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Zur neurodidaktischen Lehr-Lern-Forschung

©2012 Hausarbeit 17 Seiten

Zusammenfassung

"Die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der Neurobiologie in der Didaktik mutet [...] ein wenig so an, als ob man die Frage, warum Menschen in bestimmten Teilen der Erde hungern müssen, mit der Erforschung der Stoffwechselprozesse im Körper beantworten wolle." (Stern 2003)

In Anlehnung an mein Referat zum Sinnlichen Lernen im Rahmen der Veranstaltung Einführung in den Lernbereich Sachunterricht im Wintersemester 2010/ 2011 habe ich mich ausführlich mit dem Thema Hirnforschung in Bezug auf Lernprozesse von Schülern auseinandergesetzt. Währenddessen und auch im Laufe der Einführungsveranstaltung in die Erziehungswissenschaften von Professor Gerhard de Haan begegnete ich des Öfteren dem Diskurs zwischen Kognitionspsychologen und Hirnforschern, welcher auch in dem oben genannten Zitat aus Elsbeth Sterns Artikel Rezepte statt Rezeptoren thematisiert wird. Eben dieser Ausspruch hat mich dazu angeregt, mich noch einmal intensiver mit der Problematik auseinanderzusetzen und mich in der folgenden Arbeit der Frage zu widmen, ob und inwiefern es bei der Gestaltung optimaler Lernumgebungen für Schüler notwendig ist, die Erkenntnisse der Hirnforschung miteinzubeziehen.
Dazu gehe ich zu Beginn erst einmal darauf ein, wie der Begriff des Lernens zu definieren ist, da dieser wahrscheinlich am häufigsten innerhalb dieser Arbeit auftritt. Im Anschluss daran stelle ich im Hauptteil zwei für die Schulpraxis relevante Theorien der Hirnforscher Gerhard Roth und Manfred Spitzer dar, ebenfalls aber auch kritische Meinungen ausgewählter Psychologen und Pädagogen, die den beschriebenen Diskurs in der Fachliteratur anführen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Begriff des Lernens
2.1 Lernen der Gene
2.2 Lernen der Gesellschaft
2.3 Lernen der Individuen

3. Zur Neurodidaktik
3.1 Chancen eines interdisziplinären Austauschs von Hirnforschung und Pädagogik Bedeutende Faktoren bei der Wissenskonstruktion nach Gerhard Roth Der Zusammenhang von Emotionen und Gedächtnis nach Manfred Spitzer
3.2 Grenzen einer neuropsychologischen Lehr- Lern- Forschung

4. Zusammenfassung und Ausblick

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der Neurobiologie in der Didaktik mutet [...] ein wenig so an, als ob man die Frage, warum Menschen in bestimmten Teilen der Erde hungern müssen, mit der Erforschung der Stoffwechselprozesse im Körper beantworten wolle. (Stern1 2003)

In Anlehnung an mein Referat zum Sinnlichen Lernen im Rahmen der Veranstaltung Einführung in den Lernbereich Sachunterricht im Wintersemester 2010/ 2011 habe ich mich ausführlich mit dem Thema Hirnforschung in Bezug auf Lernprozesse von Schülern2 auseinandergesetzt. Währenddessen und auch im Laufe der Einführungs- veranstaltung in die Erziehungswissenschaften von Professor Gerhard de Haan be- gegnete ich des Öfteren dem Diskurs zwischen Kognitionspsychologen und Hirnfor- schern, welcher auch in dem oben genannten Zitat aus Elsbeth Sterns Artikel Rezepte statt Rezeptoren thematisiert wird. Eben dieser Ausspruch hat mich dazu angeregt, mich noch einmal intensiver mit der Problematik auseinanderzusetzen und mich in der folgenden Arbeit der Frage zu widmen, ob und inwiefern es bei der Gestaltung optimaler Lernumgebungen für Schüler notwendig ist, die Erkenntnisse der Hirnfor- schung miteinzubeziehen.

Dazu gehe ich zu Beginn erst einmal darauf ein, wie der Begriff des Lernens zu definieren ist, da dieser wahrscheinlich am häufigsten innerhalb dieser Arbeit auftritt. Im Anschluss daran stelle ich im Hauptteil zwei für die Schulpraxis relevante Theorien der Hirnforscher Gerhard Roth und Manfred Spitzer dar, ebenfalls aber auch kritische Meinungen ausgewählter Psychologen und Pädagogen, die den beschriebenen Diskurs in der Fachliteratur anführen.

2. Zum Begriff des Lernens

„Lernen führt zum Erwerb von Wissen. Wissen ist die Fähigkeit, etwas in Gang set- zen zu können.“ (Stehr 1994, 3) Diese Definition des Begriffs Lernen scheint nahezu banal, ist aber genau aus diesem Grund so angemessen als Versuch einer Definition, denn der Lernbegriff ist vieldeutig. Um Lernprozesse genauer zu beschreiben, spricht man in der Fachliteratur von drei verschiedenen Formen des Lernens, auf diese hier nun kurz eingegangen werden soll.

2.1 Lernen der Gene

Mit dem Begriff der Evolution beschreibt man die Form des Lernens, die sich auf die Entwicklung der genetischen Grundlage der Lebewesen bezieht. Sie ist das Resultat eines Vorgangs mit einer Dauer von Milliarden Jahren, währenddessen Lebewesen gelernt haben, im Rahmen von bestimmten Umwelteinflüssen spezifische Verhaltens- formen auszubilden, indem sich Mutationen allmählich als Merkmale einer ganzen Population durchsetzten. Die enorm große Zeitspanne dieser Anpassungsvorgänge stellt einerseits einen Nachteil dieser Form des Lernens dar, bildet gleichzeitig aber auch die Stärke dieses Lernprozesses, dessen Resultate intensiv geprüft und kaum störanfällig sind (vgl. Scheunplug 2001, 45).

Da sich die Pädagogik ausschließlich mit dem Verhalten von Individuen auseinandersetzt, erscheint es logisch, dass das Lernen der Gene, welches dem Zugriff der Menschen entzogen ist, keine Rolle in pädagogischen Überlegungen spielt.

2.2 Lernen der Gesellschaft

Als Synonym für diese Form des Lernens kann der Begriff der Traditionsbildung fungieren, denn das Lernen einer Gesellschaft beschreibt nichts geringeres als die Tradierung von Werten, Normen, Einstellungen, Erwartungen, Rollen, Regeln und Wissen, vor allem mit Hilfe enormer Speichermöglichkeiten durch Sprache und Schrift (vgl. ebd., 57). Damit diese Weitergabe von Kultur von einer Generation zur nächsten funktionieren kann, muss erst einmal jedes Individuum innerhalb der Gesellschaft gewisse Lernerfahrungen selbst erlangen, welche sich dann unter anderem durch Nachahmungsprozesse verbreiten können.

2.3 Lernen der Individuen

Die für die Pädagogik wichtigste Form des Lernens stellt das Lernen der Individuen dar. Das individuelle Lernen markiert die Leistungssteigerung einer Person bezüglich seiner spezifischen Fähigkeiten im jeweiligen kulturellen Kontext, indem das Verhaltensrepertoire durch die wiederum genetisch festgelegte Offenheit für Umwelt und Situation durch das Lernen des Gehirns erweitert wird.

Innerhalb dieses pädagogischen Lernbegriffs wird unterschieden zwischen dem Ler- nen, das von außen kommt und dem, das selbstreguliert entsteht, indem der Lernende von außen lediglich animiert wird. Der wichtigste Vertreter dieses sogenannten auto- poietischen Lernens ist Jean Piaget, welcher sich Mitte des 20. Jahrhunderts von der Kategorie des Behaviorismus abgrenzte, unter welcher das Gehirn lediglich als ein passiver Behälter angesehen wurde, in dem Wissen abgelagert wird. Seiner konstruk- tivistischen Vorstellung nach handelt es sich eher um ein informationell geschlosse- nes System, in welchem sich jedes Individuum sein Wissen selbst konstruiert. Piaget versteht Lernen also als einen aktiven Prozess der Erkenntnis von Welt durch Einwir- kung auf sie.

Neben der Aufteilung des Lernbegriffs in poietisches und autopoietisches Lernen, sprechen Kognitionspsychologen außerdem vom Gegensatzpaar des privilegierten beziehungsweise nicht- privilegierten Lernens (vgl. Sachser 2006, 18). Dabei handelt es sich mehr oder minder um eine zeitliche Unterscheidung der Lernprozesse inner- halb der Ontogenese eines Menschen, wobei das privilegierte Lernen all die Erkennt- nisse einschließt, welche sich in frühester Kindheit natürlich ergeben: Sofern die kör- perlichen und emotionalen Grundbedürfnisse der Säuglinge und Kleinkinder befrie- digt und die Sinnesfunktionen intakt sind, vollziehen sich Veränderungen im Gehirn, die nicht auf Einflüsse von außen zurückzuführen sind (Stern 2006, 80). Auch wenn die Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Erforschung bislang mehr diese Lernpro- zesse als die nicht- privilegierten betreffen, welche beispielsweise Eltern oder Lehrer zu beeinflussen vermögen, wird dennoch zunehmend deutlich, dass generelles Wissen über Strategien und Prozeduren des Gehirns auch für Pädagogen aufschlussreich sein kann (vgl. Sachser 2006, 18).

3. Zur Neurodidaktik

Das Credo des Reformpädagogen Pestalozzi Mit Kopf, Herz und Hand wird in der Pädagogik oft verwendet, wenn es darum geht zu beschreiben, welche Rolle Emotio- nen innerhalb von Lernprozessen spielen. Dieser Ausspruch vermittelt allerdings die Vorstellung, dass Wissen und Gefühle an zwei unterschiedlichen Orten angesiedelt sind, was bekanntlich nicht der Fall ist (Scheunpflug 2001, 103). Auch wenn Pestalozzi sein Diktum möglicherweise eher bildlich meinte, wird dennoch deutlich, wie wichtig hirnphysiologische Grundlagen beim Umgang mit pädagogischen oder auch didaktischen Fragen sein können.

Die Neurodidaktik versucht folglich darzustellen, wie die Neurobiologie zu einem neuen Verständnis bekannter allgemeindidaktischer Prinzipien führen kann, wenngleich sie es noch nicht vermag, sich als eine eigenständige Didaktik zu begründen (vgl. Friedrich 2006, 228).

3.1 Chancen eines interdisziplinären Austauschs von Hirnforschung und Päda- gogik

Wie bereits in der Einführung des Begriffs Lernen erläutert wurde, ist die heutige Vorstellung über die Wissensbildung beim Menschen eine konstruktivistische. Auch wenn diese Erkenntnis selbst nicht neu erscheint, sind es die Forschungsergebnisse zu den unbewusst ablaufenden Prozessen, die diese Konstruktion bedingen, durchaus. Abhängig sind diese Vorgänge nämlich von vielen Faktoren, die durch ein System vermittelt werden, das der Kognitionspsychologie lange Zeit nicht bekannt war. Die- ses sogenannte limbische System transportiert „Affekte, Gefühle und Motivation und ist auf diese Weise der eigentliche Kontrolleur des Lernerfolgs.“ (Roth 2006, 51), indem es alles, was mit dem Menschen geschieht, in zwei Kategorien aufteilt.

[...]


1 Elsbeth Stern ist Professorin für Psychologie und arbeitet am Berliner Max- Planck- Institut für Bildungsforschung zu Fragen des schulischen Lernens.

2 Der besseren Lesbarkeit wegen wird in der vorliegenden Arbeit ausschließlich die männliche Form eines Nomens verwendet. Gleichwohl sind immer weibliche und männliche Personen gemeint.

Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783656518341
ISBN (Paperback)
9783656517863
DOI
10.3239/9783656518341
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin
Erscheinungsdatum
2013 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
lehr-lern-forschung
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