Die Außenpolitik der Europäischen Union zwischen Anspruch und Wirklichkeit als Zivilmacht
Zusammenfassung
wie man sie am besten in ein theoretisches Konzept fassen kann; das gilt auch für ihre
Außenpolitik. Einige bezeichnen die EU als Militärmacht, andere als Zivilmacht oder
als Friedensmacht. Die meisten, die die EU als Zivil- oder Friedensmacht betrachten,
verweisen allem voran auf das Selbstverständnis der EU und den Anspruch an sich
selbst. Es reicht aber nicht aus, nur nachzuweisen, dass sich die EU selbst als Zivilmacht
sieht. Ausschlaggebend ist ihr Verhalten, ob sie diesem Anspruch auch tatsächlich
gerecht wird oder nicht. Dahingehend räumen sogar die Verfechter der „Zivilmacht Europa“
gewisse Defizite ein.
Es stellen sich also folgende Fragen: Ist die EU wirklich
eine Zivilmacht? Was genau muss dieses Konzept beinhalten?
Davon ausgehend stelle ich folgende These auf: Die EU stellt sich gerne selbst als Zivilmacht
dar, ihre Handlungen entsprechen diesem Anspruch allerdings nicht immer.
Sobald wirtschaftliche und/oder sicherheitspolitische Interessen ins Spiel kommen, werden
normative und ethische Aspekte hinten an gestellt. Deshalb kann die EU nicht als
Zivilmacht bezeichnet werden. Diese These möchte ich anhand ihrer Sanktionspolitik
und ihren (zivilen und militärischen) Missionen beweisen.
Um den Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit darstellen zu können, werde
ich die Selbstdarstellung der EU anhand von offiziellen Dokumenten und der Homepage
der Europäischen Union überprüfen um sie anschließend mit den Handlungen der
EU zu vergleichen: Werden die Handlungen der EU ihrem Anspruch gerecht, ihre gemeinsamen
Werte und Normen in die Welt zu „exportieren“, und handelt sie nach ihren
eigenen Vorgaben oder spielen andere als normative Aspekte eine größere Rolle? Ich
werde anschließend versuchen, diese Frage am Beispiel der beiden Politikfelder Sanktionen
und Einsätze im EU-Ausland zu klären.
Als theoretischen Rahmen werde ich das Zivilmachtkonzept nach Hanns W. Maull verwenden
und es mit einzelnen Aspekten aus weiteren Definitionen verknüpfen, und es
somit um den Unterschied zwischen „being-good“ und „doing-good“ (Bailes 2008: 121) erweitern, also dem Unterschied zwischen dem, was die EU ist und dem, was sie tut.
Diese Unterscheidung ist meiner Meinung nach enorm wichtig, um die Außenpolitik der
EU charakterisieren zu können.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Außenpolitik der Europäischen Union
3. Das Zivilmachtkonzept
4. Die EU als Zivilmacht?
4.1 Sanktionspolitik der EU
4.2 Zivile und Militärische Missionen der EU
5. Die EU-Außenpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit
6. Anhang
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Es wird schon seit langem darüber diskutiert, was genau die Europäische Union ist, und wie man sie am besten in ein theoretisches Konzept fassen kann; das gilt auch für ihre Außenpolitik. Einige bezeichnen die EU als Militärmacht[1], andere als Zivilmacht[2] oder als Friedensmacht[3]. Die meisten, die die EU als Zivil- oder Friedensmacht betrachten, verweisen allem voran auf das Selbstverständnis der EU und den Anspruch an sich selbst. Es reicht aber nicht aus, nur nachzuweisen, dass sich die EU selbst als Zivilmacht sieht. Ausschlaggebend ist ihr Verhalten, ob sie diesem Anspruch auch tatsächlich gerecht wird oder nicht. Dahingehend räumen sogar die Verfechter der „Zivilmacht Europa“ gewisse Defizite ein. Es stellen sich also folgende Fragen: Ist die EU wirklich eine Zivilmacht? Was genau muss dieses Konzept beinhalten?
Davon ausgehend stelle ich folgende These auf: Die EU stellt sich gerne selbst als Zivilmacht dar, ihre Handlungen entsprechen diesem Anspruch allerdings nicht immer. Sobald wirtschaftliche und/oder sicherheitspolitische Interessen ins Spiel kommen, werden normative und ethische Aspekte hinten an gestellt. Deshalb kann die EU nicht als Zivilmacht bezeichnet werden. Diese These möchte ich anhand ihrer Sanktionspolitik und ihren (zivilen und militärischen) Missionen beweisen.
Um den Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit darstellen zu können, werde ich die Selbstdarstellung der EU anhand von offiziellen Dokumenten und der Homepage der Europäischen Union überprüfen um sie anschließend mit den Handlungen der EU zu vergleichen: Werden die Handlungen der EU ihrem Anspruch gerecht, ihre gemeinsamen Werte und Normen in die Welt zu „exportieren“, und handelt sie nach ihren eigenen Vorgaben oder spielen andere als normative Aspekte eine größere Rolle? Ich werde anschließend versuchen, diese Frage am Beispiel der beiden Politikfelder Sanktionen und Einsätze im EU-Ausland zu klären.
Als theoretischen Rahmen werde ich das Zivilmachtkonzept nach Hanns W. Maull verwenden und es mit einzelnen Aspekten aus weiteren Definitionen verknüpfen, und es somit um den Unterschied zwischen „being-good“ und „doing-good“ (Bailes 2008: 121) erweitern, also dem Unterschied zwischen dem, was die EU ist und dem, was sie tut. Diese Unterscheidung ist meiner Meinung nach enorm wichtig, um die Außenpolitik der EU charakterisieren zu können.
2. Die Außenpolitik der Europäischen Union
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU wurde 1992 im Vertrag von Maastricht mit den folgenden Zielen beschlossen: Die Wahrung gemeinsamer Werte, grundlegender Interessen, der Unabhängigkeit und Unversehrtheit der Union; die Stärkung der EU und ihrer Mitglieder, sowie der internationalen Sicherheit; Erhaltung des Friedens; und Förderung der internationalen Zusammenarbeit, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vgl. Rinke 2007: 108f). Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind vor allem präventive Diplomatie, regionale Stabilisierungspolitik, Befriedung regionaler Krisenherde, Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, Unterstützung von Demokratisierungsprozessen und good governance, Kampf gegen den Terrorismus, Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Schmalz 2007: 101). Die Mittel zur Durchsetzung dieser Ziele sind Diplomatie, Handel und ökonomische Hilfen (Dembinski 2003: 76).
Die GASP ist intergouvernemental angelegt, das heißt, dass Entscheidungen nur einstimmig getroffen werden können. Konstruktive Enthaltung sind zwar prinzipiell möglich, allerdings nur solange wie mögliche Enthaltungen ein Drittel der gewogenen Stimmen im Rat nicht überschreiten. 1999 wurde zusätzlich die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) beschlossen. Sie ist integraler Bestandteil der GASP und besteht aus einer militärischen und einer zivilen Komponente. In diesem Rahmen wurden das Politische und Sicherheitspolitische Komitee, der EU-Militärausschuss EUMC, der EU-Militärstab EUMS, sowie der Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements CIVCOM gegründet. Dadurch sollte die EU in die Lage versetzt werden, eigene militärische Krisenmanagementoperationen durchzuführen, wenn die NATO nicht als Ganzes beteiligt ist (vgl. Schmalz 2007: 93-98). Ebenfalls 1999 wurde das Amt des „Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ eingeführt, das seit dem Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, „Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ heißt und von Catherine Ashton bekleidet wird.
Durch den intergouvernementalen Charakter der GASP und ESVP kommt es regelmäßig zu Uneinigkeit und Spannungen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten, was es der EU schwierig macht, in außenpolitischen Fragen mit einer Stimme zu sprechen. Das liegt einerseits daran, dass es unter den Mitgliedern bereits in Bezug auf die Natur der ESVP grundlegende Meinungsverschiedenheiten gibt (u.a. in Bezug auf Anwendung von Gewalt, und die Legitimität von Interventionen in ehemaligen Kolonien). Das Prinzip der Einstimmigkeit schränkt die Handlungsfähigkeit der Union stark ein. Je größer das Engagement wäre, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit einer Einigung. Dadurch ist die EU zwar in der Lage, Krisenmanagement im kleinen Rahmen durchzuführen, aber „ill-equipped for long-term strategic thinking“ (vgl. Menon 2009: 237).
3. Das Zivilmachtkonzept
In Bezug auf den Begriff der Zivilmacht gibt es in der Politikwissenschaft, wie so oft, keine einheitliche Definition, beziehungsweise unterschiedliche, oft widersprüchliche, Leitbilder (Rinke 2007: 113). Meistens wird sie in Abgrenzung zu einer Militärmacht definiert; einige Autoren unterscheiden zusätzlich noch zwischen Zivil-, Militär- und Friedensmacht. Laut Immanuel Kant beinhaltet die Definition einer Zivilmacht den Verzicht auf ein stehendes Heer und das Vorhandensein einer republikanischen Verfassung. Das Problem bei dieser Definition ist aber, dass lediglich Costa Rica diese Bedingungen erfüllt (und auch das nur mit Einschränkungen), nicht aber Japan oder Deutschland – die gerne als Paradebeispiel für eine Zivilmacht angeführt werden – geschweige denn die EU (vgl. Koppe 2007: 123f).
Hanns W. Maull, der sich auf Duchênes Zivilmachtkonzept bezieht, definiert eine Zivilmacht als
„Staat, dessen Außenpolitik darauf abstellt, militärische Macht als Mittel der zwischenstaatlichen Beziehungen sukzessive zugunsten von regel- und verständnisorientiertem Verhalten zurückzudrängen. Zivilmächte lehnen den Einsatz des Militärs aus gesinnungsethischen Gründen nicht grundsätzlich ab.“ (Dembinski 2003: 74)
Laut Rinke weist Maull explizit darauf hin, dass Zivilmächte nicht pazifistisch sind, sondern dass die Anwendung militärischer Mittel zur Selbstverteidigung oder zur Durchsetzung gemeinschaftlicher Prinzipien und Interessen durchaus zum Konzept einer Zivilmacht gehört: Eine „Zivilmacht sucht keine automatischen militärischen Handlungsoptionen, ja sie vermeidet sie sogar bewusst“ (Rinke 2007: 114). Dementsprechend ist ihr außenpolitisches Rollenkonzept und -verhalten an Zielsetzung, Werte, Prinzipien, Formen der Einflussnahme und Instrumente der Machtausübung gebunden, die einer Zivilisierung der internationalen Beziehungen dienen. Im Zentrum steht die Verrechtlichung und Verregelung des Konfliktaustrags und die Entwicklung, Legitimierung und Durchsetzung allgemeiner Normen (Ebd.). Der Wortteil „Macht“ ist nicht im Weberschen Sinne von Macht zu verstehen, sondern „als Fähigkeit, andere zu überzeugen“ (Dembinski 2003: 75). Maull schreibt einer Zivilmacht die folgenden fünf Eigenschaften zu: 1) Primat der Diplomatie, 2) Einsatz ökonomischer Mittel und Anreize, 3) Affinität zugunsten multilateraler Vereinbarungen (bis hin zur Verrechtlichung zwischenstaatlicher Beziehungen) 4) militärischer Macht wird lediglich die Funktion eines Reserveinstruments zugewiesen, 5) materielle Veränderung staatlicher Ziele (statt Streben nach Vergrößerung der eigenen Macht bzw. des Territoriums Streben nach gesellschaftlicher Stabilisierung) (vgl. Ebd).
Diesem Rollenkonzept nach Maull steht das der „zivilisierten Macht“ gegenüber. Eine „zivilisierte Macht“ verzichtet auf militärische Optionen jedweder Art; als Zivilmacht können laut diesem Konzept nur Akteure gelten, die ausschließlich mit zivilen Mitteln operieren (Rinke 2007: 115). Dieses Konzept widerspricht allerdings der Definition von Maull und müsste deshalb meiner Meinung nach eher als pazifistische oder Friedensmacht bezeichnet werden. Eine Friedensmacht folgt dem Grundsatz, dass Konfliktbearbeitung vornehmlich durch zivile Mittel im Rahmen der Krisenprävention zu erfolgen habe. Allerdings wird auch hier der Einsatz militärischer Mittel nicht vollkommen ausgeschlossen: Falls die Durchsetzung der gemeinschaftlichen Normen, Prinzipien und Interessen mit zivilen Mitteln scheitert, besteht ausdrücklich die Möglichkeit, militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden (Ders.: 120).
Ich werde mich in dieser Arbeit auf das Zivilmachtkonzept nach Maull stützen, da sich die anderen erwähnten Konzepte nicht deutlich genug vom Zivilmachtkonzept abgrenzen lassen und dadurch kein wirklicher Unterschied zwischen Zivil- und Friedensmacht besteht. Lediglich die „zivilisierte Macht“ unterscheidet sich von diesen beiden, aber da sie mit dem Begriff Zivilmacht gleichgesetzt wird, wird diese Trennung auch wieder aufgehoben und ist deshalb für meine weitere Analyse unbrauchbar. Um jedoch auf den Unterschied zwischen dem Anspruch, eine Zivilmacht zu sein, und der tatsächlichen Ausfüllung dieses Konzepts durch Handlungen, die einer Zivilmacht entsprechen, eingehen zu können, füge ich der Definition nach Maull noch den Unterschied hinzu, den sowohl Bailes als auch Manners treffen: „being-god“ geht nicht unbedingt einher mit „doing-god“ (vgl. Bailes 2008: 121; Manners 2008: 45).
4. Die EU als Zivilmacht?
Die Europäische Union sieht sich selbst als Zivilmacht an und stellt sich auch gern als solche dar: In offiziellen Dokumenten der Europäischen Union finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass die EU sich in einer Verantwortung gegenüber der restlichen Welt sieht und die europäische Politik auf Ausgleich und Dialog ausgerichtet ist (Dembinski 2003: 76). Sie definiert sich selbst als Wertegemeinschaft, wobei die Gültigkeit dieser Werte nicht auf die Grenzen der EU beschränkt ist, sondern auch zu einer Verantwortung außerhalb der EU führt, wenn Menschenrechte verletzt oder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedroht sind (Schmalz 2007: 93).
[...]
[1] Vgl. Biscop, Sven: Able and Willing? Assessing the EU's Capacities for Military Action, in: European Foreign Affairs Review, (9) 2004, S. 509-527; Treacher, Adrian: From Civilian Power to Military Actor: The EU's Resistable Transformation, in: European Foreign Affairs Review, (9) 2004, S. 49-66.
[2] Zum Beispiel François Duchêne, Ian Manners, Alyson J.K. Bailes; wird in Teil 3 der Arbeit (Das Zivilmachtkonzept) weiter ausgeführt
[3] Zum Beispiel Hans-Georg Erhart; wird in Teil 3 der Arbeit (Das Zivilmachtkonzept) weiter ausgeführt