Die vorliegende Interpretation von Clemens Brentanos „Geschichte vom braven Kasperl
und dem schönen Annerl“ setzt sich zum Ziel, gemäß der Definition von „Geschichte“1
sowohl die Begebenheiten als auch die Art des Erzählens durch die narrative Instanz zu
untersuchen. Hierbei soll dem Aspekt der Zeit besondere Aufmerksamkeit zukommen,
denn dieser wird sich als Bindeglied verschiedener Handlungsstränge und für die
Erzählweise prägend erweisen. Die erzähltechnischen Begriffe entstammen der
Terminologie Gérard Genettes. 2.1 Zeit als Oberkategorie dieser Erzähltextanalyse - Thesen
Die Geschichte bedient sich unterschiedlicher Zeitebenen, die von der Jugend Kaspers und
Annerls bis in die Gegenwart des Ich-Erzählers hineinreichen. Da diese eng mit den
narrativen Ebenen und daher mit den zugehörigen Erzählern verknüpft sind, wird Zeit zu
etwas subjektiv Wahrgenommenem: Mal wird sie nicht beachtet (Ruhe der Alten beim
Erzählen), mal könnte ihr keine größere Bedeutung zukommen (Versuch der Rettung
Annerls durch den Ich-Erzähler) und gegen Ende zu wird sie sogar aufgehoben, indem sie
im Monument erstarrt. Über dieses subjektive Zeitempfinden der Figuren spannt sich ein
Netz von Symbolen und Dingsymbolen, welche die Erzählstränge verknüpfen, deren Beitrag zur Auflösung der Problematik dieser Erzählung und des Erzählens an sich jedoch
zweifelhaft bleibt. Im Folgenden soll nun überprüft werden, inwieweit sich diese Thesen
bewahrheiten.
1 Gerhard Kluge: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl – Text, Materialien, Kommentar,
S.52