Georg Simmels Kulturbegriff
„Der Weg von der geschlossenen Einheit durch die entfaltete Vielfalt zur entfalteten Einheit.“
Zusammenfassung
Trotz dieses anscheinenden Unvermögens eine alleingültige Definition von „Kultur“ zu liefern, gibt die Philosophie viele Möglichkeiten, sich mit dem Ausdruck auseinanderzusetzen. Zahlreiche Denker haben ihre Überlegungen und ihr Verständnis zum Begriff dargestellt.
Einer der Philosophen, die „Kultur“ definiert haben, ist Georg Simmel. Der Gelehrte hat in zahlreichen Texten sein Verständnis des Begriffes dargelegt und ihn somit zu einem Zentralbegriff seines Schaffens gemacht. Dabei beschreibt Simmel zahlreiche Aspekte von „Kultur“, stellt verschiedene Nuancen dar und stellt damit ein umfassendes Gesamtkonzept auf. Dabei besitzt bei Simmel die Darlegung seines Verständnisses des Begriffs einen ebenso hohen Stellenwert wie die Tragödie, die sich daraus ergibt. Daher sollen hier Simmels Definition von „Kultur“ sowie die daraus folgende „Tragödie der Kultur“ dargestellt werden. Dabei wird vor allem Wert darauf gelegt, das Gesamtkonzept des Philosophen deutlich werden zu lassen. Weitere Aspekte und ihre Einflüsse werden zwar zusätzlich erwähnt, können aber aufgrund des Umfangs der Arbeit nicht ebenso ausführlich dargestellt werden. Im Anschluss an die Darstellung von Simmels Auffassung von „Kultur“ und deren Tragödie wird mit einem Fazit die Darstellung über Georg Simmel Kulturbegriff abgeschlossen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Georg Simmels Kulturbegriff
3. Die Tragödie der Kultur
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Gibt man bei einer bekannten Internet-Suchmaschine den Begriff „Kultur“ ein, so erhält man fast fünfhundert Millionen Ergebnisse. Eine Anzahl, die vermuten lässt, dass eine genaue Definition des Begriffs nur schwer möglich sein wird. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man einige der Suchergebnisse genauer besieht. Es gibt Darstellungen von „Kultur“, die sehr weit auseinanderliegen, komplett Gegensätzliches beschreiben oder sich sogar gegenseitig ausschließen. Am nützlichsten erscheinen dabei noch Definitionen, die vom „engen“ und „weiten“ Kulturbegriff ausgehen. Dabei bezeichnet ersterer vor allem die Abgrenzung der Hochkultur gegenüber dem Trivialen und letzterer die Unterscheidung des vom Menschen Geschaffenen gegenüber der Natur. Doch auch bei diesem Versuch der Beschreibung von „Kultur“ gibt es noch zahlreiche Diskussionen.
Möchte man nun unter dieser Vielzahl von Darstellungen eine konkrete Definition von „Kultur“, so scheint die Philosophie der einzige Ausweg zu sein. Schließlich ist sie die Wissenschaft, in der das genaue Definieren von Begriffen den höchsten Stellenwert besitzt. Doch wird bei einem Blick in verschiedene philosophische Wörterbücher schnell deutlich, dass auch diese Disziplin sich schwer tut, eine eindeutige Begriffsbeschreibung zu liefern. So braucht zum Beispiel die „Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften“[1] zwölf Seiten um „Kultur“ zu umschreiben, ein „Historisches Wörterbuch für Philosophie“[2] nutzt dafür sogar fünfzehn. Lediglich das „Lexikon der philosophischen Begriffe“[3] begnügt sich mit zwei Seiten. Allerdings wird bei der Lektüre sehr schnell deutlich, dass damit keine umfassende Darstellung des Begriffs „Kultur“ möglich ist.
Trotz dieses anscheinenden Unvermögens eine alleingültige Definition von „Kultur“ zu liefern, gibt die Philosophie viele Möglichkeiten, sich mit dem Ausdruck auseinanderzusetzen. Zahlreiche Denker haben ihre Überlegungen und ihr Verständnis zum Begriff dargestellt.
Einer der Philosophen, die „Kultur“ definiert haben, ist Georg Simmel. Der Gelehrte hat in zahlreichen Texten sein Verständnis des Begriffes dargelegt und ihn somit zu einem Zentralbegriff seines Schaffens gemacht. Dabei beschreibt Simmel zahlreiche Aspekte von „Kultur“, stellt verschiedene Nuancen dar und stellt damit ein umfassendes Gesamtkonzept auf. Dabei besitzt bei Simmel die Darlegung seines Verständnisses des Begriffs einen ebenso hohen Stellenwert wie die Tragödie, die sich daraus ergibt. Daher sollen hier Simmels Definition von „Kultur“ sowie die daraus folgende „Tragödie der Kultur“ dargestellt werden. Dabei wird vor allem Wert darauf gelegt, das Gesamtkonzept des Philosophen deutlich werden zu lassen. Weitere Aspekte und ihre Einflüsse werden zwar zusätzlich erwähnt, können aber aufgrund des Umfangs der Arbeit nicht ebenso ausführlich dargestellt werden. Im Anschluss an die Darstellung von Simmels Auffassung von „Kultur“ und deren Tragödie wird mit einem Fazit die Darstellung über Georg Simmel Kulturbegriff abgeschlossen.
2. Georg Simmels Kulturbegriff
Ausgangspunkt bei Georg Simmels Überlegungen zum Kulturbegriff ist die Tatsache, dass er dem Menschen im Gegensatz zum Tier die Fähigkeit einräumt, sich einer fraglosen Einordnung in die Natur zu widersetzen. Dabei ringt der Mensch um ein selbstbestimmtes, selbstverwirklichtes Leben und erhebt sich gegen natürliche Begrenzungen. Daher, so Simmel, steht am Beginn der Kultivierung des Menschen der große Dualismus Mensch – Natur. Diesem Dualismus wiederum entspringt der „endlose Prozeß zwischen dem Subjekt und dem Objekt.“[4] Indem also der Mensch versucht, sich einer widerstandslosen Eingliederung in die Natur entgegenzustellen, schafft er als neuen Konflikt den Antagonismus zwischen dem Subjekt und dem Objekt.
Simmel fasst dabei mit dem Begriff „Subjekt“ die Eigenschaften zusammen, die dem Individuum angehören. So zum Beispiel der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben, die eigene Entwicklung, die Ausbildung einer Persönlichkeit und der Seele. Dieses subjektive Leben beschreibt Simmel als rastlos, veränderlich und endlich.
Im Gegensatz dazu steht das „Objekt“. Es ist unbeweglich, unveränderlich und zeitlos.[5]
Ein Objekt ist dabei ein Produkt, das vom subjektiven Geist geschaffen wurde. Dies impliziert nicht nur Gegenstände ebenso wie Institutionen, sondern all die vom Menschen geschaffenen Dinge, mit deren Hilfe er sich von der Natur emanzipieren will.
Obwohl also das starre Objekt aus dem subjektiven Geist erschaffen wurde, steht es dem lebendigen Subjekt doch als Kontrast gegenüber. Beide sind aufgrund ihrer verschiedenen Eigenschaften nicht miteinander vereinbar. Als Ergebnis dieser Überlegungen setzt Simmel also den Dualismus Subjekt – Objekt.
Mitten in diesem Gegensatz, praktisch zur Überwindung desselben, liegt die Kultur. Sie soll die Synthese zwischen den beiden Polaritäten ermöglichen.
Was Simmel konkret unter dem Begriff „Kultur“ versteht und welche realen Aufgaben und Funktionen sie zu übernehmen hat, beschreibt der Philosoph in zahlreichen Texten. Obwohl dabei sein Gesamtkonzept stets bestehen bleibt, setzt er doch verschiedene Definitionen, betont teils andere Nuancen und schafft so eine umfangreiche Beschreibung des Begriffes „Kultur“.
Im Folgenden werden diese Ausführungen zusammenfassend dargestellt. Dabei können, wie in der Einleitung bereits geschildert, allerdings nicht alle Aspekte von Simmels Erläuterungen veranschaulicht werden, zu umfangreich wäre diese Darstellung. Die wesentlichen Merkmale werden aber sorgfältig aufgezeigt, sodass ein umfassendes Verständnis des Kulturbegriffs gewährleistet wird. Zusätzlich werden auch einige untergeordnete Themen angesprochen, sodass die Vielfalt in Simmels Überlegungen zumindest angedeutet werden kann.
Als grundlegend für Simmels Kulturverständnis ist die Abhandlung „Der Begriff und Tragödie der Kultur“ anzusehen. Dort beschreibt er Kultur als „Weg der Seele zu sich selbst“[6] und als „das Freiwerden der in ihr selbst ruhenden Spannkräfte, die Entwicklung ihres eigensten, einem inneren Formtrieb gehorsamen Keimes.“[7]
Hier zeigt sich bereits ein zentraler Punkt in Simmels Theorie von Kultur: Entscheidend für die Kultivierung eines Subjekts ist die Ausbildung der in ihr bereits vorhandenen Anlagen. Matthias Junge spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Potential“, das schon im Inneren eines Menschen angelegt sein muss.[8]
Simmel zieht zur Verdeutlichung dieses Aspektes das Beispiel des Obstbaumes heran. Wird dieser zu einem Segelmast verarbeitet, so erfüllt er zwar auch einen Zweck, als kultiviert würde er allerdings nicht bezeichnet werden. Dies wäre er nur dann, wenn er sich, von einem Gärtner gepflegt, vom unfruchtbaren Gewächs zu einem fruchttragenden Baum entwickeln würde. In diesem Fall wird seine innere Anlage entwickelt und nicht etwas, was sein Wesen eigentlich nicht enthält.[9] Dass dies ein zentraler Punkt bei Georg Simmels Definition von Kultur ist, betont auch Klaus Lichtblau:
„Der Begriff Kultur ist also im Unterscheid zu dem der Gesellschaft bei Simmel immer schon auf die inneren Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen bezogen und mit diesen untrennbar verbunden.“[10]
In diesem Zusammenhang fallen auch immer wieder die Begriffe „Zweck“, „Zweckreihe“ und „Zwecksystem“, welche die hier beschriebene Entwicklung innerer Anlagen impliziert und für die Kultivierung entscheidend ist.[11]
Von dieser Beschreibung Simmels ausgehend, stellt sich direkt die Frage, welche Möglichkeiten der Mensch hat, seine Anlagen kulturell zu entwickeln. Da der Mensch sich damit, wie oben beschrieben, der Natur entgegenstellt, argumentiert Simmel, dass er dazu Hilfsmittel benötigt. Diese findet er in den Objekten, die er selbst schafft. Dazu gehören unter anderem Religion, Technik, Recht, Sitte, gesellschaftliche Normen und zweckgeformte Gegenstände,[12] weitere Beispiele finden sich noch in den kommenden Zitaten. Diese Dinge braucht das Subjekt um sich zu entfalten, da es sich einerseits mit ihnen verwirklichen kann und andererseits durch sie Impulse bekommt, die es nicht in sich trägt. Das Subjekt kann sich zwar auch aus sich selbst heraus entwickeln, doch ist dies nicht das, was Simmel unter Kultur versteht, denn „Kultur entsteht […], indem zwei Elemente zusammenkommen deren keines sie für sich enthält: die subjektive Seele und das objektiv geistige Erzeugnis.“[13] Ebenfalls gilt, dass „Kultur […] immer Synthese“[14] aus dem Subjektiven und dem Objektiven ist. Am deutlichsten formuliert Simmel seine Kulturdefinition am Beginn seiner Rede „Die Krisis der Kultur“:
„Ich verstehe sie als diejenige Vollendung der Seele, die sich nicht unmittelbar von sich selbst her erreicht […], sondern indem sie den Umweg über die Gebilde der geistig-geschichtlichen Gattungsarbeit nimmt: durch Wissenschaft und Lebensformen, Kunst und Staat, Beruf und Weltkenntnis geht der Kulturweg des subjektiven Geistes, auf dem er zu sich selbst, als einem nun höheren und vollendeteren zurückkehrt.“[15]
Entscheidend ist dabei, dass das Subjekt auf dem Pfad der Entwicklung immer den „Umweg“ über die Objekte gehen muss und dann höher entwickelt zu sich selbst zurückfindet. Dies betont Simmel auch mehrfach in anderen Texten.[16]
Obwohl Georg Simmel diese Tatsache häufig beschreibt, bleibt zunächst offen, warum man Kultur nicht auch ohne den Umweg über die Objekte beschreiben kann. Simmel beruft sich zwar wiederholt auf den Sprachgebrauch, wie zum Beispiel folgendermaßen:
„Offenbar nämlich sprechen wir von Kultur, wenn die schöpferische Bewegung des Lebens gewisse Gebilde hervorgebracht hat“,[17]
[...]
[1] Sandkühler (1990), 900 - 912
[2] Ritter/Gründer (1976), 1309 - 1324
[3] Ulfig (1997), 240f.
[4] Simmel (1911 A), 194
[5] Vgl. ebd.
[6] Simmel (1911 A), 194
[7] Ebd., 195
[8] Vgl. Junge (2009), 55
[9] Vgl. Simmel (1911 A), 196
[10] Lichtblau (1997), 67
[11] Vgl. Simmel (1916), 37; Simmel (1911 A), 197; Lichtblau (1997), 71
[12] Vgl. Simmel (1911 A), 198
[13] Ebd.
[14] Ebd., 206
[15] Simmel (1916), 37
[16] Vgl. Simmel (1911 A), 198; 206ff; Simmel (1911 B) , 411
[17] Simmel (1918), 183