Bildung gewinnt in modernen Gesellschaften eine immer größere Bedeutung. Wir leben in einer Wissensgesellschaft, in der unser Bildungstand maßgeblich unsere individuellen Lebens-chancen und Möglichkeiten auf soziale und kulturelle Teilhabe und Wohlstand bestimmt. Demzufolge ermöglicht ein guter Bildungsabschluss nicht nur individuellen ökonomischen Erfolg, sondern bildet auch die Grundlage der Existenzsicherung. Die Deutschland in den letz-ten 50 Jahren prägende Bildungsexpansion wurde jedoch fast ausschließlich mit dem Blick nach oben betrachtet. Der Begriff Bildungsarmut wurde erst Ende der 90er Jahre von Jutta Allmendinger (1999) in Deutschland in die wissenschaftliche und öffentliche Debatte mit ein-geführt und stellt seit dem mit einen Schwerpunkt in der Sozialforschung dar (Groh-Samberg: 263). Empirische Analysen zeigen, dass Bildungsarmut vererbt wird und es mit der Bildungs-expansion hinsichtlich der familialen Situation eindeutig zu einer zunehmenden sozialen Ver-armung dieser Gruppe und Verfestigung der Bildungsarmut gekommen ist (z.B. Solga/Wagner 2004; Wagner 2006). Es stellt sich folglich die Frage durch welche Mechanismen Bildungs-armut in einem wirtschaftlich so prosperierenden und hoch entwickelten Land wie Deutsch-land intergenerational weitergegeben werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ursachen der schichtspezifischen Bildungschancen
3. Bildungsarmut
3.1 Zertifikatsarmut
3.2 Kompetenzarmut
4. Die Verfestigung von Bildungsarmut durch das soziale Umfeld
4.1 Das ökonomische Kapital als materielle Grundversorgung
4.2 Der Einfluss des familialen kulturellen Kapitals auf die Rekonstruktion von Bildungsarmut
4.3 Die Wirkung des sozialen Kapitals auf den Bildungsstand
4.4 Die Reproduktion der Klassenstrukturen
5. Der Beitrag des Schulsystems zur Vererbung von Bildungsarmut
6. Fazit
7. Literatur
1. Einleitung
Bildung gewinnt in modernen Gesellschaften eine immer größere Bedeutung. Wir leben in einer Wissensgesellschaft, in der unser Bildungstand maßgeblich unsere individuellen Lebenschancen und Möglichkeiten auf soziale und kulturelle Teilhabe und Wohlstand bestimmt. Demzufolge ermöglicht ein guter Bildungsabschluss nicht nur individuellen ökonomischen Erfolg, sondern bildet auch die Grundlage der Existenzsicherung. Die Deutschland in den letzten 50 Jahren prägende Bildungsexpansion wurde jedoch fast ausschließlich mit dem Blick nach oben betrachtet. Der Begriff Bildungsarmut wurde erst Ende der 90er Jahre von Jutta Allmendinger (1999) in Deutschland in die wissenschaftliche und öffentliche Debatte mit eingeführt und stellt seit dem mit einen Schwerpunkt in der Sozialforschung dar (Groh-Samberg: 263). Empirische Analysen zeigen, dass Bildungsarmut vererbt wird und es mit der Bildungsexpansion hinsichtlich der familialen Situation eindeutig zu einer zunehmenden sozialen Verarmung dieser Gruppe und Verfestigung der Bildungsarmut gekommen ist (z.B. Solga/Wagner 2004; Wagner 2006). Es stellt sich folglich die Frage durch welche Mechanismen Bildungsarmut in einem wirtschaftlich so prosperierenden und hoch entwickelten Land wie Deutschland intergenerational weitergegeben werden kann.
Im Folgenden wird zu Beginn des Beitrags Bildungsarmut beschrieben, um anschließend auf ihre beiden funktionalen Aspekte Kompetenzarmut und Zertifikatsarmut einzugehen. Der nächste Abschnitt beschreibt den Beitrag der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg einer Person. Dieser Abschnitt ist in drei verschiedene Teile untergliedert, die sich an den drei grundlegenden Arten des Kapitals einer Person orientieren, aus denen sich die soziale Position eines Menschen im Wesentlichen zusammensetzt (Bourdieu 1983: 184-185). Nachdem erläutert wurde inwiefern hier Einfluss auf den außerschulischen Bildungsstand eines Kindes genommen wird, wird der Beitrag des deutschen Schulsystems zur Verfestigung der Bildungsarmut beschrieben. Grund hierfür ist, dass es nicht in der Lage ist die ökonomischen, kulturellen und sozialen Defizite im Elternhaus auszugleichen, sondern die Probleme bei der intergenerationalen Transmission von Lebenschancen noch verstärkt.
2. Ursachen der schichtspezifischen Bildungschancen
Trotz der Bildungsexpansion und dem wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre bestehen weiterhin ungleiche schichtspezifische Bildungschancen in der Bundesrepublik Deutschland. Kinder aus den oberen sozialen Schichten können Bildungsangebote weitaus besser nutzen als Kinder aus der sozialen Unterschicht (Geißler: 267). Als soziale Schicht wird allgemein eine „Gruppierung von Menschen mit ähnlich hohem Status innerhalb einer oder mehrere berufsnaher Ungleichheitsdimensionen“ bezeichnet (Hradil: 40). Das heißt, dass auch die schichtspezifischen Sozialisationsprozesse die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder maßgeblich prägen und Kinder aus den oberen Schichten aufgrund ihrer sozialen Herkunft Sozialisationsvorteile gegenüber den Kindern der unteren Schichten haben. Demzufolge können die Leistungspotentiale der Kinder aus den unteren Schichten nicht voll ausgeschöpft werden. Hinzu kommt, dass der Wiederstand der oberen Schichten gegen den sozialen Abstieg ihrer Kinder stärker ausgeprägt ist als der Wille der unteren Schichten sozial aufzusteigen.
Diese gesellschaftlichen Voraussetzungen führen zu Ungleichheiten der Bildungskompetenzen und bewirken, dass es Bildungsarmut überwiegend in den unteren sozialen Schichten gibt. Folglich ist eine Unterscheidung von Einkommensarmut und Bildungsarmut schwierig, da Bildungsarmut besonders stark einkommensarme Milieus prägt und selbiges auch umgekehrt gilt (Edelstein: 125). Um die Lebenslagen einschätzen zu können, ist es wichtig die Gruppen mit einem besonderen Armutsrisiko, also einem niedrigen Äquivalenzeinkommen, zu identifizieren. Die Statistiken beweisen, dass mit einer Armutsquote von 23 Prozent (11-20 Jährige) Kinder in Deutschland das größte Armutsrisiko in Deutschland trifft. Besonders Haushalte mit nur einem Elternteil sind betroffen, aber auch kinderreiche Normalfamilien (Edelstein). Es wird deutlich, dass Kinderhaben in Deutschland ein zunehmendes Armutsrisiko bedeutet. Besonders angesichts der demographischen Entwicklungen der letzten Jahre, ist das ein politischer Skandal (Butterwegge/Klundt). Des Weiteren gehören neben Kindern vor allem Arbeitslose, Azubis, Volontäre, in Trennung Lebende, ungelernte Arbeiter und Migranten zu den Gruppen, die ein besonderes Armutsrisiko trifft, hier jedoch nur der Vollständigkeit halber genannt werden. Insgesamt lässt sich also sagen, dass Bildungsarmut eine problematische Folge anhaltender Armut für die nachwachsenden Generationen ist.
3. Bildungsarmut
Im Folgenden soll es jedoch nicht allgemein um Bildungsungleichheiten gehen, sondern vielmehr darum, was Bildungsarmut eigentlich bedeutet. Bildungsarmut meint ein Bildungsniveau, welches in einer Gesellschaft nicht für eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt und gesellschaftlichen Leben ausreicht. Es wird anhand von Abschlüssen beziehungsweise Zertifikaten und Kompetenzen gemessen. Wie bei materieller Armut kann auch hier zwischen einer absoluten und einer relativen Definition unterschieden werden. Absolute Bildungsarmut ist durch Zielstellungen im Bildungssystem einer Gesellschaft festgelegt, indem das Minimum des zu erreichenden Bildungsgrads festgelegt wird. Die relative Bildungsarmut richtet sich allerdings an dem typischen soziokulturell erwarteten Bildungsniveau einer Gesellschaft. Die Personen, die sich am unteren Ende der Bildungsverteilung in einer Gesellschaft befinden, gelten demnach als bildungsarm. Zu beachten bleibt jedoch, dass Personen, die national als „bildungsreich“ gesehen werden, im internationalen Vergleich als „bildungsarm“ gelten können (Allmendinger/Leibfried: 13). Es ist also abhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext, in dem Bildungsarmut definiert ist, wer tatsächlich als bildungsarm gilt. Am deutschen Bildungsstandard gemessen gilt ein Jugendlicher ohne Ausbildungsabschluss trotz eines abgeschlossenen Realschulabschlusses beispielsweise als bildungsarm, wohingegen die selbe Person in Großbritannien auf keinen Fall als bildungsarm gelten würde, da die allgemeine Bildung dort wichtiger ist als eine berufliche Bildung. Demzufolge lässt sich festhalten, dass Bildungsarmut normativ geprägt ist und von dem jeweiligen gesellschaftlichen soziokulturellen Werturteil abhängt.
3.1 Zertifikatsarmut
In einer ersten Annäherung kann Bildungsarmut als Zertifikatsarmut bezeichnet werden. Absolute Bildungsarmut kann anhand irregulär beendeter Schullaufbahnen und fehlender Abschlusszertifikate gemessen werden. Besonders das Verlassen einer Hauptschule ohne einen entsprechenden Hauptschulabschluss oder der Schulabbruch nach der Pflichtschulzeit ohne ein entsprechendes Zertifikat gelten als Indizien von Bildungsarmut. In Deutschland wird lediglich ein erfolgreicher Schulabschluss belohnt. Jedoch merkt man schnell, dass auf dem Lehrstellenmarkt bereits ein erfolgreicher Hauptschulabschluss ein Nachteil im Wettbewerb um eine berufliche Ausbildung ist. Zudem verhindert eine abgebrochene Schullaufbahn oft einen Erfolg und ist ein klares Zeichen für die Unterversorgung von Schulbildung. Laut Allmendinger und Leibfried (2003) sind knapp zehn Prozent eines Abschlussjahrgangs davon betroffen. Ein weiterer Aspekt des Phänomens Bildungsarmut ist, dass ein Zertifikat keinesfalls einen sicheren Zugang zum Erwerbssystem gewährleistet (Edelstein: 126). In relativer Bildungsarmut würde dies bedeuten, dass anhand von Zertifikaten gemessen wird, wer weniger Bildung aufweist als der durchschnittliche Deutsche. Dieser Durchschnitt ist heute aber bereits bedeutend höher als lediglich ein abgeschlossener Hauptschulabschluss: Mehr als 70 Prozent der jungen Menschen haben mindestens einen Realschulabschluss (BMBF: 2005). Das Bildungsniveau und die Bildungsbeteiligung steigen laut dem aktuellen Berufsbildungsbericht (2012) kontinuierlich. So ist der Anteil der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Hauptschulabschluss zwar gesunken, liegt aber immer noch bei 6,5 Prozent.
3.2 Kompetenzarmut
Während Bildungsarmut zunächst nur als Zertifikatsarmut definiert wurde, entstand im Zuge der international vergleichenden PISA-Tests und deren Studien 2000 ein neuer Begriff in der Armutsdebatte: Kompetenzarmut (Edelstein: 126). Dies war auch der Moment, in dem Bildungsarmut erstmalig auch als Kompetenzarmut Teil der wissenschaftlichen und politischen Debatten wurde. Die Kompetenzarmut beschreibt Bildungsarmut von einem ganz anderen Blickwinkel. Hier gilt eine fünfstufige Kompetenzskala, die mithilfe der PISA-Tests gemessen werden. Dabei gilt das Nichterreichen der untersten Kompetenzstufe I als Indiz für absolute Kompetenzarmut. Angesichts der Arbeitsmarktanforderungen in Deutschland gelten außerdem auch die Schülerinnen und Schüler als absolut kompetenzarm, die nur die Kompetenzstufe I erreichen und somit lediglich über Basiskompetenzen verfügen. Betrachtet man die Verteilung im unteren Kompetenzbereich, so wird deutlich, dass sich im deutschen Schulsystem mehr „sehr kompetenzschwache“ Schülerinnen und Schüler befinden als in vergleichbar entwickelten anderen OECD-Staaten (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Die relative Kompetenzarmut kann durch die empirische Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die unterschiedlichen Kompetenzniveaus bestimmt werden. Zieht man einen Vergleich am nationalen Durchschnitt, dann wird die Ungleichheit des Kompetenzerwerbs innerhalb desselben Bildungssystems deutlich. Natürlich ist auch ein internationaler Vergleich sinnvoll, da sich so die Effektivität verschiedener Bildungssysteme hinsichtlich des erreichten Kompetenzniveaus eines Altersjahrgangs vergleichen lässt. Vergleicht man beispielsweise die Ergebnisse der Lesekompetenz aller deutschen und finnischen 15-Jährigen, so zeigt sich, dass in Deutschland maximal 22 Prozent der Kompetenzstufe I erreichen, wohingegen es in Finnland nur fünf Prozent sind. Dies lässt sich als klare Kritik am deutschen Bildungssystem auffassen.
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass, obwohl es Überschneidungen beider Gruppen gibt, Zertifikatsarmut und Kompetenzarmut keinesfalls gleichzusetzen sind. In den folgenden Ausführungen soll es nun darum gehen, wie es zu Bildungsarmut kommt und vor allem darum, wie sie sozial vererbt werden kann.
4. Die Verfestigung von Bildungsarmut durch das soziale Umfeld
Der bekannte französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930-2002) stellte sich immer wieder der Frage, warum trotz der Abschaffung der ständischen Gesellschaftsordnung, die armen Menschen arm und die reichen Menschen reich geblieben sind und sich die Klassenunterschiede zwischen Menschen problemlos empirisch belegen lassen. Die drei Klassen (untere, mittlere und obere Klasse), in welche er die die Gesellschaft einteilt, unterscheiden sich ihm nach maßgeblich durch ihr Einkommen, den Berufsabschluss und in ihren Lebensstilen (Bourdieu 1997). Jedoch wird die soziale Position eines Menschen nicht nur durch seinen materiellen Besitz, sondern auch durch seine kulturellen Eigenarten und seinen Bildungsstand beeinflusst. Diese kulturellen Eigenarten der sozialen Herkunft tragen seiner Meinung nach besonders zur Legitimation gesellschaftlicher Ungleichheiten bei. Deshalb sieht er die Kultur beziehungsweise die Bildung eines Menschen (Bourdieu 1983: 231) nicht nur als Eigenart einer bestimmten Klasse, sondern auch als eigenständige Kapitalform.
Laut Bourdieu lässt sich das Kapital in drei grundlegende Formen unterteilen, deren Art jeweils von ihrem Anwendungsbereich und ihren Transformationskosten abhängt (Bourdieu 1983: 184-185). Sie unterliegen ähnlichen Bedingungen, wie den Gesetzen und Tauschbeziehungen eines Marktes. Wie bereits festgestellt, entscheidet die soziale Herkunft einer Person, mit anderen Worten die Ressourcen der Familie, maßgeblich über den Bildungsstand und Bildungserfolg eines Kindes. Bildungsarmut wird also durch diese drei Dimensionen maßgeblich beeinflusst: dem Mangel an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital innerhalb einer Familie (Kuhlmann: 306).
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