Der Einzelhandel hat in Deutschland genauso wie weltweit nach wie vor eine hohe Bedeutung: 2006 entfielen 30,5 % der Konsumausgaben auf den Einzelhandel, auch wenn der Anteil an den Konsumausgaben seit Jahren rückläufig ist. Durch demographische sowie ökonomische Veränderungen wandelt sich zunehmend auch das Verhältnis der Marktteilnehmer. Das Hauptaugenmerkt dieser Arbeit liegt auf dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH), da dieser von großer Relevanz ist und sich die Ausprägungen der verschiedenen Machtkonstellationen hier besonders gut beobachten lassen. Da nur wenige Hersteller über direkte Vertriebswege verfügen, sind die meisten auf den Handel als Partner im Absatzkanal angewiesen, da dieser den Zugang zum Kunden bietet. Aus diesem Grund soll hier auch nur der indirekte Vertrieb Gegenstand der Betrachtung sein.
Hersteller und Handel stehen in einem permanenten Spannungsverhältnis. Ihre gegenseitige Abhängigkeit in Verbindung mit den divergierenden Zielsetzungen führen zu einer Vielzahl von Unstimmigkeiten und damit zu Konflikten. Um diese analysieren und Lösungsansätze erarbeiten zu können, muss am Anfang die Frage stehen, wie Macht zwischen Herstellern und Handel verteilt ist und wer seine Interessen durch einen Machtüberschuss möglicherweise auch gegen den Willen des Systempartners durchsetzen kann.
Zunächst bedarf es dazu einer Abgrenzung des Machtbegriffs anhand einer Untersuchung, welche Teilausprägungen für die Aufgabenstellung von Bedeutung sind. Danach soll die aktuelle Situation von Herstellern und Handel auch in Verbindung mit deren historischer Entwicklung analysiert werden, um dann anhand der identifizierten Strukturen die Machtverhältnisse offenzulegen. Zusätzlich soll die Frage betrachtet werden, welchen Einfluss der Kunde auf das System hat und ob dieser nicht als kritischer Machtfaktor gelten sollte.
Diese Arbeit soll als Basis dienen, die den Status Quo der Machtverteilung zwischen Herstellern und Handel aufzeigt. Mit Hilfe dieser Grundlagen können dann Spannungsfelder und potenzielle Konflikte diskutiert werden, woraus sich Lösungsansätze und relevante Forschungsbereiche ableiten lassen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Begriff der Macht im wissenschaftlichen Kontext
3 Das Verhältnis zwischen Herstellern und Handel
3.1 Der Handel – vom Absatzmittler zum dominanten Marktpartner?
3.1.1 Historische Entwicklung der Handelslandschaft
3.1.2 Veränderung des Käuferverhaltens
3.1.3 Handelsmarken – Bedeutung und Auswirkungen
3.1.4 Konzentrationstendenzen und Wandel der technischen Rahmenbedingungen
3.1.5 Zwischenfazit
3.2 Die Hersteller – Opfer der Nachfragemacht?
3.2.1 Struktur und Position der Herstellerunternehmen
3.2.2 Machterwerb der Hersteller
4 Fazit – Wie ist die Marktmacht verteilt?
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Darstellung der Machtanalyse
Abbildung 2: Anteil von Must-Stock-Produkten in ausgewählten Warengruppen
1 Einleitung
Der Einzelhandel hat in Deutschland genau so wie weltweit nach wie vor eine hohe Bedeutung: 2006 entfielen 30,5 % der Konsumausgaben auf den Einzelhandel[1], auch wenn der Anteil an den Konsumausgaben seit Jahren rückläufig ist.[2] Durch demogra-phische sowie ökonomische Veränderungen wandelt sich zunehmend auch das Verhältnis der Marktteilnehmer. Das Hauptaugenmerkt dieser Arbeit liegt auf dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH), da dieser von großer Relevanz ist und sich die Ausprägungen der verschiedenen Machtkonstellationen hier besonders gut beobachten lassen. Da nur wenige Hersteller über direkte Vertriebswege verfügen, sind die meisten auf den Handel als Partner im Absatzkanal angewiesen, da dieser den Zugang zum Kunden bietet.[3] Aus diesem Grund soll hier auch nur der indirekte Vertrieb Gegenstand der Betrachtung sein.
Hersteller und Handel stehen in einem permanenten Spannungsverhältnis. Ihre gegenseitige Abhängigkeit in Verbindung mit den divergierenden Zielsetzungen führen zu einer Vielzahl von Unstimmigkeiten und damit zu Konflikten. Um diese analysieren und Lösungsansätze erarbeiten zu können, muss am Anfang die Frage stehen, wie Macht zwischen Herstellern und Handel verteilt ist und wer seine Interessen durch einen Machtüberschuss möglicherweise auch gegen den Willen des Systempartners durchsetzen kann.
Zunächst bedarf es dazu einer Abgrenzung des Machtbegriffs anhand einer Untersuchung, welche Teilausprägungen für die Aufgabenstellung von Bedeutung sind. Danach soll die aktuelle Situation von Herstellern und Handel auch in Verbindung mit deren historischer Entwicklung analysiert werden, um dann anhand der identifizierten Strukturen die Machtverhältnisse offenzulegen. Zusätzlich soll die Frage betrachtet werden, welchen Einfluss der Kunde auf das System hat und ob dieser nicht als kritischer Machtfaktor gelten sollte.
Diese Arbeit soll als Basis dienen, die den Status Quo der Machtverteilung zwischen Herstellern und Handel aufzeigt. Mit Hilfe dieser Grundlagen können dann Spannungsfelder und potenzielle Konflikte diskutiert werden, woraus sich Lösungsansätze und relevante Forschungsbereiche ableiten lassen.
Aus eigener Erfahrung bei einem Praktikum im Sales-Bereich der Firma H.J. Heinz GmbH weiß der Verfasser um die hohe praktische Relevanz der Thematik, da der alltägliche Kampf der Trade-Marketing-Abteilung um Listungen, Konditionen und Marktanteile geprägt ist von Machtdemonstrationen sowohl der Hersteller- als auch der Händlerunternehmen.
2 Der Begriff der Macht im wissenschaftlichen Kontext
Nach Max Weber sind Beziehungen von Individuen häufig asymmetrisch ausgestaltet, es lassen sich Merkmale von Über- und Unterordnung identifizieren. Aus diesem Gedankengang entstand Webers‘ Definition des Machtbegriffs: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“[4]
In der politikwissenschaftlichen Literatur findet hingegen die Definition von Dahl am häufigsten Verwendung. Dieser definiert Macht als: „A has power over B to the extent that he can get B to do something that B would not otherwise do”.[5]
Diese beiden Definitionen des Begriffs finden nach wie vor breite Anerkennung und sollen auch hier als Grundlage der weiteren Diskussion verwendet werden.
Macht existiert nur im Zusammenspiel mehrerer Individuen und ist demnach eine relationale Eigenschaft, die erst in einem Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt, der sogenannten Machtbeziehung. Der Machtüberlegene in dieser Beziehung ist derjenige, der über ein positives Machtsaldo verfügt, also nach Aufwiegen aller Faktoren die größere Nettomacht besitzt. Umgangssprachlich formuliert ist der Machtüberlegene somit jener, welcher am „längeren Hebel“ sitzt.
Die verschiedenen Facetten einer Machtbeziehung lassen sich in einem ersten Schritt gliedern in Machtgrundlagen und Machtvolumen.[6] Von den fünf Machtgrundlagen, die French und Raven identifizieren[7], sind im Bezug auf die Machtbeziehung von Handel und Herstellern nur drei relevant; die anderen werden aus Platzgründen nicht thematisiert.
Die erste Grundlage ist die Belohnungsmacht, also die Gewalt, durch positive Sanktionen Macht auszuüben. In der Hersteller-Handels-Beziehung können das beispielsweise die Weitergabe von Preisvorteilen oder die Verlängerung eines Vertrages sein. Im Gegensatz dazu steht die Bestrafungsmacht, die zum Beispiel in Form von Entzug bestimmter Konditionen oder auch durch Auslistung einzelner Produkte vollzogen werden kann. Als dritte relevante Machtgrundlage gilt die Expertenmacht, die besonders auf Wissensvorteile auf einer Seite der Machtbeziehung gründet. So hat der Handel zum Beispiel deutliche Informationsvorteile in Bezug auf die Abnehmer und kann von dieser asymmetrischen Verteilung von Wissen in Verhandlungssituationen profitieren.
Das Machtvolumen dagegen soll darstellen, in welchem Ausmaß der Machthaber den Unterworfenen gefährdet. Hierzu unterscheidet Dahl drei Kriterien. Erstens den Machtbereich, also die „Menge aller Handlungen, deren Durchführung der Machthaber (...) erzwingen kann“, zweitens die Ausdehnung der Macht, also die Anzahl der Machtunterworfenen, über die ein Machthaber verfügt und drittens die Machtfülle, also die Größe der Wahrscheinlichkeit, „dass der Machtunterworfene eine Handlung ausübt, wenn der Machthaber seine verfügbaren Machtmittel einsetzt“[8]. Steiner betont in diesem Kontext besonders folgende Formen: „Manipulation, Überredung, Garantie für Belohnung, Androhung von Strafen oder die Durchführung von Sanktionen.“[9] Wird die vorhandene Macht angewandt, sind zwei Fälle zu unterscheiden: Gelingt die Durchsetzung der Ziele, handelt es sich um Machtausübung, gelingt deren Durchsetzung nicht, spricht man hingegen von Machtversagen.
Nun gibt es allerdings auch den Fall, dass Macht latent vorhanden ist (Potentielle Macht), ihre Anwendung somit hypothetisch erfolgen könnte, sie also als Drohpotential existiert. Dies ist vor allem vor den in der Literatur thematisierten Kosten der Macht [10] ein in der Praxis bedeutsamer Ansatz, da jeder Einsatz von Macht für den Machthabenden mit einer gewissen Höhe von Kosten verbunden ist; ihm ist somit laut Fischer und Wiswede daran gelegen, seine „Machtstellung im Zustand der Latenz zu belassen“.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Darstellung der Machtanalyse
Quelle: In Anlehnung an H. Steffenhagen (1975): Konflikt und Kooperation in Absatzkanälen, Gabler.
Aiginger et al. geben zu bedenken, dass sich im Handel anhand dieser Ansätze lediglich das Potenzial der Macht ausmachen lässt, deren tatsächliche Ausübung (bspw. in Form ungerechtfertigter Konditionen) jedoch kaum oder nur sehr schwer zu erfassen ist[11], da die tatsächlich ausgehandelten Konditionen zu den „am besten gehüteten Geheimnissen im Konsumgüterhandel“[12] gehören.
Strukturelle Veränderungen des Einzelhandels, unter anderem die Konzentration der Handelsunternehmen, die wachsende Abhängigkeit der Herstellerunternehmen von ebendiesen sowie die steigende Bedeutung von Handelsmarken könnten zu einem Paradigmenwechsel geführt haben. In der folgenden Diskussion soll das Machtverhältnis zwischen Herstellern und Händlern mithilfe der oben dargelegten theoretischen Grundlagen analysiert und sowohl Gründe für die derzeitige Machtverteilung als auch daraus resultierende Konfliktfelder identifiziert werden.
[...]
[1] Vgl. Lachner (2007), S. 30 f.
[2] Vgl. Steiner (2007), S. 2
[3] Vgl. Schögel/Tomczack (2004), S. 39
[4] Weber (2005), S. 38, übernommen aus Steiner (2007), S. 63 f.
[5] Vgl. hier und im Folgenden Dahl (1957), S. 203 ff.
[6] Vgl. Steiner (2007), S. 64
[7] Vgl. French/Raven (1959), S. 150 ff., übernommen aus Steiner (2007), S. 65
[8] Steiner (2007), S.66
[9] Vgl. Steiner (2007), S. 65
[10] Vgl. hier und im Folgenden Fischer/Wiswede (1997), S. 466 ff.
[11] Vgl. Aiginger et al. (1999), S. 797
[12] Olbrich, R. (1998), S. 164