Thomas Morus und Thomas Hobbes - Ein theoretischer Vergleich zweier Utopie-Paradigmen
Zusammenfassung
Ausgehend von den vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Krisen der anbrechenden Neuzeit präsentieren Morus und Hobbes in ihren Werken fiktive und radikale Lösungsmöglichkeiten.
Der Autor hat sich dafür entschieden, ausgehend vom Staatsaufbau beider Autoren die Kategorie (a) der Anthropologie des Menschen und (b) der Eigentumsverhältnisse sowie der (c) religiösen Gesinnungs-/Erziehungsfreiheit vergleichend zu analysieren.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung und Zielformulierung
1. Die Neuzeit als Krisenerscheinung
2. Der Begriff der Politischen Utopie
3. Analytischer Vergleich
3.1 Mensch, Eigentum und Religion auf der Insel Utopia
3.2 Mensch, Eigentum und Religion im Körper des Leviathans
3.3 Zusammenfassung
4. Fazit
Literaturverzeichnis
»Menschsein heißt: Utopie haben.« Paul Tillich
Einleitung und Zielformulierung
Mit dem Beginn der Neuzeit um das Jahr 1500 war das besonders vom Frühmittelalter tradierte Weltbild des christlichen Abendlandes in der Krise. Die Vorstellung eines göttlich geschaffenen Herrschafts- und Sozialgefüges bröckelte, weil im Zuge der Renaissance das Wahrheitsmonopol der katholischen Kirche mehr und mehr aufgeweicht wurde. Schien Herrschaft bisher unabhängig vom Willen des Einzelnen „natürlich“ erwachsen zu sein, verkehrte sie sich nun in ihr Gegenteil, indem sie als Produkt des Einzelwillens verstanden wurde. Der Mensch, begann sich als handelndes, beeinflussendes Individuum zu begreifen. Kurz gesprochen, die Dinge waren nun um den Menschen an geordnet und nicht er den Dingen zu geordnet. Der Einzelne ließ sich langfristig nicht mehr zwanglos inkludieren. Langfristig würden diese Veränderungen das bisherige politische und sozioökonomische System durschlagen. Die Zeitgenossen, so auch Thomas Morus und Thomas Hobbes, spürten früh die krisenartigen Symptome jener beginnenden Übergangsphase in die Neuzeit. Beide geben unterschiedliche Lösungsansätze vor, die eine Überwindung von Bürgerkriegen, Wirtschaftskrisen und religiöser Wirren in utopischer Form skizzieren.
Thomas Morus, aus wohlhabendem Hause stammend, brachte es als Anwalt im Zivilrecht bereits früh zu Reichtum und Wohlstand. Mit der Erlangung eines Abgeordnetenmandates für das englische Unterhaus im Jahre 1504 ließ ihn fortan die Arbeit im praktischen Politikbetrieb nicht mehr los. Sie sollte ihn 1529 bis ins Amt des englischen Lordkanzlers führen. Er betrieb über die Politik hinaus ein großes schriftstellerisches Wirken, in dessen Zuge er 1516 auch die Utopia (Von der besten Staatsverfassung und von der neuen Insel Utopia, ein wahrhaft goldenes Büchlein, genauso wohltuend wie heiter) verfasst. Diese literarische Fiktion in Form eines Reiseromans sollte dem utopischen Denken ihren Gattungsbegriff verleihen (vgl. Waschkuhn 2003: 47). Als sich Heinrich VIII. mit Gründung der anglikanischen Staatskirche vom Papst in Rom lossagt, sollte sein Leben eine wahrhaft dramatische Wendung nehmen. Als überzeugter, tiefreligiöser Katholik verweigerte Morus die Anerkennung der königlichen Oberhoheit in allen kirchlichen Angelegenheiten, welche Heinrich VIII. von allen freien Bürgern als Treuebekenntnis verlangte. Als Hochverräter zum Tode verurteilt, wird der 57jährige auf dem Schafott des London Tower 1535 enthauptet.
Thomas Hobbes, 1588 aus der Ehe eines Landpfarrers mit einer Bäuerin hervorgegangen, gelangt aufgrund seiner bereits im Kindesalter ausgeprägten Begabungen in den glücklichen Umstand, dass er frühzeitig eine wissenschaftliche Förderung erfährt. Diese ermöglicht ihm später den Besuch der Universität von Oxford und eine Anstellung als Hauslehrer junger Adelssprösslinge. Hobbes beschäftigte sich darüber hinaus grundlegend mit Fragen über Physik, Logik, Optik und Philosophie. Hobbes war nie in politischen Ämtern tätig, was ihn jedoch nicht daran hinderte, die Notwendigkeit und das Funktionieren eines Staates mittels empirischer Vorgehensweise zu erklären. Zwar galt er in der sich in England im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts zuspitzenden Konfrontation zwischen König und Parlament, die in einen blutigen Bürgerkrieg münden sollte, als Parteigänger der Krone. Trotzdem wollten ihm viele Monarchisten nicht verzeihen, dass er das Gottesgnadentum königlicher Herrschaft in seinen Schriften, wie etwa dem Klassiker der politischen Staatsphilosophie Leviathan ( oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens), infrage stellte. Dies brachte ihn nicht nur im Gegensatz zum Königshaus, sondern auch zu den religiösen Kräften seiner Zeit, die ihn der Häresie und Gotteslästerung beschuldigten. Er starb hochbetagt 1579 auf dem Landsitz adliger Gönner.
In der vorliegenden Ausarbeitung sollen, ausgehend von einer allgemeinen Definition über den Begriff der „Politischen Utopie“, Morus' Utopie und Hobbes' Leviathan miteinander verglichen werden. Der Begriff der Utopie im Kontext der Ausführungen orientiert sich an spezifisch politischen Kontexten, da diese Abstraktion für die Ausarbeitung in einem begrenzten erkenntnistheoretischen Rahmen von ca. zwanzig Seiten unerlässlich ist. Anhand einer kategorialen Eingrenzung werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgezeigt, um wissenschaftlich verwertbare Aussagen im Zuge dieser Analyse herauszustellen.
Ausgehend von den vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Krisen der anbrechenden Neuzeit präsentieren Morus und Hobbes in ihren Werken fiktive und radikale (daher utopisch, weil sie an der Wurzel des Althergebrachten rühren) Lösungsmöglichkeiten.
Der Autor hat sich dafür entschieden, ausgehend vom Staatsaufbau beider Autoren die Kategorie (a) der Anthropologie des Menschen und (b) der Eigentumsverhältnisse sowie der (religiösen) Gesinnungs-/Erziehungsfreiheit vergleichend zu analysieren.
1. Die Neuzeit als Krisenerscheinung
Die frühe Neuzeit glich einer zweiten Vertreibung aus der Nähe Gottes. Hatten die Menschen den Heilsanspruch im Diesseits durch die Erbsünde Adam und Evas bereits verloren, so wurde nun auch der Vorstellung einer Verbundenheit mit dem göttlichen Kosmos bzw. einer göttlichen Konzeption der Welt eine Absage erteilt (vgl. Saage 1995, 103).
Dies zeigte sich unter anderem daran, dass sich die Politik, Wirtschaft und Religion von der orthodoxen Vormacht kirchlicher Interpretationsmuster zu lösen begannen. Die Gesellschaft wurde durch eine Reihe von „Individualisierungsschüben“ (s. ebd. 102) dynamisiert. Eine Reihe prominenter Beispiele unterlegen diesen Wandel in den einzelnen Bereichen. Aus der persönlich motivierten Suche nach dem wahren Christenmenschen, gerät der Mönch Martin Luther in Widerspruch zur offiziellen kirchlichen Dogmatik. Die Interpretation und Übersetzung der Bibel nach Luthers religiösem Dafürhalten gaben der 1517 einsetzenden Reformation erst ihre eigentliche Wirkungsmacht. Die Erkenntnis, dass die Gnade Gottes ein Geschenk sei, welche allein aus dem Glauben an Jesus Christus entspringe, sprach der Kirche ihre postulierte Rolle als Vermittlungsinstitution göttlichen Heils ab.
Der Engländer Francis Bacon begnügte sich nicht mit theoretischen Erwägungen über die Welt, wie sie die Scholastik hervorbrachte. Durch die praktische Beobachtung der Natur und wiederholte Experimente sollten Annahmen empirisch beweisbar wie stichhaltig machen – die wissenschaftliche Methode war geboren. Auch wenn der Mensch noch gläubig war, sein Denken sollte es nicht mehr sein. Für die einsetzende Überwindung eines auf überschaubare, kleine und autarke Wirtschaftseinheiten konzentrierten Marktsystems, wie es sich etwa in der Institution der Zunft wiederfinden ließ, steht beispielhaft der deutschstämmige Unternehmer John Spilman[1]. Der seinen individuellen Nutzen im Auge behaltende Unternehmer zeichnete sich dadurch aus, dass er die wirtschaftlichen Mittel den Erfordernissen des heimischen Marktes flexibel anpasste. Damit wurde einerseits die wirtschaftliche Tätigkeit auf den unternehmerischen Gewinn hin ausgerichtet und andererseits durch die Suche nach Marktvorteilen das Konkurrenzdenken als ökonomisches Prinzip etabliert.
Spilmann pachtete zunächst zwei Papiermühlen, modernisierte die Produktionsanlagen und mithilfe ausgesuchter Fachkräfte gelang ihm die Herstellung weißen Papiers in überzeugender Qualität. Er sicherte sich patenrechtlich so ab, dass er eine marktbeherrschende Stellung erlangte, da fortan nur ihm die Produktion weißen Papieres gestattet wurde, während die Konkurrenz ausschließlich braunes Papier minderwertigerer Qualität anbieten konnte.
Im Zuge dieser Entwicklungen sind sowohl die Utopia als auch der Leviathan als Antwortversuche auf die neuzeitlichen Krisenerscheinungen zu sehen. Der Wegfall des göttlichen Willens als Fixpunkt politischer Herrschaft hinterließ ein Legitimationsdefizit im gesellschaftlichen Raum. Diese Lücke galt es mit neuen Interpretationsmustern zu füllen.
Durch die reformatorischen Glaubensbewegungen wurde eine Vielfalt geschaffen, die in der damals noch engen Verflechtung von Politik und Religion zwangsläufig zu Konflikten führen musste. Denn mit der Ausformulierung einer reformatorischen Alternative verlor die Kirche gleichsam ihre alleinige Deutungshoheit über Wohl und Wehe des Seelenheils der Gläubigen. In der religiös durchtränkten (Alltags-)Welt der frühen Neuzeit, in der das Tun des Einzelnen auf die jenseitige Welt ausgerichtet war, würden Glaubensfragen Auslöser der Fragen nach Krieg und Frieden sein. Eine Feststellung, deren Konsequenz sich deutlich bei Morus und Hobbes herauslösen lässt. Auch wenn es bei Hobbes aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Englischen Bürgerkrieg 16 stärker zum Tragen kommt. Die aufkommende Orientierung an Gewinn und Wettbewerb in einer frühkapitalistischen Gesellschaft, die zwar die Produktion und Wirtschaftsdynamik erhöhte, aber andererseits weite Bevölkerungsteile in die existenzielle Not trieb, war dagegen ein zentrales Motiv bei Morus' Betrachtung der englischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts.
Der Staat hörte auf, „natürlich“ zu sein, sondern wurde nun vom Menschen - in der Übereinkunft freier und gleicher Individuen - „künstlich“ geschaffen. Mittels der säkularisierten Vernunft sollte nun die Neuordnung des aus den Fugen geratenen Gemeinwesens angegangen werden. Welche Aussagen treffen also Hobbes und Morus zum Menschen, dem Eigentum sowie der Religion und welche Schlussfolgerungen ziehen sie daraus in ihrem jeweiligen Staatsaufbau?
2. Der Begriff der politischen Utopie
Eine Utopie ist im Kern ihres griechischen Wortursprung ein „Nicht-Ort“ bzw. ein „Nirgendwo“. Als Begründer des (neuzeitlichen) Utopie-Genres gilt Thomas Morus mit seinem gleichnamigen Roman Utopia. Sein 1516 erschienener fiktiver Reisebericht über die Insel Utopia sollte maßgeblich die folgenden literarischen wie theoretischen Modelle der utopischen Literatur beeinflussen. Morus' Utopia ist zugleich als Urmodell aller positiven Staatstheorien zu verstehen (vgl. Ernst/Vismann 2010: VII).
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[1] Informationen bei www.wikipedia.de unter „John Spilman“, besucht am 04.01.2013.