In seinem Brief an den Vater führte Franz Kafka seinen persönlichen Vater-Sohn-Konflikt sowohl als Grundlage seiner künstlerischen Identität, als auch seines privaten Scheiterns an. Er schrieb „als Vater warst du zu stark für mich“ und scheint diese Aussage als Rechtfertigung zu sehen, dass aus ihm ein „ängstlicher, zögernder, unruhiger Mensch“ wurde, der „schon als Kind jedes Selbstvertrauen verloren und gegen ein grenzenloses Schuldbewusstsein eingetauscht hat.“ Die Auseinandersetzung mit seiner primären persönlichen Problematik scheint sich in Kafkas Werken widerzuspiegeln – nahezu jedes kann auf diesen Aspekt hin interpretiert werden. Der Verwandlung und dem Brief an den Vater liegen die gleichen Grundthemen zu Grunde: Die Auseinandersetzung mit patriarchalischen Familienstrukturen und der Bewältigungsversuch des unterdrückten Sohnes. Deshalb liegt es nahe, den Brief an den Vater bei der Auseinandersetzung mit der Verwandlung hinzuzuziehen, denn nur so ist man dazu in der Lage, Kafkas Text autobiographisch deuten zu können. Folgende Arbeit soll sich zunächst mit Franz Kafkas Beziehung zu seinem Vater Hermann Kafka befassen und seine daraus resultierenden innerlichen, sowie äußerliche Folgen. Daraufhin soll Die Verwandlung im Hinblick auf den Vater-Sohn-Konflikt untersucht und Bezüge zu Kafkas realer Problematik hergestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kafka und die Beziehung zu seinem Vater
3. Die Verwandlung
3.1. Darstellung der Vater-Sohn Beziehung
3.2. Bezüge zu Kafkas Vaterbeziehung
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In seinem Brief an den Vater führte Franz Kafka seinen persönlichen Vater-Sohn-Konflikt sowohl als Grundlage seiner künstlerischen Identität, als auch seines privaten Scheiterns an. Er schrieb „als Vater warst du zu stark für mich“[1] und scheint diese Aussage als Rechtfertigung zu sehen, dass aus ihm ein „ängstlicher, zögernder, unruhiger Mensch“[2] wurde, der „schon als Kind jedes Selbstvertrauen verloren und gegen ein grenzenloses Schuldbewusstsein eingetauscht hat.“[3] Die Auseinandersetzung mit seiner primären persönlichen Problematik scheint sich in Kafkas Werken widerzuspiegeln – nahezu jedes kann auf diesen Aspekt hin interpretiert werden. Der Verwandlung und dem Brief an den Vater liegen die gleichen Grundthemen zu Grunde: Die Auseinandersetzung mit patriarchalischen Familienstrukturen und der Bewältigungsversuch des unterdrückten Sohnes. Deshalb liegt es nahe, den Brief an den Vater bei der Auseinandersetzung mit der Verwandlung hinzuzuziehen, denn nur so ist man dazu in der Lage, Kafkas Text autobiographisch deuten zu können. Folgende Arbeit soll sich zunächst mit Franz Kafkas Beziehung zu seinem Vater Hermann Kafka befassen und seine daraus resultierenden innerlichen, sowie äußerliche Folgen. Daraufhin soll Die Verwandlung im Hinblick auf den Vater-Sohn-Konflikt untersucht und Bezüge zu Kafkas realer Problematik hergestellt werden.
2. Kafkas Beziehung zu seinem Vater
Hermann Kafka kam aus ärmlichen Verhältnissen und erkämpfte sich mit Ehrgeiz und einem geschickten Geschäftswillen einen Platz in der gutbürgerlichen Oberschicht Prags. Da die soziale Stellung der Familie Kafka jedoch enorm von dem finanziellen Status abhing, mussten die Eltern sehr viel im eigenen Galanterie- und Kurzwarengeschäft arbeiten.[4] Hermann Kafkas sozialer Aufstieg aus eigener Kraft könnte der Grund für seine Abneigung gegen Franz` Lebensstil gewesen sein. Diesem wurde eine sorgenfreie Kindheit ermöglicht, in welcher es ihm an nichts – zumindest an nichts Materiellem – fehlte. Kafka beschrieb das in seinem Brief an den Vater wie folgt:
„Du hast dein ganzes Leben lang schwer gearbeitet, alles für deine Kinder, vor allem für mich geopfert, ich habe infolgedessen „in Saus und Braus“ gelebt, habe vollständige Freiheit gehabt zu lernen, was ich wollte, habe keinen Anlaß zu Nahrungssorgen, also zu Sorgen überhaupt gehabt“[5]
Ersichtlich bei Betrachtung dieser Zeilen wird, dass ein gegenseitiges Verständnis zwischen Vater und Sohn nicht vorhanden war: Der Vater hatte nichts für Franz' Sentimentalitäten übrig, da er ihm in seinen Augen alles ermöglicht hatte, was für ein zufriedenes Leben benötigt wurde: Finanzielle Sicherheit. Dafür, dass es Franz um viel mehr, um seine literarische Entfaltung, und Heilung seiner Seele ging und dass er sich von dem bürgerlichen, kapitalistischen Leben der Eltern eingeengt fühlte, hatte der Vater keinerlei Verständnis, wenn er sich dessen überhaupt auch nur annäherungsweise bewusst war. Kafka schien seinen Vater und alle anderen Männer, denen es gelang zu heiraten und eine Familie zu gründen, zu bewundern. Zweimal verlobte sich Franz Kafka in seinem Leben und zweimal entzog er sich aus unterschiedlichen Gründen der Hochzeit. Er schien panische Angst davor zu haben, zu enttäuschen oder aber auch sein Dasein als „ewigen Sohn“[6] aufgeben zu müssen. Denn Kafka schien sich seiner zu bemitleidenden Existenz fast schon mit Genuss hingegeben zu haben. Wäre er ein verheirateter, Mann geworden, so wäre es ihm vielleicht nicht mehr möglich gewesen, sich seinen inneren Konflikten, primär dem Vater-Sohn-Konflikt, in seiner Literatur zu stellen.[7] Als sich Franz mit Julie Wohryzek, Tochter eines jüdischen Gemeindedieners und somit aus der untersten Gesellschaftsschicht stammend, verlobt, schlägt Hermann Kafka seinem Sohn vor, mit ihm gemeinsam in ein Bordell zu gehen, da er denkt, seine plötzliche Heiratsbegeisterung läge körperlichen Sehnsüchten zu Grunde. Dieses Angebot bezeichnet Kafka später als die größte Demütigung, die ihm sein Vater jemals angetan hat. Die „Schande, die du mir damit antatest“, schreibt er später „War dir nichts im Vergleich zu der Schande, die ich deiner Meinung nach deinem Namen durch die Heirat machen würde.“[8] Tatsächlich entschied sich Kafka gegen die Hochzeit mit Julie, womöglich aus Angst sowohl seinen Vater zu enttäuschen, als auch Julies Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Das Erlebnis der geplanten und letztendlich gescheiterten Hochzeit mit Julie Wohryzek und die Reaktion des Vaters darauf schienen für Kafka so prägend zu sein, dass er sich dazu entschloss, seinem Vater in einem Brief all seine Gedanken und Gefühle offen zu legen. In dem Brief an den Vater, welchen er 1919 vollendet, setzte sich Kafka mit seinem Vater und seiner lebenslange Furcht vor ihm auseinander. Seinem Vater erklärte er den Grund seines Briefes folgendermaßen: „Mein Schreiben handelt von Dir, ich klagte dort ja nur, was ich an deiner Brust nicht klagen konnte.“[9] Sein ihm gänzlich gegenteiliger Charakter machte es Franz Kafka unmöglich, sich gegen seinen Vater durchzusetzen, was dazu führte, dass dieser ihn sein Leben lang in wichtigen Entscheidungen wie beispielsweise in der Wahl der Schule, Berufswahl oder Ehefrau beeinflussen konnte. Die einzige Auflehnung gegen seinen Vater stellte das Schreiben dar, für welches dieser nie Verständnis aufbringen konnte. Des Vaters Ablehnung seiner Skripte, hatte für Franz Kafka durchaus etwas Positives, wie er im Brief an den Vater erläutert:
„...die Abneigung, die Du natürlich gleich auch gegen mein Schreiben hattest, war mir hier ausnahmsweise willkommen. Meine Eitelkeit, mein Ehrgeiz litten zwar unter Deiner für uns berühmt gewordenen Begrüßung meiner Bücher „Leg's auf den Nachttisch!“]...[aber im Grunde war mir dabei doch wohl, nicht nur aus aufbegehrender Bosheit, nicht nur aus Freude über eine neue Bestätigung meiner Auffassung unseres Verhältnisses, sondern ganz ursprünglich, weil jene Formel mir klang wie etwa: „ Jetzt bist du frei!““[10]
Im Brief an den Vater beschrieb Franz Kafka seinen Vater als einen Mann von „Stärke, Gesundheit, Appetit, Stimmkraft, Redebegabung, Selbstzufriedenheit, Weltüberlegenheit, Ausdauer, Geistesgegenwart, Menschenkenntnis, einer gewissen Großzügigkeit“[11] - Eigenschaften, welche Franz' Wesen fast gänzlich fern waren. Er beschrieb sich selbst als „mager, schwach, schmal“[12], war ständig krank und unsicher. Des Weiteren schreibt er: „ Jedenfalls waren wir so verschieden und in dieser Verschiedenheit einander zu gefährlich“[13]. Als gefährlich empfand Kafka wohl die Auswirkungen, welche die Stärke des Vaters auf ihn, den schwachen Sohn hatten.„Was bei dir folgenlos bleibt, kann mein Sargdeckel sein“[14] stellte Franz in seinem Brief an den Vater fest. Denn Hermann Kafka schien sowohl auf Franz als „ängstliches Kind“[15], als auch auf den erwachsenen Franz eine immense Wirkung gehabt zu haben und dennoch sah er davon ab, ihm jegliche Schuld zuzuweisen: „Wobei ich Dich aber immerfort bitte, nicht zu vergessen, daß ich niemals im entferntesten an eine Schuld Deinerseits glaube.[16] Kafka klagt seinen Vater zwar im gesamten Brief an den Vater an und erklärt seine verkorkste Persönlichkeit mit der in seinen Augen falschen Erziehung seines Vaters, wollte aber dennoch in keinem Falle, dass dieser seine Worte als Anklage auffasste, sondern eher als Erklärung für seine Ablehnung dem Vater gegenüber. Er verfasste den Brief möglicherweise auch um eine „Art Friede“[17] zwischen seinem Vater und ihm herzustellen, welcher durch jahrelanges gegenseitiges Unverständnis gestört worden zu sein schien. Obwohl Franz Kafka den Brief an den Vater im Alter von 36 Jahren schrieb, scheint aus seinen Worten immer noch das ängstliche Kind zu sprechen, das dem übermächtigen Vater hilflos gegenüber steht. Mit dem Unterschied, dass „das ausschließliche Schuldgefühl des Kindes zum Teil ersetzt ist durch den Einblick in unser beider Hilflosigkeit.“[18] Franz Kafka schien sich bewusst gewesen zu sein, dass der übermächtige Väter, der seine Kinder mit „Tyrannerei“[19] erzog eine ganz subjektive Wahrnehmung von ihm war und dass es an Franz' sensiblen Charakter lag, dass die Art und Weise des Vaters mit ihm umzugehen seine persönliche Selbstwahrnehmung
3. Die Verwandlung
Am 17. November 1912 schrieb Franz Kafka seiner zukünftigen Verlobten Felice Bauer in einem Brief, er hätte vor, eine kleine Geschichte zu schreiben, welcher er dann nur zwei Wochen später vollendete. Nach Kafkas Wunsch sollte Die Verwandlung ursprünglich gemeinsam mit den Erzählungen Der Heizer und Das Urteil unter dem Titel „Die Söhne“ gesammelt veröffentlicht werden, was er in einem Brief an seinen Verleger Kurt Wolff vom 11.April 1913 betont:
"Der Heizer", die "Verwandlung" (die 1 1/2 mal so groß wie der Heizer ist) und das "Urteil" gehören äußerlich und innerlich zusammen, es besteht zwischen ihnen eine offenbare und noch mehr eine geheime Verbindung, auf deren Darstellung durch Zusammenfassung in einem etwa "Die Söhne" betitelten Buch ich nicht verzichten möchte […] Mir liegt eben an der Einheit der drei Geschichten nicht weniger als an der Einheit einer von ihnen.[20]
Thematisch gesehen verbindet alle drei Erzählungen ein bestehender Familienkonflikt, in welchem der Sohn der Familie ausgegrenzt, ausgesetzt oder verurteilt wird und in Folge dessen letztendlich zugrunde geht. Kafkas gewünschte Betitelung des Sammelbuches könnte auch auf seine beabsichtigte Interpretation der Verwandlung im Sinne des Vater-Sohn-Konflikts hinweisen.
3.1 Darstellung der Vater- Sohn Beziehung
Untermauert wird die vermutete Intension Kafkas, der Schwerpunkt der Verwandlung liege auf dem Vater- Sohn Konflikt, durch die dargestellte Familienkonstellation in der Erzählung: Der Vater wird als Patriarch dargestellt obwohl er nicht mehr für den Lebensunterhalt seiner Familie arbeitet. Dennoch ist er weiterhin deren Oberhaupt, das die Fäden in der Hand hält. Gregor ist seit „das geschäftliche Unglück“[21] die Familie heimsuchte Haupternährer der Familie, welches als selbstverständlich angenommen wird:
[...]
[1] Kafka, Franz, Brief an den Vater, S. 146
[2] ebd.
[3] Prinz, Alois, Die Lebensgeschichte des Franz Kafka, S. 284
[4] Pfeiffer, Joachim, Die Verwandlung/Brief an den Vater, S.23
[5] Kafka, Franz, Brief an den Vater, S.143f.
[6] Alt, Peter-Andrè, Der ewige Sohn, München 2005, S. 15
[7] ebd.
[8] Kafka, Franz, Brief an den Vater, S.280 f.
[9] vgl.ebd. S.192
[10] Kafka, Franz, Brief an den Vater S.192
[11] vgl.ebd, S.146
[12] vgl. ebd. S. 151
[13] Kafka, Franz, Brief an den Vater, S. 147
[14] vgl. ebd. S. 201
[15] vgl. ebd. S. 148
[16] vgl. ebd. S.147
[17] vgl.ebd, S.145
[18] Kafka, Franz, Brief an den Vater, S.159
[19] vgl.ebd. S.172
[20] Binder, Hartmut, S. 141
[21] Franz Kafka. Die Verwandlung, Reclam, Philipp Reclam jun. Stuttgart 2001, S.30