Das Jahr 65 im Kaiserreich Rom, es regiert der Kaiser Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus. In diesem, bereits elften Jahr seiner Regierung sollte sich eine Gruppe von „Senatoren, Rittern, Soldaten und auch Frauen“1 bilden, die seiner Herrschaft ein jähes Ende bereiten will.
Denn schon seit längerer Zeit sind die Senatoren unzufrieden mit Nero. Zu ungebührlich sei sein Gebärden als Künstler, zu sehr leide die Staatspolitik unter den anderweitigen Interessen des Kaisers. Die Motive der Verschwörer sind unterschiedlich. Ein Motiv, so berichtet Tacitus, soll Neros Mord an seiner eigenen Mutter Agrippina sein. Wiederum andere wurden von Nero öffentlich gedemütigt oder ihre Werke als Schriftsteller und Künstler unterdrückt. Zudem waren aufgrund der Verschwendungssucht des Kaisers die Staatsfinanzen desolat, „Italien durch das Eintreiben der Geldmittel ausgeplündert, die Provinzen […] ruiniert.“2 Es kommen also einige Gründe zusammen, die die Römer zu dem Vorhaben gebracht haben mögen, sich ihres Kaisers zu entledigen.
Namensgeber des Komplotts wurde ein gewisser Caius Calpurnius Piso. Auf ihn soll in dieser Arbeit ein Schlaglicht geworfen werden. Welchen Charakter kann man dem Senator zuschreiben, der eine Mordkomplott besonderen Ausmaßes anzuführen schien? Welchen Platz nahm er im Kreise der Verschwörer ein? Inwiefern war er überhaupt verwickelt?
Während der Verschwörungshergang, das Narrativ immer wieder aufgenommen wird, soll diese Arbeit neben der Person Piso noch zwei weitere Schlaglichter werfen. Eines soll diese groß angelegte Verschwörung ausführlich in den zeitlichen Kontext einebnen und so ihre Ursachen in Bezug auf Nero darlegen. Das andere wird auf die diversen Beteiligten eingehen, ihre Hinter-gründe untersuchen und sie hinterfragen. Vor allem der strittige Fall Senecas soll hier Beachtung finden.
Inhalt
Einleitung
Nero im Jahr 65
Die Verschwörer
Piso
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Jahr 65 im Kaiserreich Rom, es regiert der Kaiser Nero Claudius Caesar Augustus Germa- nicus. In diesem, bereits elften Jahr seiner Regierung sollte sich eine Gruppe von „Senatoren, Rittern, Soldaten und auch Frauen“[1] bilden, die seiner Herrschaft ein jähes Ende bereiten will. Denn schon seit längerer Zeit sind die Senatoren unzufrieden mit Nero. Zu ungebührlich sei sein Gebärden als Künstler, zu sehr leide die Staatspolitik unter den anderweitigen Interessen des Kaisers. Die Motive der Verschwörer sind unterschiedlich. Ein Motiv, so berichtet Tacitus, soll Neros Mord an seiner eigenen Mutter Agrippina sein. Wiederum andere wurden von Nero öffentlich gedemütigt oder ihre Werke als Schriftsteller und Künstler unterdrückt. Zudem waren aufgrund der Verschwendungssucht des Kaisers die Staatsfinanzen desolat, „Italien durch das Eintreiben der Geldmittel ausgeplündert, die Provinzen [...] ruiniert.“[2] Es kommen also einige Gründe zusammen, die die Römer zu dem Vorhaben gebracht haben mögen, sich ihres Kaisers zu entledigen.
Namensgeber des Komplotts wurde ein gewisser Caius Calpurnius Piso. Auf ihn soll in dieser Arbeit ein Schlaglicht geworfen werden. Welchen Charakter kann man dem Senator zuschreiben, der eine Mordkomplott besonderen Ausmaßes anzuführen schien? Welchen Platz nahm er im Kreise der Verschwörer ein? Inwiefern war er überhaupt verwickelt?
Während der Verschwörungshergang, das Narrativ immer wieder aufgenommen wird, soll diese Arbeit neben der Person Piso noch zwei weitere Schlaglichter werfen. Eines soll diese groß angelegte Verschwörung ausführlich in den zeitlichen Kontext einebnen und so ihre Ursachen in Bezug auf Nero darlegen. Das andere wird auf die diversen Beteiligten eingehen, ihre Hintergründe untersuchen und sie hinterfragen. Vor allem der strittige Fall Senecas soll hier Beachtung finden.
1. Nero im Jahr 65
Dieser erste Teil soll die Situation in Rom und die Ereignisse im Umkreis Neros behandeln, die im Weiteren mit der Pisonischen Verschwörung zusammenhängen könnten.
Der römische Schriftsteller Sueton (um 70-122) teilt die Erzählungen seiner Kaiserbiografie in die guten und schlechten Taten Neros ein. Als Biograph mag Sueton von den Bewertungen seiner Zeit und seiner Standesgenossen beeinflusst sein, als Kanzleichef (ab epistulis) von Kaiser Hadrian hatte er allerdings direkten Zugang zu erstklassigen Quellen wie den kaiserlichen Ar- chiven[3] und den Protokollen des Senats. Demnach hätte Nero nach seinem Amtsantritt viele
Steuersenkungen und weitere finanzielle, sowie materielle Geschenke an Senatoren, Prätorianer und Bürger gemacht. Mit spektakulären Schauspielen und Wettkämpfen erwarb er sich große Beliebtheit beim Volk. Charakterlich wird ihm - zumindest zum Beginn seiner Regierung - ein regelrechter Widerwillen gegen die Unterzeichnung von Todesurteilen bescheinigt.[4] Weiterhin wird ihm eine große Aufmerksamkeit gegenüber den Senatoren einerseits und Bescheidenheit im Hinblick auf seine politischen Taten andererseits zugestanden.[5]
Diese Fähigkeit, die komplizierte Machtbalance zwischen Senat und Cäsar aufrechtzuhalten, war von fundamentaler Bedeutung für das frühe Kaisertum.[6] Augustus war Meister dieses doppelzüngigen Spiels. Er konnte erfolgreich als Alleinherrscher regieren, weil er dies stets so kommunizierte, als regiere nicht er, sondern der Senat. Er konnte erfolgreich Kaiser sein, weil er sich glaubhaft Anschein zu geben verstand, Republikaner zu sein. Wie Sueton berichtet, ließ Augustus seine Freunden am Totenbett applaudieren, weil er „das Schauspiel des Lebens gut gespielt“ habe.[7] Dem heroischen Tod des wahrhaft großen Schauspielers Augustus stellt Sueton den armseligen, von niemandem mit Applaus bedachten Abgang Neros gegenüber: „Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde!“[8].
Die Nachfolger des göttlichen Augustus auf dem Cäsarenthron wurden von den - durchweg der Aristokratie angehörenden - Geschichtsschreibern nach ihrem Geschick beurteilt, das „Spiel“ des Augustus fortzuführen und zu regieren, als regierten sie nicht.
In den ersten fünf Regierungsjahren scheint Nero dies aus ihrer Sicht weitgehend geglückt zu sein. Jedenfalls stimmen die drei antiken Autoren und auch Senecas Schrift „De Clementia“ in dieser Darstellung weitgehend überein. Der schon von seinen Zeitgenossen geprägte Begriff des „glücklichen ersten Jahrfünft Neros“ (felix quinquennium Neronis) ist somit gut bezeugt.[9] Einen Wendepunkt in der Beurteilung, aber auch im Agieren des Kaisers markiert wohl die Ermordung seiner Mutter Agrippina im Jahre 59. Diese Tat wurde von der römischen Bevölkerung unterschiedlich aufgenommen. Während Neros Freunde ihn einen Tag nach dem ausgeführten Verbrechen beglückwünschten - schließlich war Agrippina, die Enkelin des Tiberius, Schwester des Caligula und (mörderische) Ehefrau ihres Onkels Claudius, alles andere als ein unbeschriebenes Blatt - sollen andere Nero mit Schmähgedichten bedacht haben. Tacitus nennt den Mord sogar als direktes Motiv für den Verschwörer Faenius Rufus. Was allerdings wohl nur ein Gerücht des Offonius Tigellinus war, mit dem dieser Nero in Schrecken versetzte.[10] In jedem Fall sorgte die brutale und zugleich grotesk in Szene gesetzte Entledigung seiner einst einflussreichen Mutter für Unruhe in Rom.
So wertet Sueton den „Langmut“ Neros gegenüber den Spottversen als tadelhaften Charakterzug, der nicht einmal versucht, seine Untaten zu verbergen. Andererseits vermutet Sueton auch, dass Nero keine Strafverfolgung gewagt habe, um die Gemüter nicht noch weiter zu erregen. Somit kann davon ausgegangen werden, dass sich ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung bereits abgezeichnete.[11]
Nach dem glücklichen Jahrfünft beginnen die probra ac scelera, von denen Sueton nun berichtet. Als Laster werden zunächst das öffentliche Auftreten des Caesar als Schauspieler und Wagenlenker genannt. Dann finden Neros sexuelle und gewalttätige Vergehen an „freigeborenen Knaben“ und „verheirateten Frauen“ Erwähnung, sowie die Hochzeit mit dem „entmannten“ Sporus.[12] Ebenso wird von Neros dekadentem und verschwenderischem Lebensstil berichtet. Die Morde an seinen engsten Vertrauten und Familienmitgliedern bis hin zu seiner Mutter, sowie der tödliche Fußtritt gegen seine schwangere Frau Poppaea sind noch nicht der Gipfel seiner Verbrechen, Tabubrüche und Sakrilege. Die Brandstiftung von Rom wird ihm als letztem und übelstem Punkt in der dreigliedrig gesteigerten Erzählung zum Vorwurf gemacht.
Mit dem großen Brand Roms ist Neros Herrschaft nun schon ins Jahr 64 fortgeschritten, in dem die Wurzeln der Verschwörung liegen. Ob der Brand Roms direkt auslösend für die Pisonische Verschwörung war, bleibt unklar. Denn obwohl die drei Autoren übereinstimmend zumindest von einer vermuteten Schuld Neros berichten[13], werden im Zusammenhang mit der Verschwörung andere, allgemeinere Gründe genannt. Ein weiteres Indiz gegen den Brand von Rom als auslösendes Motiv liefert die Aussage von Subrius Flavius, der Nero bereits ermorden wollte, als dieser „in dem brennenden Palast bei Nacht ohne Wache hin und her lief“.[14] Diese kann allerdings auch so verstanden werden, dass Flavius die Situation im Nachhinein gern zum Mord genutzt hätte.
Tacitus und Cassius Dio nennen die Motive der Verschwörer. Bei Tacitus ist allerdings lediglich von „Haß gegen Nero“, und „Sympathie für Piso“[15] die Rede. Cassius Dio führt konkret Neros „unwürdiges Betragen, seine Zuchtlosigkeit und Grausamkeit“[16] an.
Besonders interessant sind die Hinweise von Cassius Dio[17] und Sueton, „einige [der Verschwörer] bekannten sich freiwillig zu dem Verbrechen, mehrere rühmten sich sogar der Teilnahme, indem sie sagten, man habe ihm, der durch Schandtaten aller Art gebrandmarkt sei, nicht anders helfen können, als durch den Tod.“[18] Marion Giebel verweist in einer Anmerkung zu dieser Textstelle, dass die Verschwörer sich hier offenbar auf Seneca berufen, der in seiner Schrift De beneficiis auf die Möglichkeit des Tyrannenmordes hingewiesen hatte: „Denn für so lche Menschen ist der Abschied vom Leben die einzige Heilung...“[19] Dies verleiht dem „Gerücht“ des Tacitus besonderes Gewicht, Seneca sei in die Verschwörung zumindest eingeweiht und nach der Beseitigung des Piso als Herrscher vorgesehen gewesen.[20]
Neros Situation im Jahre 65 kann in jedem Fall als äußerst zugespitzt bezeichnet werden. Das felix quinquennium, in dem Agrippina noch lange die Regierungsgeschäfte leitete und Nero unter dem Einfluss seines Erziehers Seneca, sowie des Präfekten Burrus stand, ist vorüber und der Unmut über sein Agieren wächst in der Bevölkerung und im Senat. Nicht zuletzt war dies wohl auch der Beweggrund des jungen Kaisers für den Mord an seiner Mutter, die „eine allzu scharfe Beobachterin und Kritikerin seiner Taten und Äußerungen“[21] war. Nach dieser Tat scheint es für den jungen Cäsar keine Grenzen und Tabus mehr zu geben, und er handelt noch zügelloser und tötet neben seiner Ehefrau Octavia noch etliche Verwandte und Angehörige der Aristokratie.
So kommt es also, ausgehend von den Reihen des Senats, zu dem bis dato größten Komplott in der Neronischen Amtszeit. Die identifizierbaren Motive sind zahlreich. Die zahllosen Demütigungen des Adels bis hin zu hemmungslosem Mord, dem Sakrileg des Muttermordes und der finanziellen Ausplünderung des Reiches genügen vollauf, um den „Haß gegen Nero“ zu erklären.
Ob aber das mörderische Gebaren des Nero seinerseits wiederum allein Ausdruck seines „Charakterfehlers“[22] ist und ob sie einen anderen Hintergrund haben, bleibt offen. Merkwürdig mutet jedenfalls an, dass der Kaiser sich ohne erkennbaren äußeren Grund innerhalb weniger Jahre von einem u.a. von Seneca, in seiner Lobschrift „De Clementia“, hochgelobten Ideal-Herrscher zu einem Tyrannen übelster Art gewandelt haben soll.
Der jüdisch-römische Historiker und Zeitgenosse Flavius Josephus jedenfalls beurteilt Nero weitaus zurückhaltender, lastet ihm zwar den Mord an seinem Bruder Britannicus und an seiner Mutter an und „ebenso tötete er auch seine Gattin Octavia sowie viele edle Römer unter dem Vorwand, sie hätten sich gegen ihn verschworen.“ Josephus rechnet aber mit den Historiographen seiner Zeit ab: „Denn Neros Geschichte haben viele geschri eben, von denen die einen aus Dankbarkeit für seine Gunstbezeugungen die Wahrheit absichtlich verschleierten, die anderen aber aus Hass und Feindseligkeit ihn derart mit Lügen verfolgten, dass sie dafür volle Verach- tung verdienen.“[23] Josephus stand dem flavianischen Kaiserhaus (Vespasian, Titus, Domitian) nahe, dessen Namen er auch tragen durfte, und hatte wohl kaum Grund, Neros Taten in besonderer Weise zu beschönigen.
[...]
[1] Tac. ann. XV 48.
[2] Tac. ann. XV 45.
[3] vgl. seine Angabe, er selbst habe „Schreibtafeln und Hefte“ Neros in den Händen gehabt, Suet. Nero 52,1.
[4] Schon früh mit einem erkennbaren Hang zum Theatralischen: „O hätte ich doch nie Schreiben gelernt!“ (Seneca, De clementia II 1,2).
[5] Suet. Nero 10.
[6] Ausführlich bei Winterling, Aloys: Caligula, München 2003.
[7] Suet. Augustus 99.
[8] Suet. Nero 49.
[9] Giebel, Marion (Übers. und Hrsg.): Sueton: Nero. Stuttgart 1978., Nachwort S. 133.
[10] Tac. ann. XV 50.
[11] Suet. Nero 39,1-3.
[12] Suet. Nero 28,1.
[13] Während Tacitus Neros Schuld offen lässt, haben Sueton und Cassius Dio keine Zweifel an der gezielten Brandstiftung auf Befehl des Kaisers.
[14] Tac. ann. XV 50.
[15] Tac. ann. XV 48.
[16] Cass. Dio 62,24,1.
[17] Cass. Dio 62,24,1-2.
[18] Suet. Nero 36,2.
[19] Giebel, Marion (Übers. und Hrsg.): Sueton: Nero. Stuttgart 1978., Anmerkungen S. 116.
[20] Tac. ann. 65.
[21] Suet. Nero 34,1.
[22] Suet. Nero 26,1.
[23] Jos. jüd. Altertümer 20,8,2.