Der in Berlin geborene Schriftsteller Karl Gutzkow (1811-1876) sagte, dass das Berlinische „der scheußlichste aller Dialekte“ sei. Dieser Meinung schlossen sich zahlreiche bedeutende Dichter wie Theodor Fontane oder Johann Wolfgang von Goethe an, jedoch differenzierten diese und erkannten auch den Witz und die Ehrlichkeit des Berlinischen. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern sich die Bewertung dieser Sprachvarietät seitens der Sprechenden entwickelt und eventuell gewandelt hat. Es ist anzunehmen, dass sich auch Dialekte als Teil des Konstrukts Sprache permanent wandeln und zahlreichen Einflüssen unterliegen. Die Einflüsse einer Stadtsprache sind höher als die einer ländlichen Sprachvarietät, da eine ausgeprägte Bevölkerungsentwicklung durch Fort- und Zuzüge einerseits gegeben ist und globalisierenden Faktoren andererseits eine elementare Rolle zugeschrieben wird.
In den folgenden Ausführungen soll nun untersucht werden, inwiefern sich das Berlinische in historischer Hinsicht gewandelt hat und welche Entwicklungen in Zukunft denkbar sind. Weiterhin ist für die vorliegende Arbeit von Belang, welche linguistischen Besonderheiten sich in naher und ferner Zukunft auch noch als Kennzeichen des Berlinischen definieren lassen. Ferner soll ein Einblick in die sprachlichen Unterschiede der Bewohner des ehemaligen Ost- und Westberlins gegeben werden sowie anschließend verglichen werden, welche Besonderheiten auch heute noch festgestellt werden können. Abschließend soll analysiert werden, ob es aufgrund von etwaigen negativen Konnotationen bezüglich des Berlinischen zu einem Dialektverfall oder -abbau kommt.
Inhaltsverzeichnis
A Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Veränderungen von Dialekten
2.1 Dialektverfall
2.2 Dialektrenaissance
3. Sprachgeschichte Berlins
4. Linguistische Besonderheiten des Berlinischen
4.1 Lexikalische Elemente des Berlinischen
4.2 Phonetische Elemente des Berlinischen
5. Sprechereinstellungen gegenüber dem Berlinischen
5.1 Untersuchungen und Ergebnisse
5.2 Jugendliche und das Berlinische
5.3 Zugezogene und das Berlinische
6. Fazit
B Quellenverzeichnis
C Anhang
1. Einleitung
Der in Berlin geborene Schriftsteller Karl Gutzkow (1811-1876) sagte, dass das Berlinische „der scheußlichste aller Dialekte“ (zit. nach Schönfeld 21992: 287) sei. Dieser Meinung schlossen sich zahlreiche bedeutende Dichter wie Theodor Fontane oder Johann Wolfgang von Goethe an, jedoch differenzierten diese und erkannten auch den Witz und die Ehrlichkeit des Berlinischen (Schönfeld 21992: 287). Es stellt sich nun die Frage, inwiefern sich die Bewertung dieser Sprachvarietät seitens der Sprechenden entwickelt und eventuell gewandelt hat. Es ist anzunehmen, dass sich auch Dialekte als Teil des Konstrukts Sprache permanent wandeln und zahlreichen Einflüssen unterliegen. Die Einflüsse einer Stadtsprache sind höher als die einer ländlichen Sprachvarietät, da eine ausgeprägte Bevölkerungsentwicklung durch Fort- und Zuzüge einerseits gegeben ist und globalisierenden Faktoren andererseits eine elementare Rolle zugeschrieben wird.
In den folgenden Ausführungen soll nun untersucht werden, inwiefern sich das Berlinische in historischer Hinsicht gewandelt hat und welche Entwicklungen in Zukunft denkbar sind. Weiterhin ist für die vorliegende Arbeit von Belang, welche linguistischen Besonderheiten sich in naher und ferner Zukunft auch noch als Kennzeichen des Berlinischen definieren lassen. Ferner soll ein Einblick in die sprachlichen Unterschiede der Bewohner des ehemaligen Ost- und Westberlins gegeben werden sowie anschließend verglichen werden, welche Besonderheiten auch heute noch festgestellt werden können. Abschließend soll analysiert werden, ob es aufgrund von etwaigen negativen Konnotationen bezüglich des Berlinischen zu einem Dialektverfall oder -abbau kommt.
2. Veränderungen von Dialekten
Das Konstrukt Sprache unterliegt permanenten Wandlungen und Veränderungen. Es kommt zur Entlehnungen von Wörtern aus anderen Sprachen sowie zu Wortneuschöpfungen und Akkommodationen in der Grammatik aufgrund der Sprachökonomie (Schmidt 102007: 4). Da die Dialekte Teil dieses Konstrukts sind, unterliegen auch sie einem ständigen Wandel. Dieser Wandel ist bereits seit Jahrzehnten zu beobachten und erfolgt als gänzlicher Abbau des Dialekts oder aber als Veränderungen desselbigen (Mattheier 1990: 72).
2.1 Dialektverfall
Der Verfall von Dialekten ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht überall analog zu beobachten, sondern es kann ein Nord-Süd-Gefälle diagnostiziert werden. Während im „Süden kein Dialektverfall“ (Mattheier 1997: 404) festzustellen ist, weist der Norden des Landes einen erheblichen Dialektabbau auf (Mattheier 1980: 71). Der Verfall oder Abbau von Dialekten findet auf zwei Ebenen statt, auf der „linguistischen“ einerseits und auf der „soziolinguistischen“ andererseits (Mattheier 1997: 406). Der „linguistische Prozeß“ (Mattheier 1997: 406) kann als „Abbau von genuinen Dialektismen lokaler Art und Ersatz durch großregionalere oder standardsprachlichere Varianten“ (Mattheier 1997: 406) definiert werden. Auf dieser Ebene des Verfalls werden somit Lexeme und lokal typische Redewendungen eliminiert und nicht in den Wortschatz der regionalen Umgangssprache integriert (Mattheier 1997: 406). Dieser „Wortschatzverfall“ (Mattheier 1997: 405) führt somit zum Abbau des Dialektes.
Der Verfall von Dialekten in soziolinguistischer Perspektive ist mit der „Verdrängung der Verwendung dialektaler Varietäten aus immer mehr gesellschaftlichen Verwendungskonstellationen“ (Mattheier 1997: 407) zu definieren. Eine elementare Rolle wird hier der kindlichen Spracherziehung durch die Erziehungsberechtigten zugeschrieben, da diese immer häufiger auf den Erwerb der korrekten Standardsprache achten (Mattheier 1997: 407). Durch den kindlichen Erwerb der Standardsprache soll erreicht werden, dass das Kind bei dem Besuch von Bildungsinstitutionen keine Nachteile erfährt. Zahlreichen Studien zufolge wirke sich die Verwendung von Dialekten negativ auf die Schulleistungen aus. Für detaillierte und weiterführende Informationen siehe Rosenberg (1986).
Weiterhin gilt es zu erwähnen, dass die Verwendung des Dialekts immer weiter auf „bestimmte Lebenssituationen“ (Mattheier 1986: 58) beschränkt wird, was nicht zuletzt damit zu begründen ist, dass Dialekte sehr oft negativ konnotiert sind. Ferner ist von immenser Bedeutung, dass die in ein Dialektgebiet Zugezogenen kaum gewillt sind, den Dialekt anzunehmen; kommt es folglich zu einem starken Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung, ist der Abbau des Dialekts die Konsequenz (Mattheier 1986: 58).
2.2 Dialektrenaissance
Entgegen dem Verfall von Dialekten kann jedoch auch von einer „Aufwertung und Ausbreitung“ (Mattheier 1997: 408) des Dialekts gesprochen werden. Dieses Phänomen ist seit den 1970er-Jahren verstärkt zu beobachten (Mattheier 1997: 408). Es sei jedoch gesagt, dass es sich nicht um die „Aufwertung und Ausbreitung“ (Mattheier 1997: 408) auf linguistischer Ebene handelt, sondern vielmehr um die Tendenz der soziolinguistischen Dialektrenaissance (Mattheier 1997: 408). Seit den 1970er-Jahren tritt „vermehrt Dialektalität in Sprechsituationen auf, in denen noch in den 60er-Jahren Hochdeutsch erwartet […] wurde“ (Mattheier 1997: 408). Die vermehrte Verwendung des Dialekts spiegelt sich auch in der Werbung wider. So wirbt das Land Baden-Württemberg seit Jahren erfolgreich mit dem Werbespruch „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ (Stuttgarter Nachrichten 2010). Das Prinzip des Dialekts in der Werbesprache hat sich auch in anderen Bundesländern als probates Mittel erwiesen; so werben eine namhafte Brauerei aus Schleswig-Holstein seit Jahren und ein tschechischer Automobilkonzern seit kurzem mit dialektsprechenden Akteuren (Stolz 2008).
Außerdem wird der Dialekt oft von Politikerinnen und Politikern genutzt, um volksnähe auszudrücken. Als Beispiel seien hier der ehemalige Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Günther Oettinger, und der ehemalige Ministerpräsident des Freistaats Bayern, Edmund Stoiber, genannt. Aber auch Politiker im Norden der Bundesrepublik Deutschland nutzen den Dialekt, um „Emotionalität und Bürgernähe“ (Schaaf 2011) hervorzurufen. So kann man erkennen, dass sowohl der amtierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, als auch der Innensenator Berlins, Klaus Henkel, Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern im Dialekt führen.
Einen weiteren Aspekt zur Dialektrenaissance führt der Kölner Germanist Prof. Dr. Karl-Heinz Göttert an. Er erklärt, dass im Zuge der Globalisierung ein „verstärktes Bedürfnis nach Regionalität“ (Schaaf 2011) bestehe. Ferner gibt er zu verstehen, dass „das Hochdeutsche von 82 Millionen Menschen gesprochen“ (Schaaf 2011) werde und mit dieser Standardsprache eine Vereinheitlichung einhergehe. Der jeweilige Dialekt werde folglich nur von, im Vergleich zur gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik, wenigen Menschen gesprochen, sodass ein Gefühl der Individualität und Abgrenzung von anderen Regionen entstehe. Dies bestätigt auch, dass die Heimatverbundenheit und „Ortsloyaliät“ (Mattheier 1990: 74) für die Aufwertung von Dialekten von großer Importanz sind. Diese „Ortsloyalität“ (Mattheier 1990: 74) ist nicht nur bezüglich der ländlichen Regionen vorhanden, auch in der Stadt lebende Menschen sind, häufig nur im Falle der Geburtsstadt, mit ihrem Wohnort sehr verbunden (Mattheier 1990: 74).
3. Sprachgeschichte Berlins
Die historische Entwicklung der Stadtsprache Berlins hat ihren Ursprung in der „Herrschaft des Niederdeutschen in der gesprochenen Sprache und überwiegend auch in der Schriftsprache“ (Schönfeld 1997: 310). Diese Dominanz des Niederdeutschen reicht bis zur „Ablösung des Niederdeutschen in der Schriftsprache“ (Schönfeld 1997: 310) um 1500 durch das Berlinische. Diese „lokale Berliner Sprachvarietät“ (Schönfeld 1997: 310) war eine „Mischung aus niederdeutschem Dialekt, hochdeutscher Schriftsprache und obersächsischer Umgangssprache“ (Schönfeld 1997: 311). Diese Variante des Berlinischen wandelte sich permanent hinsichtlich der Struktur, sodass es zur „Aufnahme und Aufgabe regionaler Elemente der Sprache“ (Schönfeld 1997: 311) kam. Aufgrund der nach Berlin geflüchteten Hugenotten kam es zu zahlreichen französischen Einflüssen auf das Berlinische, von denen auch im heutigen Sprachbild noch zahlreiche vorhanden sind (Butz 1988: 20). Beispiele hierfür sind die Wörter Boulette, Kinkerlitzchen und Botten (Schmidt 21992: 154). Ferner wurden Wörter aus dem „Jiddischen und der Gaunersprache“ (Schönfeld 1997: 311) entlehnt, jedoch sind diese im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr stark frequentiert. Neben der Entlehnung aus anderen Sprachen entwickelte sich das Berlinische zu Beginn des 18. Jahrhunderts zur Sprache der oberen Gesellschaftsschichten, das Niederdeutsche hingegen war für gewöhnlich die Sprache der unteren Gesellschaftsschichten. Diese Entwicklung änderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts; so kam es seitens der oberen Gesellschaftsschichten zu einer Anpassung der Schriftsprache durch das Hochdeutsche (Schönfeld 1997: 311).
Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts verbreitete sich das Berlinische über die Grenzen des historischen Stadtkerns hinaus, sodass auch die Vorstädte und kleineren Orte diese Sprache partiell übernahmen. Diese Suburbanisierung des Berlinischen ist vor allem durch die zunehmende Industrialisierung und dem damit eng verbundenen Bevölkerungsanstieg zu begründen (Schönfeld 1997: 311). Es ist an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass die Tendenz der Entwicklung des Berlinischen im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht analog mit der des frühen 19. Jahrhunderts verfährt; das Bildungsbürgertum unterließ die Verwendung des Berlinischen, das Besitzbürgertum verhielt sich identisch. Infolgedessen kehrte sich die Sprechereinstellung um, sodass am Ende desselben Jahrhunderts die oberen Gesellschaftsschichten Hochdeutsch sprachen, die unteren Schichten hingegen das Berlinische verwendeten (Schönfeld 1997: 312).
In der Zeit des geteilten Berlins entwickelten sich unabhängig voneinander zwei Varianten des Berlinischen. Diese unterschiedliche Entwicklung kann mit der isolierten Lage Westberlins sowie mit den unterschiedlichen Staatssystemen begründet werden. Nach der Wiedervereinigung der BRD und der DDR kam es zu zahlreichen „Verständigungsschwierigkeiten und Mißverständnissen“ (Schönfeld 1997: 312) zwischen den Bewohnern der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und denen Westberlins. Die sprachlichen Differenzen, insbesondere lexikalische Unterschiede, wurden schnell deutlich. Als Beispiel für lexikalische Unterschiede zwischen dem ehemaligen Ost- und Westberlin seien hier die Beispiele Zulassung/KFZ-Schein, Polylux/Overheadprojektor und ablichten/kopieren genannt. Die Bezeichnungen aus dem ehemaligen Westberlin wurden häufig von den Bewohnern des ehemaligen Ostberlins übernommen; dies wird vor allem bei der „Übernahme von Westberliner Geschäftsbezeichnungen durch Ostberliner Geschäftsleute“ (Schönfeld 1997: 314) deutlich. So übernahm man Bezeichnungen wie Coiffeur und Küchenstudio aus dem Westteil der Stadt (Schönfeld 1997: 314).
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