Die Bachelorarbeit „Krankenhausprivatisierung in Deutschland – Hamburg und Bremen im Vergleich“ greift ein sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich bedeutsames Thema auf: Die deutschlandweit grassierende Privatisierungswelle im Krankennaussektor. Diese führt zu beträchtlichen Veränderungen sowohl auf individueller als auch gesamtgesellschaftlicher Ebene. In Deutschland sind hierbei bemerkenswerte Unterschiede hinsichtlich Intensität und Ausprägung festzustellen.
Mit Beantwortung der Frage nach den Ursachen der regional unterschiedlich ausgeprägten Privatisierungsneigung möchte die Arbeit den bisherigen Forschungsstand, um diesen Aspekt erweitern. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive interessiert der Einfluss unabhängiger sozioökonomischer, struktureller sowie politisch-institutioneller Variablen auf die abhängige Variable Krankenhausprivatisierung. Für die Datenerhebung wird die Dokumentenanalyse sowohl von Primär-, als auch Sekundärquellen verwendet.
Im ersten Teil beschreibt die Arbeit die Krankenhauspolitik im Nachkriegsdeutschland, um nach der Bestimmung der allgemein gültigen Rahmenbedingungen mit der Erhebung der abhängigen Variable zu enden. Im zweiten Teil folgt auf die theoriegeleitete Bestimmung der unabhängigen Variablen, ein strukturierter und fokussierter Vergleich der beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Das Fazit fasst die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf zukünftige Forschungsmöglichkeiten.
Gliederung
1 Einleitung
2 Determinanten der Krankenhausprivatisierung in Deutschland
2.1 Wendepunkte der deutschen Krankenhauspolitik nach
2.2 Krankenhäuser zwischen Plan und Wettbewerb
2.3 Krankenhausmarkt im Wandel
3 Ursachen varianter Privatisierungspolitik
4 Krankenhausprivatisierung im kommunalen Vergleich
4.1 Hamburg
4.1.1 Bestandsaufnahme
4.1.2 Der Weg in die Privatisierung
4.1.3 Ursachenforschung
4.2 Bremen
4.2.1 Bestandsaufnahme
4.2.2 Auf halben Weg in die Privatisierung?
4.2.3 Ursachenforschung
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Seit den 1990er Jahren ist die Privatisierung von Krankenhäusern ein wiederkehrendes und kontrovers diskutiertes Thema in der deutschen Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. Ausgangspunkt sind oftmals defizitär betriebene kommunale Krankenhäuser, die zu Zeiten von ausufernder Verschuldung der öffentlichen Haushalte zunehmend zu einer Belastung werden; Privatisierung erscheint dann als geeigneter Ausweg. Die im Jahr 2010 bzw. 2012 mit 84- bzw. fast 90-prozentiger Zustimmung erfolgreichen Bürgerentscheide gegen geplante Klinikprivatisierungen zeigen, dass der Bürger dieser Problemlösung oftmals kritisch gegenüber steht (Spiegel Online 2010; Sächsische Zeitung Online 2012).
Die Privatisierung in Deutschland hat mittlerweile ein gewisses Ausmaß erreicht: Der Anteil privater Krankenhausbetten ist hierzulande inzwischen höher als in den USA, die gemeinhin als Privatisierungsvorreiter gelten (Braun 2009, S. 124). Auch aus europäischer Perspektive ist der Umfang der Krankenhausprivatisierung einzigartig - kein anderes europäisches Land hat in den letzten Jahren so viele Krankenhäuser privatisiert wie Deutschland (Böhlke/Gerlinger/Mosebach/ Schmucker/Schulten 2009, S. 8). Zu den vorläufigen Höhepunkten der Privatisierungswelle zählen die Übernahme des „Landesbetrieb Krankenhäuser“ (LBK) durch die „Asklepios Kliniken GmbH“ in Hamburg, sowie der Verkauf des „Universitätsklinikums Gießen und Marburg“ an die „Rhön-Klinikum AG“. In beiden Fällen ist die Größenordnung, in letzterem Fall die deutschlandweit erstmalige Privatisierung eines Universitätsklinikums, ausschlaggebend (vgl. Ries-Heidtke/Böhlke 2009; Hanschur/Böhlke 2009).
Trotz eines allgemein gültigen Trends zur Privatisierung sind hinsichtlich ihrer Intensität erhebliche regionale Unterschiede in Deutschland festzustellen; besitzen in manchen Gebieten die privaten Klinikbetreiber bereits einen Marktanteil von über 50 Prozent, sind sie in anderen Regionen kaum bis gar nicht präsent (vgl. Kapitel 2.3). Welche Ursachen führen zu einer so unterschiedlichen Entwicklung? Vor allem aber will die vorliegende Arbeit in politikwissenschaftlicher Hinsicht der Forschungsfrage nachgehen, welchen Einfluss unabhängige sozioökonomische, strukturelle sowie politisch-institutionelle Variablen auf die abhängige Variable „Krankenhausprivatisierung“ ausüben.
Die Forschungsfrage folgt damit einem Y-zentrierten Ansatz: Ausgangspunkt ist das Explanandum, in diesem Fall die „Krankenhausprivatisierung“, gesucht ist deren Ursache (vgl. Pressel 2011, S. 5ff). Des Weiteren ist die Fragestellung sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus wissenschaftlicher Perspektive relevant:
- Gesellschaftlich[1]: Mit der Privatisierung von Krankenhäusern sind teils dramatische Veränderungen für die Beschäftigten verbunden (vgl. Böhlke/Gerlinger/Mosebach/Schmucker/Schulten 2009). In den letzten Jahrzehnten nahm der Anteil Beschäftigter im privaten Sektor kontinuierlich auf inzwischen über 13 Prozent der 825.654 Vollzeitkräfte im Krankenhausbereich zu (Statistisches Bundesamt 2012a, S. 26-27; eigene Berechnung). Daneben besitzt das Thema auch gesamtgesellschaftliche Relevanz in Bezug auf die Finanzierung und die Zukunftsplanung im deutschen Krankenhauswesen (vgl. Kapitel 2.2)
- Wissenschaftlich[2]: In der wissenschaftlichen Forschung überwiegen Untersuchungen, die Auswirkungen der Krankenhausprivatisierung auf Beschäftigte und Gesellschaft thematisieren, sowie Untersuchungen, die Effizienzvergleiche zwischen privaten und nicht-privaten Trägern anstellen (z.B. Böhlke/Gerlinger/Mosebach/Schmucker/Schulten 2009; Heubel/ Kettner/Manzeschke 2010; Böckmann 2009). Die Ursachen für die regional unterschiedlich ausgeprägte Privatisierungsneigung finden dagegen nur am Rande Betrachtung; eine Varianz wird von den Autoren zwar oftmals festgestellt jedoch nicht hinterfragt. Die systematische Suche nach Einflussgrößen wie z.B. unterschiedliche sozio-ökonomische Bedingungen oder die Parteicouleur der Entscheidungsträger soll zum besseren Verständnis dieser Thematik beitragen.
Die Arbeit beginnt mit der Suche nach Faktoren auf Bundes- bzw. Landesebene, die sich auf die Krankenhausprivatisierung auswirken. Auf die Definition des Privatisierungsbegriffs folgen eine Bestandsaufnahme und eine Einordnung der regional variierenden Privatisierungsneigung. Eine vertiefte Betrachtung der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel der beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen führt zur Beantwortung der eingangs gestellten Untersuchungsfrage. Die Suche nach den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden bei der Krankenhausprivatisierung, sowie die Erklärung der Varianz mithilfe von Theorien aus der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, stehen dabei im Mittelpunkt des Interesses.
Die Datenerhebung erfolgt durch die Dokumentenanalyse sowohl von Primär-, als auch Sekundärquellen. Neben aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes, der Statistischen Landesämter und der Deutschen Krankenhausgesellschaft bzw. der jeweiligen Landeskrankenhausgesellschaft, finden gesundheits- und sozialpolitische Publikationen sowie aktuelle Nachrichten aus der Publikumspresse sowohl in Print-, als auch in Onlineangeboten Verwendung. Drucksachendokumente der Landesparlamente bzw. der Bürgerschaften ergänzen das Portfolio.
2 Determinanten der Krankenhausprivatisierung in Deutschland
Um die Wirkungsweise der politischen Rahmenbedingungen auf die Krankenhausprivatisierung verstehen zu können, ist es zunächst notwendig, die wichtigsten Wegpunkte der deutschen Krankenhauspolitik nachzuzeichnen. Die allgemein gültigen Wirkmechanismen sind Thema des darauf folgenden Kapitels. Der letzte Abschnitt des ersten Teils dieser Arbeit erfasst schließlich die Privatisierungsaktivität im nationalen Überblick und im regionalen Vergleich.
2.1 Wendepunkte der deutschen Krankenhauspolitik nach 1945
Im Jahr 1945 stand der Krankenhaussektor vor einer doppelten Herausforderung: Es mussten sowohl Kriegsschäden beseitigt - in Deutschland war ein Großteil der Krankenhäuser entweder zerstört oder beschädigt, als auch der seit Mitte der 1930er Jahre aufgelaufene Investitionsstau im Krankenhaussektor abgebaut werden (Simon 2004, S. 152). Die dafür notwendigen Pflegesatzerhöhungen lehnten die Krankenkassen als nicht finanzierbar ab. Stattdessen forderten sie auf dem ersten Krankenkassentag im Jahr 1950, dass die öffentliche Hand fortan die Kosten für den Bau und die Instandhaltung der Krankenhäuser übernehmen und die Kassen nur noch die laufenden Betriebskosten tragen sollten. Auch die unionsgeführte Bundesregierung vertrat die Auffassung, dass die Krankenhausversorgung dual zu finanzieren sei, lehnte eine Kostenbeteiligung allerdings mit dem Hinweis auf ihre verfassungsrechtliche Nichtzuständigkeit für den Krankenhausbereich ab. Sowohl Länder, Landkreise und Kommunen, die bereits zu diesem Zeitpunkt schon erhebliche Betriebszuschüsse für öffentliche und freigemeinnützige Krankenhäuser leisteten, als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verlangten dagegen den allgemein anerkannten Finanzierungsbedarf der Krankenhäuser ausschließlich über die Pflegesätze zu decken. Bis Ende der 1960er Jahre gelang es keiner der beiden Seiten ihre Position durchzusetzen (Böhm/Henkel 2009, S. 83).
Eine Zuspitzung der Finanznot der Krankenhäuser trat im Jahr 1954 durch die Einführung der ersten Pflegesatzverordnung durch die Regierung Adenauer (CDU) ein. Um eine Erhöhung der Pflegesätze zu verhindern und damit die Krankenkassen vor einer zu hohen Belastung zu schützen, wurde den Krankenhäusern die Übernahme eines überwiegenden Teils ihrer Kosten verweigert - eine zunehmend desolate stationäre Versorgung war die Folge. Notwendige Renovierungsmaßnahmen wurden unterlassen, die Anschaffung moderner Gerätschaften hinausgeschoben und ein akuter Personalmangel durch schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung geschaffen (Simon 2004, S. 153).
Eine Entspannung der Finanzierungssituation der Krankenhäuser trat erst ab Mitte der 1960er Jahre ein. Getragen durch einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens, genehmigten die Länder höhere Zuschüsse für den Krankenhausbau. Auch die Krankenkassen beteiligten sich durch die Bewilligung höherer Pflegesätze an der Sanierung. Diese immensen Ausgabesteigerungen ermöglichte das Anschwellen der Steuer- und Beitragseinnahmen durch einen rund zehnjährigen Wirtschaftsboom von 1966 bis 1975. Mit der im Jahr 1966 gebildeten großen Koalition aus CDU/CSU und SPD kam außerdem Bewegung in die bis dahin festgefahrene Reformdiskussion. Zunächst verabschiedete die große Koalition im Jahr 1969 eine Grundgesetzänderung, die den Bund zukünftig in die Lage versetzte, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung die Krankenhausfinanzierung zu regeln. Ihr gelang es allerdings nicht, sich auf einen Gesetzesentwurf für die Krankenhausfinanzierung zu einigen. Erst die Koalition aus SPD und FDP mit Willy Brandt (SPD) als Bundeskanzler führte zu einer grundlegenden Reform der Krankenhausfinanzierung (ebd., S. 153-154). Das im Jahr 1972 in Kraft getretene Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) weist den Ländern die Aufgabe der Krankenhausplanung zu und verpflichtet sie zur Sicherstellung der Krankenhausversorgung. Neben den Ländern beteiligt sich zusätzlich der Bund an den Investitionskosten. Die Krankenkassen decken alle entstehenden Betriebskosten, die durch krankenhausindividuelle und tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet werden. Dieses Prinzip der dualen Finanzierung gilt formal bis heute (Böhm/Henkel 2009, S. 84).
Bereits Mitte der 1970er Jahre endete die kurze Phase der „Modernisierung des Krankenhauswesens“, in der die Ausgaben für Krankenhäuser von 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 1970 auf 2,6 Prozent im Jahr 1975 gestiegen waren und die stationäre Versorgung im internationalen Vergleich ein hohes Niveau erreicht hatte (Simon 2004, S. 155; Bandelow 1998, S. 47). Im Jahr 1975 stellte die Bundesregierung fest, dass der Investitionsstau im Krankenhaussektor abgebaut werden konnte, die Ausgaben aber insgesamt auf eine volkswirtschaftlich nicht mehr zu vertretende Höhe angewachsen waren (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2007, S. 346). Der Gesetzgeber reagierte auf die seitdem allgemein wahrgenommene „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen mit einer Reihe von Kostendämpfungsgesetzen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein Großteil der Finanzierungsproblematik auch auf der Einnahmenseite zu suchen ist. Die Übertragung aufgabenfremder Leistungen an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Einnahmeausfälle durch die Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er führte zu einer Unterfinanzierung der Krankenkassen (vgl. Simon 2004, S. 156-157; Böhm/Henkel 2009, S. 85). Die Kernelemente der Reform von 1972 sind in den darauf folgenden Jahrzehnten sukzessive aufgegeben worden. Nachdem der Bund schon in den Jahren zuvor seiner im KHG eingegangenen Zuschussverpflichtung nicht vollständig nachkam, zog er sich offiziell im Jahr 1985 mit dem Krankenhausneuordnungsgesetz (KHNG) aus der Krankenhausinvestitionsförderung wieder zurück und überlies den Ländern die alleinige Finanzierung.
Mit der Einführung von Fallpauschalen durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) im Jahr 1993 begann die Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip bei den von den Krankenkassen finanzierten Pflegesätzen (Bandelow 1998, S. 47-48; Böhm/Henkel 2009, S. 91). Zunächst wurden 20 bis 25 Prozent der Krankenhausleistungen seit Januar 1996 nach festgelegten diagnosebezogenen Fallpauschalen und durch Sonderentgelte vergütet, während die übrigen Leistungen noch über krankenhauseinheitliche Basispflegesätze und Abteilungspflegesätze abgerechnet wurden. Durch die Übernahme des bereits international erprobten DRG-Systems (Diagnosis Related Groups), vollzog die Gesundheitsreform im Jahr 2000 schließlich den Übergang zu einem vollständig leistungsbezogenen Fallpauschalensystem (Böhm/Henkel 2009, S. 86-87).
Um die Leistungsfähigkeit der Krankenhausversorgung zu gewährleisten, verabschiedete im Jahr 2009 die Bundesregierung das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG). Im Wesentlichen beinhaltet dieses Gesetz ein Förderprogramm für eine bessere Pflege und mehr Pflegepersonal, eine anteilige Finanzierung der über die Veränderungsrate hinausgehenden Tariflohnerhöhungen im Jahr 2008 und 2009 sowie weitere Maßnahmen, die zu einer Gesamtentlastung der Krankenhäuser von 3,5 Milliarden Euro führten. Die angestrebte stärkere Beteiligung der Bundesländer an der Investitionskosten, sowie die Festlegung auf eine Förderung nach leistungsorientierten Investitionspauschalen als Regelförderung, konnte die Bundesregierung gegen den Widerstand der Länder dagegen nicht durchsetzen (Bundesministerium für Gesundheit 2009; Mahlzahn/Wehner 2010, 118-119). Zwar schreibt das Gesetz vor, dass ab Anfang 2012 die Investitionsförderung durch leistungsorientierte Investitionspauschalen erfolgen soll, gleichzeitig bleibt das Wahlrecht der Länder zwischen Pauschal- und Einzelförderung bestehen (Deutscher Bundestag 2009).
Nach diesem Überblick über die wichtigsten Entwicklungen im Krankenhausbereich in den letzten Jahrzehnten, folgt im nächsten Abschnitt eine detaillierte Betrachtung der Krankenhausplanung und Krankenhausfinanzierung im Zusammenhang mit der Privatisierung.
2.2 Krankenhäuser zwischen Plan und Wettbewerb
Laut Grundgesetz (Art. 20 und 28 GG) ist der Staat für die Daseinsfürsorge seiner Bevölkerung verantwortlich und infolge dessen für die Sicherstellung einer ausreichenden und bedarfsgerechten stationäre Gesundheitsversorgung zuständig. Das KHG weist den Ländern hierfür die Kompetenz zu. Um ihrem Sicherstellungsauftrag gerecht zu werden, sind die Bundesländer gesetzlich verpflichtet eine Krankenhausplanung durchzuführen und diese regelmäßig fortzuschreiben (Simon 2008, S. 274). Die Krankenhausplanung setzt sich aus dem eigentlichen Krankenhausplan und dem dazugehörigen Investitionsplan zusammen:
„In den Krankenhausplan sind alle für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendigen und geeigneten Krankenhäuser aufzunehmen. In das für einen mehrjährigen Planungszeitraum aufzustellende Investitionsprogramm werden die vom Land zu fördernden größeren Investitionsmaßnahmen aufgenommen wie Neubauten, Umbauten, Renovierungen etc. (Antragsförderung). Kleinere Investitionen werden über jährliche Pauschalbeträge gefördert (Pauschalförderung)“ (ebd., S. 275).
Für die Erstellung des Krankenhausplans ist gemeinhin das Sozial- oder Gesundheitsministerium auf Landesebene, beziehungsweise in den Stadtstaaten die jeweilige Senatsbehörde zuständig. Diese sind allerdings laut KHG verpflichtet, an der Krankenhausversorgung unmittelbar beteiligte Institutionen in die Planung miteinzubeziehen; wie z.B. kommunale Spitzenverbände, die Landesverbände der gesetzlichen Krankenkassen, Vertreter der privaten Krankenkassen oder die Landeskrankenhausgesellschaft. Näheres regelt das jeweilige Landeskrankenhausgesetz (ebd.).
Inhaltlich soll der Krankenhausplan zunächst aus einer Bedarfsanalyse bestehen, die den gegenwärtigen und den in Zukunft prognostizierten Bedarf an Krankenhauskapazitäten wiedergibt. Die daran anschließende Krankenhausanalyse prüft, ob die Versorgungsbedingungen der vorhandenen Krankenhäuser den festgestellten Bedarf decken. Auf dieser Grundlage wird über die Aufnahme einzelner Krankenhäuser in den Landeskrankenhausplan entschieden und dem Krankenhausträger mittels Feststellungsbescheid mitgeteilt. Das Krankenhaus übernimmt mit der Aufnahme in den Krankenhausplan einen Versorgungsauftrag und erhält im Gegenzug eine öffentliche Investitionsförderung aus Landesmitteln. Außerdem gilt ein Versorgungsvertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen als abgeschlossen. Auch hier geht das jeweilige Krankenhaus eine Versorgungspflicht ein, in diesem Fall gegenüber den Versicherten, und erhält dafür den Anspruch auf die Vergütung erbrachter Leistungen (Kontrahierungszwang). Zugelassen zur Behandlung von gesetzlich Versicherten sind neben den Plankrankenhäusern und Hochschulkliniken, die ebenfalls über die eben genannten Rechte und Pflichten verfügen, zusätzlich jene Krankenhäuser, die mit den Landesverbänden der GKV einen Versorgungsvertrag abgeschlossen haben (ebd., S. 278ff). Im Jahr 2011 befinden sich 96,6 Prozent aller aufgestellten Betten in Plankrankenhäusern oder Hochschulkliniken, 1,5 Prozent in Vertragskrankenhäusern und 1,9 Prozent in Krankenhäusern ohne Versorgungsvertrag (Statistisches Bundesamt 2012 [a], S.15; eigene Berechnung). Es wird deutlich, welchen Stellenwert die Krankenhausplanung in Verbindung mit dem Kontrahierungszwang einnimmt. Die duale Finanzierung der Krankenhäuser durch die Bundesländer in Form der Investitionsförderung auf der einen, sowie der Krankenkassen durch die Pflegesätze auf der anderen Seite, soll die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser garantieren und die Umsetzung des Krankenhausplans ermöglichen (Böhm/Henkel 2009, S. 94).
Die seit Jahren rückläufige Investitionsförderung der Bundesländer zählt zu den wichtigsten Gründen für die zunehmende Privatisierung vor allem von kommunalen Krankenhäusern (vgl. Simon 2008, S. 282-283; Schulten/Böhlke 2009, S. 100-101). Ein wichtiger Grund für die Reduzierung der Zuschüsse für die Krankenhäuser ist die zunehmend angespannte Haushaltslage der Kommunen: Das jährliche Defizit aller deutschen Kommunen (exkl. Stadtstaaten) betrug in den letzten zehn Jahren durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr; die Gesamtverschuldung beläuft sich inzwischen auf 126,7 Milliarden Euro (Bundesministerium der Finanzen 2012; eigene Berechnung). Als Folge der Finanznot können die Kommunen die im Krankenhausbereich entstandene Investitionslücke oftmals nicht mehr schließen, womit die Privatisierung als eine willkommene Möglichkeit erscheint, den Investitionsstau durch privates Kapital zu beseitigen.
Aus Abbildung 1 ist zu entnehmen, dass die Investitionsförderung im Rahmen des KHG von rund 3,6 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf ca. 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2011 gesunken ist. Eine Ausnahme bildet der Zeitraum 1991 bis 1993 und das Jahr 2009. Infolge des Krankenhausinvestitionsprogramms nach Art. 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes aus dem Jahre 1992 stieg in den neuen Bundesländern das Investitionsvolumen deutlich an (Rürup 2008, S. 8). Der Anstieg im Jahr 2009 ist auf die Finanzhilfen des Bundes im Rahmen des „Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“ (Konjunkturpaket II) zurückzuführen. Der Bund steuerte in den Jahren 2009 bis 2011 insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionsmittelen für den Krankenhaussektor bei (Malzahn/Wehner 2010, S. 119-120).
Abbildung 1: Entwicklung der KHG-Fördermittel 1991-2011 (in Mio. Euro)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft 2012, S. 95; eigene Darstellung
Die Gesamtausgaben für alle Krankenhäuser in Deutschland (bereinigte Kosten) verdoppelten sich dagegen von rund 37,4 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf ca. 72,6 Milliarden Euro im Jahr 2011 (siehe Abbildung 2). Der Anteil der Fördermittel an den Gesamtausgaben im Krankenhausmarkt fiel demzufolge von 9,7 Prozent im Jahr 1991 auf 3,7 Prozent im Jahr 2011.[3]
Abbildung 2: Entwicklung der Krankenhausausgaben 1991-2011 (in Mio. Euro)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2012 [b], S. 9; eigene Darstellung
Das somit entstandene Investitionsdefizit im Krankenhaussektor ist nach Simon, Neubauer, Steiner und Mörsch mittels Vergleich mit der volkswirtschaftlichen Investitionsquote zu bestimmen (Simon 2008, S. 281-282; Neubauer 2003, S. 77-78; Steiner/Mörsch 2005, S. 476-477). Der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (volkswirtschaftlichen Investitionsquote) liegt im Jahr 2011 bei 18,1 Prozent (Statistisches Bundesamt 2012 [c], S. 11). Unter Verwendung dieses Werts als Sollvorgabe hätte die Krankenhausinvestitionsförderung im Jahr 2011 rund 13,1 Milliarden Euro betragen müssen. Tatsächlich sind es aber nur knapp 2,7 Milliarden Euro gewesen, woraus sich eine angenommene Förderlücke von ca. 10,4 Milliarden Euro allein für das Jahr 2011 ergibt. Hochgerechnet auf den Zeitraum von 1991 bis 2011 beträgt das Defizit nach o.g. Methode knapp 155 Milliarden Euro.
Rürup betrachtet dagegen die volkswirtschaftliche Investitionsquote, aufgrund der Heterogenität der Gesamtwirtschaft, als einen unbefriedigenden Vergleichswert. Durch die Übertragung der Verhältnisse aus anderen Dienstleistungsbereichen auf den Krankenhaussektor, sieht er eine jährliche Investitionsquote von 8,6 Prozent an den bereinigten Krankenhauskosten als ausreichend an (Rürup 2008, S.16ff). Mit knapp 30 Milliarden Euro im Zeitraum von 1991 bis 2011 fällt der vermutete Fehlbestand mit dieser Ermittlungsmethode deutlich geringer aus. Malzahn, Wehner und Augurzky verwenden, mit einer notwendigen Mindestinvestitionsquote von zehn Prozent am Umsatz, wiederum eine abweichende Vergleichsgröße (Malzahn/Wehner 2010, S. 113ff; Augurzky 2011, S. 162ff).[4]
Bei allen Berechnungen muss allerdings berücksichtigt werden, dass ein Teil des ermittelten Defizits durch Eigenmittel der Krankenhäuser bzw. durch Zweckentfremdung der Pflegesätze ausgeglichen wird, womit der tatsächliche Investitionsstau niedriger ausfällt (Neubauer 2003, S. 78). An diesen Beispielen lässt sich erkennen, dass sich je nach Berechnungsmethode die angenommene Unterfinanzierung in ihrer Höhe deutlich unterscheidet (vgl. auch Bruckenberger 2005, S. 20; Felder/Fetzer/Wasem 2007 S. 147). Der Sachverständigenrat weist deshalb zu Recht daraufhin, dass sich der tatsächliche Nachholbedarf nur schwer objektiv ermitteln lässt (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2007, S. 349). Dennoch wird deutlich, dass eine drastische Finanzierungslücke existiert, die auch der teilweise mangelhafte Bauzustand zahlreicher Krankenhäuser widerspiegelt.
Weiterhin unterscheiden sich die Bundeländer in ihrer Förderbereitschaft teils erheblich (Abbildung 3): Mit 12.044 Euro je Krankenhausbett fiel in Hamburg im Jahr 2011 die Förderung am Höchsten aus, während das Schlusslicht Sachsen nur 4.155 Euro pro KHG-Bett bewilligte. Der Bundesdurchschnitt lag im Jahr 2011 bei 6.045 Euro pro Bett. Ein etwas anders Bild ergibt sich bei der Betrachtung der KHG-Fördermittel über einen längeren Zeitraum. Bei der Förderung von 1991 bis 2011 waren alle neuen Bundesländer (inkl. Berlin) führend. Der Grund dafür liegt in der bereits erwähnten besonderen Förderung der ostdeutschen Länder nach der Wiedervereinigung. Spitzenreiter Mecklenburg-Vorpommern erreichte mit 282.247 Euro je Bett den höchsten Wert, während Nordrhein-Westfalen mit 97.760 Euro pro Bett am wenigsten ausgab. Im Zeitraum von 1991 bis 2011 bewilligten die Bundesländer durchschnittlich 153.459 Euro pro Bett.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Aufteilung der KHG-Fördermittel im Bundesländervergleich
Quelle: Deutsche Krankenhausgesellschaft 2012, S. 95; Statistisches Bundesamt 2012 [a], S. 17; eigene Berechnung
Als Folge werden heute „weder die Investitionsförderung noch das Vergütungssystem ihrer Aufgabe, der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser, gerecht. Im Gegenteil, in ihrer heutigen Form wirken sie als Katalysator der Privatisierung“ (Böhm/Henkel 2009 S. 94). Die Inkompatibilität der DRGs als Wettbewerbselement mit der Krankenhausplanung und der dazugehörigen Investitionskostenförderung verstärkt den Privatisierungstrend. Im DRG-System erhalten die Krankenhäuser für einen definierten Behandlungsfall eine festgelegte Vergütung, unabhängig von den tatsächlichen Kosten und/oder der Verweildauer des Patienten. Diese setzt sich aus der Multiplikation der durchschnittlichen Kosten (Bewertungsrelation) der jeweiligen Fallgruppe mit dem Basisfallwert zusammen. Die Bewertungsrelation war dabei von Anfang an von der Selbstverwaltung auf Bundesebene vorgegeben. Die krankenhausindividuellen Basisfallwerte wurden dagegen in einer sechsjährigen Übergangsphase seit dem Jahr 2005 durch Verhandlungen der Krankenhausträger mit den Krankenkassen schrittweise an den durchschnittlichen Landesbasisfallwert angepasst. Seit dem Ende der Konvergenzphase legen die Selbstverwaltungspartner den landeseinheitlichen Basisfallwert fest. Das Ziel eines einheitlichen Preises für eine Krankenhausleistung soll zukünftig durch die Übernahme eines bundesweit einheitlichen Basisfallwertes länderübergreifend erreicht werden (ebd., S. 87-88).
[...]
[1] King, Keohane und Verba stufen ein Thema dann als gesellschaftlich relevant ein, wenn eine große Anzahl von Menschen betroffen ist (zitiert bei Pressel 2011, S.1).
[2] Laut Gschwend und Schimmelfenning ist eine Untersuchung dann als wissenschaftlich bedeutungsvoll einzustufen, wenn sie den bisher bekannten Forschungsstand weiterentwickelt (zitiert bei Pressel 2011, S. 2).
[3] Für die Berechnung sind die nicht gerundeten Werte ausschlaggebend.
[4] Sie berufen sich dabei auf eine Expertenkommission des Landes Baden-Württemberg.