Zur Ironisierung von Kunst und Leben in Thomas Manns „Tristan“.
Detlev Spinell und Herr Klöterjahn.
Zusammenfassung
Leseprobe
Detlev Spinell und Herr Klöterjahn. Zur Ironisierung von Kunst und Leben in Thomas Manns „Tristan“.
Der Erzähler in Thomas Manns Novelle Tristan gibt nicht nur den Décadent Spinell sondern auch seinen vitalen Gegenspieler Klöterjahn vielfach der Lächerlichkeit preis. Welche Auswirkungen dies für das Verhältnis des Lesers zu den Figuren bzw. den von ihnen repräsentierten Positionen hat, und was Mann mit dieser Erzählstrategie bezwecken will versucht der vorliegende Essay zu erörtern.
Zunächst ist also der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen die Erzählinstanz auf das Verhältnis des Lesers zu den Figuren hat. Hierfür muss der Erzähler zunächst selbst untersucht und seine Haltung zu Spinell und Klöterjahn ermittelt werden. Es handelt sich um einen heterodiegetischen, explizit dargestellten Erzähler in einer auktorialen Erzählsituation. Dies wird bei der direkten Leseransprache besonders auffällig. Zu Beginn von Kapitel VI richtet die Erzählinstanz folgende Frage an das imaginierte Publikum: „Waren wir schon so weit, daß Herr Klöterjahn in die Heimat zurückgekehrt war (T, S. 220)?“[1] Überdies kann man den Erzähler als einen ironischen charakterisieren, was für die Erzählstrategie von großer Bedeutung ist und worauf später noch detaillierter einzugehen ist. Welche Informationen dem Leser zuteilwerden, wird von einem allwissenden Erzähler ausgewählt. Wie beeinflusst er also damit das Verhältnis zu den Protagonisten Spinell und Klöterjahn? Betrachtet man die Art, wie dem Leser der Schriftsteller Spinell dargestellt wird, so lässt sich konstatieren, dass der Erzähler diesen dadurch der Lächerlichkeit preisgibt, indem er seine Existenz als Künstler ad absurdum führt. Schon zu Beginn der Erzählung führt der Erzähler an, dass Spinell in Einfried „dem Herrgott die Tage stiehlt… (T, S. 211).“ Er unterstellt ihm also schlichte Faulheit, wohingegen Spinell selbst seinen Aufenthalt auf die inspirierende Einrichtung des Sanatoriums zurückführt. Dass dies den Schriftsteller aber keineswegs zur Arbeit motiviert, verrät der Erzähler im Folgenden: „[…] er [Spinell] gebrauchte sehr gern das Wort ‚arbeiten‘ für seine zweifelhaften Tätigkeiten (T, S. 232).“ Gerade durch die Inkongruenz zwischen Spinells Selbstbeschreibung, besonders der seiner Tätigkeit als Schriftsteller, und der Bewertung des Erzählers, erfährt diese Figur eine komikhafte Konnotation. Aber auch sein Äußeres, das an einen „verwesten Säugling (T, S. 217)“ erinnert wirkt eher befremdlich. Der Erzähler beurteilt diese Darstellung zwar als wenig zutreffend, lässt sie aber doch in seiner Beschreibung fallen, die offensichtliche Distanz zu Spinell kann er so nicht erfolgreich verbergen.
Stellt man die Charakterisierung Spinells neben die des Herrn Klöterjahn, so erscheint dieser auf den ersten Blick als glattes Gegenstück des Schriftstellers. Sein „volles, rotes Gesicht (T, S. 216)“ repräsentiert seine Vitalität, welche sich auch in seiner Gestik und Mimik wiederfindet, wenn er z.B. spricht und „jeder laut einer kleinen Entladung glich […] (T, S. 216).“ Überdies wirkt Herr Klöterjahn sehr weltmännisch und scheint auch wirtschaftlich sehr erfolgreich zu sein, was der Erzähler dem Leser nicht vorenthält: „[…] Herr Klöterjahn, gewöhnt an solche Erfolge, nahm jede Huldigung, die man ihr [Frau Klöterjahn] darbrachte, mit Genugtuung entgegen (T, S. 214).“ Dass man daher den Erzähler näher bei Herrn Klöterjahn vermuten und ihm einseitige Abneigung gegen Detlev Spinell unterstellen könnte ist allerdings ein Trugschluss!
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[1] Das Hauptwerk „Tristan“ von Thomas Mann zitiere ich im Folgenden mit der Sigle „T“ nach folgender Ausgabe: Thomas Mann: Tristan, in: Der Wille zum Glück und andere Erzählungen. Frankfurt am Main 2008, S. 210 – 256.