Vertikalisierung ist das Schlagwort, das die Strukturen zwischen Herstellern und
Händlern in den letzten Jahren maßgeblich verändert hat und diese auch in Zukunft weiter beeinflussen wird. Vertikalisierte Unternehmen wie Zara, H&M, Ikea oder Gerry Weber sind die Gewinner unter Herstellern und Händlern, da sie durch vertikalisierte Wertschöpfungsprozesse beides in einem vereinen und damit Power-Retailer verkörpern, die nicht darauf warten, was passiert, sondern (pro-)aktiv ins Marktgeschehen eingreifen (Eggert 2006: 42).
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffliche Grundlagen zum vertikalen Marketing
2.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs vertikales Marketing
2.2 Ausprägungen vertikaler Marketingsysteme
2.3 Ziele des vertikalen Marketing
3 Vertikalisten - Hersteller und Händler zugleich
3.1 Definition und Konzepte der Vertikalisierung
3.2 Entstehungsgründe und Vorteile der Vertikalisten
3.3 Erfolgsfaktoren von Vertikalisten
4 Vertikalisierung am Beispiel der Textilbranche
4.1 Entwicklungen, Trends und Besonderheiten der Vertikalisierung in der Textilbranche
4.2 Fallbeispiele: Zara und Gerry Weber- wie aus Herstellern erfolgreiche Händler werden
5 Implikationen für Hersteller und Händler
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Arten von vertikalen Marketingsystemen
Abb. 2: Unterscheidung von vertikalen Prozessen
Abb. 3: Effizienzvorteile von vertikalisierten Unternehmen
Abb. 4: Kennzeichen der neuen vertikalen Konzepte
Abb. 5: Die strategischen Pole Discount, Erlebnis und Convenience
Abb. 6: Optimierung der Geschäftsprozesse durch Vertikalisierung
Abb. 7: Push-Konzept für modische Waren
Abb. 8: Pull-Konzept für Basics
Abb. 9: Schlüsselelemente des Geschäftsmodells von Zara
1 Einleitung
Vertikalisierung ist das Schlagwort, das die Strukturen zwischen Herstellern und Händlern in den letzten Jahren maßgeblich verändert hat und diese auch in Zukunft weiter beeinflussen wird. Vertikalisierte Unternehmen wie Zara, H&M, Ikea oder Gerry Weber sind die Gewinner unter Herstellern und Händlern, da sie durch vertikalisierte Wertschöpfungsprozesse beides in einem vereinen und damit Power-Retailer verkörpern, die nicht darauf warten, was passiert, sondern (pro-)aktiv ins Marktgeschehen eingreifen (Eggert 2006: 42).
Ziel dieser Arbeit ist es, den vertikalen Marketingansatz zu betrachten, indem Ent- wicklungen in der Beziehung zwischen Herstellern und Händlern aufgezeigt und Konzepte sowie erfolgreiche Beispiele von vertikalisierten Unternehmen beleuchtet werden. Letztlich soll die Frage geklärt werden, was den Erfolg solcher vertikalisier- ten Unternehmen ausmacht. Davon ausgehend werden Handlungsempfehlungen für Hersteller und Händler abgeleitet. Dafür werden zunächst grundlegende Begriffe des vertikalen Marketings wie seine Definition, verschiedene vertikale Marketingsyste- me und Ziele erklärt. Im dritten Kapitel liegt der Fokus auf vertikalisierten Unter- nehmen, welche Konzepte es gibt, warum sie entstanden sind und welche Faktoren ihren Erfolg ausmachen. Im Anschluss daran wird das Vertikalisierungskonzept an- hand von den zwei Erfolgsbeispielen - Zara und Gerry Weber - aus der Textil- und Bekleidung, die gleichzeitig eine Vorreiterrolle in diesem Feld einnimmt, veran- schaulicht. Bevor die Arbeit mit einem Fazit und Ausblick endet, werden im fünften Kapitel Implikationen für Hersteller und Händler abgeleitet.
2 Begriffliche Grundlagen zum vertikalen Marketing
2.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs vertikales Marketing
In diesem Abschnitt soll geklärt werden, was genau unter vertikalem Marketing zu verstehen ist, ebenso, welche Merkmale bestimmend für den Begriff sind und wie er abzugrenzen ist. In der Literatur gibt es verschiedene Definitionen, die den Begriff unterschiedlich weit fassen. Eine Definition versteht unter vertikalem Marketing die Kooperation im Hinblick auf Marketingaktivitäten zwischen Herstellern und Händ- lern, d.h. also zwischen selbständigen Unternehmungen der beiden Wirtschaftsstufen (vgl. dazu u.a. Steffenhagen 1974: 675, Thies 1976: 52; Müller-Hagedorn et. al. 1999, 61; Olbrich 2006: 243 [vertikales Marketing i.e.S.], Homburg/Krohmer 2009: 851). Einerseits wird die Tatsache, dass nur Beziehungen zwischen den beiden Stu- fen Endprodukthersteller und Händler betrachtet werden, als üblich für vertikales Marketing angesehen und Marketingaktivitäten zwischen anderen Stufen wie z.B. Produktionsgüterherstellern und Großhändlern von Produktionsgütern werden als Industriegütermarketing bezeichnet (Müller-Hagedorn et.al. 1999: 61). Andererseits erscheint dies eine unnötige Einengung des Begriffs (Kunkel 1977: 22), sodass verti- kales Marketing weiter gefasst, mehrere Stufen der Vertikalkette umfassen kann (Baumgarth 1998: 39). Eine weitere Limitierung des Begriffs besteht darin, vertikale Marketingsysteme mit kooperativen Gebilden zwischen selbständigen Unterneh- mungen gleichzusetzen (Kunkel 1977: 22). Dadurch werden Systemen mit Macht- übergewicht eines Beteiligten sowie auf Eigentumsrecht basierende Systeme nicht eingeschlossen (Kunkel 1977. 22). Daher soll unter vertikalem Marketing für die folgende Betrachtung „...eine auf mehrere Marktstufen zielende absatzfördernde Strategie und deren taktische Ausgestaltung durch eine Unternehmung wie auch durch mehrere Unternehmungen“ verstanden werden (Kunkel 1977: 23).
Unter mehrstufigem Marketing wird in der Literatur einerseits eine auf eine oder mehrere nachgelagerte Absatzstufen gerichtete Absatzstrategie verstanden - der Be- griff ist damit synonym mit der oben gewählten Definition von vertikalem Marketing zu verstehen (Kleinaltenkamp/Rudolph 2002: 287). Andererseits grenzt Rudolph mehrstufiges Marketing vom vertikalen Marketing dadurch ab, dass die direkt nach- gelagerte Absatzstufe übersprungen wird und erst die darauf nachfolgende Stufe angesprochen wird, womit das Konzept einen Teilbereich des vertikalen Marketing darstellt (Rudolph 1989: 34).
Ein weiterer abzugrenzender Begriff ist das Trade Marketing. Darunter werden sämt- liche Aktivitäten eines Herstellers verstanden, die gegenüber dem Handel mit dem Ziel getätigt werden, diesen zu beeinflussen und die eigene Position in der Waren- gruppe im Absatzkanal zu verbessern (Czech-Winkelmann 2002: 12). Hierbei geht es also um die Beziehung zwischen Hersteller und Händler, wobei der Hersteller eine dominierende Stellung einnimmt (Czech-Winkelmann 2002: 10). Folglich handelt es sich beim Trade Marketing ebenfalls nur um einen Teilbereich des vertikalen Marke- tings.
2.2 Ausprägungen vertikaler Marketingsysteme
Nachdem der Begriff des vertikalen Marketings diskutiert und für die vorliegende Arbeit definiert wurde, sollen nun verschiedene Formen von vertikalen Marketing- systemen vorgestellt werden. Ganz allgemein stellen marktgesteuerte bzw. auch kon- ventionelle Marketingsysteme das Gegenstück zu vertikalen bzw. zentral gesteuerten Marketingsystemen dar (Florenz 1992: 79, McCammon 1970: 43). Bei konventionel- len Marketingsystemen wird das Verhalten durch Marktprozesse abgestimmt, d.h. also für jede geschäftliche Transaktion wird spezifisch von Fall zu Fall verhandelt, sodass die Koordination einzelfall- und situationsabhängig ist. Dagegen zielt ein ver- tikales Marketingsystem darauf ab, hintereinander geschaltete Märkte zu verknüpfen und diese zu einem vertikalen System zu verbinden (Florenz 1992: 79-82). In der Literatur existiert eine Vielzahl von möglichen Charakterisierungen anhand ver- schiedener Merkmale (Kunkel 1977: 24). Hier wird jedoch nur die Aufteilung an- hand der Zusammenarbeit der Mitglieder vertikaler Marketingsysteme vorgestellt, da diese für die folgende Untersuchung besondere Relevanz besitzt. McCammon unter- scheidet zwischen drei maßgeblichen Arten von vertikalen Marketingsystemen:
(1) Eigentumsgebundenen vertikalen Marketingsystemen,
(2) Vertragsgebundenen vertikalen Marketingsystemen,
(3) Machstellungsgebundenen vertikalen Marketingsystemen (1970: 43-46).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Arten von vertikalen Marketingsystemen (Kotler/Keller/Bliemel 2007: 881)
Die drei vertikalen Marketingsysteme sind zur Übersicht in Abbildung 1 visualisiert. Beim eigentumsgebundenen Marketingsystem sind die einzelnen Betriebe der aufei- nanderfolgenden Produktions- und Distributionsstufen unter einem einzigen Eigen- tümer vereinigt (McCammon 1970: 45). Dies kann in Form von alleinigem Eigentum oder Eigentumsbeteiligungen an den betreffenden Einrichtungen erfolgen (Kot- ler/Bliemel/Keller 2007: 881). Somit liegt bei diesem vertikalen Marketingsystem eine Vertikalisierung vor. Unternehmensbeispiele dafür sind u.a. der Kaffeeröster Tchibo, der von der Rösterei bis zu den Verkaufsstätten alles in einer Unternehmung vereint, oder auch Handelsketten wie C&A und Adler, die einen Teil ihrer Waren aus unternehmenseigenen Fertigungsstandorten beziehen (Kotler/Bliemel/Keller 2007: 881).
Die zweite Form - vertragsgebundenes vertikales Marketingsystem - besteht aus unabhängigen Unternehmungen auf verschiedenen Produktions- und Distributions- stufen, die ihre individuellen Programme auf Vertragsbasis so integrieren, dass dadurch eine höhere Wirtschaftlichkeit und eine höhere Verkaufswirksamkeit erzielt werden können (Kunkel 1977: 28). Dabei gibt es verschiedene Erscheinungsformen, die auch in Abbildung 1 mit jeweils einem Beispiel dargestellt sind: Großhandelsge- führte Einzelhandelsgruppen, Einzelhandelsgenossenschaften und Franchisesysteme (Kotler/Bliemel/Keller 2007: 881-882).
Die dritte Form - machtstellungsgebundenes vertikales Marketingsystem - ist durch wirtschaftliche Macht und Größe eines oder mehrerer Systemmitglieder gekenn- zeichnet und besteht aus rechtlich unabhängigen Unternehmungen (Kunkel 1977: 27). Somit stellt Macht die Grundlage für die Steuerung des Marketingsystems dar (Florenz 1992: 87). Ein Unternehmensbeispiel hierfür ist Procter & Gamble, die durch ihre Machtstellung enormes Einflusspotential auf bspw. die Produktpräsentati- on oder Regalflächen bei ihren Weiterverkäufern ausüben können (Kot- ler/Bliemel/Keller 2007: 881).
Beurteilt man nun die drei Ausprägungen anhand der Dimensionen Bindungsgrad und Zentralisationsgrad, so ergibt sich, dass die machtstellungsgebundene Form den geringsten Zentralisations- sowie Bindungsgrad hat, diese für vertragsgebundene Konstellationen jeweils zunehmen und am stärksten bei eigentumsgebunden vertikalen Marketingsystemen ausgeprägt sind (Florenz 1992: 83-84).
2.3 Ziele des vertikalen Marketing
Mit der Anwendung von vertikalen Marketingsystemen werden zum einen überge- ordnete bzw. Ober-Ziele, zum anderen untergeordnete bzw. Sub-Ziele einer Unter- nehmung verfolgt. Ober-Ziele stellen dabei die Erhöhung des Gewinns, Umsatzstei- gerungen, Sicherung der Unabhängigkeit gegenüber anderen Marktstufen, Risikom- inderung oder Sicherung bzw. Steigerung des Marktanteils dar (Kunkel 1977: 36-37, Steffenhagen 1974: 675-676). Im Business-to-Business-Bereich ist wichtig zu beto- nen, dass die Nachfrage eine abgeleitete bzw. sogenannte derivative Nachfrage ist. Dies bedeutet, dass sie von den Beschaffungsentscheidungen nachgelagerter Stufen bis hin zum Letztverwender abhängig ist (Kleinaltenkamp/Rudolph 2002: 287). Es soll also die eigene Marktposition vor allem im Hinblick auf nachgelagerte Stufen verbessert und die Abhängigkeit von ihnen verringert werden, sodass eine vertikale Marketingstrategie als Mittel zum Zweck der Zielerreichung der Oberziele dienen soll (Kunkel 1977: 36-37, Kleinaltenkamp/Rudolph 2002: 294). Die Sub-Ziele zur Erreichung der Oberziele sind unterschiedlicher Art und Ausprägung je nach Form des vertikalen Marketingsystems. So sind bei einem machtstellungsgebundenen ver- tikalen Marketingsystem die Ziele vor allem die Marketingführerschaft im Absatzka- nal zu erlangen, d.h. die eigene Machtposition zu stärken, und die eigenen Marke- tingziele und -konzepte bei den entsprechenden Zielgruppen, wie z.B. Händlergrup- pen, durchzusetzen (Baumgarth 1998: 38, Kunkel 1977: 37). Ziele eines vertragsge- bunden vertikalen Marketingsystems sind demgegenüber die Erzielung eines unter Berücksichtigung der Kooperationskosten höheren Kooperationsgewinns als die Summe der einzelnen individuellen Gewinne der Beteiligten und die Generierung von echten Vorteilen und Nutzen für die jeweiligen Kontraktpartner (Thies 1976: 58- 59, Olbrich 2006: 246). Darüber hinaus soll vor allem auch eine Stabilisierung in der Vertikalkette erreicht werden, indem formelle Ziele vertraglich geregelt werden (Florenz 1992: 90). So können Marketingaktivitäten zwischen den Vertragspartnern aufeinander abgestimmt werden und es kann insgesamt eine bessere und effizientere Wirkung der absatzpolitischen Instrumente erzielt werden (Olbrich 2006: 246). Bei einem eigentumsgebunden vertikalen Marketingsystem stehen vor allem Ziele wie Unabhängigkeit im vertikalen Produktions- und Distributionsprozess und Effizienz- steigerungen im Hinblick auf den gesamten Marketingmix im Vordergrund (Kleinal- tenkamp/Rudolph 2002: 294).
3 Vertikalisten - Hersteller und Händler zugleich
3.1 Definition und Konzepte der Vertikalisierung
Nachdem im vorherigen Kapitel vertikales Marketing allgemein beleuchtet wurde, wird im Folgenden näher auf die Besonderheiten von sogenannten Vertikalisten bzw. vertikalisierten Unternehmen eingegangen. Dafür wird zunächst der Begriff der Ver- tikalisierung näher erläutert. Generell unterscheiden sich die Definitionen von Verti- kalisierung hinsichtlich der Bindungsintensität, d.h. wie hoch der Autonomiegrad der beteiligten Unternehmen ist, sowie hinsichtlich der Anzahl der Stufen des Wert- schöpfungsprozesses (Grüger 2007: 34-35). Eine mögliche Definition versteht unter Vertikalisierung „die Ausdehnung unternehmerischer Aktivitäten auf vor- oder nachgelagerten Stufen des Wertschöpfungsprozesses durch Integration (Eigentum bzw. Kapitalbeteiligung) oder Kooperation (vertragliche Bindung von Unternehmen anderer Wertschöpfungsstufen)“ (Hudetz/Kaapke 2009: 326). Es wird also zwischen kooperativen und integrativen, d.h. eigentumsrechtlichen Modellen unterschieden (Koch 2006: 131). Dies ist eine allgemeine und weitere Begriffsauffassung der Ver- tikalisierung. Für die vorliegende Arbeit wird ein stärkerer Fokus auf sogenannte Vertikalisten gelegt. Dies sind Unternehmen, die die gesamte Wertschöpfungskette und damit alle Prozesse der Produktion bis hin zum Verkauf an den Letztverbraucher selbst steuern (Hudetz/Kaapke 2009: 326). Ein Beispiel dafür sind Hersteller, die nicht nur darauf beschränkt sind ihre Produkte zu produzieren, sondern weitergehend auch den Verkauf ihrer Produkte selbst übernehmen und damit Hersteller und Händ- ler zugleich sind.
In der Literatur wird aufgrund des jeweiligen Entstehungshintergrunds zwischen Front-End- und Back-End-Driven-Konzepten der Vertikalisierung unterschieden (KPMG 2002). Bei Front-End-Driven-Konzepten geht die Vertikalisierung vom Händler aus, der vom Point of Sale (PoS) vorgelagerte Wertschöpfungsprozessstufen integriert (Merkle 2004: 432). Beispiele hierfür sind ursprünglich reine Händler wie C&A, IKEA oder Hennes & Mauritz, die nun aber auch selbst herstellen oder von Vertragshändlern eigene Ware beziehen, die niemand anderes anbieten darf (Eggert 2006: 42). Bei Back-End-Driven-Konzepte dagegen geht die Vertikalisierung von Herstellerseite aus, indem nachgelagerte Wertschöpfungsstufen - also in Richtung des PoS - teilweise oder ganz integriert werden (Merkle 2004: 440). Beispielunter- nehmen für diesen Fall sind Hersteller wie die Inditextochter Zara, BMW oder Esprit (Eggert 2006: 42). In Abbildung 2 werden die beiden Konzepte mit den jeweiligen Wertschöpfungsprozessen nochmals veranschaulicht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Unterscheidung von vertikalen Prozessen (Merkle 2004: 432)
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