Die Liedkunst der Trobadors gilt in der französischen Literaturgeschichte als die „[…] grande renaissance de l’occident après la nuit du haut Moyen Âge“ (Grosclaude 1999, 5). Bis zum heutigen Zeitpunkt sind von dieser Dichtkunst circa 2500 Trobadorlieder überliefert worden (vgl. Grimm 2006, 49). Im Mittelpunkt dieser Dichtung steht „[…] die Höfischkeit (cortezia) und […] insbesondere das Phänomen der höfischen Liebe“ (ebd.). Die in altprovenzalisch verfassten Lieder werden von einer neuartigen Liebes-konzeption, der fin’amor, dominiert (vgl. ebd.), die die höfische Frau nicht als ein dem Mann prinzipiell unterlegenes Geschöpf präsentiert. Wie im Eingangszitat beschrieben, vollzieht sich in der trobadoresken Liebesdichtung ein soziale Umkehrung (vgl. Laffont 1997, 1033-1034). Entgegen der „[…] morale, globalement considérée, […] celle de la foi catholique du Moyen Âge où la femme n’est qu’épouse et mère“ verkünden die Tro-badors „[…] un amour ‘libéré’, […] un amour adultère“ (Grosclaude 1999, 5). Neben Themen, wie der Entstehung der Trobadorlyrik oder der Würdigung der ästhetischen Qualitäten dieser Dichtkunst, gilt das besondere Interesse dieser Arbeit vor allem den soziohistorischen Inhalten der Trobadordichtung, wie etwa der trobadoresken Liebesauffassung. Durch den lyrischen Ausdruck eines tiefen Liebesgefühls, „[…] der reinen Liebe […]“ (Bunge 1995, 80), offenbart sich das zeitgenössische Ideal von Weiblichkeit. Dieses Ideal zeigte „[…] schon damals, im 12. und 13. Jahrhundert, das Bestreben der Frühromantiker nach der Verbindung des Unvereinbaren“ (ebd., 80). Die Rhetorik der fin’amor verkörpert die höfische Liebestradition (vgl. Nappholz 1994, 2), die Frauen ikonisierte und idealisierte. Die vorliegende Arbeit hat folglich zum Ziel das Bild der Frau in der altprovenzalischen Liebeslyrik an Hand der Geschlechterbeziehungen inner-halb und außerhalb der Kanzone zu untersuchen. Hierbei soll zunächst ein Überblick über die zentralen trobadoresken Begriffe gegeben werden. Bei ausgiebiger Analyse der Trobadorlieder lässt sich die Tendenz feststellen, dass „[…] die konkrete Gestalt der Dame zurücktritt und […] sich in der Phantasie des Dichters die Metamorphose von der wirklichen, aber unerreichbaren Frau zu dem Bild einer imaginären, ideellen dompna vollzieht“ (Leube-Fey 1971, 15).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die altprovenzalische Lyrik – Eine neuartige Dichtung?
2.1 Das trobadoreske Gattungssystem
2.2 Neuartige Formalia und Inhalte der Kanzone
3. Das Bild der dompna in der altprovenzalischen Lyrik
3.1 Einführung: Cortezia und Fin’amor – Zentrale Begriffe der höfischen Liebe
3.2 Eine neuartige Sprache der Liebe – Analyse der höfischen Liebeskonzeption
4. Die soziale Dimension der Geschlechterbeziehungen
5. Schlussfolgerung
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Ils ont créé la fin’amor, qui introduit dans la fiction et peut-être dans les mœurs un renversement complet de la société: le grand seigneur amoureux devient le vassal des sa dame […] (Laffont 1997, 1033-1034).
Die Liedkunst der Trobadors gilt in der französischen Literaturgeschichte als die „[…] grande renaissance de l’occident après la nuit du haut Moyen Âge“ (Grosclaude 1999, 5). Bis zum heutigen Zeitpunkt sind von dieser Dichtkunst circa 2500 Trobadorlieder überliefert worden (vgl. Grimm 2006, 49). Im Mittelpunkt dieser Dichtung steht „[…] die Höfischkeit (cortezia) und […] insbesondere das Phänomen der höfischen Liebe“ (ebd.). Die in altprovenzalisch verfassten Lieder werden von einer neuartigen Liebeskonzeption, der fin’amor, dominiert (vgl. ebd.), die die höfische Frau nicht als ein dem Mann prinzipiell unterlegenes Geschöpf präsentiert. Wie im Eingangszitat beschrieben, vollzieht sich in der trobadoresken Liebesdichtung ein soziale Umkehrung (vgl. Laffont 1997, 1033-1034). Entgegen der „[…] morale, globalement considérée, […] celle de la foi catholique du Moyen Âge où la femme n’est qu’épouse et mère“ verkünden die Trobadors „[…] un amour ‘libéré’, […] un amour adultère“ (Grosclaude 1999, 5). Neben Themen, wie der Entstehung der Trobadorlyrik oder der Würdigung der ästhetischen Qualitäten dieser Dichtkunst, gilt das besondere Interesse dieser Arbeit vor allem den soziohistorischen Inhalten der Trobadordichtung, wie etwa der trobadoresken Liebesauffassung. Durch den lyrischen Ausdruck eines tiefen Liebesgefühls, „[…] der reinen Liebe […]“ (Bunge 1995, 80), offenbart sich das zeitgenössische Ideal von Weiblichkeit. Dieses Ideal zeigte „[…] schon damals, im 12. und 13. Jahrhundert, das Bestreben der Frühromantiker nach der Verbindung des Unvereinbaren“ (ebd., 80). Die Rhetorik der fin’amor verkörpert die höfische Liebestradition (vgl. Nappholz 1994, 2), die Frauen ikonisierte und idealisierte. Die vorliegende Arbeit hat folglich zum Ziel das Bild der Frau in der altprovenzalischen Liebeslyrik an Hand der Geschlechterbeziehungen innerhalb und außerhalb der Kanzone zu untersuchen. Hierbei soll zunächst ein Überblick über die zentralen trobadoresken Begriffe gegeben werden. Bei ausgiebiger Analyse der Trobadorlieder lässt sich die Tendenz feststellen, dass „[…] die konkrete Gestalt der Dame zurücktritt und […] sich in der Phantasie des Dichters die Metamorphose von der wirklichen, aber unerreichbaren Frau zu dem Bild einer imaginären, ideellen dompna vollzieht“ (Leube-Fey 1971, 15). Diese höfische trobadoreske Liebesauffassung, das Konzept der fin’amor, und die damit in der Lyrik verbundenen stilistischen und gedanklichen Variationsmittel sollen paradigmatisch unter Berücksichtigung des Status der Frau in der höfischen Kultur des Mittelalters analysiert werden.
2. Die altprovenzalische Lyrik – Eine neuartige Dichtung?
2.1 Das trobadoreske Gattungssystem
Letztlich weist die Trobadordichtung inhaltlich wie formal so einschneidende Neuerungen auf, dass sie sich deutlich von den vorausliegenden Modellen absetzt und folglich als Ursprung der gesamten volkssprachlichen Kunstlyrik des Abendlandes gelten muss (Grimm 2006, 50).
Laut Grimm besteht das Neuartige dieser Lieddichtung vor allem in „[…] [der] einheitliche[n] Konzeption der Höfischkeit und [der] Stilisierung der Liebe zu einem Mittel der sittlichen Vervollkommnung, die sie zu einer gesellschaftlichen Ordnungsmacht erhebt“ (ebd.). Auf diesen Punkt soll explizit in Kapitel 3 eingegangen werden. Zunächst soll ein Überblick über die Entstehung und Verbreitung der Trobadorlyrik gegeben werden. Zeitlich lässt sich die Kunstlyrik der Trobadors im Zeitraum von circa 1100 bis 1300 (vgl. Engler 1994, 946) verorten. Die altprovenzalische Lyrik bestand aus einem variantenreichen Gattungssystem, das Liedformen wie Kanzonen (40%), Sirventese (23%) und Tenzonen (8%) (vgl. ebd.) hervorbrachte. Bei der vorliegenden Arbeit soll der Fokus auf der Untersuchung von Kanzonen gelegt werden. Im Unterschied zum zeitgenössischen Verständnis von Lyrik stellte die Trobadorlyrik „[…] stets eine gesungene, instrumentell begleitete Vortragsdichtung“ (Grimm 2006, 49) dar. An dieser Vortragsdichtung war zunächst auch neuartig, dass diese sich einer Volkssprache bediente, da das Okzitanische, genauer genommen Varietäten dieser Sprache, die höfische Kultur und Ideologie repräsentierte (vgl. Rieger 1983, 204). Ein weiteres bemerkenswertes Charakteristikum der Trobadorsprache zeigt sich in der lexikalischen und syntaktischen Struktur der Kompositionen. Diese weist eine besondere Homogenität auf, derer sich besonders italienische und katalanische Dichter bedienten (vgl. Engler 1994, 946). Neben der Sprache gilt die Trobadorlyrik Südfrankreichs als „[…] eigentliche Keimzelle der volkssprachlichen Kunstlyrik des […] Abendlandes […]“ (Rieger 1983, 201), da diese eine „[…] dichtungs- und auch allgemein kulturgeschichtliche Bedeutung […]“ (ebd.) beispielsweise für die Anfänge der italienischen Lyrik aufweist.
2.2 Neuartige Formalia und Inhalte der Kanzone
Das oben beschriebene trobadoreske Gattungssystem brachte mehr als 450 namentlich bekannte Trobadors hervor (Rieger 1983, 201), die nicht nur als Autoren beziehungsweise Dichter fungierten, sondern auch gleichzeitig Komponisten waren. Der Trobador „findet“ oder „erfindet“ (okzitanisch „trobar“) Liedmelodie, Worte und Inhalt (vgl. Engler 1994, 946). Jene Form der Lyrik wurde auf Grund ihrer formal anspruchsvollen Komposition als Kunsthandwerk angesehen (vgl. Grimm 2006, 49), da das zeitgenössische Verständnis der Lyrik vom Begriff der „ars mechanica“ ausging, die eine formtechnisch vollendete Komposition garantierte (vgl. Rieger 1983, 212). Diese Begrifflichkeit beruht auf dem Konzept, dass Dichtung eine „[…] erlernbare und lehrbare Kunst […]“ (ebd.) darstelle, die wenig dichterische Freiheit erlaube und metrischen Regeln zu folgen habe. Jene erste romanische Kunstlyrik führte erstmals Regeln, wie die des „[…] obligaten Reim[s] und [der] Silbenzählung […]“ (Engler 1994, 946) ein. Diese formalen Innovationen sind von diesem Zeitpunkt an grundlegend für die romanische Dichtung (Grimm 2006, 50). Die „[…] gesteigerte Formerwartung […]“ (Engler 1994, 946) schlug sich auch in der Wahl der Inhalte der Lieder wider: Größtenteils stehen die Lieder im Zeichen der Höfischkeit. In diesem Umfeld entstanden Kanzonen, die die höfische Dame, oftmals die Frau des Lehnsherren, verherrlichten. Mit dieser Verherrlichung geht eine „spiritualisierende“ Liebesauffassung (ebd.) einher, die in Kapitel 3 beschrieben werden soll. Auffällig ist die Korrelation zwischen der oben beschriebenen gesteigerten Formerwartung und der „[…] sublimen Thematik […]“ (ebd.) der fin’amor. Ein weiterer formaler Aspekt betrifft die verherrlichte Dame, die aus Schutzgründen nur unter einem Decknamen („senhal“) genannt beziehungsweise angeredet werden darf (vgl. ebd.). Die oben beschriebene „[…] höfische Standesideologie […]“ (Grimm 2006, 48) wurde im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und fand Eingang in die die nordfranzösische Dichtkunst der Trouvères und in die Werke Chrétien de Troyes’ (vgl. ebd.). Jene Form der Trobadorlyrik, die sich ursprünglich an die höfische Gesellschaft richtete, beschreibt Grimm als „[…] elitär-aristokratische Standeslyrik […]“ (ebd., 49), die sich an ein adliges Publikum an den südfranzösischen Fürstenhöfen richtete. Oftmals entstammten die Trobadors diesen adligen und höfischen Kreisen (vgl. ebd.). Zu den berühmtesten Vertreter dieser Epoche zählen Wilhelm IX. von Aquitanien, Jaufré Rudel, Marcabru und Bernart de Ventadorn (vgl. ebd.). Jene Vertreter konnten sich einen Namen durch das Erstellen von Liedern machen, die einem vorgegebenen Regelsystem folgten. Der poetische Wert, die Kunst des „trobar“, entstand durch „[…] variantenreiche Modifikationen […]“ (Grimm 2006, 51) und der Fertigkeit bereits kodifizierte Elemente zu kombinieren (vgl. ebd.). Grimm geht davon aus, dass das Festhalten an einer normativen Poetik mit der höfischen Ideologie einhergeht:
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