Wie ist es möglich einen Text zu verstehen; besonders, wenn sein Witz oder andere seiner Funktionen mit Doppeldeutigkeiten und Metaphern arbeiten?
Dafür muss zunächst erkannt werden, dass sich die implizite Botschaft des Textes, die sich mit einer Pointe oder einer moralischen Anweisung oder ähnlichem äußert, aus einzelnen bedeutungstragenden Teilen zusammensetzt. „Jedes Textverstehen basiert auf dem Erfassen von semantischen Textzusammenhängen. Die semantische Ganzheit von Texten ist in sich strukturiert.“ (Wolfgang Heinemann)
Die vorliegende Arbeit widmet sich einer solcher Möglichkeiten einen Text zu strukturieren – dem Isotopie-Konzept.
Da die Methode der Isotopien die Zusammenhänge eines gesamtes Textes beleuchten kann, wird es auch literaturwissenschaftlich genutzt. In der folgenden Arbeit soll es aber nur um den sprachwissenschaftlichen Aspekt des Isotopie-Konzeptes gehen. Daher wird auch eine Interpretation der Isotopieketten und weiterer Erkenntnisse der Untersuchung ausbleiben. Als Textvorlage, an dem das Konzept der Isotopien verdeutlicht werden soll, dient die Kurzgeschichte Wenn die Haifische Menschen wären von Bertolt Brecht.
Inhaltsverzeichnis
Beispieltext
Wenn die Haifische Menschen wären von Bertolt Brecht
Einleitung
1 Das Isotopie-Konzept
2. Die Isotopie
3. Klassem, Lexem, Semem, Sem
4. Isotopien in der Kurzgeschichte
Schluss
Literaturverzeichnis
Wenn die Haifische Menschen wären (Bertolt Brecht)
„Wenn die Haifische Menschen wären“, fragte Herr K. die kleine Tochter seiner Wirtin, „wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?“ „Sicher“, sagte er. „Wenn die Haifische Menschen wäre, würden sie im Meer für die kleinen Fische gewaltige Kästen bauen lassen, mit allerhand Nahrung drin, sowohl Pflanzen als auch Tierzeug. Sie würden sorgen, dass die Kästen immer frisches Wasser hätten, und sie würden überhaupt allerhand sanitäre Maßnahmen treffen. Wenn zum Beispiel ein Fischlein sich die Flosse verletzen würde, dann würde ihm sogleich ein Verband gemacht, damit es den Haifischen nicht wegstürbe vor der Zeit. Damit die Fischlein nicht trübsinnig würden, gäbe es ab und zu große Wasserfeste; denn lustige Fischlein schmecken besser als trübsinnige. Es gäbe natürlich auch Schulen in den großen Kästen. In diesen Schulen würden die Fischlein lernen, wie man in den Rachen der Haifische schwimmt. Sie würden zum Beispiel Geographie brauchen, damit sie die großen Haifische, die faul irgendwo liegen, finden könnten. Die Hauptsache wäre natürlich die moralische Ausbildung der Fischlein. Sie würden unterrichtet werden, dass es das Größte und Schönste sei, wenn ein Fischlein sich freudig aufopfert, und dass sie alle an die Haifische glauben müssten, vor allem, wenn sie sagten, sie würden für ein schöne Zukunft sorgen. Man würde den Fischlein beibringen, dass diese Zukunft nur gesichert sei, wenn sie Gehorsam lernten. Vor allen niedrigen, materialistischen, egoistischen und marxistischen Neigungen müssten sich die Fischlein hüten und es sofort den Haifischen melden, wenn eines von ihnen solche Neigungen verriete. Wenn die Haifische Menschen wären, würden sie natürlich auch untereinander Kriege führen, um fremde Fischkästen und fremde Fischlein zu erobern. Die Kriege würden sie von ihren eigenen Fischlein führen lassen. Sie würden die Fischlein lehren, dass zwischen ihnen und den Fischlein der anderen Haifische ein riesiger Unterschied bestehe. Die Fischlein, würden sie verkünden, sind bekanntlich stumm, aber sie schweigen in ganz verschiedenen Sprachen und können einander daher unmöglich verstehen. Jedem Fischlein, das im Krieg ein paar andere Fischlein, feindliche, in anderer Sprache schweigende Fischlein tötete, würden sie einen kleinen Orden aus Seetang anheften und den Titel Held verleihen. Wenn die Haifische Menschen wären, gäbe es bei ihnen natürlich auch eine Kunst. Es gäbe schöne Bilder, auf denen die Zähne der Haifische in prächtigen Farben, ihre Rachen als reine Lustgärten, in denen es sich prächtig tummeln lässt, dargestellt wären. Die Theater auf dem Meeresgrund würden zeigen, wie heldenmütige Fischlein begeistert in die Haifischrachen schwimmen, und die Musik wäre so schön, dass die Fischlein unter ihren Klängen, die Kapelle voran, träumerisch, und in allerangenehmste Gedanken eingelullt, in die Haifischrachen strömten. Auch eine Religion gäbe es ja, wenn die Haifische Menschen wären. Sie würde lehren, dass die Fischlein erst im Bauch der Haifische richtig zu leben begännen. Übrigens würde es auch aufhören, wenn die Haifische Menschen wären, dass alle Fischlein, wie es jetzt ist, gleich sind. Einige von ihnen würden Ämter bekommen und über die anderen gesetzt werden. Die ein wenig größeren dürften sogar die kleineren auffressen. Das wäre für die Haifische nur angenehm, da sie dann selber öfter größere Brocken zu fressen bekämen. Und die größeren, Posten habenden Fischlein würden für die Ordnung unter den Fischlein sorgen, Lehrer, Offiziere, Ingenieure im Kastenbau und so weiter werden. Kurz, es gäbe überhaupt erst eine Kultur im Meer, wenn die Haifische Menschen wären.“[1]
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[1] entnommen aus Erdmut Wizisla(Hrsg.): Bertolt Brecht – Geschichten vom Herrn Keuner. Zürcher Fassung.. Frankfurt am Main 2004, S.38-40