Das Strafvollzugsgesetz besagt, dass den Insassen des Strafvollzugs Freizeitbeschäftigungen ermöglicht werden müssen (vgl. §67 StVollzG). Diese sollten entsprechend dem Ziel einer nachhaltigen Resozialisierung (vgl. §2 StVollzG) möglichst so gestaltet sein, dass sie den „schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges [...] entgegenwirken“ und helfen, „sich in das Leben in Freiheit einzugliedern“ (§3 StVollzG). Diese Arbeit behandelt die therapeutischen Möglichkeiten künstlerischer Tätigkeiten im Strafvollzug, wie sie bereits ihren Einsatz in psychiatrischen Institutionen und einigen Haftanstalten finden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Einbettung des Nachhaltigkeitsbegriffes
2.1 Nachhaltigkeit im Begriff des Freiheitsentzuges
2.2 Kunst im nachhaltigen Kontext
3 Bondys und Herrmanns „Erziehung zur Freude“
4 Das Ästhetische: Umsetzung und Bedeutung
5 Votum
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Strafvollzugsgesetz besagt, dass den Insassen des Strafvollzugs Freizeitbeschäftigungen ermöglicht werden müssen (vgl. §67 StVollzG). Diese sollten entsprechend dem Ziel einer nachhaltigen Resozialisierung (vgl. §2 StVollzG) möglichst so gestaltet sein, dass sie den „schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges [...] entgegenwirken“ und helfen, „sich in das Leben in Freiheit einzugliedern“ (§3 StVollzG). Diese Arbeit behandelt die therapeutischen Möglichkeiten künstlerischer Tätigkeiten im Strafvollzug, wie sie bereits ihren Einsatz in psychiatrischen Institutionen und einigen Haftanstalten finden. Das Ziel dieser Kunstkonzepte ist im Prinzip dasselbe: Die Betroffenen sollen „Zukunftsfähig“ werden (Bih 2009, S.l). In Bezug auf eine Inhaftierung ist damit eine „Zukunftsverantwortung“ gemeint, welche auf ein „Leben in Freiheit ohne Straftaten und in sozialer Teilhabe“ gerichtet ist (ebd.).
Die Frage nach den notwendigen Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung und somit nach einer gewissen
„Verantwortungsethik“ ist bestimmt durch drei Grundannahmen (ebd., S.55):
1. „Die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt,
2. die Verantwortung des Menschen für seine soziale Mitwelt und
3. die Verantwortung des Menschen für sich selbst“ (ebd.).
Da das Wort „Verantwortung“ kein explizites Sollen darstellt, sondern eher ein moralisches Wollen gemäß der Bezeichnung „des Menschen als Vernunftwesen“ (ebd., S.56), entstehen (nachhaltige) Handlungen grundsätzlich aus der Freiheit zur Verantwortung heraus (vgl. Michelsen 2008, S.56). Diese Annahme der Handlungsfreiheit steht im Konflikt mit Aspekten einer totalen Institution wie dem Strafvollzug. Straffällige* müssen sich unter Berücksichtigung ihrer Grundrechte, von denen „Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 (körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person) und Artikel 10 Abs. 1 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) [...] eingeschränkt“ sind (Schwind et al. 2009, S.1199), nach den Regeln und Anforderungen der Haftinstitution richten. Ihnen wird „die Verantwortung für sich selbst genommen“, was dazu führt, dass sie die Fähigkeit verlieren, „auf Unvorhergesehenes situationsadäquat zu reagieren; statt Initiative zu ergreifen“ (Klemm 2003, S.78), also eine eigene Zukunftsverantwortung zu entwickeln.
Der Versuch, ein fundiertes nachhaltiges Konzept für den Strafvollzug zu schaffen, hatte seine Grundlegung bereits 1921/22 durch Curt Bondy und Walter Hermann in Hahnöfersand (vgl. Wagner 2009, S.121). Mithilfe sozialpädagogischer Vorgehensweisen wollten sie eine „Selbstdisziplinierung der Jugendlichen“ (ebd.) erreichen. Statt bloßer Freiheitsberaubung durch Inhaftierung und Drill, konzentrierten Bondy und Hermann sich auf eine „Selbsteinsicht“ durch „Selbstverwaltung“ und Erziehung „zur Mitarbeit“ (ebd., S.122). Dieser Gedanke der „Selbstbestimmung“ findet sich knapp neunzig Jahre später in der ersten der „substanziellen Nachhaltigkeitsregeln“ wieder (Michelsen 2008, S.74). In dieser heißt es, dass die „Sicherung der menschlichen Existenz [...] auf ein selbstbestimmtes Leben [zielt]“ (ebd.).
Auch in der bildenden Kunst spielt seit dem zwanzigsten Jahrhundert die Selbstbestimmung eine wichtige Rolle. Künstler wie Marcel Duchamp, der die Kunstrichtung der Readymades schuf, zeigten, dass der Kunst keine Grenzen gesetzt werden können. Jeder Mensch hat die Mittel, selbst über den Kunstcharakter eines Werkes zu entscheiden, also den Ausdruck und das Ästhetische einer Arbeit anzuerkennen beziehungsweise sich selbst künstlerisch zu verwirklichen. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen künstlerische Tätigkeiten auf die nachhaltige Resozialisierung Inhaftierter haben können. Es wird von der These ausgegangen, dass die bildende Kunst im Strafvollzug Möglichkeiten bietet, selbstbestimmt zu handeln und damit zu einem positiven Entwicklungsverlauf während der Inhaftierung beiträgt. Hierzu wird auf Grundlage des Begriffes der Selbstbestimmung, die Bedeutung der bildenden Kunst im Strafvollzug untersucht. Dabei wird der Begriff der künstlerischen Ästhetik zuerst in den Rahmen der nachhaltigen Entwicklung eingeordnet. Desweiteren soll erklärt werden, warum Kunst so entscheidend für die Entwicklung der Delinquenten sein kann, wobei aufgegriffen wird, wie bereits Bondy und Hermann Ästhetik in ihr Konzept integrierten. Ziel soll dabei vorerst nicht der Entwurf eines Konzeptplans für die Haftanstalten sein, sondern eine grundsätzliche Klärung der Frage, welchen Stellenwert Kunst im Strafvollzug als nachhaltige Behandlungsmethode hat. Anhand dessen werden Handlungsempfehlungen gegeben und Forschungslücken dieser Thematik aufgezeigt.
2 Die Einbettung des Nachhaltigkeitsbegriffes
Michelsen unterscheidet für die nachhaltige Entwicklung die ökonomische, ökologische, soziale und die kulturelle Dimension (vgl. Michelsen 2008, S.60). Die Kategorien lassen sich zwar begrifflich voneinander trennen, stehen aber in einer Wechselwirkung zueinander, was dazu fuhrt, dass ein Kommentar zu nur einer Dimension häufig schwer fallt und sich schnell in Gedanken zu den Prioritäten der Einzelnen oder auch den Konflikten untereinander verlieren (vgl. ebd., S.62ff). Aufgrund dessen wird damit begonnen, den Entzug der Freiheit durch Inhaftierung allgemein in den Zusammenhang der Nachhaltigkeit einzuordnen ohne auf die einzelnen Dimensionen Bezug zu nehmen. Im Anschluss soll auch der Platz der bildenden Kunst in der nachhaltigen Entwicklung dargestellt werden.
2.1 Nachhaltigkeit im Begriff des Freiheitsentzuges
Obwohl Nachhaltigkeit auf eine „Verantwortung des Menschen“ baut, weiß sie um seine „Bestimmung als Wesen der Freiheit“ (ebd., S.56). Jeder Mensch hat „das Recht [...] auf Selbstbestimmung und freie Erfahrung der Persönlichkeit“ (ebd.). Doch begrenzt der Begriff der Nachhaltigkeit dieses individuelle Selbst durch seine Aufgabe der Verantwortung. Nicht nur fur sich, sondern gemäß den „drei ethischen Bestimmungen einer nachhaltigen Entwicklung“ ebenso fur seine ökologische Umgebung wie auch „für seine soziale Mitwelt“ (ebd., S.55). Eine Vernachlässigung dieser Verantwortung scheint jedoch keinen Freiheitsentzug durch Inhaftierung zu rechtfertigen. Vielmehr Handlungen, die die „intragenerationelle“ und „intergenerationelle Gerechtigkeit“ (ebd., S.72) gefährden. Erstere bezeichnet die gegenwärtige, die zweite die zukünftige Generation (vgl. ebd.). Ziel ist es, beiden Generationen die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer „Grundbedürfnisse“ zu geben, wobei der „langfristige Erhalt“ (Michelsen 2008, S.72) der nutzbaren Welt im Mittelpunkt steht.
Nachhaltige Entwicklung stellt trotzdem keine Begründung für einen Freiheitsentzug dar, findet sich aber als Konzept im Jugendstrafvollzug. Denn Ziel ist es, dass der Inhaftierte „fähig“ wird, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“ (§ 2 StVollzG). Dieser Gedanke entspricht nicht nur der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit, sondern verdeutlicht auch, dass durch die Inhaftierung eine „soziale Wiedereingliederung“ (Laubenthal 2003, S.63) bewirkt wird, was wiederum den nachhaltigen Aspekt der „freien Erfahrung der Persönlichkeit“ (Michelsen 2008, S.56) widerspiegelt. Konkreter wird es vom Bundesverfassungsgericht formuliert:
„Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsspruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.“(BVerfGE 35, S.235)
Genau wie in Michelsens Nachhaltigkeitskonzept, ist der Begriff der Eigenverantwortung im Strafvollzug von zentraler Bedeutung (vgl. Michelsen 2008, S.56). Außerdem ist es wichtig, dass eine solche Freiheitsstrafe nicht nur eine kurzzeitige Veränderung in den Jugendlichen bewirken soll, sondern eine nachhaltige Wandlung im Verhalten und Denken zum Ziel hat. Nur durch die Konzentration auf eine adäquate „(Re-)Sozialisierung durch Behandlung“ (Laubenthal 2003, S.72) kann tatsächlich eine Veränderung bei den Inhaftierten erlangt werden, weswegen eine „bloße Verwahrung“ (ebd., S.62) keine Alternative darstellt.
[...]
* Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form benutzt, wobei darauf geachtet wurde, möglichst nur geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu formulieren. Es können dabei aber sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint sein.