Das Internet ist heute selbstverständlicher Alltag, kommunikatives Rückrat von
Sozialität und „unverzichtbarstes Medium“ für Jugendliche1 und ist somit
längst nicht mehr nur für Marketingspezialisten und ihre Auftraggeber
interessant, sondern rückt zunehmend auch in den Fokus soziologischer
Betrachtungen.
Dabei stehen zunehmend auch neue Formen der Vergemeinschaftung im
Rahmen des Web 2.0 im Mittelpunkt des Interesses; Internetnutzer laden als so
genannte „Prosumenten“ bei youtube.com eigene Inhalte ins Netz, erstellen
Profile auf verschiedenen Sozialen Netzwerkseiten wie Myspace.com oder
Studivz.net, und unterhalten sich mit anderen Nutzern über die verschiedenen
angebotenen Kanäle wie scype.com oder Twitter.com.
Einer Untersuchung des Pew Research Centers aus dem Jahre 2006 zufolge
sind 55% der jugendlichen Onlinenutzer in den USA zwischen 12 und 17
Jahren Mitglied in mindestens einer virtuellen Community (VC)2.
Laut einer Studie des Nürnberger Marktforschungsinstituts ForschungsWerk
aus dem Jahre 2009 sind fast zwei Drittel der Internetnutzer in Deutschland
über 18 Jahre Mitglied in einem oder mehreren Online-Netzwerken, wobei von
den 18-29-jährigen bereits 90% in einem Netzwerk vertreten sind. Auch haben
die meisten Communities für die Benutzer einen hohen Stellenwert; ein Drittel
der Befragten würde das Angebot stark oder sehr stark vermissen3.
Der Web-Informationsdienst alexa.com wies am 08.09.2009 die Sozialen
Netzwerkseiten von Facebook.com als die am dritthäufigsten besuchte Seite
weltweit aus4.
Doch was macht diese Sozialen Netzwerkseiten (SNS) so attraktiv? Welche Motive haben Menschen für das Anlegen ihres Profils, welchen privaten
Nutzen erhoffen sie sich von ihrer Teilnahme an diesen virtuellen
Gemeinschaften?
Um sich diesen und weiteren Fragestellungen anzunähern, möchte ich in dieser
Arbeit die verschiedenen Aspekte der virtuellen Vergemeinschaftung in einer
posttraditionalen Gemeinschaft nach den Überlegungen von Ronald Hitzler
und anderen beleuchten.
Dabei soll auch der Frage nachgegangen werden, ob posttraditionale
Gemeinschaften – und hier besonders die virtuellen Communities (VCs) –
einen positiven Beitrag zur Findung von sozialer Sicherheit im Umgang
miteinander leisten kann in einer Moderne, welche sich durch hochgradige
Individualisierung und Optionalisierung beschreiben lässt.
Untersuchungsgegenstand wird dabei die virtuelle Gemeinschaft der
SuicideGirls auf suicidegirls.com sein.
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
DURCHFÜHRUNG
FRAGEN
THEORIE
POSTTRADITIONALE GEMEINSCHAFTEN
SZENEN
VIRTUAL COMMUNITIES
SUICIDEGIRLS.COM
ÜBERBLICK
GESCHICHTE&SELBSTVERSTÄNDNIS
FUNKTIONEN
SUICIDEGIRLS,HOPEFULS&MEMBERS
PROFILE
ÄUßERES ERSCHEINUNGSBILD DER SEITE
ÄUßERES ERSCHEINUNGSBILD DER SUICIDEGIRLS & ASSOZIATION ZU ANDEREN SZENISCHEN ENTWICKLUNGEN ZUSAMMENFASSUNG&INTERPRETATION
EMPIRIE
METHODE
MATERIAL
SELBST-PORTRAITS
FRAGE NACH MOTIVEN
ZUSAMMENFASSUNG DER MOTIVE
FRAGE NACH ERFAHRUNGEN DURCH SG.COM
ZUSAMMENFASSUNG DER ERFAHRUNGEN
INTERPRETATION
FAZIT
PERSÖNLICHE MEINUNG
LITERATUR
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
Das Internet ist heute selbstverständlicher Alltag, kommunikatives Rückrat von Sozialität und „unverzichtbarstes Medium“ für Jugendliche1 und ist somit längst nicht mehr nur für Marketingspezialisten und ihre Auftraggeber interessant, sondern rückt zunehmend auch in den Fokus soziologischer Betrachtungen.
Dabei stehen zunehmend auch neue Formen der Vergemeinschaftung im Rahmen des Web 2.0 im Mittelpunkt des Interesses; Internetnutzer laden als so genannte „Prosumenten“ bei youtube.com eigene Inhalte ins Netz, erstellen Profile auf verschiedenen Sozialen Netzwerkseiten wie Myspace.com oder Studivz.net, und unterhalten sich mit anderen Nutzern über die verschiedenen angebotenen Kanäle wie scype.com oder Twitter.com.
Einer Untersuchung des Pew Research Centers aus dem Jahre 2006 zufolge sind 55% der jugendlichen Onlinenutzer in den USA zwischen 12 und 17 Jahren Mitglied in mindestens einer virtuellen Community (VC)2.
Laut einer Studie des Nürnberger Marktforschungsinstituts ForschungsWerk aus dem Jahre 2009 sind fast zwei Drittel der Internetnutzer in Deutschland über 18 Jahre Mitglied in einem oder mehreren Online-Netzwerken, wobei von den 18-29-jährigen bereits 90% in einem Netzwerk vertreten sind. Auch haben die meisten Communities für die Benutzer einen hohen Stellenwert; ein Drittel der Befragten würde das Angebot stark oder sehr stark vermissen3.
Der Web-Informationsdienst alexa.com wies am 08.09.2009 die Sozialen Netzwerkseiten von Facebook.com als die am dritthäufigsten besuchte Seite weltweit aus4.
Doch was macht diese Sozialen Netzwerkseiten (SNS) so attraktiv? Welche Motive haben Menschen für das Anlegen ihres Profils, welchen privaten Nutzen erhoffen sie sich von ihrer Teilnahme an diesen virtuellen Gemeinschaften? Um sich diesen und weiteren Fragestellungen anzunähern, möchte ich in dieser Arbeit die verschiedenen Aspekte der virtuellen Vergemeinschaftung in einer posttraditionalen Gemeinschaft nach den Überlegungen von Ronald Hitzler und anderen beleuchten.
Dabei soll auch der Frage nachgegangen werden, ob posttraditionale Gemeinschaften - und hier besonders die virtuellen Communities (VCs) - einen positiven Beitrag zur Findung von sozialer Sicherheit im Umgang miteinander leisten kann in einer Moderne, welche sich durch hochgradige Individualisierung und Optionalisierung beschreiben lässt.
Untersuchungsgegenstand wird dabei die virtuelle Gemeinschaft der SuicideGirls auf suicidegirls.com sein.
DURCHFÜHRUNG
Nachfolgend soll das Konzept der posttraditionalen Gemeinschaft nach Hitzler und anderen vorgestellt werden. Dabei ist besonders dem Konzept der (jugendkulturellen) Szenen eine große Bedeutung zuzumessen, da sie nach Hitzler einen prototypischen Charakter für die Kollektivierung unter Induvalisierungsbedingungen aufweisen.
Den Abschluss des theoretischen Teils soll eine Betrachtung der Virtuellen Communities nach den Überlegungen von Sebastian Deterding bilden.
Anschließend folgt eine Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes suicidegirls.com. , in der zunächst die Entstehungsgeschichte skizziert und die technischen Funktionen umrissen werden. Auch wird der „Look&Feel“ der Page protokolliert, damit schon hier erste leitende Geschmacksmuster herausgearbeitet werden können. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden nachfolgend kurz zusammengefasst und interpretiert werden.
Anschließend folgt der empirische Teil, in dem der Frage nach der persönlichen Motivation der Mädchen zur Teilnahme und die daran geknüpften Erwartungen nachgegangen werden wird.
Diese erfolgt nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden entsprechend dargestellt und interpretiert im Lichte des theoretischen Teils.
Diese Arbeit schließt mit einem Fazit und einem persönlichen Kommentar der Autorin.
FRAGEN
In dieser Arbeit möchte ich mich den folgenden Fragestellungen beschäftigen:
Kernfrage:
Was motiviert Menschen zur Teilnahme an SNS?
Konkret: Was motiviert junge Frauen zu der Teilnahme an SuicideGirls.com und welche Erfahrungen machen sie durch ihr Engagement?
Abgeleitete Fragen:
Welche sozialen Funktion(en) erfüllt die Virual Community SG.com und sind diese mit den sozialen Funktionen von Gemeinschaften in der „realen“ Welt vergleichbar, d.h. kann SG.com ein Ort der Vermittlung von Wissen, von sozialer Kompetenz und Handlungssicherheit sein?
Und gibt es eine Rückkopplung zwischen der virtuellen Gemeinschaft und den lokalen Netzwerken der Teilnehmerinnen, d.h. sind virtuelle Beziehungen, die auf SG.com geknüpft wurden, in die „reale“ Welt überführbar?
Als „reale“ Welt ist hier der soziale Raum zu verstehen, der sich nicht auf technische Hilfsmittel wie das Internet stützt und der sich über Face-to-Face- Beziehungen konstituiert.
Keine Ausarbeitung wird zu der Frage eines eventuell das Phänomen SG überlagernden Sozialklusters gemacht; quantitativ zu beantwortende Fragen wie nach dem „typischen“ sozialen Herkunftsmilieu oder des Bildungsgrades können in dieser Arbeit allein schon ob des Umfangs des Untersuchungsgegenstandes (am 28.04.2009 waren allein 1503 Profile von SGs unter SG.com zu finden) keine Berücksichtigung finden.
Zudem erschweren die Freiwilligkeit der Angabe dieser Daten und die Kreativität der Profilgestalter bei ihrer Formulierung eine valide Erhebung.
Auch verweist das Konzept der posttraditionalen Gemeinschaft gerade auf die Abkehr von sozialen Distinktionskriterien wie Alter, Bildung, Herkunft etc. und stellt das geteilte Interesse in den Fokus des Vergemeinschaftungsprozesses.
In den weiteren Ausführungen werde ich von den SGs abwechselnd als (junge) Frauen und Mädchen sprechen; die Bezeichnung „Mädchen“ scheint mir auch bei der Beschreibung von Volljährigen (es werden keine Minderjährigen als SGs zugelassen) und Postadoleszenten passend und ich verwende es in Anlehnung an das Buch „Wir Alphamädchen: Warum Feminismus das Leben schöner macht“ von M. Haaf, S. Klinger und B. Streidl.
THEORIE
Den folgenden Ausführungen liegt die Überlegung zugrunde, dass sich durch Subjektivierungs- , Individualisierungs-, Pluralisierungs- und Globalisierungsprozesse in ökonomischen wie auch in politischen und kulturellen Kontexten die bisher dominierenden Klassen- und Schichtstrukturen ebenso auflösen wie sich die klassischen Gesellungsformen transformieren; waren in traditionalen Gemeinschaften noch Kirchengemeinden, Vereine und andere lokale Bezugspunkte der vorrangige Ort für Sozialisation, bilden sich unter den Vorzeichen der o.g. gesellschaftlichen Entwicklungen und unter Zuhilfenahme moderner Techniken neue Vergemeinschaftungsmuster aus.
Schon in seinem Aufsatz „Bastelexistenz - Über subjektive Konsequenzen der Individualisierung“ (in Zusammenarbeit mit Anne Honer entstanden), schreibt Hitzler, dass ein „individualisiertes Leben“ ein „zur Freiheit verurteiltes Leben“ sei5, „ (..) nicht mehr nur im metaphysischen Sinne des Existenzialismus, sondern im Sinne massenhafter banaler Alltagserfahrungen. Der individualisierte Mensch ist nicht nur selber ständig in Wahl- und Entscheidungssituationen gestellt, sondern auch mit immer neuen Plänen, Entwürfen und Entscheidungen anderer Menschen konfrontiert, welche seine Biografie mehr oder weniger nachhaltig tangieren6 “.
In diesem Zusammenhang spricht er auch vom Verlust eines „ kollektiv und individuell verbindlichen Sinn-Daches“7, dem ein Prozess der Ausgliederung aus institutionell festgelegten Lebenszusammenhängen nachfolge8. Das individualisierte Individuum werde nun mit einer Art „kulturellem Supermarkt“ konfrontiert, der verschiedene Weltdeutungsangebote bereithalte, aus denen der Einzelne zu wählen habe9
Die „zersprungene Einheit der Welt“ bewirke darüber hinaus, dass „der moderne Mensch, in eine Vielzahl von disparaten Beziehungen, Orientierungen und Einstellungen verstrickt, mit ungemein heterogenen Situationen, Begegnungen Gruppierungen, Milieus und Teilkulturen konfrontiert ist und dass er folglich (sozusagen ständig) mit mannigfaltigen, nicht aufeinander abgestimmten Deutungsmustern und Handlungsschemata umgehen muss“10. Er sei also nirgendwo mehr „eingeboren“ sondern „ausgebettet“ aus jedem allgemein gültigem Sinnzusammenhang. Um sich wieder „einzubetten“ müsse er sich „für irgendwelche (biographisch mehr oder minder rasch wechselnden) Mitgliedschaften entscheiden. Das heißt, er wird (freiwillig oder unfreiwillig) Mitglied, sucht Anschluss, nimmt Kontakt auf, tritt bei, geht Beziehungen ein, schließt Freundschaften, findet sich zurecht - gewöhnt sich - und zwar mehr oder weniger an alles“11.
Bereits in diesem Aufsatz bemerkt Hitzler, dass diese Anbindung des Individuums an ein Sinnsystem oder an eine Gemeinschaft keineswegs längerfristig erfolgen muss. Dieses flexible Hinein- und Herausschlüpfen in bzw. aus einer Gemeinschaft greift er mit dem Konzept der „posttraditionellen Gemeinschaft“ wieder auf.
POSTTRADITIONALE GEMEINSCHAFTEN
Mit dem Begriff der „posttraditionalen Gemeinschaft“ meint Hitzler einen neuen Vergemeinschaftungstyp, der sich vielfach an die Stelle der traditionellen Sozialisation in Organisationen wie Jugendverbänden, Parteien und Religionsgemeinschaften gesetzt hat, deren vermitteltes Handlungswissen und Werte immer weniger funktional für die Bewältigung des Lebens in der Moderne werden12.
Dieser neue Art des Gesellungsgebildes zeichnet sich dadurch aus, dass „ sich Individuen kontingent dafür entscheiden, sich freiwillig und zeitweilig mehr oder weniger intensiv als mit anderen zusammengehörig zu betrachten, mit denen sie eine gemeinsame Interessenfokussierung haben bzw. vermuten“13.
So gründet die vergemeinschaftende Kraft nicht mehr in den sozialen Lagen von Individuen, sondern in ihren ähnlichen Lebenszielen, ihren Interessen und in ähnlichen ästhetischen Ausdrucksformen. Ähnliche Überlegungen liegen dem sozialstrukturanalytischen Konzept der „Milieumodelle“ zugrunde, welche jedoch nach Hitzler u.a. einer weiteren Überarbeitung bedürfen um dem von ihnen behandelten Typus von Gemeinschaft gerecht zu werden, der sich eben auch durch eine stark thematische Fokussierung und einen sehr (instabilen) teilzeitlichen Charakter auszeichnet.
Posttraditionale Gemeinschaften haben weder eine existentielle Bedeutung für das Leben der Individuen, noch können die Mitglieder zur Teilnahme gezwungen oder verpflichtet werden, da typischerweise keine institutionellen Sanktionspotentiale zur Durchsetzung der Weltsicht zur Verfügung stehen; sie sind lediglich „imaginäre Gebilde derer, die sich - wie auch immer - auf sie beziehen“14. Zur Partizipation kann entsprechend nur „verführt“ werden. So ist die „emotionale Hingabe“, wie sie Michel Maffesoli für (Neo-) Tribes als ein Moment der Vergemeinsamung identifiziert15, ein signifikantes Kennzeichen für posttraditionale Gemeinschaften.
Die Mitgliedschaft in einer posttraditionalen Gemeinschaft lässt sich daher auch als stets zu (re-)produzierende Übernahme von für diese (Teilzeit-)Kultur symptomatischer Zeichen, Symbole und Rituale beschreiben und drückt sich im Bekenntnis zu dieser Gemeinschaft aus; die Kollektivierung muss (auch) durch den Einzelnen stets reproduziert werden16.
Dabei spricht Hitzler von einer „Art anerkannter Komplizenschaft“ unter den Mitgliedern der (eigenen) Ingroup gegenüber den „Anderen“. Diese „Outgroup“ kann dabei auch die Gesellschaft als solche sein, die das Individuum als „Dickicht“ relativ undurchschaubarer sozialer Umstände und Gegebenheiten wahrnimmt: „(...) die Gesellschaft scheint ihren Mitgliedern vielerlei Verhaltensweisen aufzuerlegen, scheint sie insbesondere in bestimmte, größtenteils verselbstverständlichte Verkehrsregeln im Umgang mit anderen hineinzuzwingen - und ihnen, sozusagen im Gegenzug, die Erhaltung der je approbierten Verhaltensweisen zu garantieren“, so Hitzler17.
Dieser generell postulierte Ordnungsanspruch erfahre mit zunehmender Komplexität moderner Gesellschaftlichkeit vielfältige Defizite, welche von den Individuen nicht nur als Ungleichheit, sondern auch als Ungerechtigkeit infolge von Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen wahrgenommen würden18 ; die soziale Auseinandersetzung um Ressourcen und Lebenschancen irritiere zunehmend auch die kulturellen Gewohnheiten des Umgangs miteinander und führe zur Infragestellung der tradierten sozialen Verkehrsformen und schaffe einen Bedarf an alternativen Konzepten des Zusammenlebens19.
Die posttraditionale Geminschaft verspräche nun wenigstens eine relative Sicherheit und Fraglosigkeit im Umgang miteinander dadurch, dass die als gemeinsam veranschlagten Interessen auf Dauer gestellt, transformiert und mythisiert würden, wenngleich die dadurch entstehende Gemeinschaft gegenüber „naturwüchsigen“ Gesellungformen als strukurell instabil zu bezeichnen seien20.
Die kohäsionssichernden Sanktionspotentiale einer posttraditionalen Gemeinschaft zur Etablierung und Stabilisierung eines klaren Innen-Außen- Verhältnisses schätzt Hitzler im Vergleich zu traditionalen Formen von Vergemeinschaftung als weniger stark ausgeprägt ein - nicht zuletzt aufgrund der absichtlichen und freiwilligen Teilnahme an dieser Art von Gesellungsgebilden, welche typischerweise eine ebenso folgendlose Austrittsoption inkludiert21. Zudem sind die zeitlichen und sozialräumlichen Grenzen dieser Gemeinschaften mit thematischer Fokussierung spätestens seit dem Web 2.0 von der Echtzeit und jeglicher Lokalität entkoppelt sind22.
SZENEN
Unter Szenen sind lockere (tendenziell globale) soziale Netzwerke aus unbestimmt vielen Personen oder Personengruppen zu verstehen, bei denen ein bestimmtest Thema oder Interesse im Zentrum der Vergemeinschaftung steht. Dieses Interesse rekurriert sich in der Regel aus den Hauptthemen Musik, Mode, Sport und Spiel- und Tüftel-Spass im Zusammenhang mit den Neuen Medien23. Um das Szenen-Thema herum gruppiert sich ein eigener Lebensstil mit eignen Sprachgewohnheiten, Umgangsformen, Treffpunkten (auch virtuellen) Ritualen und Events sowie häufig auch ein szenetypisches Outfit24. In eine Szene wird man nicht hineingeboren, man wird zur Teilnahme „verführt“25. Dazu Hitzler: „Man verkehrt hier symptomatischer Weise also mit Teilzeit-Gleichgesinnten und versichert sich wechselseitig mit diesen seiner „Wir-Gefühle“ im Rekurs auf - tangible und intangible- Produkte und unter Nutzung spezieller Informationskanäle und -formen zur Besonderung gemeinsamer Wissensbestände und Distinkter bzw. distinktiver Kommunikationsweise.“26
Hitzler beschreibt die „Szene“ als Kulturgebilde insofern, als dass sie sich wesentlich durch das Bekenntnis zu gemeinsamen Idealen, Idee und ästhetischen Standards definierten - wie es auch bei den klassischen Vergemienschaftungsformen der bürgerlichen Kultur in z.B. Salons und Logen der Fall ist27.
Anders als diese erhebt jedoch die posttraditionale Vergemeinschaftung in einer Szene keinen Anspruch auf Setzung von allgemeingültigen Werten und tritt nicht als „Sinnvermittlungsagentur“ auf - sie orientieren sich primär an ästhetisch definierten Lebensstilen. „Szenen stellen also tatsächlich Brutstätten ästhetischer Gemeinschaften das - auch wenn sich ihr Wesen in der Regel nicht darin erschöpft“, so der Soziologe28.
Das Gesellungsgebilde der „Szene“ sieht er als prototypisch für die Kollektivierung unter Indvidualisierungsbedingungen. Dies leitet er zum einen aus der Tatsache ab, dass die Zahl originärer Szenen stetig steigt, zum anderen zeigt das Miteinander in herkömmlichen Gemeinschaften zunehmend und symptomatisch Elemente der posttraditionalen Gemeinschaft29. Seines Erachtens nach könne man daher „ (...) nicht nur von einer signifikanten Verszenung herkömmlicher Vergesellungsformen sprechen, sondern in gewisser Weise sogar von einer schleichenden Verszenung der Gesellschaft schlechthin“.
Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Jugendforschung aus dem Jahre 2007 weisen 90% der 11-18-jährigen eine signifikante Affinität zu ein oder mehreren Szenen auf30.
Dagegen sieht Hitzler - basierend auf seinen Erfahrungen im Rahmen des Projektes jugendszenen.com - das Durchschnittsalter für Szene-Affinitäten bei über achtzehn Jahren31.
VIRTUAL COMMUNITIES (VCs)
Das Internet mit seinen vielfachen Kontaktknüpfungs- und Beziehungsausbildungsmöglichkeiten trägt der informellen Struktur dieses neuen Gesellungstypus der posttraditionalen Vergemeinschaftung Rechnung: Onlinecommunities wie Myspace oder StudiVZ sind typische Vertreter der neuen, vom schwachen Bindungstyp beherrschten Netzwerkstrukturen.
[...]
1 JIM-Studie 2006, Vgl. S. 115 in „Posttraditionale Gemeinschaften“, Hitzler u.a., Wiesbaden 2008
2 http://www.pewinternet.org/~/media//Files/Reports/2006/PIP_Virtual_Tours_2006.pdf.pdf -08.09.09 3http://www.forschungswerk.de/pressearchiv/ForschungsWerk_Studie2009_Social_Communities.pdf -08.09.09
4 http://www.alexa.com/topsites - 08.09.2009
5 „Bastelexistenz - Über subjektive Konsequenzen der Individualisierung“, Baacke u.a., S.307
6 ebd. S. 307
7 ebd. S. 307
8 ebd. S. 308
9 ebd. S. 308
10 ebd. S. 308
10 ebd. S. 308
10 vgl. Hitzler, Ronald; Bucher,Thomas; Niederbacher, Arne: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute, Wiesbaden 2005
13 S.10 in „Posttraditionale Gemeinschaften“, Hitzler u.a., Wiesbaden 2008
14 ebd. S. 12
15 Vgl. ebd. S.12
16 ebd. S. 13
17 ebd. S. 16
18 ebd. S. 16
19 ebd. S. 16
20 ebd. S. 17
21 ebd. S. 18
22 ebd. S. 18
23 ebd. S. 56
24 ebd. S. 64
25 ebd. S. 64
26 ebd. S. 64
27 ebd. S. 64
28 ebd. S. 64
29 ebd. S. 57
30 ebd. S. 66
31 ebd. S. 66