Kriegerinnen? Der Einsatz von Soldatinnen in den israelischen Streitkräften
Zusammenfassung
Im Umfeld dieser Nahost-Themen ist der israelisch-arabische Konflikt aus dem Fokus der Berichterstattung geraten, doch nur wenig spricht für ein Anhalten dieses peripheren Zustandes. Der Staat Israel stellt territoriale, kulturelle sowie rechtliche Grenzen und Demarkationslinien in einer Region, die tief geprägt ist von Kultur, Religion, Ideologie und Geschichte und hat deshalb seit seiner Gründung im Mai 1948 – also genau 64 Jahre vor dem G8-Gipfel in Camp David – mit der Eskalation von zahlreichen Krisen zu kämpfen, die zwar nur einen geografisch vergleichsweise kleinen Raum betreffen, aber umso größere globale Auswirkungen haben können und eine starke Präsenz in den Medien und der internationalen Politik garantieren. ...
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Entstehung der "people’s army"
3. Bedeutung des Militärs
4. Rolle der Frau
5. Resümee
6. Literatur
1. Vorwort
Freitag, der 18. Mai 2012, Camp David: Beim Gipfeltreffen der G8 stehenan diesem Abend einige der brisantesten internationalen Themen auf demProgramm: der Aufbau einer Demokratie in Afghanistan, die friedlicheBeilegung des Bürgerkriegs in Syrien, die diplomatische Beendigung desiranischen Atomwaffenprogrammes und eine mögliche Unterstützung desArabischen Frühlings.
Im Umfeld dieser Nahost-Themen ist der israelisch-arabische Konflikt ausdem Fokus der Berichterstattung geraten, doch nur wenig spricht für einAnhalten dieses peripheren Zustandes. Der Staat Israel stellt territoriale,kulturelle sowie rechtliche Grenzen und Demarkationslinien in einerRegion, die tief geprägt ist von Kultur, Religion, Ideologie und Geschichteund hat deshalb seit seiner Gründung im Mai 1948 - also genau 64 Jahrevor dem G8-Gipfel in Camp David - mit der Eskalation von zahlreichenKrisen zu kämpfen, die zwar nur einen geografisch vergleichsweise kleinenRaum betreffen, aber umso größere globale Auswirkungen haben könnenund eine starke Präsenz in den Medien und der internationalen Politikgarantieren.
In einem von Krisen und Kriegen erschütterten Raum wie dem Nahen Osten spielt die Stärke der partizipierten Streitkräfte eine signifikante wenn nicht sogar eine überragende - Rolle in der Politik und dem Alltagsleben der Menschen. So ist es keine Überraschung, wenn die Verteidigung des eigenen Landes zur Bürgerpflicht erhoben wird, wohl aber, wenn die Pflicht des traditionell männlich geprägten Militärdienstes auch auf die weibliche Bevölkerung übergreift. David Ben Gurion, der erste Premierminister Israels, beschreibt die gesetzlich verankerte Wehrpflicht von Frauen folgendermaßen:
„The army is the supreme symbol of duty and as long as women are not equal to men in performing this duty, they have not yet obtained true
equality. If the daughters of Israel are absent from the army, then the character of the Yishuv 1 will be distorted.“ 2
Doch ist der Einsatz von Soldatinnen für die israelischen Streitkräfte vonelementarer Bedeutung? Geht es in der militärischen Nutzanwendung dabeinur um die reine Anzahl der SoldatInnen oder die Einbringung der Frau ansich? Bei der Bearbeitung der Thematik stützt sich diese Arbeit vor allemauf die Werke von Uta Klein, die allgemeine wie detaillierte Informationenzu den israelischen Streitkräften in deutscher Sprache herausgebracht hat,sowie den Werken von Baruch Nevo und Yael Shur-Shmueli, Eyal Ben-Ariund Edna Levy-Schreiber, allen voran aber Dafna L. Izraeli, die Rolle undBedeutung der israelischen Soldatinnen näher beleuchtet haben.
Einleitend werden die historischen Ursprünge der Soldatinnen in der israelischen Armee und die Bedeutung des Militärs in der modernen israelischen Gesellschaft behandelt, bevor eine Untersuchung zu der Rolle und dem Einsatz von Soldatinnen in Angriff genommen wird.
2. Entstehung der "people’s army"
Mit der Gründung der israelischen Verteidigungsstreitkräfte IDF (engl. Akronym f. Israel Defense Forces) im Mai des Jahres 1948 wurden neben der symbolischen Untermauerung der israelischen Unabhängigkeit auch zwei wesentliche Leitmotive der zionistischen Bewegung - „nie wieder wehrlos sein“ und „es gibt keine Wahl“ 3 - in den nationalen Ethos des kurz zuvor ausgerufenen Staates integriert.
Dabei entspricht „nie wieder wehrlos sein“ der Negation der Diasporaund der symbolisierten Isolation, die das jüdische Volk in der Welt fühlt ein Gefühl des „von den Anderen allein gelassen sein“, dass durch den Holocaust verstärkt wurde und im modernen politischen Kontext auch aufdie Feindschaft der umliegenden arabischen Gesellschaften, insbesondereder Palästinenser, gegenüber der jüdischen Gesellschaft projiziert wird.4
Auch die historische Festung Masada bildet einen Mythos der Isolation, derin direkter Verbindung mit dem „nie wieder wehrlos sein“ steht: Als imJahr 73 n. Chr. römische Truppen die Festung belagerten und sich dieNiederlage abzeichnete, begingen die belagerten Sikarier kollektivenSelbstmord, da sie den Tod als freie Menschen einer Versklavung durch dieRömern vorzogen.5 Diese Tat konstituiert Masada bis heute zu einemSymbol des jüdischen Freiheitswillen und stellt für die israelischeGesellschaft gleichzeitig eine Analogie für den modernen Staat Israel dar,der in einem Krieg gegründet wurde und sich seither in einemBelagerungszustand wie damals die antike Festung befindet. In derLiteratur wird diese Belagerungsmentalität deshalb auch als „MasadaSyndrom“ bezeichnet, denn von außen (also aus heutiger Perspektive vonden anderen Nationen) ist keine Hilfe zu erwarten.6 Noch heute dienen dieRuinen von Masada als Schauplatz für Zeremonien und Wallfahrten, nurdas militärische Zeremoniell der Vereidigung israelischer Soldaten mit demSchwur „Masada darf nie wieder fallen“ wurde im Jahr 1991 eingestellt,da kein Bezug zum dem Fanatismus und dem kollektiven Selbstmord derSikarier von 73 n. Chr. entstehen sollte.7
„Es gibt keine Wahl“ knüpft an den biblischen Mythos David gegenGoliath an, mit der polarisierenden Gegenüberstellung „Wir“ die Wenigen,Schwachen aber Guten und „Sie“ die Vielen, Starken und Bösen. Damiterhalten auch die aktuellen Konflikte die „Aura einer kosmischen, ewigen Konfrontation der Kräfte des Lichts (die Wenigen) und der Dunkelheit (die Vielen)“.8 Die Dichotomisierung zwischen dem Licht, das mit der eigenen Gruppe assoziiert wird, und der Dunkelheit, der alle Gegner angehören, erlaubt es jede Gewalt, die vom eigenen Militär ausgeht, als Selbstverteidigung auszulegen.
Auch hat der Umstand, dass der Staat Israel in einem Krieg gegründetwurde und für ihn noch heute eine reale Bedrohung besteht, die Einstellunggeprägt, dass jeder Krieg in Israel jenseits der menschlichen Kontrolle liegtund nur zu einer weiteren Episode der Geschichte der ewigen Verfolgungder Juden wird. Die geführten Kriege prägen das kollektive Schicksal derIsraelis und erreichten damit eine Kohäsion und Stärkung des innerenZusammenhalts der Gesellschaft, die als eine in der Literatur sogenannte „people’s army“ für das gemeinsame Ziel des Überlebens kämpfen muss.9
Durch die Gründung eines eigenen jüdischen Staates sollte des Weiterendem Antisemitismus aktiv begegnet werden, indem eine neue jüdischeIdentität geschaffen werden sollte, die der des antisemitischen Stereotypeneines schwächlichen und wehrlosen Diaspora-Juden diametral entgegenstand. Die Betonung der Fähigkeit zur Selbstverteidigung resultierte in derEtablierung und Mythologisierung des neuen Idealtypus des israelischenKämpfers und Soldaten, damit wird die israelische Gesellschaft auf eine „Notwendigkeit der Wehrhaftigkeit eingeschworen, die natürlich vom israelischen Militär verkörpert wird“ 10.
Die Entscheidung der provisorischen Regierung des im Mai 1948 neu ausgerufenen Staates, auch Frauen in die sich konstituierende Armee aufzunehmen, wurde von den sozialistisch-egalitären Idealen der zionistischen Kibbuz-Gründergeneration, der - insbesondere vom ersten Premierminister David Ben-Gurion vertretenen - säkularen Auffassung der Frau als gleichberechtigter Staatsbürgerin und nicht zuletzt durch die damaligen historischen Gegebenheiten beeinflusst: So trugen die damalige Knappheit an finanziellen und menschlichen Ressourcen in Israel sowie das lediglich in einem auf Waffenstillstandsabkommen beruhende Verhältnis zu seinen arabischen Nachbarn dazu bei, einen für Männer und Frauen verpflichtenden Wehrdienstes gesetzlich zu verankern. Diese Wehrdienstleistenden sollten zusammen mit einer kleinen Berufsarmee, zu deren Unterstützung im Verteidigungsfall Reserveeinheiten herangezogen werden konnten, die israelischen Verteidigungsstreitkräfte bilden, sowie deren Charakter und Selbstverständnis prägen.11
Über die Art und Weise der Integration von Frauen in die israelischeArmee herrschten jedoch von Anfang an unterschiedliche Vorstellungenwegen den kollidierenden Interessen zwischen der modern säkular und derreligiös traditionell orientierten Bevölkerung vor. Die politische Entscheidung, Frauen ungeachtet ihres aktiven Beitrags während des Unabhängigkeitskrieges aus den Kampfeinheiten auszuschließen, sie aberdennoch an der Waffe und für Kampfeinsätze auszubilden, fiel alsZugeständnis an die religiösen Parteien, die für eine völlige Schließung desMilitärs für Frauen votiert hatten, da sie ein Absinken der Geburtenrate undeine mangelnde physische Kondition der Frauen ins Feld führten. Diesäkularen Parteien waren für die Partizipation der Frauen, mit Ausnahmeaber von Verheirateten oder Schwangeren. So wurde die Frau letztendlichvon beiden Parteien primär über die aus ihrer biologischen Rolleabgeleitete „natürliche Bestimmung“ definiert.12
Die schlussendliche Einigung war die ephemere Aufstellung des Frauenkorps CHEN (hebr. Akronym f. Cheil Nashim) - einer administrativenEinheit innerhalb der Streitkräfte, der die Aufsicht über die Ausbildung unddie militärische Laufbahn der Soldatinnen oblag und die ausschließlicheAutorität über jegliche Sanktionierungsmaßnahmen gegen Frauen hatte.
[...]
1 hebr. f. „bewohntes Land, Siedlung“ - Bezeichnung der jüdischen Bevölkerung in Palästina vor der Staatsgründung Israels 1948.
2 offizielle Internetpräsenz der israelischen Streitkräfte: http://www.idf.il/1283-9679- en/Dover.aspx, zuletzt eingesehen am 22. Januar 2013.
3 vgl. Klein, Uta: Militär und Geschlecht in Israel, Frankfurt am Main 2001, S. 112f.
4 vgl. Klein, Uta: Militär und Gesellschaft in Israel, in: Klein, Uta und Thränhardt, Dietrich: Gewaltspirale ohne Ende? Konfliktstrukturen und Friedenschancen im Nahen Osten, Schwalbach 2002, S. 141.
5 vgl. Klein: Geschlecht, S. 113f.
6 vgl. Ebd., S. 117.
7 vgl. Klein: Gesellschaft, S. 140.
8 vgl. Klein: Geschlecht, S. 116.
9 vgl. Izraeli Dafna L.: Paradoxes of Women’s Service in the Israel Defense Forces, in: Ben-Ari, Eyal et al.: Military, State and Society in Israel, London 2001, S. 206; vgl. Klein: Geschlecht, S. 243f.
10 Klein: Geschlecht, S. 116.
11 vgl. Klein: Geschlecht, S. 122f.
12 vgl. Ebd., S. 126f.