Der konstruktivistische Ansatz von Paul Watzlawicks Kommunikationstheorie im Spiegel seiner Kritiker
Zusammenfassung
Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Watzlawicks Kommunikationsmodell
2.1 Autor
2.2 Ausgangsannahmen
2.2.1 Lineares Sender-Empfänger-Modell nach Berne/Harris
2.2.2 Konstruktivismus als zirkulärer Ansatz
2.2.2.1 Realität und Erkenntnis
2.2.2.2 Objektivität der Realität und des Beobachters
2.3 Aussagen des Watzlawick’schen Modells
2.3.1 Systemkennzeichen
2.3.2 Axiome
3. Kritik
3.1 Kritik an konstruktivistischen Grundannahmen
3.2 Kritik an Watzlawick
3.2.1 Kritik an Watzlawicks Grundannahmen und Systemkennzeichen
3.2.2 Kritik an Axiomen
3.3 Zusammenfassung
4. Bewertung und Fazit
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Kritik an dem konstruktivistischen Ansatz von Paul Watzlawicks Kommunikationstheorie. Dazu werden zunächst zwei verschiedene psychologische Betrachtungsweisen von Kommunikation verglichen. Anhand der Betrachtung einer linearen Denkweise (des Sender-Empfänger-Modells von Shannon/Weaver) wird eine kausalitätsgeleitete Theorie dargestellt. Danach erfolgt eine Einführung die konstruktivistische Denkweise. Dazu wird dargestellt, was die konstruktivistische Denkrichtung ausmacht, wobei dies wegen der Platzbeschränkung auf die Ansätze von Ernst von Glasersfeld und Heinz von Foerster reduziert erfolgt. Alsdann werden Paul Watzlawick und seine Kommunikationstheorie vorgestellt. Von besonderem Interesse ist hier der konstruktivistische Ansatz seiner Arbeit. Danach werden Systemkennzeichen und Axiome des Watzlawick ‘ schen Modells erläutert, wobei die Ausführungen zu den Axiomen in aller Kürze erfolgen und lediglich Anknüpfungspunkte für die ausgewählten Kritikpunkte darstellen. Schließlich werden die Kritik am konstruktivistischen Grundansatz und diejenige betrachtet, die Watzlawicks Systemkennzeichen und Axiome betrifft. Eine Schlussfolgerung, inwiefern die dargestellte Kritik geeignet sind, konstruktivistische Grundannahmen und Watzlawicks Modell zu widerlegen, kann in dieser Arbeit noch nicht geleistet werden, soll aber in weiteren Arbeiten erfolgen. Eine bewertende Einordnung der Kritik von Vertretern linearer Denkweisen an Vertretern zirkulärer Denkweisen wird stattdessen vorgenommen.
Originalzitate wurden von der Verfasserin dort der neuen Rechtschreibung angepasst wurden, wo „ß“ in „ss“ übersetzt wurde. Eine Veränderung von Zitaten durch die Verfasserin wurde durch kursiv eingefügte Auslassungszeichen (…) oder ebenso formatierte Worte kenntlich gemacht.
2. Watzlawicks Kommunikationsmodell
2.1 Autor
Paul Watzlawick wurde am 25. Juli 1921 in Villach/Kärnten in Österreich geboren. Nach einem Studium der Philologie und Philosophie in Venedig ließ er sich am C.-G.-Jung-Institut in Zürich zum Psychotherapeuten ausbilden. 1957 folgte er einem Ruf an die Universität von El Salvador an einen Lehrstuhl für Psychotherapie. Seine praktischen Erfahrungen, die auch Basis für seine Kommunikationstheorie waren, gewann er bei der Erforschung der Kommunikation von schizophrenen Patienten. Seit 1960 forschte Watzlawick am Mental Research Institute Palo Alto, wo er Forschungsbeauftragter tätig war. Im Jahr 1976 nahm er eine Professur für Psychotherapie an der Stanford University an. Paul Watzlawick starb am 31. März 2007 in Palo Alto, Kalifornien/ USA.
2.2 Ausgangsannahmen
Die Betrachtung der psychologischen Ebene von Kommunikation kann, stark vereinfacht, in zwei unterschiedlichen Grundpositionen erfolgen - dem Denken in linearen bzw. in zirkulären Ordnungen.
2.2.1 lineares Sender-Empfänger-Modell nach Shannon/Weaver
Legt man eine lineare Perspektive zugrunde, funktioniert Kommunikation eher nach kausallogischen Verkettungen. Innerhalb dieser Verkettungen tauchen Dinge wie „Fühlen“, „Denken“, „Wollen“ und andere auf. Der Pawlowsche Ansatz des Reiz-Reaktions-Musters ist eine konsequente Ausformung des linearen Denkens. Meist gehen lineare Denkmodelle auf das häufig zitierte „Sender und Empfängermodell“ der Nachrichtentechniker Shannon/Weaver, zitiert bei Schüchter (2010, S. 16) zurück.
Die Frage, wie Kommunikation funktioniert, wurde von Shannon/Weaver mit einem 1949 entworfenen informationstechnischen Kommunikationsmodell erklärt. Shannon und Weaver reduzierten die für Kommunikation notwendigen Bestandteile auf Sender und Empfänger einer Nachricht und die Kommunikation auf den Austausch von Nachrichten. Der Sender verwandelt die Nachricht in ein Signal, das über einen Kommunikationskanal an einen Empfänger übertragen wird. Durch Störquellen können die ursprünglichen Signale verzerrt werden. Information hat hier nichts damit zu tun, welche Bedeutung die übermittelte Nachricht für Sender oder Empfänger hat. Sie soll vielmehr physikalisch bestimmbare Signalmengen und Abläufe beschreiben. Das Modell eruiert lediglich, mit welcher Wahrscheinlichkeit solche physikalisch bestimmbaren Ereignisse im Sinne von Signalen und Signalkombinationen auftreten. Beispiele sind das Telefon, die Telegrafie oder das Radio. Aufgrund der völlig fehlenden Bedeutungszuschreibung in der Informationsübermittlung ist dieses Modell zur Beschreibung sozialer Kommunikationsprozesse schlecht geeignet. Es wird heute so nicht mehr verwendet.
2.2.2 Konstruktivismus als zirkulärer Ansatz
Einen anderen Ansatz vertreten die Konstruktivisten. Ihre Grundvorstellung seelischen Geschehens geht von zirkulären Ordnungen aus. Diese erzeugen gestalthaft-ganzheitliche Zusammenhänge mit Rückkopplungsstrukturen als Ordnungsmuster. In den Vorstellungen des Konstruktivismus bedeutet Kommunikation immer eine Schaffung von Wirklichkeit zwischen den kommunizierenden Personen.
2.2.2.1 Realität und Erkenntnis
Konstruktivisten halten dabei eine Kommunikation im Sinne eines Teilens von objektiv vorhandenen Erfahrungswirklichkeiten für nicht möglich. Der Konstruktivismus geht laut Schüchter (2010, S. 21) stattdessen von der Annahme aus, dass die Menschen die Wirklichkeit aufgrund ihrer persönlichen Beobachtungen, Erfahrungen, Einstellungen, Vorlieben subjektiv "erfinden" (konstruieren) und nicht objektiv "entdecken".
Dabei steht das Verhältnis von Wissen und absoluter Wirklichkeit im Zentrum der Abgrenzung von Konstruktivisten mit anderen Denkrichtungen. Wie funktioniert dieses Erkennen des Menschen und vor allem: was kann man erkennen? Der Konstruktivismus geht davon aus, dass der Mensch nicht wissen kann, ob es eine absolute Wirklichkeit, eine Realität an sich gibt. Oder, wie es Ernst von Glasersfeld (1986, S. 17) formuliert, ist „für Konstruktivisten (…) alle Verständigung, alles Lernen und Verstehen stets Bau und Interpretation des erlebenden Subjekts...“. Hergeleitet wird die konstruktivistische Denkweise sowohl aus Naturwissenschaften (Mathematik, Neurobiologie, Kybernetik) als auch Geisteswissenschaften. So bezieht beispielsweise von Glasersfeld (1986, S. 24) seinen Standpunkt über das Erkennen unter Zuhilfenahme der griechischen vorsokratischen Denkweise. Er zitiert Xenophanes unter Zuhilfenahme der Übersetzung von Diels damit, dass „... das Genaue freilich (…) kein Mensch (erblickt) und es (...) auch nie jemand sein (wird), der es weiß (erblickt hat) … denn selbst wenn es einem im höchsten Maße gelänge, ein Vollendetes auszusprechen, so hat er selbst trotzdem kein Wissen davon: Schein (meinen) haftet an allem.“
Daraus, so schlussfolgert von Glasersfeld, dass „etwas, das „erblickt“ werden soll, vorher bereits da gewesen sein (müsse), und Wissen wäre somit notwendigerweise Abbild einer Welt, die (…) existiert, bevor ein Bewusstsein sie sieht oder auf andere Weise erlebt.“Xenophane s schien – so folgert von Glasersfeld weiter – daran zu zweifeln, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt, sondern nahm an, dass wir uns lediglich ein Bild davon selbst schaffen (a.a.O.). Denn in dem Augenblick, in dem ein Denkender sich seines Denkens bewusst wurde, war nach von Glasersfeld Zweifel an der Übereinstimmung von Wissen und Wirklichkeit entstanden.
Die Erkenntnis sei, so von Glasersfeld, vielmehr Ergebnis eines Anpassungsprozesses, in dem abgeglichen wird, ob das Bild, das wir uns von der Welt machen, in unsere Lebenssituation „passt“. Dabei bedeutet Anpassen soviel wie das englische Wort „fit“ und nicht „match“ (übereinstimmen). Von Glaserfeld (S. 19) bemerkt dazu folgendes:
„Sagen wir zum Beispiel von einer Abbildung, dass sie 'stimmt', so bedeutet das, dass sie das Abgebildete wiedergibt und mit ihm in irgendeiner Weise gleichförmig ist. (…) In der herkömmlichen Erkenntnislehre finden wir stets die ausdrückliche oder stillschweigende Voraussetzung, dass das Resultat der Erkenntnis, nämlich unser Wissen, ein Wissen von der wirklichen Welt ist und, soweit es wahr ist, diese prinzipiell unabhängige, selbständige Welt zumindest in einer Weise homomorph wiedergibt. Sagen wir andererseits von etwas, dass es 'passt', so bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als dass es den Dienst leistet, den wir uns von ihm erhofften. Ein Schlüssel 'passt', wenn er das Schloss aufsperrt. Das Passen beschreibt die Fähigkeit des Schlüssels, nicht aber das Schloss.“
Von Glasersfeld illustriert die Ausführungen mit dem Beispiel des Berufseinbrechers, der einen für ihn „passenden“ Universalschlüssel zu verschiedenen Schlössern habe. Man könne daher nicht sagen, ob es nur einen einzig passenden Schlüssel für das von ihm zu öffnende Schloss gebe oder mehrere. Dies sei für den Einbrecher letztlich auch unerheblich (1986, S. 20). Für die konstruktivistische Erklärung des Erkenntnisprozesses bedeutet dies, dass wir uns diejenigen „Schlüssel“ von der Welt konstruieren (müssen), die uns helfen, diese Welt für uns „aufzuschließen“. Denklogisch stimmt für Konstruktivisten unser Bild nicht mit dem beobachteten Objekt überein, weil wir ja nicht wissen, ob es das objektiv wahre Objekt ist. Wir machen uns nur ein Abbild, dass das ausdrücken könnte, was wir beobachten. Unsere Erkenntnis „passt“ also auf das Beobachtete.
Diese Auffassung spiegelt sich, so von Glasersfeld (a.a.O.), auch in Darwins Evolutionstheorie des „survival of the fittest“ wider, wobei „fittest“ hier nicht mit „tüchtig“ übersetzt werden dürfe, sondern mit „passend“. Angepasste Arten hätten immer überlebt, unangepasste seien untergegangen. Insofern könne man nach Meinung der Konstruktivisten erst dann ein Stück der Wirklichkeit erleben, wenn man sehe, was nicht in diese Welt gepasst habe. Nur im Scheitern offenbart sich für Konstruktivisten die (Be-)Greifbarkeit der Welt. Auf die Wahrheitssuche in der Wissenschaft bezogen beschreibt Karl Popper (1994, S. 42) dieses Phänomen für wissenschaftliche Theorien. Diese könne man nur durch ihre Falsifizierung, also ihr Scheitern von allem anderen abgrenzen. Das Erklärungspotenzial einer Theorie, so Popper, sei daher umso größer, je größer die Menge ihrer potentiellen Falsifikatoren sei.
2.2.2.2 Objektivität der Realität und des Beobachters
Die Frage, was wir wissen, hängt damit zusammen, was wir zu beobachten im Stande sind. Was wir wirklich beobachten können, leitet Heinz von Foerster aus der Neurobiologie her. Anhand des Beispiels des Blinden Fleckes (1986, S. 40) erläutert von Foerster, dass man aufgrund einer neurobiologischen Besonderheit manches unmittelbar vor seinem Auge Befindliche nicht sehe. Diese örtliche Blindheit beruhe darauf, dass an der Stelle der Netzhaut, an der die Nervenfasern aus der lichtempfindlichen Schicht des Auges zum Sehnerv zusammenlaufen, keine Lichtsinneszellen (Zäpfchen und Stäbchen) vorhanden seien. Wird der schwarze Kreis auf genau diese Stelle projiziert, sei er nicht mehr zu sehen. Das sei aber kein Beweis dafür, dass es nicht doch da wäre – wir können es eben nur nicht wahrnehmen. Durch die Wiederholung von Sinnesreizen füge das Bewusstsein die wahrgenommene Umwelt zu einem Bild über die Welt zusammen.
Dass es keine objektive Erkenntnis gibt, liegt aus Sicht der Konstruktivisten aber auch daran, dass ein Beobachter nie objektiv beobachten könne. Um dies wirklich zu können, müsste der Beobachter aus sich heraus treten. Da er jedoch immer Teil der beobachteten Welt sei, ginge das nicht. Die vermeintlich klare Trennung von „innen“ und „außen“ ist also aus konstruktivistischer Sicht aufgehoben. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass der Beobachter die Beobachtung immer auch beeinflusst.
2.2.3 Watzlawick - Beziehungen als Erkenntnis schaffendes Moment
Paul Watzlawick geht wie sein Vorbild von Glasersfeld davon aus, dass man sich kein Abbild der Realität macht. Das würde voraussetzen, dass da etwas wäre, was man erblicken könne. Man schaffe sich vielmehr seine Wirklichkeit, indem man in Beziehung mit „außen“ trete. Dabei fungiert unsere Wahrnehmung als Sinnzuschreibung. Über die Augen würden unserem Zentralnervensystem Informationen übermittelt, die an sich noch keine Bedeutung haben müssen.
Watzlawick nutzt zur Erklärung das Beispiel eines Mannes, der ins Wasser springt, in dem ein Mädchen hektische Bewegungen macht (1994, S. 49). Wir konstruieren uns Sinn in dem Beobachteten: Der Mann will anscheinend das Mädchen retten. Aber ob das stimmt, ob also unsere Sinnzuschreibung objektiv richtig das wiedergibt, was der Mann wirklich will, können wir nicht erkennen. Seine Motivation könnte ebenso gut sein, dass er als Held dastehen will oder auf eine Belohnung für die Rettungstat hofft. Insofern erfassen Menschen laut Watzlawick nie die gesamte Realität, sondern erschaffen sich ein für sie in diesem Moment passendes Abbild, unabhängig davon, ob es andere Bedeutungen gibt.
Die Wahrnehmung allein ergibt aber noch keinen Informationsgehalt. Erst aus einem Vergleich mit anderen Wahrnehmungen, so Watzlawick (1994, S. 31), könne man Eigenschaften und damit Information ableiten. Watzlawick illustriert dies unter Bezugnahme des Apfel-Beispiels, das er bei von Glasersfeld entlehnt. Ob ein Apfel süß oder sauer schmecke, könne man nicht erkennen, wenn man je nur einen Apfel gegessen habe, sondern nur, wenn man ihn mit einem zweiten Apfel vergleiche. Nach Watzlawick ergibt sich erst durch die Beziehung zwischen zwei Variablen oder eben zwei Dingen das eigentlich Wahrnehmbare (1969, S. 25), denn „nicht Dinge, sondern Funktionen machen (…) das Wesen unserer Wahrnehmungen aus…“ (S. 29). Diese Grundannahme überträgt er auf die menschliche Kommunikation, in der das für ein Gelingen von Kommunikation Entscheidende nicht in der Nachrichtenübermittlung zwischen den Sender und Empfänger sieht, sondern in dem, was in der zwischen den beiden bestehenden Beziehung ablaufe.
Die Beziehung zwischen den Menschen zu verstehen, bedeutet, eine zielgerichtete Kommunikation zu führen. Da es im Konstruktivismus keine „richtigen“, sondern nur „passende“ Schlüssel gebe, die die Welt für uns „aufschließen“, gebe es auch in der Übermittlung von Informationen nur „passende“ Schlüssel, die uns andere Erkenntniswirklichkeiten „erschließen“. Watzlawick illustriert diese bereits von von Glasersfeld beschriebenen Erkenntnisse mit der Wahrnehmung eines Kapitäns, der mit seinem Schiff eine Meerenge durchfahren müsse, diese aber wegen starken Nebels nicht sehen könne. Konstruktivistisch gedacht sei es möglich, dass es verschiedene Arten der Realität „Meerenge“ gebe. Für den Kapitän sei letztlich wichtig, einen für ihn und das Schiff passenden Weg zu finden. Damit wäre egal, wie die Meerenge wirklich beschaffen sei (1986, S. 15). Wollen wir also mit anderen in Kommunikation treten, so müssen unsere dafür benutzten „Schlüssel“ nach Watzlawick nicht die einzig wahren Schlüssel sein. Sie müssen lediglich so beschaffen sein, dass wir unser Gegenüber mit unseren Botschaften auch erreichen.
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