Die Ideologiegebundenheit der Sprachverwendung der DDR in öffentlichen Reden Erich Honeckers
Eine Untersuchung zu Ideologiesprache und -vokabular in der öffentlichen DDR-Presse anhand eines Zeitungsartikels aus "Neues Deutschland"
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 UNTERSUCHUNG
2.1 DER IDEOLOGIEGEBUNDENE SPRACHWORTSCHATZ DER DDR
2.1.1 WORTSCHATZSPEZIFISCHE SCHLÜSSELWÖRTER
2.1.2 ALLGEMEINE SPRACHLICHE AUFFÄLLIGKEITEN
2.2 DAS IDEOLOGIEVOKABULAR
2.2.1 SCHLAGWÖRTER UND SYMBOLWÖRTER
2.2.2 GRUPPEN- BZW. IDEOLOGIEINTERNE EVALUATION: FAHNENWÖRTER UND STIGMAWÖRTER
2.2.3 GRUPPEN- BZW. IDEOLOGIEÜBERGREIFENDE EVALUATION: MIRANDA UND ANTI-MIRANDA
3 ERGEBNIS
4 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
Nach 1969 erfolgte eine unmittelbare Politisierung dadurch, dass ein Politbürobeschluss der Linguistik der DDR einen politisch-gesellschaftlichen Auftrag erteilte. Werner Neumann, der Direktor des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft (ZIWS) der späteren Akademie der Wissenschaften der DDR erklärte, dass die Sprachwissenschaft bei der Bestimmung ihrer Aufgaben konsequent von den Bedürfnissen der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR ausgehe. Dies war – wie zu erwarten – für die Ziele von Staat und Partei untrennbar mit einem klassenkämpferischen Aspekt verbunden. Einer der Kernpunkte dieser marxistisch-leninistischen Sprachauffassung bestand in der Fokussierung auf Sprache als Kommunikationsmittel und auf ihre daraus erwachsene gesellschaftliche Determination (vgl. Praxenthaler 2002: 71f.).
„Im Mittelpunkt dieser standen einerseits die Auffassung von der Entstehung von Sprache aus der Arbeit, also deren Rückführung auf die ökonomisch-gesellschaftliche Wirklichkeit und auf die Funktion für den gesellschaftlichen Reproduktions- wie Bewusstseinsbildungsprozess, sodass die Sprache Abbildcharakter sowohl des Denkens wie auch der gesellschaftlichen Wirklichkeit zukommt. […] Insofern Sprache nach dieser Vorstellung auf die Bewusstseinsbildung einwirkt, ist sie Ideologieträger und deshalb ein maßgeblicher Baustein im Konzept der Agitation und Propaganda, woraus sich der Übergang zu Sprache als Objekt politischen Handelns erklärt“ (ebd., 72).
In dieser Arbeit soll im Folgenden eine Rede Erich Honeckers vom 4. Oktober 1989 auf die Spezifika der ideologiegebundenen Sprachverwendung der damaligen DDR hin untersucht werden. Da diese vor allem in der von Partei und Staat gesteuerten Massenkommunikation zu Tage trat und so zur Bildung eines sozialistischen Staatsbewusstseins beitragen sollte, wird hier versucht herauszufinden, wie sich die Ideologiegebundenheit in den Reden des damaligen Vorsitzenden der SED und DDR darstellt. Es wurde hierfür der Tageszeitungsartikel „Wir sind gewiß, daß die DDR auch die Anforderungen der Zukunft bewältigen wird“ aus der damaligen DDR-Tageszeitung „Neues Deutschland“ - zugänglich auf der Webseite der Staatsbibliothek Berlin (http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/ddr-presse), in der alle Jahrgänge vom 23. April 1946 bis zum 3. Oktober 1990 digitalisiert wurden und die ihren Sitz in Ost-Berlin hatte - herangezogen. Die in dieser Arbeit verfolgte Haupttehese ist, dass die Sprache, die Erich Honecker in seinen öffentlichen Reden verfolgt, eine eindeutig und unverkennbar ideologiegebundene sein muss. Der von mir ausgewählte Text soll im Rahmen dieser Arbeit nun auf verschiedene Merkmale des spezifischen ideologiegebundenen und staatlich gelenkten Sprachwortschatzes der DDR hin untersucht werden. Zuerst soll im Folgenden auf wortschatzspezifische Schlüsselwörter und allgemeine sprachliche Auffälligkeiten näher eingegangen werden, um als Nächstes das genauere Ideologievokabular, das im Text verwendet wird, herauszuarbeiten. Im abschließenden Punkt werden dann nochmals alle Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst, um zuletzt noch auf einige Punkte möglicher Sprachverdrossenheit hinzuweisen.
2 UNTERSUCHUNG
2.1 DER IDEOLOGIEGEBUNDENE SPRACHWORTSCHATZ DER DDR
2.1.1 WORTSCHATZSPEZIFISCHE SCHLÜSSELWÖRTER
Schon sehr früh war den damaligen Politikern der DDR klar, dass die politische Zukunft ihres Landes auch sprachlich von der schlimmen nationalsozialistischen Vergangenheit abgehoben werden musste und es auf Demokratie verpflichtet sein sollte. Deshalb wurden zu dieser Zeit permanent antifaschistische und demokratische Ziele propagiert. Sowohl diese beiden Attribute, die eine sehr hohe Frequenz besaßen, als auch die Ableitungsbegriffe Antifaschismus und Demokratie – vor allem in Doppelform verwendet – waren mehr oder weniger Inbegriff einer durchaus bewussten ideologischen Deutung der Gegenwart und Zukunft. In der marxistisch-leninistischen Theorie war die damalige Subsumierung des Nationalsozialismus unter den Oberbegriff Faschismus zwingend, denn laut dieser ist Faschismus eine Erscheinungsform des Spätkapitalismus und steht in enger Verbindung zum Imperialismus, was mit der kommunistischen Politik bis heute in hohem Maße unvereinbar ist. Eine antifaschistische Politik musste im Kommunismus von Beginn an eine sowohl antikapitalistische als auch antiimperialistische Zielrichtung haben, weshalb es zu der frühen Attributierung des Demokratie-Begriffs mit antifaschistisch kam. Die Verwendung des Begriffs Demokratie bzw. demokratisch hatte damals eindeutig taktische Gründe. Zunächst wurde der Begriff Demokratie aus marxisitisch-leninistischer Sicht eher locker konnotiert, führte langfristig jedoch in der Politiksprache der DDR zu einer festen Denotierung. Demokratie wurde nun auch immer wieder mit dem Attribut sozialistisch versehen (sozialistische Demokratie) und das aus dem Grund, um sich absichtlich von den Demokratieauffassungen des Westens abzugrenzen (vgl. Schlosser 1990: 31f.).
Der von mir untersuchte Text spiegelt diese Auffassung ebenfalls wieder. Bis zum Jahr 1989 scheint sich an diesem Verständnis grundlegend nichts geändert zu haben, denn das Wort Antifaschismus bzw. auch Faschismus oder Komposita mit -faschismus kommen im untersuchten Tageszeitungsartikel genau sieben Mal vor (z.B. „Zerschlagung der faschistischen Bestie“ Z. 60f.; „deutsche Antifaschisten“ Z. 45f.; „Kameraden des antifaschistischen Widerstandes!“ Z. 5f.) (Honecker 1989: 3).[1] Auffällig ist hier zum Beispiel auch die zweimalige Verwendung des Wortes Hitlerfaschismus (Z. 67) anstatt von Nationalsozialismus. Das Wort demokratisch – nicht in Verbindung mit Deutsche Demokratische Republik - kommt dagegen zwar nur ein einziges Mal, aber - wie bereits weiter oben erwähnt – in einer Doppelform mit faschistisch („antifaschistisch-demokratische Umwälzung“ [H] 86f.) - vor (vgl. Honecker 1989: 3).
Nach dem Krieg wollte sich die KPD bewusst von den auch in der Ostzone zahlenmäßig stärkeren Sozialdemokraten abgrenzen, daher entstand der begriffliche Kompromiss sozialistisch. Da der Sozialismus für viele die Befreiung aus der Abhängigkeit von wenigen Mächtigen bedeutete, die im Bündnis mit Hitler zur deutschen Katastrophe führten, war er die ideologisch-politische Richtung, der sich viele Deutsche verpflichtet fühlten, des weiteren war Sozialismus nicht zuletzt für Sozialdemokraten eine Erinnerung an ihre eigenen ideologischen und politischen Wurzeln, daher entstand auch der Begriff Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Wie die Begriffe Antifaschismus und Demokratie war Sozialismus ein für viele Zeitgenossen zunächst unverdächtiger und offener Begriff, der sich taktisch hervorragend dafür eignete, positive Komponenten zu assoziieren, KPD-intern und in der langfristigen Strategie dieser Partei jedoch bereits monosemiert war, denn langfristig bedeutete er den Weg zum Sowjetkommunismus (vgl. Schlosser 1990: 32f.). In der Rede Honeckers kommt das Wort Sozialismus bzw. sozialistisch ebenfalls sehr häufig vor, nämlich zwölf Mal („Fundamente des Sozialismus“ [H] 24f.; „dieses neue, sozialistische Deutschland“ [H] 26f.). Die Wörter Sozialistische Einheitspartei Deutschlands bzw. SED kommen zwei Mal vor (Z. 178ff.) (vgl. Honecker 1989: 3).
Neben den bereits behandelten Begriffen wurde ebenfalls der positiv besetzte Begriff Arbeit verwendet, dessen Synonyma ebenfalls nicht zerstört werden durften, da der notwendige Wiederaufbau des zerstörten Deutschland eine positive Deutung von Arbeit brauchte und auch, weil KPD bzw. SED Bündnispartner außerhalb der teilweise eng definierten Arbeiterklasse benötigte, die im übrigen Volk gesucht wurden. Es wurde ein neuer Begriff eingeführt, der das als kapitalistisch angehauchte Lexem Arbeitnehmer verdrängen konnte, nämlich werktätig, oder die Substantivierung Werktätiger (vgl. Schlosser 1990: 33f.). Ein Werktätiger war laut der Verfassung der DDR
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[1] Im Folgenden werden alle direkten Zitate aus dem verwendeten Artikel unter Verwendung der Sigle >[H]< und der angabe der zeilennummer im laufenden text