„Medienkinder von Geburt an“ (Theunert 2007, S.9) hieß es auf einer Tagung des
Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF). Hervor ging dabei, dass ein medienfreier Raum „Kindheit“ Illusion sei (vgl. Theunert/Demmler 2007, S.92). In Betracht dazu kommt, dass im Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt verbindlich festgelegt wurde, dass Schüler bereits im Grundschulalter an den reflektierenden Umgang mit verschiedenen Medien (als Informations- und Kommunikationsmittel) heranzuführen sind (vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt, Grundsatzband 2007, S. 9, vgl. URL 1). Daran ist abzulesen, dass im 21. Jahrhundert Medienkompetenz ein Teil von Lebenskompetenz geworden ist und ihre Vermittlung ein Bestandteil des Aufwachsens darstellt (vgl. Zacharias 2005, S.30). Die jährlich erhobene KIM-Studie bestätigt diese Annahme und machte 2010 deutlich, dass vor allem der Computer nicht mehr aus der Kindheit wegzudenken ist. Bereits für Sechs- bis Siebenjährige ist der Computerumgang in der Schule, als auch zu Hause für die Schule eine vertraute Realität (vgl. KIM-Studie 2010, S.29f, vgl. URL 2). Grundlegende Computerkenntnisse müssten demzufolge bereits im Elementarbereich erworben werden. Bislang liegen jedoch nur wenige empirisch fundierte Untersuchungen im frühkindlichen Bereich, im Zusammenhang mit dem Erwerb von Medienkompetenzen, vor (vgl. Luca/Aufenanger 2007, S.25). Im Altersbereich der Vierbis Fünfjährigen gibt es nur vereinzelt Forschungen darüber, wie diese Altersgruppe lernt (vgl. Hasselhorn 2011, S.19). Kompetenzen erwerben die Kinder im Schulunterricht auf Basis koedukativer Unterrichtung. Monoedukative Strukturen lassen sich ebenso kaum im Elementarbereich auffinden. Demnach hat sich das Prinzip der Koedukation, im staatlichen Elementar- und Primarbereich des 21. Jahrhunderts durchgesetzt. Kinder lernen folglich in gemischtgeschlechtlichen Gruppen oder Klassen zusammen. Dabei wirft sich die Frage auf, ob dieses koedukative Prinzip sich im Hinblick zum Erwerb von Computerkompetenzen bewähren kann? Ausnahme jener koedukativen Regelung im Schulbereich, stellt der Spotunterricht dar. Auf Grund der offensichtlichen körperlichen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gestaltet sich der Sportunterricht überwiegend getrenntgeschlechtlich. Doch sollten die Geschlechterunterschiede nur im Sportunterricht geschlechtersensibel behandelt werden?[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Prinzip der Koedukation im Primar- und Elementarbereich
2.1 Begriffsklärung Koedukation
2.2 Geschichtlicher Abriss des Unterrichts in der Primarstufe, ab 20. Jahrhundert
2.3 Medien: „alte Medien“ und „neue Medien“
2.4 Medienarbeit im Elementarbereich, Ende 20. Jahrhundert bis Heute
3. Frühkindliche Entwicklungen, bezogen auf die Entstehung der eigenen Geschlechtsidentität, Geburt bis sechs Jahre
3.1 Vorgeburtliche, biologische Einflussfaktoren
3.2 Von der eigenen Identität zur Geschlechtsidentität
3.3 Entwicklungsabriss der kindlichen Gehirnentwicklung
3.4 Die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten
3.5 Die Entwicklung frühkindlichen Spiels
4. Geschlechtersensible Entwicklungen, bis sechs Jahre
4.1 Begriffsklärung Sozialisation
4.2 Frühkindliche geschlechtsspezifische Entwicklungen und Sozialisation
4.2.1. Allgemeine geschlechtsspezifische Entwicklungsunterschiede
4.2.2 Die primäre Sozialisationsinstanz: Eltern
4.2.3 Die primäre Sozialisationsinstanz: Geschwister
4.2.4 Die sekundäre Sozialisationsinstanz: Kindergarten
4.2.5 Die tertiäre Sozialisationsinstanz: Gleichaltrige
4.2.6 Die tertiäre Sozialisationsinstanz: Medien
5. Geschlechtersensibler Erwerb von Computerkompetenzen, Kinder bis sechs Jahre
5.1 Frühkindliches Einstiegsalter für den Erwerb von Computerkompetenzen
5.2 Sollte der Erwerb von Computerkompetenzen geschlechtersensibel erfolgen?
5.3 Muss das Prinzip der Koedukation hinterfragt werden?
6. Schlusswort
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Medienkinder von Geburt an“ (Theunert 2007, S.9) hieß es auf einer Tagung des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF). Hervor ging dabei, dass ein medienfreier Raum „Kindheit“ Illusion sei (vgl. Theunert/Demmler 2007, S.92). In Betracht dazu kommt, dass im Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt verbindlich festgelegt wurde, dass Schüler bereits im Grundschulalter an den reflektierenden Umgang mit verschiedenen Medien (als Informations- und Kommunikationsmittel) heranzuführen sind (vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt, Grundsatzband 2007, S. 9, vgl. URL 1). Daran ist abzulesen, dass im 21. Jahrhundert Medienkompetenz ein Teil von Lebenskompetenz geworden ist und ihre Vermittlung ein Bestandteil des Aufwachsens darstellt (vgl. Zacharias 2005, S.30). Die jährlich erhobene KIM-Studie bestätigt diese Annahme und machte 2010 deutlich, dass vor allem der Computer nicht mehr aus der Kindheit wegzudenken ist. Bereits für Sechs- bis Siebenjährige ist der Computerumgang in der Schule, als auch zu Hause für die Schule eine vertraute Realität (vgl. KIM-Studie 2010, S.29f, vgl. URL 2).
Grundlegende Computerkenntnisse müssten demzufolge bereits im Elementarbereich erworben werden. Bislang liegen jedoch nur wenige empirisch fundierte Unter-suchungen im frühkindlichen Bereich, im Zusammenhang mit dem Erwerb von Medienkompetenzen, vor (vgl. Luca/Aufenanger 2007, S.25). Im Altersbereich der Vier- bis Fünfjährigen gibt es nur vereinzelt Forschungen darüber, wie diese Altersgruppe lernt (vgl. Hasselhorn 2011, S.19).
Kompetenzen erwerben die Kinder im Schulunterricht auf Basis koedukativer Unterrichtung. Monoedukative Strukturen lassen sich ebenso kaum im Elementar-bereich auffinden. Demnach hat sich das Prinzip der Koedukation, im staatlichen Elementar- und Primarbereich des 21. Jahrhunderts durchgesetzt. Kinder lernen folglich in gemischtgeschlechtlichen Gruppen oder Klassen zusammen. Dabei wirft sich die Frage auf, ob dieses koedukative Prinzip sich im Hinblick zum Erwerb von Computerkompetenzen bewähren kann?
Ausnahme jener koedukativen Regelung im Schulbereich, stellt der Sportunterricht dar. Auf Grund der offensichtlichen körperlichen Entwicklungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen gestaltet sich der Sportunterricht überwiegend getrennt-geschlechtlich. Doch sollten die Geschlechterunterschiede nur im Sportunterricht geschlechtersensible behandelt werden?
Aus all diesen Sichtweisen ergeben sich zwei zentrale Fragestellungen: „Sollte der Erwerb von Computerkompetenzen geschlechtersensibel erfolgen und muss dies-bezüglich das Prinzip der Koedukation bei Kindern unter sechs Jahren hinterfragt werden?“ Mit diesen Fragen wird sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzen. Im Fokus der Erarbeitung steht dabei vorrangig der Elementarbereich (Kindergarten) und folglich die frühkindliche Entwicklung von Mädchen und Jungen bis sechs Jahre.
Um die Fragestellung beantworten zu können, wird es als notwendig erachtet, sich mit der Herleitung des Koedukationsprinzips im Elementar- und Primarbereich näher zu befassen (vgl. Kapitel 2). Dabei wird ein geschichtlicher Abriss verdeutlichen, wie es zur Etablierung einer koedukativen Unterrichtung gekommen ist (vgl. Kapitel 2.2.). Folglich wird der gegenwärtige Umgang bezüglich der Medienarbeit im Elementar-bereich veranschaulicht (vgl. Kapitel 2.4). Im Anschluss wird das Kapitel 3 die frühkindliche Entwicklung aufzeigen. In näherer Betrachtung stehen dabei die Entwicklung des Gehirns und sprachliche Fähigkeiten, sowie das frühkindliche Spielverhalten (Kapitel 3.3 bis 3.5). Nachdem gemeinsame frühkindliche Entwicklungs-stufen aufgezeigt wurden, befasst sich das Kapitel 4 ausschließlich mit der Untersuchung geschlechtsspezifischer Entwicklungsunterschiede. Veranschaulicht wird dies durch die differenzierte Betrachtung verschiedener Sozialisationsinstanzen Eltern, Geschwister, Kindergarten, Gleichaltrige und Medien (vgl. Kapitel 4.2.2 bis 4.2.6). Das Kapitel 5 verbindet, alle aus den vorherigen Kapiteln gewonnenen Ergeb-nisse und stellt argumentativ eine Beantwortung der zentralen Fragestellungen auf. Berücksichtigt wird dabei welches frühkindliche Lebensjahr ein Einstiegsalter für den Erwerb von Computerkompetenzen darstellen könnte (vgl. Kapitel 5.1). Des Weiteren wird begründet, weshalb Mädchen und Jungen unterschiedlich an das Themengebiet herangeführt werden sollten (vgl. Kapitel 5.2.). Das Kapitel schließt folglich mit einer Argumentationsführung, bezüglich der Frage nach dem Koedukationsprinzip im Elementarbereich, ab (vgl. Kapitel 5.3). Im Schlusswort werden weiterführende Ge-danken geäußert (vgl. Kapitel 6).
Um die zwei zentralen Fragestellungen hinlänglich zu erarbeiten, wurden überwiegend diverse Primär- und Sekundärliteratur herangezogen, ebenso wie empirische Er-hebungen (KIM-Studie 2010, Studie von Rost und Pruisken).
Es soll der Einleitung abschließend angemerkt sein, dass diese Arbeit auf der Grundlage der Komplexität des Themas und dem begrenzten Umfang einer Bachelor-arbeit, keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Absolutheit erhebt.
2. Das Prinzip der Koedukation im Primar- und Elementarbereich
Koedukation und seine Vermittlungsweise unterliegen über die Jahrhunderte hinweg, dem bestehenden Zeitgeist. Ob der „perfekte“, kindgerechte Unterricht in der Primar-stufe und darüber hinaus monoedukativ oder koedukativ vermittelt werden sollte, ist bis heute Gegenstand vieler Debatten. Wie sich der koedukative Unterricht gegenüber der monoedukativen Unterrichtsform herauskristallisieren konnte und was es in diesem Zusammenhang mit der Medienarbeit auf sich hat, soll im vorliegenden Kapitel näher beleuchtet werden. In der Betrachtung liegt dabei der Fokus vorrangig auf der Primarstufe (1.bis 4. Klassenstufe), um das Prinzip Koedukation ab dem 20. Jahr-hundert bis heute im Schulbereich nachvollziehbar werden zu lassen. Doch bevor genauer darauf eingegangen werden kann, muss zuerst geklärt werden, was man im 21. Jahrhundert unter Koedukation versteht.
2.1 Begriffsklärung Koedukation
Neuenhausen (2009) stellt dazu fest, dass der Koedukationsbegriff auf eine gemeinschaftliche Erziehung hinweist, jedoch nicht genau aussagt, wer gemein-schaftlich erzogen werden soll (vgl. URL 3). Heute versteht man im Allgemeinen darunter die gemeinschaftliche Erziehung von Jungen und Mädchen außerhalb der eigenen Familie (vgl. Gerstberger 2000, vgl. URL 4). Von Koedukation wird im 21. Jahrhundert erst dann gesprochen, wenn ein gemeinsames Unterrichtskonzept vorliegt. Dieses pädagogische Konzept muss auf die Gemeinsamkeiten, als auch auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern abgestimmt sein, so Neuenhausen (2009). Kraul (1999) verweist darauf, dass der Begriff in ein „ Spannungsfeld oder Geflecht von Bildungstheorie, Geschlechtertheorie, gesellschaftlichen Voraus-setzungen und ideologischen Positionen, wie institutionellen Bedingungen [einge-bunden ist]“ (Kraul 1999, S.21). Damit wird deutlich, dass die Bedeutung, im genauen Verständnis, dem Zeitgeist unterliegt. Was bleibt ist jedoch die Kernaussage des Begriffs, dass es sich dabei um eine Gemeinschaftserziehung von Mädchen und Jungen handelt (ebd.).
Anschließend soll ein geschichtlicher Abriss, beginnend im 20. Jahrhundert, die Ent-wicklung koedukativen Unterrichts in der Primarstufe nachvollziehbar werden lassen und aufzeigen, wobei das Prinzip Koedukation in der Medienarbeit Anwendung findet.
2.2 Geschichtlicher Abriss des Unterrichts in der Primarstufe, ab 20. Jahrhundert
Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1919 (in der Weimarer Verfassung einheitlich für ganz Deutschland festgeschrieben), stand „das Kind“ vorerst nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern politisch-gesellschaftliche und kirchliche Belange gaben den Ausschlag, wie unterrichtet werden sollte (vgl. Faulstich-Wieland 1991, S.10). In der Weimarer Republik (1918/19 bis 1933) wurde das Prinzip der Koedu-kation, im Sinne eines gemeinschaftlichen Unterrichts, noch nicht eingesetzt (ebd., S.27). Tendenzen dahingehend entwickelten sich jedoch allmählich (ebd.). Mit dem Reichsgrundschulgesetz (1920) wurde das Schulwesen eingeführt. Die Volksschule (= der Grundschule), die heutige Primarstufe, musste danach von jedem Kind vier Schuljahre lang besucht werden. Der enorme Einfluss der Kirche auf das Schulwesen äußerte sich auch durch Geschlechtertrennung in den Schulklassen. Somit war das Prinzip der Monoedukation Anfang des 20. Jahrhunderts, auf Grund religiöser Ein-wände und gesellschaftspolitischer Regelungen, etabliert (vgl. Steinhaus 1966,S.45). Dennoch wurden erste Überlegungen von Staatsseiten angestellt, wie man am besten die Bildungsinhalte vermitteln könnte (vgl. Kraul 1999, S.29). Das Prinzip der Koedukation im Bildungssystem konnte sich zu jener Zeit zwar nicht durchsetzen, doch waren weibliche Bildungsinhalte identisch mit denen der männlichen. Koedukativer Unterricht fand nur Bestand in der Landerziehungsheimbewegung[1], einer auf-kommenden reformpädagogischen Strömung (vgl. Faulstich-Wieland 1991, S.27). Das Konzept der Odenwaldschule zum Beispiel, betrachtete „[...] die Verschiedenheit der Geschlechter als eine Möglichkeit zur gegenseitigen Ergänzung“ (Kraul 1999, S.30).
Während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) änderte sich die mono-edukative Bildungsansicht nicht. Durch das neue Reichsschulpflichtgesetz (1938), wurden lediglich Regelungen hinsichtlich der schulpflichtigen Zeit und der Schulformen erlassen. Darin wird u.a. die Schulpflicht aller Kinder, während der ersten vier Schuljahre, mit dem Besuch der Volksschule festgelegt. Monoedukation wurde im nationalsozialistischen Staat unterstützt und befürwortet. Demnach wurden Mädchen und Jungen nach nationalsozialistischen, ideologischen Zielsetzungen getrennt-geschlechtlich Unterrichtet. Das heißt, die Mädchen wurden auf ihre zugewiesene spätere Rolle als Mutter, Hausfrau und Ehefrau, die Jungen für die späteren Ver-wendung im militärischen Bereich, erzogen und beschult.
Mit dem Zusammenfall des dritten Reichs (1945) und den damit beginnenden Neustrukturierungen, unterteilten die Besatzungsmächte Deutschland in vier Zonen, aus denen sich zwei neue Republiken gründeten. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde das Prinzip der Koedukation, auf Grundlage eines Gesetzes von 1946, allmählich in den Schulen eingeführt (vgl. Kemnitz 1999, S.97). Gleich-berechtigung war ein Argument für die Überlegenheit des sozialistischen Systems und wurde damit auch zu einer bedeutsamen politischen Angelegenheit bestimmt (ebd.). Lediglich ein Abweichen gemischtgeschlechtlichen Unterrichts wurde zugelassen, wenn auf Grund von Besonderheiten eine Unterrichtstrennung notwendig wurde (ebd., S.85). Der Turnunterricht stellte neben dem Fach Nadelarbeiten (für Mädchen obligatorisch) und Werkunterricht (für Jungen obligatorisch) eine solche Ausnahme dar. Durchsetzen konnte sich diese Unterrichtstrennung vorerst nur vereinzelt. Durch die klare Trennung von Kirche und Staat hatte das Prinzip der Koedukation nun eine Chance. Zudem befürwortete die sozialistische Ideologie diese Unterrichtsform. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) kam es nicht zur strikten Trennung von Kirche und Staat, so hatte die Kirche immer noch einen starken Einfluss auf die Unterrichtsweise der Bildungsanstalten. In den 60er Jahren konnte sich in der Schullandschaft das Prinzip der Koedukation, trotz des kirchlichen Einflusses, auch hier durchgesetzt (vgl. Kraul 1999, S.33). Dabei ist zu erwähnen, dass den koedukativen Schulen die Lehr-pläne und Inhalte aus den Jungenschulen übertragen und somit den Mädchen „übergestülpt“ worden sind (vgl. Jansen-Schulz 2004, S.24). Im reformpädagogischen Bereich (Odenwaldschule, wurde weiterhin am koedukativen Unterricht festgehalten (vgl. Steinhaus 1966, S.46)). Neben der Odenwaldschule gab es nun weitere reform-pädagogische Schulsysteme, wie zum Beispiel das der Freien Waldorfschule (ebd.).
Faulstich-Wieland (1991) und Kraul (1999) positionieren sich am Ende des 20. Jahrhunderts in der Weiterführung koedukativen Unterrichts. Sie sahen darin die Möglichkeit, Vorurteile und Diskriminierungen durch das männliche Geschlecht ab-bauen zu können. Indem beide Geschlechter gleich behandelt, demnach gleich und zusammen unterrichtet werden, so Faulstich-Wieland (1991), kann man dies abbauen. Wenn man keine dauerhafte und trennscharfe Kategorisierung in weiblich und männlich unternimmt, so Kraul (1999) in diesem Zusammenhang, kommt es auch nicht zu gesellschaftlich begründeten Geschlechtsunterschieden. Chancengleichheit und die Emanzipation der Frau fanden zum Ende des 20. Jahrhunderts endlich Gehör und Zuspruch. Im 21. Jahrhundert trug dies wesentlich zur Ausformung eines Bewusstseins für die Gleichberechtigung der Geschlechter und einer Verankerung dieses Ver-ständnisses im Grundgesetz bei (vgl. Kraul 1999, S.34).
Heute ist das Prinzip der Koedukation im deutschen, staatlichen Schulbetrieb fest verankert und Monoedukation eher die Ausnahme in privaten Schulsystemen, als die Regel. Im Grundgesetz Art.3[2] sind alle Menschen gleich zu behandeln. Aus diesem Grund wird in Deutschland die Gleichberechtigung des weiblichen und männlichen Geschlechts u.a.[3] ebenso im Schulbereich durch koedukative Unterrichtung bewahrt. Koedukation ist hier ein gemischtgeschlechtlicher Unterricht mit pädagogisch auf die Geschlechter, abgestimmten Konzepten. Im Kapitel 2.1 fasste Kraul (1999) eingangs die Faktoren trefflich zusammen, welche einen Einfluss auf das Verständnis und deren inhaltliche Umsetzung nehmen können. Das Prinzip der Koedukation unterlag und unterliegt auch weiterhin dem geschichtlichen Spannungsfeld von Bildungstheorie, Geschlechtertheorie, gesellschaftlichen Voraussetzungen und ideologischen Positio-nen (ebd., S.21).
Damit konnte erkenntlich gemacht werden, aus welchen Gründen, im 21. Jahrhundert, sich das Prinzip der Koedukation in der deutschen, staatlichen Schullandschaft durchsetzte und bis dato Bestand hat. Doch dieses Prinzip findet nicht nur im schulischen Bereich statt. Koedukation, also eine Gemeinschaftserziehung von Mädchen und Jungen findet auch im Elementarbereich (bis 6 Jahre) statt. In Kindergärten (= Kindertagesstätten) werden Mädchen und Jungen gemeinsam er-zogen und gebildet (vgl. Kita-G Sachsen-Anhalt). Bildung im 21. Jahrhundert fängt nämlich nicht erst in der Schule an, sondern während der frühen Kindheit. Bereits 2006 wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), im „Kinder- und Jugendreport zum Nationalen Aktionsplan (NAP)“ gefordert, dass gerade diese Einrichtungen Bildung zugänglich machen müssen, um sozial benachteiligten Kindern eine diesbezügliche Chancengleichheit zu gewährleisten (vgl. BMFSFJ 2006, S.17).
Der Vormarsch der Medien, vor allem der „neuen Medien“ ist nicht mehr nur Gegenstand schulischer Bildungsinhalte, sondern seit Ende des 20. Jahrhunderts auch Gegenstand der Bildungsdebatten im Elementarbereich. Chancengleichheit durch Bildung trifft zudem auf dem Bereich der vorschulischen Bildungseinrichtungen (u.a. Kindergarten, Hort) zu. Bevor näher zur Situation im Elementarbereich eingegangen werden kann, wird vorerst der Medienbereich und seine Ein- und Unterteilung verdeutlicht.
2.3 Medien: „alte Medien“ und „neue Medien“
Ein neues Arbeitsfeld für pädagogische Institutionen mit einem Bildungsauftrag (wie Kindergarten und Schule), stellen die „neuen Medien“ dar. Die nachfolgende Abbildung 1 verdeutlicht, welche Medien dem Begriff „alte Medien“ und welche den „neuen Medien“ zugeordnet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Schaubild „alte Medien“ und „neue Medien“
Quelle: eigene Darstellung nach URL 6 (Ergänzung Hoppe/Josting 2006, S.11)
In der Abbildung 1 wird kenntlich, dass der Bereich der „alten Medien“ sich in traditionelle Medien und klassische Telekommunikationsmedien aufschlüsselt. Die „neuen Medien“ werden nach dieser Darstellung nicht weiter unterteilt. Ausschlag-gebend für die Einordnung ist es, ob es sich um nicht elektronische, elektronische- basierend auf analoger Technologie oder um elektronische- basierend auf digitaler Technologie handelt. Der Tabelle ist zu entnehmen, welche Medien sich in welchem Bereich einordnen lassen. Für die weitere Erarbeitung ist der Bereich der „neuen Medien“, genauer gefasst der Computer von Interesse. Diesem wird sich im Kapitel 5 näher zugewandt und eine Verbindung gezogen zur Thematik Koedukation und Ge-schlecht. Das nachfolgende Kapitel wird die Entwicklung der Medienbildung im Elementarbereich zum Ende des 20. Jahrhunderts bis heute aufzeigen.
2.4 Medienarbeit im Elementarbereich, Ende 20. Jahrhundert bis Heute
Auf der Jugendministerkonferenz (JMK) der Bundesrepublik Deutschland 1987 wurde sich vehement gegen den Einsatz von Computer- und Videospielen, sowie Fernseh- und Videofilmen ausgesprochen (vgl. Reichert-Garschhammer 2007, S.79). Sie galten als ungeeignete pädagogische Medien für den Einsatz im Kindergarten (ebd.).
Die Medienarbeit, so Stolzenburg (1995), verfolgt u.a. das Ziel, Mädchen und Jungen dazu zu befähigen, eigene Interessen und Sichtweisen zu erkennen und zu benennen. In einer Gesellschaft, in der sich Geschlechterrollen stetig ändern und anpassen, ist es der Koedukation kaum möglich dem Gerecht zu werden (vgl. Stolzenburg 1995, S.150). Themen werden in eingeschlechtlichen Gruppen anders ausgeleuchtet, als in gemischtgeschlechtlichen Gruppen (ebd., S.153). Wenn Lerninhalte bis zur Be-herrschung getrenntgeschlechtlich angeeignet wurden, kann anschließend im Aus-tausch mit dem anderen Geschlecht (beim miteinander spielen am Computer) das Wissen in Interaktion Anwendung finden. Darin eignen sich die Kinder für das Leben wichtige soziale Kompetenzen an (ebd.).
1996 wurde u.a. auf Grundlage eines festgestellten Wirkungsverlustes des ge-setzlichen Jugendmedienschutzes sowie der deutlichen Zunahme von Gewalt und pornografischen Darstellungen in den Medien, auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) in Auftrag gegeben, die Medienkompetenz der Kinder frühzeitig zu stärken (vgl. Reichert-Garschhammer 2007, S.80). Die JMK nimmt sich diesem Auftrag an und kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem im Bereich der Leitmedien von Kindern (Fernsehen, Video und Computer) eine Notwendigkeit pädagogischen Handelns besteht (ebd.).
In der Umsetzung sah es mit dieser Zielsetzung nicht so einheitlich aus. In den 16 Bundesländern wurde das Problem auf unterschiedlichste Weise angegangen. 2002 zum Beispiel haben neun von 16 Bundesländern in der Erzieherausbildung Medien-pädagogik verankert. Erst 2006 verfolgen alle 16 Bundesländer Rahmenpläne für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen (ebd.). Ansätze medienpädagogischer Arbeit in Kindertageseinrichtungen knüpfen nun an den Medienerfahrungen des Kindes an und werden durch mediendidaktisches Handeln des pädagogischen Personals auf-gearbeitet und begreifbar gemacht (ebd., S.81).
2012 sind die neuen Medien nicht mehr aus der Gesellschaft wegzudenken. Man spricht 2006 auf einer Tagung vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF) von „Medienkindern von Geburt an“ (Theunert 2007, S.9). Damit steht außer Frage, dass Kinder pädagogisch an die „alten“ als auch an die „neuen Medien“ herangeführt werden müssen. Wie eine Heranführung umgesetzt werden könnte und was dabei noch eine Rolle spielt, wenn es zur Betrachtung des Computers, unter Einbezug eines geschlechtersensiblen Erwerbs von Computerkompetenzen geht, wird im Kapitel 5 aufgeführt. Zuvor ist die frühkindliche Entwicklung zu betrachten, um spätere Rückschlüsse für die eingangs gestellten Fragen ziehen zu können.
3. Frühkindliche Entwicklungen, bezogen auf die Entstehung der eigenen Geschlechtsidentität, Geburt bis sechs Jahre
Um ein Verständnis für die Zusammenhänge zu bekommen, welche Faktoren einen Einfluss darauf haben, wie sich ein Kind entwickelt, werden im Folgenden biologische und soziale Einflussfaktoren näher beleuchtet. Dieses Kapitel befasst sich im Schwerpunkt mit der geschlechtsspezifischen Entwicklung nach der Geburt, jedoch muss aus Verständnisgründen vorerst kurz zusammengefasst werden, wie sich das Geschlecht vorgeburtlich prägt, um folgend die Einflussfaktoren nach der Geburt aufzuzeigen.
In den Ausführungen dieser Arbeit wird grundsätzlich vom Idealtyp „weiblich“ oder „männlich“ ausgegangen. Abnormitäten[4], Behinderungen, Krankheiten oder Aus-nahmefälle finden dabei keine weitere Berücksichtigung. In der vorliegenden Arbeit werden Bezeichnungen verwendet, welche im Zusammenhang mit dem Lebensjahren des Kindes stehen und in zwei Jahresabständen definiert sind. Die Abbildung 2 dient diesbezüglich der Veranschaulichung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Bezeichnung des Kindes im Zusammenhang seiner Lebensjahre
Quelle: eigene Darstellung nach Demmler 2005, S.72
3.1 Vorgeburtliche, biologische Einflussfaktoren
Im englischsprachigen Raum als „sex“ bezeichnet, finden im deutschsprachigen Raum zwei Begriffe Anwendung. Der des genetischen und der des biologischen Ge-schlechtes (vgl. Diefenbach 2010,S.255). Ob ein Kind weiblichen oder männlichen Geschlechts ist, wird hinsichtlich der Chromosomen und anatomischen Merkmale bestimmt (vgl. Eliot 2010, S.11).
In den ersten neun Monaten, während der sogenannten pränatalen Phase, bildet sich ein weibliches oder männliches Geschlecht im Mutterleib aus (vgl. Eliot 2010, S.88; vgl. Hannover 2008, S.380). Doch Äußerlichkeiten können zu falschen Rückschlüssen führen, denn mit entscheidend, in wie weit sich ein Kind „weiblich“ oder „männlich“ fühlt, findet im Gehirn statt und nicht auf Grund äußerlicher Geschlechtsmerkmale.
Die Aktivitäten der Hormone und Gene haben nicht nur Auswirkungen auf die Entwicklung der Fortpflanzungsorgane, sondern auch einen bedeutsamen Einfluss auf die Gehirnentwicklung des Fötus (vgl. Eliot 2010, S.52). Je nach Zusammensetzung des Fruchtwassers, wird ein weiblich oder männlich orientiertes Gehirn angelegt. Eliot (2010) beschreibt in diesem Zusammenhang, dass vermutlich u.a. die Hormone Östrogen und Testosteron für die geschlechtliche Ausdifferenzierung des kindlichen Gehirns die Ausschlaggeber sind. Somit ist die Entwicklung eines Geschlechts-bewusstseins angeboren (ebd., S.187). Denn vor allem im Fall von nonkonformen Geschlechterrollenverhalten[5] ist ein Beweis dafür abzulesen, dass die Geschlechts-identität weitgehend auf angeborene Faktoren zurückzuführen ist (ebd., S.178f). Das Geschlecht ist demnach vorgeburtlich festgelegt. Die Orientierung des Gehirns ebenso. Wie die Abbildung 3 verdeutlicht, gibt es unzählige Abstufungen von weiblichem Geschlecht und weiblich bis männlich orientiertes Gehirn, bis zu männliches Ge-schlecht und männlich bis weiblich orientiertes Gehirn.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Schaubild: Zusammenhang Geschlecht und Orientierung des Gehirns
[...]
[1] Auf Grund der geschlechtsunterschiedlichen Charaktere, von Jungen und Mädchen, sah man im koedukativen Unterricht eine geeignete Erziehungsform zur Herausbildung einer eigenen Persönlichkeit (vgl. Faulstich-Wieland 1991, S.27; vlg. Kraul 1999, S.30).
[2] Art 3 GG (vgl. URL5)
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat […] wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes […] benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
[3] Es handelt sich hierbei um eine im Text verwendete Abkürzung u.a. für „unter anderem“, welche weiterführend gebräuchlich bleiben wird.
[4] Mit Abnormität ist in diesem Kontext jegliche Abweichung frühkindlicher Entwicklung, vom Normalen, gemeint.
[5] Nonkonformes Geschlechterrollenverhalten beschreibt, dass jungenhalte Mädchen oder mädchenhafte Jungen trotz negativer Reaktionen zu ihren Äußerungen oder Interessenneigungen einstehen. Da sie diese Außenwirkungen nicht in ihrem Verhalten beeinflussen, kann man davon ableiten, dass die Ge-schlechtsidentität angeboren ist (vgl. Eliot 2010, S.180f).