoB gegen Art. 103 II GG vor.

(3) Von groBer Bedeutung und sehr problematisch ist, was unter dem Tatbestandmerkmal „derselbe Sachverhalt“, welches im BDG an vielen Stellen genannt wird, zu verstehen ist. Voraussetzung fur das Vorliegen „desselben“ Sachverhalts ist eine „Tatidentitat“ i.S.d. BDG.30 Das Vorliegen einer solchen entscheidet sich nach dem historischen Geschehensablauf, also nach dem Tathergang, so wie er sich tatsachlich abgespielt hat.31 Dies entspricht grds. dem strafprozessualen Tatbegriff aus § 264 I StPO, welcher auf einen einheitlichen Lebensvorgang, der nach naturlicher Auffassung zu beurteilen ist, abstellt.32 Zu beachten ist jedoch, dass im Disziplinarrecht (im Gegensatz zum Strafrecht) als traditionelles Rechtsprinzip der sog. „Einheitsgrundsatz“ gilt.33 Danach mussen mehrere selbststandige Pflichtverletzungen zu einem einzigen Dienstvergehen zusammengefasst werden, sofern diese als Teil eines ganzen und personenbezogenen Gesamtverhaltens anzusehen sind.34 Begrundet wird dies zum einen mit dem Zweck des Disziplinarrechts, den Beamten - unter Wurdigung seiner Personlichkeit als solcher- zu erziehen; zum anderen damit, dass es im Disziplinarrecht (im Gegensatz zum Strafrecht) nicht so viele fest umrissene Einzeltatbestande gibt.35

bb) Disziplinarmafinahmeverbot wegen Zeitablaufs, § 15

§ 15 I bis III bestimmt, dass nach Ablauf bestimmter Fristen bestimmte DisziplinarmaBnahmen (abgestuft nach ihrer Intensitat) nicht mehr ausgesprochen werden durfen. So darf etwa gem. Abs.1 ein Verweis zwei Jahre nach Vollendung des Dienstvergehens nicht mehr erteilt werden. Die Absatze 4 und 5 befassen sich mit der Unterbrechung bzw. Hemmung des Fristablaufs z.B. durch die Einleitung des Disziplinar-, Straf- oder BuBgeldverfahren. Der Sinn des § 15 liegt darin, eine („Disziplinar“-) MaBnahme zu verhindern, die wegen des Ablaufs einer bestimmten Frist zur Erziehung nicht mehr sinnvoll erscheint und einer Vergeltung, die gerade im Gegensatz zum Strafrecht nicht bezweckt ist, gleichkame.36 Zu beachten ist, dass die Entfernung aus dem Beamtentum bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts als scharfste disziplinarrechtlichen MaBnahmen keines Zeitablaufs unterliegen. Dies liegt daran, dass die Erhaltung der Funktionsfahigkeit und des Ansehens des Beamtentums von fundamentaler Bedeutung37 sind und mit diesen Mafinahmen andere Zwecke verfolgt werden [s.o. unter B. I. 1. b) aa) (!)].

Ein Beamter, der mit einem behordlichen Disziplinarverfahren konfrontiert wird, obwohl die Voraussetzungen des § 15 seiner Ansicht nach gegeben sind, kann sich an seinen Dienstherren wenden, um auf eine Einstellung gem. § 32 I 3 hinzuwirken. Ansonsten hat er nur die Moglichkeit, einen Antrag auf gerichtliche Fristsetzung gem. § 62 (s.u. unter C. IV. 1.) zu stellen. Die Moglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes besteht hingegen nicht.38

Ein „Verzicht“ oder eine „Verwirkung“ hinsichtlich der Disziplinarbefugnis kommen hingegen nicht in Betracht.39

2. Einleitung durch den Beamten selbst

Auch ein Beamter kann durch Antrag gem. § 18 I ein behordliches Ermittlungsverfahren gegen sich selbst einleiten, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten (,,Selbstentlastungs- verfahren“)40.

Sinnvoll ist ein solcher Antrag fur den Beamten dann, wenn der Dienstherr unter Verstofi gegen § 17 I 1 kein behordliches Disziplinarverfahren von Amts wegen einleitet und der Beamte die „Sache“ in einem Disziplinarverfahren klaren lassen mochte, um sich von der Verdachtigung eines Dienstvergehens zu befreien. Ein solches „Rehabilitationsinteresse“ besteht insbesondere dann, wenn der Dienstherr ggu. dem Beamten seine Ansicht aufierte, er sei vom Vorliegen eines Dienstvergehens uberzeugt.41

Einem Burger hingegen steht ein entsprechendes Verfahren im Strafrecht nicht zur Verfugung. Denn der Burger kann nicht mittels Selbstanzeige verlangen, dass ein Ermittlungsverfahren zur Feststellung des Nichtvorliegens einer Straftat einzuleiten ist.42

[...]


1 Alle §§ ohne Angabe sind solche des BDG.

2 WeiB in: Furst, GKOD, Band II, M § 52, Rn.2.

3 BT Drucksache 14/4659, S.1, 33.

4 Unter dem Begriff „Disziplinarverfahren“ ist im TeilB. - mangels ausdrucklichem Hinweis auf das gerichtliche - nur das behordliche Disziplinarverfahren gemeint.

5 A.a.O, M § 17, Rn.71.

6 Urban in: Die Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, NVwZ 2001, S. 1337.

7 Weifi in: Furst, GKOD, Band II, M§ 17, Rn.73.

8 A.a.O, M § 14, Rn.99.

9 BVerfG NStZ-RR 1996, 122.

10 WeiB in: Furst, GKOD, Band II, A 050, S.1.

11 A.a.O,J033, Rn. 12.

12 Reinstein, Wandel des Disziplinarrechts in der modernen Verwaltung 2004, S.12.

13 A.a.O,J033, Rn, 12, 15.

14 BVerwG DokBer B 1975, 93.

15 BVerfGE 21, 378.

16 BVerfG, NJW 1967, 1654; Weifi in: Furst, GKOD, Band II, J 033 Rn. 19.

17 Weifi in: Furst, GKOD, Band II, J 033 Rn.19.

18 BVerwGE 43,97.

19 BVerwGE 43, 97.

20 Weifi in: Furst, GKOD, Band II, M§ 14 Rn.5.

21 A.a.O, M§14 Rn.5.

22 Kunig in: Schmidt-Afimann, Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2008, Rn.143.

23 BVerfGNVwZ 2003, 1030.

24 A.a.O, Rn.142.

25 A.a.O, Rn. 142.

26 A.a.O, Rn. 142.

27 A.a.O., Rn.142.

28 A.a.O., Rn.142.

29 A.a.O., Rn.142.

30 WeiB in: Furst, GKOD, Band II, M § 14, Rn.52.

31 BVerwGE 33,69.

32 RGSt 56, 324, 325.

33 WeiB in: Furst, GKOD, Band II, J 254, Rn.2.

34 A.a.O, J 254, Rn.3.

35 Dokumentarische Berichte aus dem BVerwG, B 1970, 3695.

36 WeiB in: Furst, GKOD, Band II, M§ 15, Rn.2.

37 A.a.O, M § 15, Rn.2.

38 A.a.O, M § 15, Rn.16.

39 A.a.O, J 057, Rn.1.

40 A.a.O, M § 18, Rn.1.

41 A.a.O, M § 17, Rn.78.

42 A.a.O, M § 18, Rn.12.

Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783656330066
ISBN (Paperback)
9783656331292
DOI
10.3239/9783656330066
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (ehem. Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Erscheinungsdatum
2012 (Dezember)
Note
12 Punkte
Schlagworte
apl. Prof. Dr. Christian Koch - Recht des öffentlichen Dienstes BDG Beamtenrecht Bundesdisziplinargesetz Disziplinarrecht Disziplinargesetz Disziplinar Disziplinarmaßnahme
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