Ambulante sozialpädagogische Angebote für junge Straffällige sind 1990 als sogenannte „Neue Ambulante Maßnahmen“ (NAM) in das Jugendgerichtsgesetz aufgenommen worden. Sie sind das Resultat, gemeinsam von Politik, Wissenschaft und Praxis getragener Bemühungen, effizienter auf Jugendkriminalität zu reagieren. Im Vordergrund stand dabei die Suche nach Alternativen zu den überwiegend repressiven traditionellen jugendgerichtlichen Sanktionen. Durch die NAM sollten deshalb einerseits die Möglichkeiten für mehr informelle Erledigungen (Diversion) geschaffen werden und andererseits, im formellen Bereich, Alternativen zu den stationären Sanktionen gefunden werden. Auf diese Weise sollten auch dem wiederholt straffällig gewordenen jungen Menschen noch Perspektiven und Chancen gegeben werden, anstatt sie endgültig zu verbauen.
Im Gegensatz zu den freizeitentziehenden Sanktionen sollen die ambulanten sozialpädagogischen Maßnahmen somit die konkreten Lebenssituationen der straffällig gewordenen jungen Menschen fokussieren und bedarfsgerecht Unterstützungsleistungen anbieten. Auf der Grundlage individueller Diagnose sollen sozialpädagogische Förderangebote bereitgestellt werden. Demzufolge orientiert sich die Arbeit der NAM an dem Leitsatz „Betreuen statt Einsperren“.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen der Neuen Ambulanten Maßnahmen (NAM)
2.1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen der NAM
2.2. Der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts
2.3. Die NAM im Spannungsfeld von Jugendhilfe und Justiz
2.3.1. „Spannungen“
2.3.2. „Auswege“: Kooperation und Standards
2.4. Zielsetzungen der NAM
2.4.1. Die kriminalpolitische Zielsetzung
2.4.2. Die Ziele jugendhilferechtlicher Intervention
2.5. Adressaten der NAM
2.6. Grenzen und Änderung der ambulanten Maßnahmen
2.7. Folgen bei Nichterfüllung der Maßnahmen
3. Sozialpädagogisch betreute Arbeitsleistungen
3.1. Gesetzgeberische Zielvorstellungen
3.2. Zielgruppen
3.3. Mindest- und Qualitätsstandards
4. Betreuungsweisung und Einzelbetreuung
4.1. Gesetzgeberische Zielvorstellungen
4.2. Zielgruppen
4.3. Mindest- und Qualitätsstandards
5. Sozialer Trainingskurs und soziale Gruppenarbeit
5.1. Gesetzgeberische Zielvorstellungen
5.2. Zielgruppen
5.3. Mindest- und Qualitätsstandards
6. Täter-Opfer-Ausgleich
6.1. Gesetzgeberische Zielvorstellungen
6.2. Zielgruppen
6.3. Mindest- und Qualitätsstandards
7. Akzeptanz und Rückfallquote der NAM
7.1. Akzeptanz der NAM
7.2. Rückfallquote der NAM
8. Schlussbetrachtung
9. Anhang
10. Abkürzungsverzeichnis
11. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ambulante sozialpädagogische Angebote für junge Straffällige sind 1990 als sogenannte „Neue Ambulante Maßnahmen“ (NAM) in das Jugendgerichtsgesetz aufgenommen worden. Sie sind das Resultat, gemeinsam von Politik, Wissenschaft und Praxis getragener Bemühungen, effizienter auf Jugendkriminalität zu reagieren. Im Vordergrund stand dabei die Suche nach Alternativen zu den überwiegend repressiven traditionellen jugendgerichtlichen Sanktionen. Durch die NAM sollten deshalb einerseits die Möglichkeiten für mehr informelle Erledigungen (Diversion) geschaffen werden und andererseits, im formellen Bereich, Alternativen zu den stationären Sanktionen gefunden werden. Auf diese Weise sollten auch dem wiederholt straffällig gewordenen jungen Menschen noch Perspektiven und Chancen gegeben werden, anstatt sie endgültig zu verbauen.
Im Gegensatz zu den freizeitentziehenden Sanktionen sollen die ambulanten sozialpädagogischen Maßnahmen somit die konkreten Lebenssituationen der straffällig gewordenen jungen Menschen fokussieren und bedarfsgerecht Unterstützungsleistungen anbieten. Auf der Grundlage individueller Diagnose sollen sozialpädagogische Förderangebote bereitgestellt werden. Demzufolge orientiert sich die Arbeit der NAM an dem Leitsatz „Betreuen statt Einsperren“.
Der Grund für die Themenwahl der vorliegenden Arbeit begründet sich auf den Besuch von unterschiedlichen Seminaren im Rahmen meines Wahlpflichtfachs (Kinder- und Jugendarbeit), in denen die NAM thematisiert wurden. Das Seminar „Einführung in das Arbeitsfeld der Ambulanten Maßnahmen im Rahmen des Jugendgerichtsgesetzes“ vermittelte mir zunächst am Beispiel der Peiner Einrichtung LABORA, einen Einblick in das Arbeitsfeld der ambulanten Maßnahmen nach dem JGG. Ein weiteres von mir besuchtes Seminar („Jugendhilfe im Strafverfahren - Einführung in die kriminalpädagogische Praxis“) beleuchtete am Beispiel der Hildesheimer Einrichtung KWABSOS, wie in einem kommunalen Netzwerk Jugendkriminalität sowohl mit Angeboten der Jugendhilfe als auch mit dem erzieherischen Anspruch des Jugendgerichtsgesetzes begegnet wird. Im Anschluss an dieses Seminar wurde es mir zudem ermöglicht, an einem KWABSOS-Wochenendseminar für straffällig gewordene Jugendliche in der Villa Ruhe bei Alfeld teilzunehmen.
Die intensiven und sehr praxisorientierten Seminare, welche u.a. mehrere Exkursionen beinhalteten, sowie die Teilnahme an dem KWABSOS-Wochenendseminar ließen mein Interesse an dem Thema „Neue Ambulante Maßnahmen“ stetig wachsen. Nach Abschluss meines Wahlpflichtfachs wollte ich mich noch weiterhin mit diesem Themenkomplex beschäftigen. So entstand das Thema zu meiner Bachelorarbeit mit dem Titel:
„Betreuen statt Einsperren“
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Die Neuen Ambulanten Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz
Zu Beginn meiner Recherche habe ich mich dabei vor allem mit folgenden zwei Eingangsfragen beschäftigt:
1. Was sind die Neuen Ambulanten Maßnahmen und welche Aspekte implizieren sowie tangieren sie?
2. Wie sehen die unterschiedlichen Angebote bzw. Maßnahmen aus und welche Effektivität kann ihnen zugesprochen werden?
Diese beiden Fragekomplexe werden in der vorliegenden Arbeit bearbeitet. In dem ersten Teil der Arbeit sollen dazu die Grundlagen der NAM behandelt werden. Neben den allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen der ambulanten Maßnahmen (2.1.) und dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts (2.2.), soll vor allem das Spannungsfeld von Jugendhilfe und Justiz (2.3.) sowie die Zielsetzungen der NAM (2.4.) näher beleuchtet werden. Außerdem werden die Adressaten der NAM (2.5.), die Grenzen und Änderung der ambulanten Maßnahmen (2.6.) und die Folgen bei Nichterfüllung der Maßnahmen (2.7.) detailliert dargestellt. Im Anschluss daran werde ich in den Kapiteln drei bis sechs auf die verschiedenen ambulanten Maßnahmen ausführlich eingehen. Dazu werde ich, für jede der einzelnen Maßnahmen, die gesetzgeberischen Zielvorstellungen, die Zielgruppen sowie die Mindest- und Qualitätsstandards darlegen. Im letzten Abschnitt der Arbeit (Kapitel 7) soll schließlich die Akzeptanz und Rückfallquote der NAM untersucht werden. Zum Abschluss werde ich letzten Endes unter Punkt 8. ein Resümee ziehen, die Ergebnisse noch einmal zusammenfassend reflektieren und einen Ausblick für die Zukunft der NAM geben.
2. Grundlagen der Neuen Ambulanten Maßnahmen (NAM)
Als sogenannte „Neue Ambulante Maßnahmen“ sind ambulante sozialpädagogische Angebote für junge Straffällige 1990 in das Jugendgerichtsgesetz (JGG) aufgenommen worden. Diese Reaktionsformen tragen durch ihre Einordnung unter die Erziehungsmaßregeln, dem Erziehungsgedanken des JGG am deutlichsten Rechnung. Die NAM an sich sind die sozialpädagogisch betreuten Arbeitsleistungen, die Betreuungsweisung bzw. die Einzelbetreuung, der soziale Trainingskurs bzw. die soziale Gruppenarbeit und der Täter-Opfer-Ausgleich. Gesetzlich verankert sind diese Maßnahmen unter den Erziehungsmaßregeln in § 10 Abs. 1 des JGG, welcher im Einzelnen lautet:
„§ 10 Weisungen
(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,
1. Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
2. bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
3. eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
4. Arbeitsleistungen zu erbringen,
5. sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen,
6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
7. sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich),
8. den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder
9. an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen“ (JGG 04.12.2011, § 10).
Die gesetzlichen Grundlagen für die NAM befinden sich im oben aufgeführten Paragraphen in den Ziffern 4 bis einschließlich 7. Dabei kann es zu einer formellen oder informellen Anordnung der ambulanten Maßnahmen kommen. Informelle Erledigung bedeutet hierbei, dass von einer weiteren Strafverfolgung zugunsten einer Resozialisierung des Täters, insbesondere bei Ersttätern und bei leichteren Delikten, abgesehen wird. Rechtliche Basis für diese sogenannte Diversion sind der § 45 des JGG und der § 47 des JGG. Sozialpädagogisch betreute Arbeitsleistungen können zudem als Zuchtmittel, dann nicht mehr Arbeitsweisung sondern Arbeitsauflage, gerichtlich angeordnet werden. Gesetzlich verankert ist diese Maßnahme unter den Zuchtmitteln in § 15 Abs. 1 Ziff. 3 des JGG (vgl. Scheffler 2010, S. 32).
Für einen ersten groben Überblick soll folgende Darstellung verdeutlichen, welche einzelnen Schritte vom Delikt bis zu etwaigen ambulanten Maßnahmen möglich sind und erfolgen können:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Vom Delikt zu ambulanten Maßnahmen (vereinfachte Darstellung)
Quelle: BH 2002, S. 2
Für die NAM sind von der „Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht“ gewisse Mindeststandards konzipiert worden, welche die personellen, inhaltlichen und organisatorischen Bedingungen festlegen, die für die Durchführung sowie Anordnung von ambulanten Maßnahmen mindestens gegeben sein müssen. Auf diese Mindeststandards werde ich mich im Folgenden zunächst beziehen, wobei ich auf die allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen der NAM gesondert unter Punkt 2.1. eingehen werde.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die NAM eine erhebliche Eingriffsintensität aufweisen, wodurch sie sich nicht als strafrechtliche Reaktion auf jugendtypische Bagatellkriminalität eignen. Unter Jugendkriminalität im Allgemeinen versteht man die Gesamtheit aller Straftaten von Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) und Heranwachsenden (18 bis 20 Jahre). Unter 14-Jährige gelten dabei als Kinder, sind nicht strafmündig und somit strafrechtlich auch nicht verfolgbar. Ob letztlich ein strafbares Verhalten vorliegt, richtet sich nach den Vorgaben des Strafgesetzbuches (StGB). In § 10 des StGB ist festgelegt, dass für junge Menschen die gesonderten Bestimmungen des JGG gelten, wobei der Katalog der Straftaten in Strafgesetzbuch und JGG identisch ist. Dabei werden vom JGG, im Gegensatz zu dem im StGB verankerten allgemeinen Strafrecht welches für Erwachsene gilt, besonders vielfältige und flexible Reaktionsmöglichkeiten vorgesehen. Bei jugendtypischen Verfehlungen, welche einen geringen Schuldgehalt aufweisen und bei welchen die Auswirkungen der Tat geringfügig sind, wodurch keine weiteren erzieherischen Maßnahmen notwendig sind, kann nach Ansicht des Gesetzgebers somit auch die sanktionslose Einstellung des Verfahrens sachgerecht sein. Von einer Großzahl junger Menschen wird die Begegnung mit der Staatsanwaltschaft sowie mit der Polizei bereits als Strafe aufgefasst und zudem erfahren sie häufig sanktionierende Reaktionen von Eltern oder anderen Bezugspersonen (vgl. BAG 1992, S. 408).
Dadurch, dass die NAM den Erziehungsmaßregeln zugeordnet sind, wurde vom Gesetzgeber verdeutlicht, dass diese nur dann Anwendung finden dürfen, wenn die fehlende Handlungskompetenz des Jugendlichen, vor allem im Zusammenhang mit einer problematischen Lebenssituation, die Verübung weiterer schwerer Straftaten wahrscheinlich macht. Dabei muss beachtet werden, dass die ambulanten Maßnahmen so durchgeführt werden müssen, dass sie imstande sind die vorhandenen (Erziehungs-) Versäumnisse aufzuarbeiten. Dazu wird unter Punkt 2.2. der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts näher beleuchtet. Hierbei ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass mit Hilfe des Jugendstrafrechts nicht versucht werden soll die Erziehungsziele des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) umzusetzen. Während das Jugendstrafrecht in erster Linie auf die Vermeidung von künftigen Straftaten abzielt, ist es die wesentliche Aufgabe des KJHG die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern und zu stärken. Zudem sind die Hilfsangebote des KJHG häufig auf Freiwilligkeit begründet, wohingegen das JGG bei seinen Rechtsfolgen den Betroffenen als Gewaltunterworfenen ansieht. Dieser Umstand gilt auch für die NAM, weil ihre Durchführung unter Umständen durch Androhung von Sanktionen erzwungen werden kann. Da dabei allerdings auch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen dem Betroffenen und dem zuständigen Pädagogen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sowie Verhaltensbeeinflussung mit dem Ziel in Zukunft keine Straftaten mehr zu begehen gegeben ist, verdeutlicht sich an dieser Stelle nach Auffassung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Zielkonflikt, welcher eintritt, wenn Strafe sich versucht als Erziehung zu rechtfertigen. Die NAM stehen demnach im Spannungsfeld von Jugendhilfe und Justiz, was unter Punkt 2.3. verdeutlicht wird. Des Weiteren liegen auch die Zielsetzungen der NAM auf zwei verschiedenen Ebenen, welche miteinander verknüpft sind. So gibt es auf der einen Seite die kriminalpolitische Zielsetzung und auf der anderen Seite die Ziele jugendhilferechtlicher Intervention. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen der NAM werde ich unter Punkt 2.4. näher erläutern (vgl. BAG 1992, S. 409/410).
Unterschiedliche Untersuchungen zur Legalbewährung von straffällig gewordenen Jugendlichen haben ergeben, dass ambulante Maßnahmen mit spezialpräventiven Wirkungsaspekten den härteren bzw. schwereren, freiheitsentziehenden Maßnahmen keinesfalls unterlegen sind. Zudem werden die Erfolgsaussichten von gesetzlich angeordneten Maßnahmen zur Beeinflussung des Verhaltens oft überschätzt, da dieses vielmehr von der sozialen Biografie, den sozialen Chancen und den allgemeinen sozialen und kulturellen Zustand einer Gesellschaft beeinflusst und bestimmt wird. Dementsprechend werden die NAM schon dann als Erfolg gewertet, wenn sie es schaffen der sozialen Desintegration entgegenzuwirken und die sozialen Bindungen zu festigen bzw. zu erweitern. Unter Punkt 2.6. werde ich dazu ausführlicher auf die Grenzen und Änderung der ambulanten Maßnahmen eingehen (vgl. BAG 1992, S. 414). Die NAM werden als Leistungen der Jugendhilfe sowohl von Trägern der öffentlichen als auch der freien Jugendhilfe erbracht. Hierbei gilt das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, d.h. wenn Träger der freien Jugendhilfe schon bestimmte Maßnahmen betreiben bzw. schaffen können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen dieser Form absehen. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen diese Maßnahmen von den Jugendämtern bei den freien Trägern in die Wege geleitet werden. Wenn selbst dafür die Voraussetzungen fehlen liegt es letztlich in der Verantwortung der Jugendämter entsprechende Leistungen von sich aus anzubieten, damit ein flächendeckendes Angebot an sozialpädagogischen Hilfen vorhanden ist (vgl. BAG 2000, S. 414).
Damit ambulante Maßnahmen qualifiziert durchgeführt werden können, ist wie bei der übrigen Jugendsozialarbeit auch, viel Geld nötig, was in der Förderpraxis von vielen Bundesländern oftmals jedoch keine Berücksichtigung findet. Dadurch bleiben häufig nur finanzielle Mittel für „irgendwelche“ Aktivitäten übrig, die den inhaltlichen und organisatorischen Mindeststandards allerdings nicht gerecht werden können. Die NAM sind in der Regel nur von extra dafür geschulten sozialpädagogischen Fachkräften durchzuführen. Dabei werden in dem Personalschlüssel der „Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen des Landes zu den Personalkosten von pädagogischen Fachkräften bei ambulanten sozialpädagogischen Angeboten der Jugendhilfe für junge Straffällige“ mindestens zwei Personalstellen in einem Jugendamtsbezirk mit bis zu 10.000 Jugendlichen empfohlen. Des Weiteren müssen regelmäßige Angebote zur Supervision sowie die Teilnahme an Fortbildungen für die pädagogischen Fachkräfte sichergestellt sein. Außerdem muss beachtet werden, dass die jungen Menschen, welche die Maßnahmen beanspruchen, häufig nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, weshalb von einer Kostenbeteiligung abgesehen werden sollte, da sonst Ziel und Zweck der Leistungen gefährdet werden könnten (vgl. BAG 2000, S. 414/415).
Bei der Anordnung, Auswahl sowie Durchführung der ambulanten Maßnahmen übernehmen die Jugendgerichtshilfen einen großen Teil der Verantwortung. Nach § 38 Abs. 3 des JGG ist die Jugendgerichtshilfe vor der Erteilung von bestimmten Weisungen anzuhören, wobei sie im Regelfall ebenfalls überwacht, ob die angeordneten Maßnahmen erfüllt werden. Hierbei ist zu beachten, dass eine Weisung nicht gegen den ausdrücklichen Willen eines jugendlichen Straftäters angeordnet werden sollte. In vielen Fällen wird jedoch die Durchführbarkeit von ambulanten sozialpädagogischen Maßnahmen vor ihrer Anordnung nicht hinreichend geprüft, was sich auch in der hohen Anzahl von Ungehorsamsarresten widerspiegelt. Es ist somit wichtig, dass vor der Hauptverhandlung zwischen der pädagogischen Fachkraft, welche die Maßnahme durchführt, und dem betroffenen Jugendlichen kommuniziert wird. Dadurch kann die grundsätzliche Bereitschaft des jungen Menschen und die Realisierbarkeit der Maßnahme fallspezifisch geprüft werden. Zu dieser Thematik werde ich unter Punkt 2.7. die Folgen bei Nichterfüllung der Maßnahmen genauer darlegen (vgl. BAG 2000, S. 416).
Nach Möglichkeit sollte die Jugendgerichtshilfe sowohl die Angebotsstruktur als auch die Optionen sowie Grenzen von allen öffentlichen und freien Trägern, die ambulante sozialpädagogische Maßnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich anbieten und durchführen, kennen. Damit etwaige Rollenkonflikte vermieden werden können, sollte für einen jugendlichen Straftäter nicht derselbe Mitarbeiter die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe übernehmen und zugleich die ambulante Maßnahme durchführen, da dieser Umstand besonders beim Täter-Opfer-Ausgleich zu erheblichen Problemen führen kann (vgl. BAG 2000, S. 416).
Aufgrund von fehlenden Abstimmungsprozessen zwischen Personen sowie Institutionen, die an der Organisation und Ausführung der ambulanten Maßnahmen mitwirken, wird die Zielgruppe der jeweiligen ambulanten Angebote häufig verfehlt.
Auf die Adressaten der NAM wird hierzu auch unter Punkt 2.5. näher eingegangen. Mitarbeiter von ambulanten Maßnahmen, Justiz und Jugendgerichtshilfe vertreten in Anbetracht ihrer unterschiedlichen Berufsrollen oftmals sehr differente Sichtweisen. Aufgrund dessen sind interdisziplinäre Arbeitsgruppen, welche zusammen an einer Konzeptentwicklung mitarbeiten, von großem Nutzen. Sollten diese Voraussetzungen nicht gegeben sein, wäre es zumindest sinnvoll, dass die Träger der NAM den Justizbeteiligten ein stichhaltiges und überzeugendes Konzept von ihrer Einrichtung und den angebotenen Maßnahmen darlegen. Dabei ist die „Verständigung über die Zielgruppe, die mit der jeweiligen Maßnahme erreicht werden soll, die Zielsetzung, welche mit der Maßnahme verfolgt wird, die Erforderlichkeit der Einwilligung des von der Weisung Betroffenen und die Notwendigkeit des Verzichts auf eine Kombination mit Arrest [unverzichtbar]. Erstrebenswert ist eine Verständigung über die Dauer der angeordneten Maßnahme, den Umfang der Kontrolle durch die Justiz bei der Durchführung der Weisungen und die regelmäßige Überprüfung der Sanktionspraxis“ (Röser 2003, S. 51/52). Damit schließlich eine erfolgreiche Zusammenarbeit erreicht wird, ist es unbedingt notwendig, dass beide Seiten transparent handeln, sich gegenseitig vertrauen und der jeweilige Handlungsauftrag der anderen Seite respektiert wird. Dies bedeutet einerseits, dass die Justiz offenlegen muss, warum sie sich für eine bestimmte Verfahrensweise und Sanktion entschieden hat. Andererseits heißt das aber auch, dass die für die Maßnahme verantwortliche Institution ihr pädagogisches Handeln darlegen und nachvollziehbar machen muss (vgl. BAG 1992, S. 418).
2.1. Allgemeine Anwendungsvoraussetzungen der NAM
Wie im vorigen Kapitel bereits erwähnt, werden die NAM nach dem JGG in erster Linie den sogenannten Erziehungsmaßregeln (§§ 9-12 des JGG, insb. § 10 des JGG) und teilweise auch den sogenannten Zuchtmitteln (§§ 13-16 des JGG, insb. § 15 des JGG) zugeordnet. Dabei sind die Weisungen nach § 10 Abs. 1 des JGG Gebote sowie Verbote, welche einerseits die Lebensführung des jungen Menschen regeln sollen, wodurch andererseits die Erziehung des Jugendlichen gefördert und gesichert werden soll. Hierbei sollen die Weisungen weder repressive noch vergeltende Absichten verfolgen, wohingegen die Zuchtmittel dem jungen Menschen nachdrücklich deutlich machen sollen, dass er für das von ihm verübte Unrecht einzustehen hat (vgl. Trenczek 2000, S. 79).
Aufgrund der Tatsache, dass das Verfahren an sich schon eine Sanktion auf eine verübte Straftat darstellt und die Möglichkeit besteht, gewisse Maßnahmen in einem informellen Verfahren aufzuerlegen, gibt es neben den im Urteil verkündeten Sanktionen noch andere jugendstrafrechtliche Reaktionsmöglichkeiten, wie die informellen Erledigungsarten nach §§ 45 und 47 des JGG. Diese sogenannte Diversion bedeutet, dass von einer Strafverfolgung zugunsten einer Resozialisierung des Täters abgesehen wird. Zudem entfällt der besondere Sanktionszweck des JGG da, wo Straftaten das „Normalverhalten“ widerspiegeln und von einer Selbstregulierung ausgegangen werden kann. Sollten jedoch NAM im Rahmen der Diversion auferlegt werden, sind für jeden Einzelfall bestimmte Zulässigkeitsgrenzen zu berücksichtigen. So ist beispielsweise „die strafrechtlich verpflichtende („initiierte“) Verknüpfung von Arbeitsleistungen, sozialen Trainingskursen oder Betreuungsweisungen … - entgegen der mancherorts betriebenen Praxis - im Rahmen des (staatsanwaltschaftlichen) Diversionsverfahrens unzulässig“ (Trenczek 2000, S. 80). Allgemein zu beachten ist, dass sowohl Erziehungsmaßregeln als auch Zuchtmittel als strafrechtliche Sanktionen anzusehen sind, da sie strafrechtlich bindend angeordnet und eingefordert werden können. Dementsprechend können NAM nach § 5 Abs. 1 des JGG auch nur aufgrund einer Straftat auferlegt werden, was bedeutet, dass Sanktionen nach dem JGG nur dann zulässig sind, wenn auch eine Straftat nachgewiesen werden kann. Dazu gehört auch, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Jugendlichen nach § 3 des JGG festgestellt wird. Grundsätzlich gilt, dass Erziehungsmaßregeln nur dann auferlegt werden sollen, wenn bei dem jungen Menschen eine Erziehungsbedürftigkeit sowie -fähigkeit festgestellt wird. Aufgrund der Tatsache, dass der Erziehungsbegriff inhaltlich jedoch relativ unbestimmt ist, bleibt in einem erheblichen Maße unklar was darunter genau zu verstehen ist. Bis auf den Hinweis, „dass für die Art und Ausgestaltung der Maßnahmen dem Entwicklungsstand des Beschuldigten und den für ihn relevanten Wertvorstellungen und Bezugspersonen vorrangige Bedeutung zukomme und dass es deshalb eines sorgfältigen Eingehens auf die individual- und sozialstrukturellen Gegebenheiten bezüglich des Beschuldigten und seiner Lebensbedingungen bedarf“ (Trenczek 2000, S. 80), werden weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung präzise Definitionskriterien aufgestellt. Deshalb wird in der Regel auf die drei Attribute der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) zurückgegriffen. In Kapitel 2.2. werde ich zu dieser Thematik den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts näher vorstellen (vgl. Trenczek 2000, S. 82). Aus strafrechtlicher Perspektive stehen die Jugendlichen als Zielgruppe im Mittelpunkt, welche nicht mehr dem „Normalbereich“ von Jugenddelinquenz zuzuordnen sind, sondern des Öfteren auffällig geworden sind. Außerdem wird das Risiko zum Begehen von weiteren Straftaten vorausgesetzt, wobei allerdings noch nicht von „schädlichen Neigungen“ wie im § 17 Abs. 2 des JGG ausgegangen wird. Hierbei weist Trenczek darauf hin, dass „es gerade unter prognostischen Gesichtspunkten an validen Kriterien [fehlt], die das Risiko weiterer Straffälligkeit zuverlässig bestimmen können. Allen Versuchen, die Zielgruppe der ambulanten Sanktionen mit Hilfe eines Stufenmodells rechtsdogmatisch zu begründen, ist gemeinsam, dass sie inhaltlich gerade nicht an den jugendstrafrechtlichen Besonderheiten orientiert sind“ (Trenczek 2000, S. 82). Beim Jugendstrafrecht ist das Begehen einer Straftat eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung, für das Verfolgen der Straftat sowie vom Staat angeordnete Sanktionen. Im Gegensatz zum allgemeinen Strafrecht gibt es im Jugendstrafrecht zudem, auch für schwere Straftaten, keine Mindeststrafe. Des Weiteren kann das Ergreifen von jugendstrafrechtlichen (Erziehungs-)Maßnahmen geschehen, muss aber nicht geschehen. Das Jugendstrafrecht zielt in erster Linie nicht darauf ab Jugendliche zu bestrafen, „vielmehr soll aus Anlass einer Straftat jugendgemäß und zukunftsgerichtet reagiert werden, um der Wiederholung von Straftaten vorzubeugen. Die spezifisch jugendstrafrechtliche Verpflichtung zur Zurückhaltung zwingt gerade deshalb zur Überprüfung vorrangiger nicht-strafrechtlicher Alternativen“ (Trenczek 2000, S. 83). In der Praxis ist es allerdings häufig so, dass die Bestimmung der jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen wie im allgemeinen Strafrecht geschieht. Neben der Art und Schwere der Straftat ist besonders die Tatsache entscheidend, inwiefern der Jugendliche bereits vorher strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Dies spiegelt sich vor allem darin wieder, dass oftmals mit steigender Anzahl vorangegangener Verurteilungen automatisch immer härtere Sanktionen folgen (vgl. Trenczek 2000, S. 82/83).
2.2. Der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts
Das Jugendstrafrecht versteht sich als Sonderstrafrecht für junge Menschen, wobei sowohl der strafrechtliche als auch der autonome Charakter deutlich wird. Neben dem Verfahren und der Gerichtsverfassung sind insbesondere die Rechtfolgen einer Straftat und deren Vollzug charakteristische Merkmale des Jugendstrafrechts. Da strafrechtlich relevantes Verhalten bei Jugendlichen in vielen Fällen normal, entwicklungstypisch und vorübergehend ist, muss auf dieses Verhalten auch normal reagiert werden. Dadurch, dass die informellen und ambulanten Reaktionsmöglichkeiten hervorgehoben und die repressiven Eingriffsinstrumente gleichzeitig eingeschränkt wurden, verdeutlichte der Gesetzgeber schon bei der Novellierung des JGG die Bedeutsamkeit der jugendhilfeorientierten Handlungsalternativen. Dies spiegelt sich letztlich auch im Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts wieder (vgl. Trenczek 1996a, S. 38). Der Erziehungsgedanke bildet die bestimmende Basis des im JGG verkörperten Jugendstrafrechts und gilt als dessen Handlungsmaxime. Dadurch, dass der Erziehungsgedanke fest im Gesetz verankert ist, findet automatisch eine Ausrichtung am Erziehungsgedanken statt. Dabei ist nicht genau festgelegt, was unter dem Begriff Erziehung zu verstehen ist. Es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Somit gibt es zum Terminus Erziehung auch keine einheitliche, sondern viele verschiedene Definitionen. Im Folgenden möchte ich dazu zwei Definitionen von Erziehung näher vorstellen:
„Erziehung ist dasjenige Handeln, in dem die Älteren (Erzieher) den Jüngeren (Edukanden) im Rahmen gewisser Lebensvorstellungen (Erziehungsnormen) und unter konkreten Umständen (Erziehungsbedingungen) sowie mit bestimmten Aufgaben (Erziehungsgehalten) und Maßnahmen (Erziehungsmethoden) in der Absicht einer Veränderung (Erziehungswirkungen) zur eigenen Lebensführung verhelfen, und zwar so, daß die Jüngeren das erzieherische Handeln der Älteren als notwendigen Beistand für ihr eigenes Dasein erfahren, kritisch zu beurteilen und selbst fortzuführen lernen“ (Bokelmann 1970, S. 185).
„Der zur gelungenen Sozialisation führende Lernprozeß, auch Erziehung genannt, beruht auf der schrittweisen Bewältigung zwischenmenschlicher Beziehungen zur Mutter, zur Familie, zur Nachbarschaft, zu Gleichaltrigen, zum anderen Geschlecht. Hierbei wird ein Gefüge von Verhaltensnormen erlernt und verinnerlicht, das es den meisten Menschen erlaubt, ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu führen“ (Böhm 1985, S. 1).
Beide oben aufgeführten Definitionen gehen beim Erziehungsbegriff somit von einem Idealzustand aus, wobei sie darin übereinstimmen, dass der Erziehungsbedürftige zur Selbstständigkeit und Eigenständigkeit geführt werden soll. Der Erwachsene soll bei diesem Prozess eine unterstützende Rolle einnehmen und dem zu Erziehenden „Hilfe zur Selbsthilfe“ zukommen lassen.
Im Weiteren möchte ich nun aufzeigen, was genau die Substanz des Erziehungsgedankens ist und was Erziehung im Sinne des Jugendstrafrechts bedeutet. Hierzu sei zunächst gesagt, dass in § 2 Abs. 1 des JGG festgestellt wird, dass Erziehung im Grunde kein Ziel an sich ist, sondern es vorrangig um die Mittel geht, mit welchen nach Möglichkeit das Ziel der Legalbewährung erfolgreich erreicht werden kann. Dadurch, dass die Legalbewährung als Ziel bei der Anwendung des Jugendstrafrechts festgelegt wurde, fand gleichzeitig eine Begrenzung der erzieherischen Anstrengungen statt. Im Gegensatz zum Jugendhilferecht geht es beim Jugendstrafrecht nämlich nicht um eine umfangreiche Förderung der Persönlichkeit des Jugendlich um seiner selbst willen. Während im KJHG „ein Recht auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gewährt wird, geht es … [im Jugendstrafrecht] darum, mit den Mitteln der Erziehung zu erreichen, dass der junge Mensch sich im strafrechtlichen Sinne sozialadäquat zu verhalten lernt“ (Goerdeler 2009, S. 111). Auf der einen Seite befindet sich somit das Jugendhilferecht, welches sich als Bestandteil des Sozialrechts ausschließlich an den Interessen der betroffenen Person orientiert und fast ausschließlich dem Leitbild der Freiwilligkeit folgt. Wohingegen sich auf der anderen Seite das Jugendstrafrecht befindet, welches im öffentlichen Interesse zur Anwendung kommt und dadurch gekennzeichnet ist das Verfahren sowie mögliche Rechtfolgen einseitig bestimmt werden. Dieser Umstand schließt jedoch nicht automatisch aus, dass sich das Strafrecht zugunsten der Jugendhilfe zurücknimmt, wenn sein Ziel dadurch ebenso gut oder eventuell sogar besser erreicht werden kann (Diversion, Weisungen NAM). Letztlich ändert dies allerdings nichts daran, dass dem Strafrecht immer die Rechtsmacht offensteht und jederzeit verfahrenssichernde Zwangsmaßnahmen sowie verpflichtende Anordnungen über die Rechtsfolgen getroffen werden können (vgl. Goerdeler 2009, S. 110/111).
Die verschiedenen verfassungsrechtlichen Ausgangspunkte entsprechen ebenfalls den unterschiedlichen Ausrichtungen des KJHG und des Jugendstrafrechts. Das Jugendhilferecht orientiert sich unbedingt an dem Wohl des Jugendlichen und die Eltern werden bei der Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts unterstützt. Nur für den Fall, dass eine Gefährdung des Kindewohls besteht und die Eltern nicht im Stande sind diese abzuwenden, darf in Ausübung des staatlichen Wächteramts mit Zwangsmaßnahmen vorgegangen werden. Das Jugendstrafrecht wiederum kann sich nicht auf das staatliche Wächteramt stützen, da in diesem Fall jugendstrafrechtliche Eingriffe nur dann legitim wären, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Dieser Umstand könnte gerade bei den jugendtypischen, geringfügigen Massenverfehlungen nicht begründet werden. Außerdem wäre es dann andererseits auch nicht zu rechtfertigen, dass sich der in Ausübung des Wächteramts erfolgte Eingriff ausschließlich an der Förderung der Legalbewährung orientiert. Dementsprechend kann sich das Jugendstrafrecht vielmehr „auf ein originär strafrechtliches Erziehungsrecht berufen, das sich aus dem staatlichen Auftrag zur Herstellung des Rechtsfriedens ableitet. Dieses substituiert nicht das elterliche Erziehungsrecht, vielmehr berechtigt es den Staat zu begrenzten Eingriffen in das Erziehungsrecht der Eltern“ (Goerdeler 2009, S. 112). Allerdings sagt dabei die Beschränkung, auf das zur Verwirklichung der Legalbewährung Nötige, noch nichts darüber aus, welche Instrumente sowie Verfahrensweisen angewendet werden sollen und welches das innere Leitbild jugendstrafrechtlicher-erzieherischer Einflussnahme ist. Fest steht, dass im Sinne der inneren Ausrichtung, die Erziehung, auch auf Hintergrund des Strafrechts, danach streben sollte, dass die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert wird (vgl. Goerdeler 2009, S. 111/112).
2.3. Die NAM im Spannungsfeld von Jugendhilfe und Justiz
Dadurch, dass sozialpädagogische Angebote für straffällig gewordene Jugendliche einen strafrechtlichen Bezugsrahmen aufweisen, wurde von unterschiedlichen Seiten auf die Gefahr hingewiesen, dass sozialpädagogische Arbeit, welche sich in diesem Spannungsfeld bewegt, ins „Souterrain der Justiz“ verwiesen wird. Eine vorliegende Straftat kann zwar den Anstoß geben bzw. der Indikator sein, allerdings richtet sich die Frage nach der Legitimation, der Grundidee und der genauen Durchführung von Jugendhilfeleistungen letztlich ausschließlich nach jugendhilferechtlichen Kriterien. Hierbei werden, nicht zuletzt zum Wohl des betroffenen Jugendlichen, große Herausforderungen an kooperative Strukturen in Bezug auf das Zusammenwirken von Jugendhilfe und Justiz gestellt.
2.3.1. „Spannungen“
Der im JGG verankerte Erziehungsgedanke zielt zwar einerseits auf eine Begrenzung staatlicher Sanktionen ab, andererseits verfolgt er dabei aber weiterhin das strafrechtliche Leitbild. Dadurch, dass die NAM hauptsächlich den Erziehungsmaßregeln zugeordnet sind, wird deutlich, dass bei der Anordnung der Maßnahmen durch den Jugendrichter eine gewisse Erziehungsbedürftigkeit des jungen Menschen festgestellt werden muss. Allerdings wurden vom Gesetzgeber sowie von der Wissenschaft keine Kriterien, bis auf die unscharfe Vorgabe, dass es „eines sorgfältigen Eingehens auf die individual- und sozialstrukturellen Gegebenheiten bezüglich des Beschuldigten und seiner Lebensbedingungen bedarf“ (Eisenberg 1993, S. 137), für die Feststellung einer solchen Bedürftigkeit festgelegt.
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