Der Baum der Erkenntnis als Mittel zur Bildungsdokumentation im Kinderhaus
Zusammenfassung
Einen zentralen Stellenwert nehmen dabei Beobachtung und eine darauf aufbauende Bildungsdokumentation ein. Sie sind der Ausgangspunkt, um Kinder und ihre Lernprozesse zu verstehen und unterstützen zu können. Deshalb wird in aktuellen Qualitätshandbüchern und in den Bildungsplänen der Bundesländer der Beobachtung und Dokumentation kindlicher Bildungsprozesse als Teil fachlichen Handelns große Bedeutung beigemessen. Dabei gibt es unterschiedliche Aspekte kindlicher Entwicklungs- und Bildungsprozesse, welche mit verschiedenen Verfahren der systematischen Beobachtung und Dokumentation erfasst werden können.
Der "Baum der Erkenntnis", ein aus Halmstadt/Schweden stammendes Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren wurde von Marianne und Lasse Berger ins Deutsche übersetzt und hält mehr und mehr Einzug in deutschen Institutionen. Entwickelt wurde es, um die Entwicklung und das individuelle Lernen von Kindern und Jugendlichen vom ersten bis zum 16. Lebensjahr verfolgen zu können. In Auseinandersetzung mit dieser Methode kam für mich die Frage auf, inwieweit sie für den Kinderhausbereich geeignet ist, welche Vorteile sie bietet und welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen.
Um dieser Frage nachzugehen wird in Teil eins zunächst auf die Bedeutung von Beobachtung und Dokumentation im Kinderhaus im Allgemeinen eingegangen. Teil zwei beschreibt den „Baum der Erkenntnis“ näher und geht auf die Besonderheiten dieses Instrumentes und auf Chancen und Möglichkeiten für pädagogisches Handeln ein. Abschließend stellt Teil drei Überlegungen zur Implementierung in die Praxis an.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Beobachtung und Dokumentation im Kinderhaus - warum?
1.1 Notwendigkeit von gezielter Beobachtung und Dokumentation
1.2 Zielrichtungen von Beobachtungen - Unterschiedliche Perspektiven auf
das Kind
1.3 Einfluss auf pädagogisches Handeln
2 Der Baum der Erkenntnis - ein Instrument für Beobachtung und Dokumentation
2.1 Entstehungsgeschichte
2.2 Die ganzheitliche Sicht
2.3 Chancen und Möglichkeiten für pädagogisches Handeln
3 Überlegungen zur Implementierung in die Praxis
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die bildungs- und entwicklungsfördernde Gestaltung der pädagogischen Arbeit durch Fachkräfte in den Kindereinrichtungen steht im Mittelpunkt des Sächsischen Bildungsplans. Neben Betreuung und Erziehung der anvertrauten Kinder gilt es, gezielt Bedingungen zur Anregung von Bildungsprozessen zu schaffen. (vgl. SMS, 2007, 9) Der Bildungsweg von Kindern, die sich eigenaktiv die Welt aneignen wollen, soll durch eine individualisierte und differenzierte Erziehungsarbeit unterstützt, angeregt und gefordert werden. Einen zentralen Stellenwert nehmen dabei Beobachtung und eine darauf aufbauende Bildungsdokumentation ein. Sie sind der Ausgangspunkt, um Kinder und ihre Lernprozesse zu verstehen und unterstützen zu können. (vgl. MBF Schleswig Holstein, 2006, 5) Deshalb wird in aktuellen Qualitätshandbüchern und in den Bildungsplänen der Bundesländer der Beobachtung und Dokumentation kindlicher Bildungsprozesse als Teil fachlichen Handelns große Bedeutung beigemessen. (vgl. Viernickel / Völkel, 2005, 8) Dabei gibt es unterschiedliche Aspekte kindlicher Entwicklungs- und Bildungsprozesse, welche mit verschiedenen Verfahren der systematischen Beobachtung und Dokumentation erfasst werden können. (vgl. ebd., 9)
Während eines Fachtages an der EHS Dresden lernte ich den „Baum der Erkenntnis“ als ein Instrument der Entwicklungsbeobachtung kennen. Das ursprünglich aus Halmstadt/Schweden stammende Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren wurde von Marianne und Lasse Berger ins Deutsche übersetzt und hält mehr und mehr Einzug in deutschen Institutionen. Entwickelt wurde es, um die Entwicklung und das individuelle Lernen von Kindern und Jugendlichen vom ersten bis zum 16. Lebensjahr verfolgen zu können. (vgl. ebd., 106) In Auseinandersetzung mit dieser Methode kam für mich die Frage auf, inwieweit sie für den Kinderhausbereich geeignet ist, welche Vorteile sie bietet und welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen.
Um dieser Frage nachzugehen wird in Teil eins zunächst auf die Bedeutung von Beobachtung und Dokumentation im Kinderhaus im Allgemeinen eingegangen. Teil zwei beschreibt den „Baum der Erkenntnis“ näher und geht auf die Besonderheiten dieses Instrumentes und auf Chancen und Möglichkeiten für pädagogisches Handeln ein. Abschließend stellt Teil drei Überlegungen zur Implementierung in die Praxis an.
In den Ausführungen werden der Einfachheit halber die männliche und weibliche Form zwanglos gemischt. Jede Aussage gilt für beide Geschlechter.
1 Beobachtung und Dokumentation im Kinderhaus - warum?
1.1 Notwendigkeit von gezielter Beobachtung und Dokumentation
Die Idee, Kinder zu beobachten, um eine Ahnung von ihrem Handeln zu bekommen, ist nicht neu. Maria Montessori z.B. beschrieb schon vor einhundert Jahren die intensive Beobachtung des Kindes als Voraussetzung für ihre Pädagogik. (vgl. Burkard / Weiß, 2008, 109)
Betrachtet man das Kind, basierend auf Erkenntnissen der Pädagogik, der Entwicklungspsychologie und der Neurobiologie als Wesen, welches sich von Geburt an eigenaktiv die Welt aneignet und das angeborene Bedürfnis hat, diese zu verstehen und zu erforschen, so ergibt sich daraus die Aufgabe des Erwachsenen, diesem Forscherdrang mit einem breiten Angebot an individuellen Bildungsmöglichkeiten zu begegnen. Diese bildungsfördernden pädagogischen Angebote sollen es den Kindern ermöglichen, ihre Themen zu bearbeiten, sich mit ihren Interessen, Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen zu können und damit in anregender Weise herausgefordert zu werden. (vgl. Viernickel / Völkel, 2005, 15) Nur wenn es gelingt, Bildungsangebote zu schaffen, die auf individuelle Interessen, Bedürfnisse und Wünsche des einzelnen Kindes abgestimmt sind, ist ein Entwicklungsfortschritt zu erwarten. (vgl. ebd., 8) Des Weiteren gilt es, an den Vorerfahrungen des Kindes anzuknüpfen, um Anschlussfähigkeit von Bildungsprozessen zu ermöglichen und dabei in der „Zone der nächsten Entwicklung“ mit dem Kind zu interagieren. Nach Lew Wygotski befindet sich diese Zone unmittelbar über dem aktuellen Entwicklungsstand des Kindes und bezeichnet jenen Entwicklungsbereich, welchen sich das Kind als Nächstes aneignen wird. Dazu ist es neben einem umfassenden Wissen über kindliche Entwicklungsprozesse notwendig zu erkennen, wo das jeweilige Kind gerade steht. (vgl. ebd., 17) Diese Erkenntnisse kann sich eine Erzieherin nur durch gezielte Beobachtung aneignen. Gezielte Beobachtung geht über spontane Alltagsbeobachtung hinaus. Es geht darum, kindliche Handlungen wahrzunehmen und möglichst wert- und deutungsfrei zu beschreiben. „Erst durch die möglichst genaue und konkrete Beschreibung dessen, was Kinder tun oder sagen, können sich Erzieherinnen einen Zugang dazu verschaffen, wie Kinder die Welt sehen und verstehen.“ (ebd., 20) Die Achtung des zu beobachtenden Kindes, die Anerkennung seiner ganz eigenen Persönlichkeit und der Art seiner Weltaneignung stehen dabei im Vordergrund.
Kazemi-Veisari beschreibt diesen Prozess als „dialogische Gestaltungsarbeit“ und betont, dass dies die Wahrnehmung eines Kindes durch die Erzieherin und deren Reaktion auf das Kind verändern kann. (http://www.kitas-im-dialog.de/download/ fachbeitrag_beobachtung.pdf) In diesem Bewusstsein ist Beobachtung nicht nur als Verfahren, sondern als professionelle pädagogische Grundhaltung zu sehen und als Element fachlichen Handelns in den Bildungsplänen der Bundesländer benannt. (vgl. Viernickel / Völkel, 2005, 36)
Die Dokumentation des Beobachteten bildet die Grundlage für die fachliche Reflexion durch den Pädagogen und den Austausch im Team, das Festhalten aktueller Themen zur Entwicklung pädagogischer Angebote und das Verfolgen von Entwicklungsschritten. (vgl. ebd., 157) Weiterhin ist Dokumentation ein geeignetes Instrument, um Kinder an der Gestaltung und Reflexion ihrer Lernprozesse teilhaben zu lassen, mit Eltern in Austausch zu kommen und zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Grundschule beizutragen. Nicht zuletzt kann durch Dokumentation die pädagogische Arbeit nach außen, gegenüber Trägern und verschiedenen professionellen Kooperationspartnern, dargestellt werden. (vgl. MBF Schleswig Holstein, 2006, 9) Dokumentationsformen reichen dabei über das Zusammenstellen von Notizen freier Beobachtung, über mehr oder weniger strukturierte Beobachtungsbögen und dem Festhalten in kleinen Geschichten, bis zum Sammeln von Dokumenten der Kinder und Fotos oder Videoaufzeichnungen. (vgl. http://www.kitas-im-dialog.de/download/ fachbeitrag _beobachtung.pdf)
1.2 Zielrichtungen von Beobachtungen - Unterschiedliche Perspektiven auf das Kind
„Es gibt eine Fülle von Verfahren, die dafür entwickelt wurden, Kinder systematisch zu beobachten, das heißt regelmäßig und gezielt darauf zu achten, was Kinder tun, womit sie sich beschäftigen und wie sie in ihrer Entwicklung voranschreiten.“ (Viernickel / Völkel, 2005, 80) Betrachtet man die Gründe, warum Beobachtung Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit ist, so ergeben sich daraus verschiedene Zielrichtungen mit unterschiedlichen Perspektiven auf das Kind. Grob ließen sich diese in zwei große Gruppen unterteilen.
Einerseits geht es dabei um Beobachtung von Selbstbildungsprozessen. Wie erschließen sich Kinder ihre Welt? Welche Themen bewegen sie? Wofür engagieren sie sich und was fordert sie heraus?
Schäfer beschrieb dies als „das Werkzeug zu einer systematischen Erforschung der individuellen und sozialen Ressourcen oder Potentiale, die Kindern für Aufgabenstellungen zur Verfügung stehen.“ (Schäfer, 2004, 15) Dr. Hans-Rudolf Leu bezeichnet es als die Entwicklung einer kindzentrierten Perspektive in der Pädagogik. Diese Instrumente ermöglichen, seiner Meinung nach, „ein besseres Verstehen des Kindes, seiner individuellen Interessen und Bedürfnissen, sowie seiner ganz persönlichen Bildungs- und Lernwege.“ (MBF Schleswig Holstein, 2006, 10) Beispielhaft für diese Bildungsbeobachtung sollen hier die „Bildungs- und Lerngeschichten“, die „Leuvener Engagiertheitsskala für Kinder“ oder die „Achteinhalb Intelligenzen“ benannt sein.
Andererseits gilt es, die Entwicklung jedes Kindes zu betrachten um zu erkennen, auf welchem Stand sich das Kind befindet, welcher Schritt als Nächstes folgen wird und wo es gegebenenfalls noch besondere Unterstützung oder gezielte Förderung bedarf. Diese Perspektive auf kindliche Entwicklung unterteilt Leu nochmals in zwei Ebenen. Die Ebene zur „Kontrolle von Lernfortschritten im Rahmen klar definierter Altersnormen und Lernziele“ und die Ebene des „Frühzeitigen Erkennens von Entwicklungsstörungen“. (ebd.) Beide Ebenen stellen eine Form von Entwicklungsbeobachtung dar mit dem Ziel, „den Entwicklungsstand des Kindes zu erfassen und anhand der Norm altersgemäßer Entwicklung, Entwicklungsverzögerungen frühzeitig erkennen zu können.“ (http://www.kitas-im-dialog.de/download/fachbeitrag_beob-achtung.pdf) Diese standardisierten Verfahren bieten eine Zusammenstellung altersentsprechender Entwicklungsaufgaben und sind auf bestimmte Entwicklungsbereiche fokussiert. Sie werden im fachlichen Diskurs teilweise kritisch betrachtet, da sie unter anderem oftmals stark defizitorientiert sind und nur bestimmte Teilaspekte kindlicher Entwicklung beleuchten. (vgl. ebd.) Kinder werden dabei „als stetig gefährdete Mängelwesen charakterisiert und die Besonderheiten und Stärken des einzelnen Kindes nicht berücksichtigt.“ Diese Verfahren „lassen keinen Spielraum, die Kinder in ihren tatsächlichen Aktivitäten zu beobachten und zu verstehen, über Entwicklungsphasen und Altersnormen hinaus.“ (ebd.) Andererseits sollen sie dazu dienen, frühzeitig Entwicklungsverzögerungen und Entwicklungsstörungen durch gezielte Fördermaßnahmen vorbeugen zu können. (vgl. ebd.)
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