Die Arbeit behandelt die Frage nach der Legitimität des Ansatzes des Philosophierens mit Kindern und stellt Erwägungen zur didaktischen Eignung neutestamentlicher Gleichnisse im Vergleich zu den bereits im Unterricht eingesetzten Märchen und Fabelerzählungen an.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Legitimität des Philosophierens mit Kindern
a) Theoretische Grundlegung
b) Diverse Stimmen für das Philosophieren
in der Primarstufe
c) Zusammenfassung
III. Philosophieren mit Märchen und Fabeln
IV. Mit Gleichnissen Philosophieren
Gleichnisse als Metaphern
V. Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang
I. Einleitung
Philosophieren können alle! Diese Aussage würde wohl nicht jeder auf Anhieb unter- streichen wollen. Zu vielschichtig sind die Versuche einer konsensfähigen Definition des Begriffs „Philosophieunterricht“ und umso schwieriger wird dies, sobald ein didak- tisches Konzept für Grundschulkinder zur Debatte steht, das nach einem gut begründe- ten, nicht leichtfertig zu formulierenden Fundament fragt, ohne das es sich nicht auf Dauer in einer auf evaluierbare und ökonomische Bildungsprinzipien ausgerichteten Gesellschaft behaupten kann. Daher ist es sinnvoll zunächst einen genauen Blick auf theoretische Legitimierungsbemühungen des Konzeptes „Philosophieren mit Kindern“ zu werfen, um sich ein adäquates Bild von dem propagierten Wert dieses Vorhabens zu machen, bevor praktisch-didaktische Zugänge zu diesem Thema erörtert werden kön- nen. Dies soll im ersten Teil der vorliegenden Arbeit geleistet werden.
In der zweiten Hälfte der vorliegenden Arbeit soll zudem das philosophische Potential der neutestamentlichen Gleichniserzählungen auf seine materielle Eignung für das Philosophieren mit Kindern untersucht werden. Hierfür sollen zuerst die didak- tischen Ansätze des Philosophierens mit Kindern mittels Märchen und Fabeln darge- stellt werden. Im Anschluss daran erfolgt dann ein Vergleich dieser beiden Ansätze mit den Gleichnissen, wobei von der Bedeutung des metaphorischen Philosophierens ausge- gangen wird. Dem Umfang dieser Arbeit entsprechend sollen dabei kurze Textanalysen exemplarisch ausgewählter Texte den Praxisbezug besser vor Augen führen.
Der Frage also, ob und wenn ja, inwiefern sich die neutestamentlichen Parabeln für das Philosophieren mit Kindern in der Grundschule als ein die philosophische Kom- petenz förderndes Medium einsetzen lassen, soll im zweiten Abschnitt der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Kommentare zu didaktischen Erwägungen werden dabei nicht in einem extra Kapitel behandelt sondern vermittelnd an gegebener Stelle in den Text eingewoben.
II. Legitimität des Philosophierens mit Kindern
a) Theoretische Grundlegung
Susanne NORDHOFEN erörtert in ihrem Aufsatz „Philosophieren mit Kindern, Bausteine für eine theoretische Grundlegung“ relevante Probleme, die bei einer philosophischen Legitimierung des Philosophierens mit Kindern aufkommen können. Im Folgenden soll ihr Entwurf die Grundlage der Diskussion bilden.
Zusammenfassend könnte die Grundthese NORDHOFENs wie folgt lauten: Die grundsätzlich vorhandene Kompetenz philosophischen Fragens von Kindern, im Sinne einer in Alltag und Lebenswelt verwurzelten Neugier und des daraus resultierenden Versuchs hermeneutische Erschütterungen zu verarbeiten, um dadurch neuen Erkennt- nisgewinn zu erlangen und die eigene Welt immer besser deuten zu können, ist für sie unter der Bedingung medial-kommunikativer Flexibilität im Unterrichtsgeschehen ein zu fördernder Bildungsgegenstand, der auch schon im Lernprozess der Grundschule fruchtbar gemacht werden kann.
Es ist nun zu prüfen, ob diese These einer näheren Betrachtung standhält. Ist es überhaupt legitim den Begriff „Philosophie“ für ein solches Vorhaben zu verwenden, oder wäre nicht doch ein anderer Begriff angemessener, wie etwa „Pädosophie“? Im Vergleich zwischen kindlicher und philosophischer Rationalität liegt, laut NORDHOFEN, eine für die Beantwortung dieser Frage bedeutende Gemeinsamkeit verborgen, die sich eben von diesem Fragen „ad infinitum nach prinzipiellen Letztbegründungen“ einerseits und dem „Versuch eines systematischen Entwurfs, mit dessen Hilfe man Deutungen darüber gewinnt, was die Welt im Innersten zusammenhält“ andererseits ableiten lässt.1
Auch Kinder fragen mit großer Neugier nach letztbegründenden Antworten auf Lebensprobleme, die bei näherem Hinschauen den Grundproblemen der Philosophie ähneln, wenn sie auch normalerweise nicht sagen können, dass es sich um ein solches handelt. Aber ist es wirklich hinreichend vom Philosophieren der Kinder zu reden, wenn man sich allein auf den Ursprung des Philosophierens stellen kann, nämlich der Be- schäftigung mit Warum-Fragen. Es bleibt zu prüfen, ob diese Gemeinsamkeit von Kin- dern und Philosophen im Denk- bzw. Fragemodus für eine philosophische Begründung des Philosophierens mit Kindern von innen heraus ausreicht.
Die Kritik setzt bei der fragwürdigen Äquivalenz von kindlicher und philosophi- scher Wirklichkeitswahrnehmung und deren geistiger Verarbeitung an. Gegen diese
These der Gleichwertigkeit von kindlicher und philosophischer Rationalität lassen sich im Wesentlichen drei Einwände anführen, die NORDHOFEN als Seriositäts-, Sprach- und entwicklungspsychologisches Argument, bezeichnet. Das Seriositätsargument stützt sich auf die unabdingbare Forderung nach einem umfassenden Studium philosophischer Tra- dition (inkl. dessen Forschungsgeschichte), und den damit verbundenen methodischen Voraussetzungen, wie z.B. dem Erwerb von Sprachkenntnissen (Graecum, Latinum) zur philologischen Arbeit an den Urtexten, sofern von wahrer Philosophie gesprochen wer- den dürfe.
Da es sich jedoch bei diesem Einwand um ein stark textbezogenes Verständnis von Philosophie handele, die zu behandelnden Texte noch dazu hoch philosophischer Natur sein sollten, fiele das Philosophieren mit Kindern heraus, so dass man nicht von
„Philosophieren“ sprechen könne. Kinder, so die Argumentation, seien offensichtlich noch nicht in der Lage philosophische Texte in zulänglicher Weise zu analysieren und zu reproduzieren, was konsequenterweise eine so verstandene philosophische Beschäf- tigung der Kinder sinnlos erscheinen ließe. Diese Definition degradiert jedoch, so NORD- HOFEN, nicht nur das Philosophieren mit Kindern in der Grundschule, sondern auch den Philosophieunterricht der Oberstufe, da auch hier die geforderte Grundlage nicht aufgeboten werden könne.2
Eng mit diesem Kritikpunkt verbunden und m.E. in der Tat ernst zu nehmen ist das Sprachargument. Da Kinder über ein unzulängliches hermeneutisches Grundvermö- gen verfügten, was zugleich aber für die Teilnahme an einem philosophischen Diskurs konstitutiv sei, besäße das Philosophieren mit Kindern eine, verglichen mit der Philoso- phie und der Schulphilosophie, geringere Wertigkeit. „Dementsprechend konzentrieren sich […] viele Kinderphilosophen eher auf die methodischen Konsequenzen, die sich aus dem altersspezifischen Vermögen der Kinder ergeben.“3Diesen Ansatz sucht NORD- HOFEN allerdings aufgrund seines praktisch-methodischen Inhalts, der für eine theoreti- sche Grundlegung zunächst nebensächlich ist, nicht weiter zu verfolgen. Es solle zuerst nicht darum gehen die defizitäre Distanz der kindlichen Sprachkompetenz zur fach- wissenschaftlichen Eloquenz methodisch zu überbrücken, sondern darum den Wert der kindlichen „Denkkeime“ auszumachen und ein evtl. dann folgendes didaktisches Auf- greifen dieses Sachverhaltes zu begründen.
Das kindliche Sprachproblem stellt für NORDHOFEN lediglich einen „Spezialfall eines erkenntnistheoretischen Grundproblems dar.“4Demnach liege mit der Valenz der
Sprache kein die Wirklichkeit ganz ausfüllendes Phänomen oder Instrument vor, so dass die Realität mit dem Werkzeug des Verbalismus nicht völlig erfasst werden könne. Am Begriff der „Symbolischen Formen“ von Cassirer wird dieses Grundproblem noch deut- licher, dadurch dass hier der Verbalismus neben die non-verbalen Ausdrucksformen auf eine Ebene der Rationalität gestellt wird. Dementsprechend seien diese Ausdrucksfor- men der spezifischen, die Wirklichkeit bzw. Wahrnehmung formenden Prinzipien (wie sie bspw. in Kunst, Religion, Mathematik etc. auftreten) zwar verschieden, aber den- noch gleichwertig. Kristina CALVERT äußert sich zu dieser Theorie wie folgt: „Am Be- griff der Symbolischen Transformation soll gezeigt werden, dass der Mensch als ein symbolbildendes Wesen interpretiert werden kann, welches sich ein durch Zeichen ver- mitteltes (Symbol-) Bild von der Welt macht.“5Es scheint daher möglich, dass auch non-verbale Expressionssysteme für philosophische Betrachtung nutzbar gemacht wer- den können.
Cassirers Schülerin Susanne LANGER führt die Theorie ihres Lehrers fort und entwickelt u.a. den Begriff der „Präsentativen Symbole“. Hierunter sind spezielle Aus- drucksformen zu verstehen, die anders als das diskursive Symbol der Sprache Sinn ver- mitteln, indem sie einen Sachverhalt auf verschiedenste Art und Weise darstellen (bspw. durch ein Kunstwerk). Daneben steht das sogenannte „Realsymbol“ als dritte Aus- drucksform, das zwei verschiedene doch eng miteinander verbundene Wirklichkeitsge- halte in sich birgt. So besitzt beispielsweise das Realsymbol „Kreuz“ die empirisch- verifizierbare Beschaffenheit des Materials oder Stoffs (Holz, Gold, etc.), aus dem es gemacht ist, verweist aber zugleich durch seine geschichtsträchtige Repräsentation eines Sachverhaltes auf einen kognitiv-kulturellen Metabereich. Es könnte also bspw. für den Sühnetod Jesu Christi stehen, oder auch für die Kreuzzüge usw..
So stellt der Verbalismus nur eine spezielle Ausdrucksform unter mehreren dar, die ihrem Ursprung nach alle aus derselben Quelle entspringen, nämlich dem die Wirk- lichkeit formenden, menschlichen Geist. Sie besitzen deswegen auch rational-philoso- phische Qualität.
Zwischenbilanz
NORDHOFEN gelingt es m.E. gut das Gewicht des Seriositätsarguments mit der Abschwä- chung des Spracharguments zu reduzieren. Auch wenn sicherlich einzuräumen bleibt, dass die Qualität von kindlicher Sprache und Reflexionsfähigkeit im eigenen Umgang mit und im Diskurs über philosophische Grundfragen entwicklungspsychologisch
[...]
1 NORDHOFEN: Philosophieren mit Kindern, 1994, S.36.
2Vgl. a.a.O., S.36.
3A.a.O., S.37.
4A.a.O., S.39.
5CALVERT: Mit Metaphern philosophieren, 2000, S.62.