Eine angemessene Einordnung Werke El Grecos in der Malerei des spanischen „Siglo de Oro“ hat erst ein Jahrhunderte andauernder Prozess des Verstehens ermöglicht. So klar wie der gebürtige Grieche heute zu den wichtigsten europäischen Künstlern des Spätmanierismus gezählt wird, so verschieden ist seine Bewertung durch seine Zeitgenossen und spätere Künstler- und Gelehrtengenerationen erfolgt. Sein unverwechselbarer Stil mit den charakteristischen, überlängten Figuren und der ungewöhnlich grellen Farbgebung forderte die unglaublichsten Interpretationen und Theorien heraus, die dem Künstler Augenkrankheiten attestierten oder ihn als visionären Pionier des Expressionismus glorifizierten.
Von diesen verallgemeinernd-kategorisierenden Ansätzen möchte sich die vorliegende Arbeit entfernen. Analytisch soll die Annäherung an ein spezifisches Werk des Künstlers erfolgen, der sowohl Elemente des byzantinischen Stils aus Griechenland als auch der venezianischen Malerei auf außergewöhnliche Weise zu verbinden verstand: sein berühmtestes Gemälde „Das Begräbnis des Grafen Orgaz“. Über einen literaturbasiert-interpretativen Zugang soll das Gemälde als Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses verstanden werden.
An welchen Stellen und wie zeigt sich in Inhalt und Form des Werkes der Einfluss geschichtlicher Ereignisse beziehungsweise der persönlichen Erfahrungen des Künstlers? Welchen Funktionen könnte das Gemälde gedient haben?
Der Zugang zur Thematik soll zunächst über einen das Forschungsanliegen begründenden, einleitenden Teil geschaffen werden, der relevante Fragen formuliert, dem sich ein Bericht zum Stand der El-Greco-Forschung anschließt. Es folgt eine kurze Biografie des Künstlers, wonach auf die Entstehungsgeschichte des Gemäldes eingegangen wird. Das folgende Kapitel geht auf das Werk selbst ein. Im Schlussteil werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf weitere Fragen zum Thema gegeben.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Forschungsbericht
2. Biografie des Künstlers
3. Entstehungszusammenhang des Gemäldes
3.1. Das Wunder
3.2. Das Konzil von Trient
3.3. Andrés Núnez und die Verweigerung der Bürger von Orgaz
4. „Das Begräbnis des Grafen Orgaz“
5. Zusammenfassung und Ausblick
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Eine angemessene Einordnung Werke El Grecos in der Malerei des spanischen „Siglo de Oro“ hat erst ein Jahrhunderte andauernder Prozess des Verstehens ermöglicht. So klar wie der gebürtige Grieche heute zu den wichtigsten europäischen Künstlern des Spätmanierismus gezählt wird, so verschieden ist seine Bewertung durch seine Zeitgenossen und spätere Künstler- und Gelehrtengenerationen erfolgt. Sein unverwechselbarer Stil mit den charakteristischen, überlängten Figuren und der ungewöhnlich grellen Farbgebung forderte die unglaublichsten Interpretationen und Theorien heraus, die dem Künstler Augenkrankheiten attestierten oder ihn als visionären Pionier des Expressionismus glorifizierten. Von diesen verallgemeinernd-kategorisierenden Ansätzen möchte sich die vorliegende Arbeit entfernen. Analytisch soll die Annäherung an ein spezifisches Werk des Künstlers erfolgen, der sowohl Elemente des byzantinischen Stils aus Griechenland als auch der venezianischen Malerei auf außergewöhnliche Weise zu verbinden verstand: sein berühmtestes Gemälde „Das Begräbnis des Grafen Orgaz“. Über einen literaturbasiert-interpretativen Zugang soll das Gemälde als Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses verstanden werden. An welchen Stellen und wie zeigt sich in Inhalt und Form des Werkes der Einfluss geschichtlicher Ereignisse beziehungsweise der persönlichen Erfahrungen des Künstlers? Welchen Funktionen könnte das Gemälde gedient haben? Der Zugang zur Thematik soll zunächst über einen das Forschungsanliegen begründenden, einleitenden Teil geschaffen werden, der relevante Fragen formuliert, dem sich ein Bericht zum Stand der El-Greco-Forschung anschließt. Es folgt eine kurze Biografie des Künstlers, wonach auf die Entstehungsgeschichte des Gemäldes eingegangen wird. Das folgende Kapitel geht auf das Werk selbst ein. Im Schlussteil werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf weitere Fragen zum Thema gegeben.
1.1. Forschungsbericht
Aufgrund des beschränkten Umfangs dieser Arbeit, kann es an dieser Stelle kein Anliegen sein, einen ausführlichen Überblick über die Geschichte der Greco-Forschung zu bieten. Hierfür kann die von Brown 1983 erschienene Publikation zum Anlass der Ausstellung „El Greco und Toledo“ empfohlen werden, die 1982/83 vom Toledo Museum of Art (Toledo/Ohio), Museo del Prado (Madrid), National Gallery of Art (Washington D.C.) und The Dallas Museum of Fine Arts (Dallas/Texas) stattfand.[1] Er hebt hierbei die Rolle Manuel B. Cossíos hervor, der 1908 die erste seriöse Untersuchung zum Leben und Werk El Grecos publizierte und eine sich am Aspekt der Nationalität orientierende Interpretation vorschlug,
„[…] die im Schaffen Grecos die Quintessenz des spanischen Wesens ausgedrückt sah.“[2]
Als eine weitere entscheidende Deutung Cossíos kann die Verbindung zwischen El Greco und den spanischen Mystikern gesehen werden.[3] In die Reihe der kurzsichtigen Versuche, die Kunst El Grecos nationalistisch zuzuordnen, fällt auch die um 1930 durch Robert Byron angefachte Debatte darum, ob seine Kunst als spanisch oder griechisch zu bezeichnen sei.[4] Unter den vielfältigen Interpretationen und Theorien, die das plötzliche Interesse an El Greco hervorbrachte, fand sich auch der 1913 vom spanischen Augenarzt Germán Beritens entwickelte Ansatz, der den besonderen Stil des Künstlers mit einem als Astigmatismus bezeichneten Sehdefekt erklären wollte.[5] Im Rahmen der Greco-Forschung nimmt Dvoráks 1920 gehaltener Vortrag eine herausragende Position ein.[6] Hierzu schreibt Schroeder:
„Phänomen und Problematik manieristischer Kunst entwickelt Dvórak am Beispiel des künstlerischen Werdegangs El Grecos, für den er drei prägende Impulsgeber anführt: Michelangelo, Tintoretto sowie die Folgen der Reformation in Frankreich und besonders in Spanien.“[7]
Dvórak vertritt die Position, dass die antinaturalistische Form der Malerei El Grecos von Michelangelo inspiriert wurde, seine antinaturalistische Farbgebung und Komposition sich hingegen an Tintoretto orientierten.[8] Die Forschung zu El Greco wurde durch Untersuchungen zur Rezeption seines Werkes bereichert – Schroeder hat sich sowohl mit der theoretischen als auch mit der praktischen Greco-Rezeption im frühen deutschen Expressionismus auseinandergesetzt.[9] In der Forschungsliteratur lässt sich die Tendenz zu einer Annäherung an das Werk des Künstlers über eine Rekonstruktion seiner Biografie beobachten.
Im Werk El Grecos nimmt das „Das Begräbnis des Grafen Orgaz“ als unumstrittenes Meisterwerk eine besondere Position ein. Zu dem Gemälde wurden unterschiedliche, nicht unbedingt widersprüchliche Thesen aufgestellt, von denen einige über Jahrzehnte in der Forschung diskutiert wurden und teilweise immer noch von Interesse sind. An dieser Stelle würde allerdings dem Kapitel 3.2. zu viel vorweggenommen, ginge man im Detail auf die Thesen und Erkenntnisse ein, sodass sich im Folgenden mit einer schematischen Annäherung an die erschienenen Publikationen begnügt werden soll. 1914 macht Kehrer in einer Monographie, den Einfluss der Renaissance auf das Gemälde aus.[10] Diesen Gedanken greift Neumeyer 1957 in einer Monographie auf, wobei er die Renaissance-Parallele neu wertet.[11] Auch Schroeder ist von der Idee überzeugt, dass ein Renaissancewerk El Grecos Gemälde vorausgreift.[12] Dass die Einflüsse im Werk des kosmopolitischen Künstlers breiter gefächert sein könnten, scheint nur wahrscheinlich und so kann Kelemens Anmerkung zum Gemälde in seiner 1961 erschienenen Monographie über das Werk El Grecos, dass in diesem eine byzantinische Bildsprache zu erkennen sei[13], als weitere Möglichkeit aufgenommen werden. Diese Idee war bereits aus einer Beobachtung Byrons im Jahr 1929 hervorgegangen.[14] Dieser These schließt sich auch Scholz-Hänsel in seinem Beitrag zum Sammelband „Vision oder Wirklichkeit“ im weitesten Sinne an, indem er die Ansicht vertritt, dass El Greco in seinem Hauptwerk den Einfluss, den die kretische Ikonenmalerei auf ihn hatte, erkennen lässt[15] und sich älterer ikonographischer Muster bediente[16]. Brown setzt sich mit dem Werk Grecos in einem Kapitel einer Monographie zur Malerei in Spanien von 1500 bis 1700 auseinander, wobei er unter anderem auf das Gemälde zu sprechen kommt.[17] Er vertritt hierbei die These, dass im Begräbnis des Grafen Orgaz die Essenz der Kunst El Grecos zu finden sei.[18] Schroths Beitrag zum elften Band der Reihe „Studies in the History of Art“ setzt sich ausschließlich mit dem Gemälde auseinander und konstatiert, dass das Auftragsgemälde über die vertraglich festgelegten Elemente hinausgeht.[19] Davies vertritt zudem in seinem Beitrag zu einem Sammelband zu El Grecos ersten 20 Jahren in Spanien die These, dass El Grecos Darstellung der Begräbnisszene und das mystische oder konzeptuelle Himmelsgeschehen philosophisch gesehen an neoplatonische Konzepte anschließen[20].
[...]
[1] Brown, Jonathan [u.a.], El Greco und Toledo, Berlin 1983.
[2] Brown 1983, S. 18.
[3] Cossío, Manuel B., El Greco, Madrid 1908, S. 245.
[4] Byron, Robert, The Epilogue to Byzantine Culture, in: The Burlington Magazine for Connoisseurs 55, 1929, S. 160-176.
[5] Beritens, Germán, Aberraciones del Greco científicamente consideradas (Nueva teoría que explica las anomalías de las obras de este artista), Madrid 1913.
[6] Dvórak, Max, Über Greco und den Manierismus, in: Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Studien zur Abendländischen Kunstentwicklung, hrsg. von Johannes Wilde und Karl M. Swoboda, München 1928, S. 261-276.
[7] Schroeder, Veronika, El Greco im frühen deutschen Expressionismus. Von der Kunstgeschichte als Geistesgeschichte (=Europäische Hochschulschriften Kunstgeschichte, hrsg. von Europäischer Verlag der Wissenschaften, Bd. 329), Frankfurt am Main 1998, S. 31.
[8] Dvórak 1928, S. 269.
[9] Schroeder 1998
[10] Neumeyer, Alfred, El Greco (Domenico Theotocopuli). Das Begräbnis des Grafen Orgaz. (=Werkmonographien zur bildenden Kunst, hrsg. von Carl Georg Heise, Bd. 16). Stuttgart 1957, S. 11.
[11] Kehrer, Hugo, Die Kunst des Greco, München ³1914, S. 35.
[12] Schroeder 1998, S. 231.
[13] Kelemen, Pàl, El Greco Revisited. Candia – Venice – Toledo, New York 1961, S. 122.
[14] Byron 1929, S. 163/164.
[15] Scholz-Hänsel, Michael, Vom Escorial nach Toledo. El Greco und die manieristische Malerei, in: Vision oder Wirklichkeit. Die spanische Malerei der Neuzeit, hrsg. von Henrik Karge, München 1991, S. 73.
[16] Scholz-Hänsel 1991, S. 73.
[17] Brown, Jonathan, Painting in Spain 1500 – 1700, Yale, New Haven, London 1998, S. 72-75.
[18] Brown 1998, S. 72.
[19] Schroth, Sarah, Burial of the Count of Orgaz, in: Figures of Thought. El Greco as Interpreter of History, Tradition and Ideas (=Studies in the History of Art, hrsg. von National Gallery of Art Washington, Bd. 11), hrsg. von Jonathan Brown, Washington 1982, S. 1.
[20] Davies, David, From the Letter to the Spirit. Levels of Meaning in The Burial of the Count of Orgaz, in: El Greco. The First Twenty Years in Spain. Proceedings of the International Symposium at the University of Crete from 22nd to 24th October 1999, hrsg. von Nicos Hadjinicolaou, Rethymno 2005, S. 123.